Tilly Truckenbrodt, Annette Leonhardt: Schüler mit Hörschädigung im inklusiven Unterricht
Rezensiert von Bernd Gimmel, 23.06.2016

Tilly Truckenbrodt, Annette Leonhardt: Schüler mit Hörschädigung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2016. 2., Auflage. 78 Seiten. ISBN 978-3-497-02613-5. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Autorinnen
- Prof. Dr. Annette Leonhardt ist Ordinaria für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik an der Universität München und Dekanin der Fakultät für Psychologie und Pädagogik.
- Tilly Truckenbrodt, Lehramtsanwärterin war bis 2014 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am selben Lehrstuhl
Einzelne Textstellen entstanden unter Mitarbeit von Dr. Melanie Pospischil.
Entstehungshintergrund
Der Inhalt des Buches gibt den Forschungsstand des seit 1999 laufenden Projektes „Integration/Inklusion Hörgeschädigter in allgemeinen Einrichtungen“ des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München wieder.
Aufbau und Inhalt
1 Hörschädigungen, Hörhilfen, Wege der Kompensation
Das Kapitel gibt grundlegende Informationen über die Arten von Hörschädigungen sowie über die technischen Möglichkeiten der Kompensation. Neben einer Auflistung der Auswirkungen der Hörschädigung findet man hier die Erklärung dazu, wie ein Audiogramm zu lesen ist und welche tatsächlichen Auswirkungen der Hörverlust auf das Verstehen und Sprachverständnis haben kann. Weitere Hinweise gibt es zu gebärdensprachlich kommunizierende und einseitig hörgeschädigte SchülerInnnen sowie zum Thema „Auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung (AVWS)“.
Die verschiedenen Hörhilfen werden in ihrer Funktionsweise erklärt (Hörgerät, Knochenleitungsgerät, CROS-Versorgung, Cochlear-Implantat, FM-Anlage). Zu Beginn des Abschnitts folgt der Hinweis, dass die technischen Hilfen nicht zu einem natürlichen Hören führen, sondern die Auswirkungen der Hörschädigung abmildern. Der Abschnitt schließt mit praktischen Hinweisen für den Umgang mit den Hörhilfen im Unterrichtsalltag.
Abschließend erörtern die Autorinnen die Auswirkungen der Hörschädigung auf das Sprachverstehen und Kommunikation, auf die Aufmerksamkeitsspanne sowie auf den sozialen und emotionalen Bereich. Die Ansätze für Kommunikationstaktiken (aktive Gesprächslenkung, unterstützendes Ablesen, Feedback des betroffenen Schüler an die Gruppe) verdeutlichen, dass die Lehrkraft in erster Linie als Coach und Hinweisgeber für die Klasse fungiert, um eine optimierte Lernsituation für den hörgeschädigten Schüler zu schaffen
2 Mobiler Dienst und Kooperation der Beteiligten
Im Zuge der inklusiven Beschulung sind die Beteiligten auf die Unterstützung der Mobilen Dienste angewiesen. Der Mobile Dienst unterstützt hörgeschädigte Schüler, Eltern, Lehrkräfte und Mitschüler. Das Kapitel beschreibt die Aufgaben und Methodik des mobilen Dienstes sowie die möglichen Nachteilsausgleiche für die betroffenen Schüler. Weiter werden die schwierigen Rahmenbedingungen der Mobilen Dienste beschrieben.
3 Gemeinsamer Unterricht für hörende und hörgeschädigte Schüler
Hier werden praktische Hinweise zur Schaffung einer für hörgeschädigte Schüler günstigen Unterrichtsumgebung gegeben. Aufgeführt werden Empfehlungen zur Raumgestaltung, Sitzordnung und Schalldämmung sowie zur Nutzung von Hilfsmitteln. Inhaltlich beschreiben die Autorinnen günstige Unterrichtsprinzipien (Strukturierung, Visualisierung, Differenzierung) sowie die Einführung besonderer Rituale, die die Kommunikation in der Klasse begünstigen.
4 Praxismaterial
Exemplarisch werden Beispiele für die Vereinfachung von Texten in Deutsch, Mathematik und Sachfächer gegeben. Die Anpassungen werden erläutert und begründet. Abschließend finden die Leser das Fingeralphabet, Gesprächsregeln für die Klasse und eine Auflistung der wichtigsten Maßnahmen für eine inklusive Beschulung von Hörgeschädigten.
Diskussion
Dieses Buch bietet praktischen Rat. Für alle, die mit einem hörgeschädigten Schüler beschäftigt sind, finden sich hier die wichtigsten Informationen, um sie Auswirkungen einer Hörschädigung nachvollziehen zu können.
Die Ausstattung mit Übersichten, Checklisten, Diagrammen und dem ausführlichen Glossar macht es gut nutzbar. Zudem gibt es zahlreiche Literaturhinweise zum weiteren Studium.
Inhaltlich gibt der Band den aktuellen Stand der Forschung wieder.
Einschränkend ist die idealtypische Vorstellung der Autorinnen des selbstbewussten und aktiven hörgeschädigten Schülers zu erwähnen. In Klassenverband sind die Betroffenen eher die sich zurückziehenden Schüler. Es fehlen die Hinweise auf die Finanzierung der Hörhilfen sowie die Schwierigkeiten, die sich aus nicht kooperativen Krankenkassen hierbei ergeben können. Ebenso wird nicht verdeutlicht, dass die baulichen Maßnahmen, die für eine Reduzierung des Störschall im Klassenraum notwendig sind, oftmals aufgrund fehlender Mittel der Schulträger schwer realisier sind.
Der praktische Nutzen des Buches ist dennoch unzweifelhaft vorhanden.
Fazit
Der Band wird seinem Titel gerecht; umfangreiche Hinweise und Vorlagen bieten praktische Unterstützung für Umsetzung der inklusiven Beschulung von Hörgeschädigten. Zuvor werden die wichtigsten Informationen zum Verständnis der Hörschädigung, ihrer Auswirkungen und der Kompensationshilfen gegeben.
Das Buch empfiehlt sich für alle, die an einer inklusiven Unterrichtung Hörgeschädigter beteiligt sind. Daher ist es nicht nur für Lehrkräfte sondern auch für die Eltern zur Informationsgewinnung geeignet.
Rezension von
Bernd Gimmel
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