Cornelia Maier-Gutheil: Beraten
Rezensiert von Dr. Petra Gregusch, 12.04.2016

Cornelia Maier-Gutheil: Beraten. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2016. 147 Seiten. ISBN 978-3-17-022473-5. 24,00 EUR.
Thema
Seit den intensiven Bemühungen zur Professionalisierung der Beratung vor ca. zwanzig Jahren arbeiten viele Professionen daran, Beratung als professionsspezifische Handlungsform zu beschreiben. Auch dieser Band will einen Beitrag dazu leisten und beabsichtigt Beratung als genuin pädagogische Handlung darzustellen. Die Autorin widmet sich zu diesem Zweck der Abgrenzung der Tätigkeit Beraten zu anderen Handlungsformen, insbesondere aber den strukturellen Bedingungen, spezifischen Aufgaben und Anforderungen, die an das Beratungshandeln in verschiedenen pädagogischen Kontexten gestellt werden. Pädagogische Beratung erweist sich dann als Handlungsform, „die in andere Handlungsschemata eingebettet ist, von ihnen flankiert wird oder in einem spannungsvollen Verhältnis zu ihnen steht“ (S. 15).
Autorin
Dr. Cornelia Maier-Gutheil lehrt am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg. Sie hat im Bereich Beratungsforschung mehrfach veröffentlicht.
Entstehungshintergrund
„Beraten“ ist ein Band der Reihe „Pädagogische Praktiken“, deren Herausgeber Birte Egloff, Werner Helsper, Jochen Kade, Christian Lüders, Frank-Olaf Radtke und Werder Thole sind. Die Reihe hat das Spektrum pädagogischer Handlungsformen zum Gegenstand. Die Reihe richtet sich an Studierende und an Praktiker.
Aufbau und Inhalt
Der Band ist nebst Einleitung in drei Kapitel gegliedert, die ihrerseits Unterkapitel beinhalten und mündet in ein Fazit.
Die „Einleitung“ beginnt mit einer Fallbeispiel, anhand dessen bereits einige Merkmale des Beratungshandelns aufgezeigt werden und eine Grenze zur Therapie sichtbar gemacht wird. Daran anknüpfend wird das Ziel des Buches formuliert (s.o.). Explizit verweist die Autorin auf die Notwendigkeit einer empirischen Herangehensweise zur Bestimmung von Beratung als pädagogische Handlungsform, da theoretisch-konzeptionelle Perspektiven kaum Spezifika aufzuzeigen vermögen (vgl. S. 14). Die Einleitung beinhaltet im Weiteren einen Überblick über die Gliederungspunkte.
Kapitel 1 „Beraten als Handlungsform – erste Annäherungen und Spezifizierungen“ befasst sich mit konstitutiven Eigenschaften professioneller Beratung und unterscheidet in einem ersten Schritt vier verschiedene institutionalisierte Typen von Beratungssituationen, die in professionellen Kontexten auftreten. Diese werden in Anlehnung an Jörg Knoll als implizite, explizite, integrierte und differenzierte Beratung charakterisiert, die in verschiedenen Kombinationen vorkommen können. In einem zweiten Schritt wird ein aus der Soziolinguistik (Werner Kallmeyer) stammendes Handlungsschema der Beratung vorgestellt, anhand dessen die Aufgaben und Aktivitäten der an einer Beratungssituation beteiligten Personen erörtert werden. Ausgehend von dem Handlungsschema wird schließlich die Abgrenzungsfrage zwischen Beraten, Therapieren und Bilden aufgegriffen. In Anbetracht der anhaltenden Debatte darüber schlussfolgert die Verfasserin, dass eine Lösung in theoretischer Hinsicht nicht möglich ist, sondern „etwaige Differenzierungen nur durch gesprächsanalytische und andere qualitativ empirische sozialwissenschaftlichen Methoden retrospektiv rekonstruierend möglich sind“ ( S. 30).
Im Kapitel 2 „Pädagogische Beratung oder das spezifisch Pädagogische am Beraten“ wird vorerst darauf verwiesen, dass es noch keine gültige Theorie der pädagogischen Beratung gibt, wohl aber verschiedentliche erziehungswissenschaftliche Zugänge dahin bestehen. Nach einer knappen Einführung über allgemeine Strukturbedingungen pädagogischen Handelns werden drei aktuell relevante Zugänge zur Bestimmung des Spezifischen pädagogischer Beratung vorgestellt: (a) die „feldbezogene Perspektive“ (S.32), (b) die „strukturtheoretische und interaktionistische Perspektive“ (S.35) und (c) die „phänomenologische Perspektive“, (S.37). Die »Perspektiven« werden zum einen erläutert und im Anschluss daran auf ihren Beitrag sowohl zur Differenzierung pädagogischer Handlungen als auch zur Abgrenzung zu anderen Beratungsprofessionen beleuchtet. Am aussichtsreichsten erscheint der Verfasserin dafür die phänomenologische Perspektive, in deren Mittelpunkt die „wissenschaftshistorische Rekonstruktion zentraler Theorielinien“ steht (S.37). Das Kapitel endet mit einem „Zwischenfazit“ (S.44), das von dieser Perspektive ausgehend pädagogische Beratung als eine spezifische Grundhaltung beschreibt, die sich einem Gegenüber in der Einnahme einer verstehend-akzeptierenden Orientierung, einer Autonomie realisierenden Zielsetzung sowie der dialogischen Problembearbeitung und Lösungsfindung ausdrückt. Die Charakteristika werden ergänzt um weitere Merkmale, die u.a. der strukturtheoretisch interaktionistischen Perspektive entnommen sind. Danach zeichnet sich pädagogische Beratung aus durch die Transformation eines Problems in ein Lernproblem, den Verzicht auf die Bearbeitung von Defiziten sowie der Initiierung von Lern- und Bildungsprozessen, die es den Ratsuchenden ermöglichen, zur nachhaltigen Bewältigung von Handlungsanforderungen zu gelangen.
