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Stefan Horlacher, Bettina Jansen et al. (Hrsg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch

Rezensiert von Dr. Hans Hopf, 03.03.2016

Cover Stefan Horlacher, Bettina Jansen et al. (Hrsg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch ISBN 978-3-476-02393-3

Stefan Horlacher, Bettina Jansen, Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch. J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH (Stuttgart, Weimar) 2016. 382 Seiten. ISBN 978-3-476-02393-3. D: 69,95 EUR, A: 72,00 EUR, CH: 94,00 sFr.

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Thema

Das vorliegende, in jeder Hinsicht schwergewichtige Handbuch mit 382 klein bedruckten Seiten, möchte, so die Aussage der Herausgeber, die wichtigsten natur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Perspektiven wie auch die Künste in einem hierarchiefreien Ansatz zusammenführen, miteinander vernetzen und das von den jeweiligen Fachdisziplinen und Künsten hervorgebrachte spezifische Wissen über Männlichkeiten herausarbeiten und weiterdenken (S.4). Gleichzeitig soll eine Lücke in der Männlichkeitsforschung geschlossen werden, indem das spezifische in der deutschen und ausgewählten europäischen Männlichkeitsforschung in einen direkten Austausch mit den US-amerikanischen Masculinity Studies treten soll.

Herausgeber und Herausgeberin

Bettina Jansen und Stefan Horlacher sind Professoren für Englische Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Wieland Schwanebeck arbeitet ebenfalls am Institut für Anglistik und Amerikanistik. Die Schwerpunkte der Veröffentlichungen der Herausgeber betreffen unter anderem Maskulinität und Geschlechterforschung.

Entstehungshintergrund

Die Frage, was denn männlich ist, ist vor allem innerhalb der frauenemanzipatorischen Bewegung hinterfragt, in Frage gestellt und neu zu definieren versucht worden. Dies hat zu Erschütterungen der bisherigen eher patriarchalischen männlichen Identität geführt. Darum weisen die Herausgeber bereits in ihrer sorgfältigen Einleitung darauf hin, dass die Erforschung von Männlichkeit aus soziologischer, psychologischer, historischer, medizinischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive durchaus den Anschluss an die englischsprachige Forschung gefunden hat. Die mediale Auseinandersetzung mit Männlichkeit erweise sich jedoch noch hin- und hergerissen zwischen einer populistischen Debatte mit dem postulierten Imperativ „mit der Zeit zu gehen“ sowie einer nostalgischen Sehnsucht nach einem „angeblich intakteren Zeitalter, als Männer noch Männer sein durften“ (S. 1). Vor allem fehlte es bislang an einer Bereitschaft zu einer „gründlich kontextualisierten interdisziplinär geführten Diskussion“. Diese sei jedoch dringend vonnöten, denn Männlichkeit ist ein „höchst vielschichtiges und widersprüchliches Forschungsfeld“.

Aufbau

  1. In einer sorgfältigen Einleitung der drei Herausgeber werden, wie zuvor erwähnt, die vielfältigen Ziele des Buches aufgezeigt und bereits ansatzweise diskutiert.
  2. Das zweite Kapitel rezipiert die deutsch- und englischsprachige Männlichkeitsforschung, die Männlichkeitsforschung in Russland und Ostmitteleuropa, die Männlichkeitsforschung in Frankreich, Italien und Spanien sowie in Lateinamerika.
  3. Im dritten Kapitel finden sich zwölf verschiedene Disziplinen und Ansätze, alphabetisch geordnet, von der Archäologie bis zur Soziologie.
  4. Das vierte Kapitel befasst sich schließlich mit künstlerisch-medialen Repräsentationen und theoretischen Ansätzen. Es beginnt mit Film, es folgen Fotografie, Kunst und Kunstgeschichte, sowie die Literatur nach Herkunftsländern geordnet. Danach folgen Musik und Tanz.

Ausgewählte Inhalte

Das vorliegende Buch nennt sich „interdisziplinäres“ Handbuch und versucht letztendlich alle denkbaren Felder der Männlichkeitsforschung darzustellen und zu diskutieren. Einunddreißig Autorinnen und Autoren haben dabei mitgewirkt, und ein reichhaltiger Wissensschatz wird vor dem Leser ausgebreitet. Es ist darum sehr schwierig, im Rahmen einer Rezension auf diese Fülle auch nur ansatzweise einzugehen. Die zentralen Inhalte aller Kapitel können natürlich nicht einmal in Kürze referiert werden, es soll jedoch versucht werden, wenigstens einige zentrale Gedanken wiederzugeben, die in den unterschiedlichen Kapiteln referiert werden.

In seiner Zusammenfassung der Männlichkeitsforschung im deutschsprachigen Raum betont Erhart, dass noch unbestimmt ist, wie Männlichkeit als Begriff, als Kategorie und als Geschlechtseigenschaft künftig zu denken sei. Männlichkeit sei wohl weniger restriktiv und ausgrenzend geworden, die früher eindeutig gezogenen und binär festgelegten Grenzen seien verlorengegangen, die Formen der Männlichkeit weniger hegemonial geprägt, ihre Geschichte ist wahrscheinlich vielfältiger, aber auch unübersichtlicher geworden. Auch die Diskussion um ein positives und ein negatives Männerbild wird angesprochen – eines Mannes der nach Kriterien der Gesundheit und der Lebenserwartung überfordert erscheint, der aber auch als unmoralisch, gefährlich, kommunikationsunfähig und gefühllos diskreditiert wurde und wird.