Kapitel 3 „Beraten in pädagogischen Kontexten“ dokumentiert auf der Grundlage qualitativ-empirischer (interaktionsanalytischer, Interview- und ethnographischer) Studien, wie Beratung in den vier pädagogischen Kontexten Schule, Sonderpädagogik, Sozialpädagogik und Erwachsenen - und Weiterbildung stattfindet. Anhand der Beschreibung (a) der Adressaten und Adressatinnen, (b) der institutionellen Kontexte, (c) der Themen und Anlässe und (d) der Kernaktivitäten und Spannungsfelder der jeweiligen Kontexte werden die darin vorkommenden implizit- integrierten und explizit-differenzierten Beratungsangebote erfasst und damit verbundene Herausforderungen der Realisierung pädagogischer Beratung dargestellt. Diese werden im Anschluss an die Beschreibung der jeweiligen pädagogischen Kontexte in einem Zwischenfazit noch einmal pointiert zusammengefasst.
Das „Fazit“ bündelt die wichtigsten Erkenntnisse des dritten Kapitels und stellt diese in Beziehung zum pädagogischen Beratungsbegriff. Aufgegriffen wird die festgestellte Variationsbreite institutionalisierter Beratungsformen in jedem pädagogischen Kontext, in dessen Folge pädagogische Beratung für Professionelle zu einer „herausfordernden und spannungsvollen Aktivität“ (S. 127) wird. Thematisiert und erläutert werden in diesem Zusammenhang u.a. drei Anforderungen, die besonders Beachtung finden sollten, soll Beratung tatsächlich auch die Praktik Beraten beinhalten: (a) die Anforderung, Bedingungen des Beratungshandelns auf die institutionellen Möglichkeiten abzustimmen, aber auch gesellschaftspolitische Möglichkeiten und Erwartungen zu berücksichtigen und gegebenenfalls interprofessionell zu kooperieren; (b) die Anforderung, Beratung von anderen zahlreichen anderen Tätigkeiten in pädagogischen Kontexten im Blick abzugrenzen und (c) die Anforderung eine Beratungsbeziehung mit der Rolle als Machtträger und Machtträgerin, die der Professionsrolle innewohnt, handhaben zu können.
Diskussion
Das Buch liefert einen sehr prägnanten und fundierten Überblick über die Tätigkeit Beraten im pädagogischen Feld. Hervorzuheben ist, dass die Praktik Beraten stets im Mittelpunkt bleibt und das Pädagogische der Beratung auf diese Weise nicht verschleiert wird. Dies steht im Kontrast etwa zur Sozialen Arbeit, in der das Sozialarbeitsspezifische mehrfach an der Kombinationen von Methoden festzumachen versucht wurde.
Ob die Definition von Beratung als spezifisch pädagogische Praktik tatsächlich in Anspruch nehmen kann, spezifische pädagogisch zu sein, ist zu bezweifeln. Die formulierte Grundhaltung findet sich sowohl in der neueren psychologischen und soziologischen wie auch in der sozialarbeitsspezifischen Beratungsliteratur. Dies lässt darauf schließen, dass Menschenbilder und ethische Orientierungen des Helfens in psychosozialen Professionen einander annähern. Der Rückbezug auf Traditionen dürfte daher zumindest für interprofessionell tätige Beratende wenig hilfreich für das Vornehmen disziplinärer Abgrenzungen sein. Das Hinzufügen von Merkmalen weiterer Perspektiven macht die Sache nicht einfacher, wenn keine Kohärenz zwischen diesen herzustellen versucht wird. Die Klärung des Pädagogischen der Beratung ist insofern weiterhin ein offenes Thema. Hingegen – und hierin lag die Hauptabsicht des Buches - ist es der Verfasserin klar gelungen, Beratung als spezifische Handlungsform in pädagogischen Handlungsfeldern in Abgrenzung zu anderen Handlungsformen kenntlich zu machen. Damit ist ein wertvoller Beitrag zur Professionalisierung der pädagogischen Beratungstätigkeit geleistet.
Fazit
Das Buch sollte sowohl für Studierende, Praktizierende und Dozierende Pflichtlektüre sein. Auf relativ knappem Raum sind relevante Erkenntnisse des Beratungsbegriffs sowie der Beratungstätigkeit mit allen möglichen Fallstricken, die in pädagogischen Kontexten bei der Umsetzung von Beratung auftreten können, versammelt. Der Band verhilft dazu, Studierende für solche Fallstricke zu sensibilisieren: Praktikern und Praktikerinnen wird ermöglicht zu prüfen, ob sich hinter dem Wort Beratung tatsächlich auch die Praktik Beraten verbirgt. In jedem Fall trägt er dazu bei, den Beratungsbegriff zu schärfen. Darüber hinaus ist der Band gut aufgebaut und lesefreundlich gestaltet: stets gibt die Verfasserin über ein Zwischenfazit Orientierung und sie verzichtet auf eine komplizierte Terminologie.
Rezension von
Dr. Petra Gregusch
Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Departement Soziale Arbeit
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