Im Kapitel über die Pädagogik wird unter anderem die häufige Frage diskutiert, ob der Ruf nach (mehr) männlichen Pädagogen berechtigt sei. Dies wird vom Autoren Olaf Stuve höchst parteilich so diskutiert, (schon an der zitierten Literatur erkennbar) dass damit lediglich traditionelle Männlichkeitsanforderungen verstärkt würden. „Entsprechend entwickeln männliche Pädagogen innerhalb des weiblich markierten Berufsfeldes tendenziell stereotyp männliche Inszenierungen, die an hegemonialen Männlichkeitsmustern orientiert sind. Damit geht eine Verengung anstatt einer Erweiterung von Männlichkeitsmodellen einher“ (S. 147). Nun weiß ich nicht welche Erkenntnisse der Autor von der Bildung und den Persönlichkeitsstrukturen einer männlichen Lehrerschaft hat. Auch hat er sich kaum mit den Eigenschaften eines Vaters in der Erziehung seiner Kinder befasst, denn Lehrer sind auch ‚öffentliche Väter‘. Er hat keine Arbeiten aus der psychoanalytischen Pädagogik zitiert, die zu ganz anderen Einschätzungen kommt: Kinder brauchen unter allen Umständen Männer für ihre Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung, um sich mit diesen im Rahmen pädagogischer und alltäglicher Konflikte auseinandersetzen zu können.

In seinem hervorragenden Kapitel zu Männlichkeit aus Sicht der Psychoanalyse verdeutlicht Wolfgang Mertens schon zu Beginn den spezifischen psychoanalytischen Beitrag: Wie entsteht das komplexe Zusammenwirken von biologischen, individualpsychologischen, familiendynamischen und soziokulturellen Faktoren in der inneren, leiblich fundierten Welt eines heranwachsenden Jungen in den verschiedenen Lebensphasen und wie bildet sich daraus sein idiosynkratisches Verständnis von Männlichkeit (S.169). Mertens verdeutlicht dieses Zusammenspiel, indem er die Schaltstellen der psychosexuellen Entwicklung von Jungen beschreibt. Abschließend weist er darauf hin, dass zwar viele Einflüsse bereits im frühen Kindesalter auf die Entstehung des männlichen Selbstverständnisses einwirken, dass sich diese Entwicklung jedoch über Vaterschaft, berufliche Erfolge und Krisen sowie Älterwerden kontinuierlich fortsetzt.

Die Einzigartigkeit des Buches manifestiert sich vor allem in seinem letzten Kapitel über künstlerisch mediale Repräsentationen (von Film bis Tanz), wobei ich das Kapitel über die Musik der Musikwissenschaftlerin, Katrin Losleben, am interessantesten finde. Sieht man von den wenigen tonmalerischen Elementen ab, so vermittelt Instrumentalmusik in der Regel ja keine realistische oder naturalistische Aussage. Dennoch stellte sich für feministische Musikwissenschaftlerinnen die Frage, wie männliche Sexualität und Begehren sowie Machtverhältnisse in die Musik seit der Renaissance hineinkomponiert wurden. Solchen Hypothesen wurde auch kritisch begegnet, denn geschlechtliche Zuschreibungen werden letztendlich nur innerhalb eines kulturellen Kontextes in die Musik projiziert. Dennoch wurden bereits seit dem frühen Mittelalter Geschlechtsunterschiede beschrieben. Ein solcher Dualismus trug sich über die Jahrhunderte fort, wie Konsonanz/Dissonanz, Dur/Moll, polyphon/homophon etc. – bis hin zur Aussage von Robert Schumann, das männliche Dur sei das handelnde, das weibliche Moll das leidende Prinzip (S. 349). Mit einer Fülle von noch unbeantworteten Fragen zur Forschung endet dieses Kapitel.

Diskussion und Fazit

Dieses Buch birgt einen reichhaltigen Schatz, denn es gestattet einen (fast) vollständigen Überblick über viele Kategorien der Männlichkeitsforschung. Ein Handbuch hat bekanntlich Vor- und Nachteile. Es werden sehr unterschiedliche Themen ausgearbeitet, Redundanzen sind dabei nicht immer zu vermeiden, auch gelegentliche Einseitigkeiten. Doch wiegt das gering hinsichtlich der Qualitäten dieses Werks. Was die Herausgeber zu Beginn ankündigen, halten sie.

Das Werk ist allen zu empfehlen, die professionell mit den Geschlechtsunterschieden befasst sind, Soziologen, Pädagogen, Psychoanalytikern, natürlich auch allen Geisteswissenschaftlern. Die meisten werden neue Schätze entdecken und sich an den unterschiedlichen Inhalten festlesen können. Auch interessierte Laien werden ihre Freude daran haben, selbst wenn sich manches schwer erschließt, dazu noch sehr klein gedruckt. Ich gehe davon aus, dass dieses Buch bald zu einem Standardwerk werden wird.

Rezension von
Dr. Hans Hopf
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Es gibt 9 Rezensionen von Hans Hopf.

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Zitiervorschlag
Hans Hopf. Rezension vom 03.03.2016 zu: Stefan Horlacher, Bettina Jansen, Wieland Schwanebeck (Hrsg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch. J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH (Stuttgart, Weimar) 2016. ISBN 978-3-476-02393-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20306.php, Datum des Zugriffs 10.09.2024.


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