Wolfgang Oelsner, Gerd Lehmkuhl: Spenderkinder - Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen
Rezensiert von Dr. med. Judith Zimmermann, 09.03.2016
Wolfgang Oelsner, Gerd Lehmkuhl: Spenderkinder - Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen. Was Kinder fragen werden, was Eltern wissen sollten. Fischer & Gann (Munderfing) 2016. 240 Seiten. ISBN 978-3-903072-16-9. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Die Autoren stellen Biographien von Mitgliedern des Vereins „Spenderkinder“ vor, die sie in einleitenden und zusammenfassenden eigenen Texten kommentieren.
Autoren
- Wolfgang Oelsner ist Sonderpädagoge und analytischer Kinder- und Jugendlichentherapeut. Er leitete lange Jahre die Schule der Uniklinik Köln und ist seit 1985 in eigener Praxis tätig.
- Gerd Lehmkuhl studierte Medizin und Psychologie und war bis 2014 Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln.
Aufbau
Das Buch umfasst 257 Seiten und gliedert sich in drei Teile.
- Im ersten Teil stellen die Autoren einige Gedanken zu den Themen Reproduktionsmedizin, pränatale Forschung, Entwicklungspsychologie und rechtliche Aspekte der Gametenspende vor.
- Im zweiten, umfangreichsten Teil werden verschiedene Biographien, überwiegend von Mitgliedern des Vereins Spenderkinder nachgezeichnet. Aus verschiedenen anderen Büchern oder Zeitungsartikeln zum Thema Reproduktionsmedizin werden Kasuistiken zitiert und in Zusammenhang mit den Thesen der Autoren gebracht.
- Ein dritter Teil fasst die Schlussfolgerungen der Autoren zusammen. Das Buch endet mit verschiedenen Zitaten aus den Interviews.
Das Buch hat formal einen Aufbau und ist in Kapitel gegliedert. Die Autoren berichten jedoch, den Interviewten mit „frei schweifender Aufmerksamkeit“ zugehört zu haben. Der Schreibstil folgt dieser Haltung, wirkt eher frei assoziierend, teilweise springt der Text auch etwas wirr zwischen den Themen Leihmutterschaft, Embryonenspende, Reproduktionsmedizin allgemein, Adoption und Samenspende. Die durch die Unterüberschriften gegebene Thematik wird in den jeweiligen Kapiteln nur lose aufgegriffen.
Inhalt
Im einleitenden ersten Teil des Buches werden zunächst verschiedene Fakten zum Thema Reproduktionsmedizin dargestellt. Leider wurde hier teilweise recht oberflächlich recherchiert. So wird beispielsweise behauptet, bei einer ICSI würde zumeist „ein Spendersamen“ verwendet (Zitate alle aus dem Buch, Seite 18), die Zahl der Schwangerschaften nach Samenspenden in Deutschland mit jährlich 12.000 angegeben (Seite 24, die genannte Quelle nennt 1.200), oder postuliert, es sei bereits möglich jede beliebige Zelle des Körpers „reprogrammieren und ineinander verwandeln zu können“ (Seite 32). Danach werden schlagwortartig verschiedene Extremfälle der Reproduktionsmedizin dargestellt – 13fache Mutter mit Vierlingen im Alter von über 60 schwanger, von Australiern nicht abgeholtes behindertes Kind einer thailändischen Leihmutter, die Lewitscharoff-Affaire – gefolgt von einigen Aspekten der Bindungsforschung. Zuletzt werden eklektisch einige Forschungsergebnisse dargestellt, insbesondere solche, die eher negative Ergebnisse für die Entwicklung der Kinder nach Reproduktionsmedizin ergeben haben. Die durchaus vorhandene auch englischsprachige, auch neuere Forschung wird nicht dargestellt oder diskutiert.
Im Mittelteil zeichnen die Autoren „Lebensskizzen“ von Mitgliedern des Vereins „Spenderkinder“, ergänzt um Biographien von in anderen Familienformen Aufgewachsenen. Diese werden jeweils unter einer bestimmten Thematik dargestellt, wie beispielsweise „Erwachsene Allmacht und Kindliche Ohnmacht“, „Die stummen Josefsväter“ oder „Frühe Aufklärung – ein Königsweg mit Stolpersteinen“. Entgegen der Ankündigung im Klappentext, nicht zu bewerten, werden die in den Interviews berichteten Ereignisse in einleitenden und abschließenden Texten kommentiert und ausgiebig (analytisch) gedeutet.
Im abschließenden Teil wird die Zeugung per donogener Insemination als „Kannbruchstelle“ im Leben eines Menschen reflektiert. Die Autoren würdigen die hohe Resilienz der interviewten Menschen, trotz ihres besonderen Starts ihr Leben größtenteils gut gemeistert zu haben.
Diskussion
„Spenderkinder“ ist insgesamt schlecht recherchiert und eher ein Pamphlet gegen reproduktionsmedizinische Maßnahmen als ein solide gemachtes Buch. Anstatt einen guten Überblick zu geben, werden eklektisch und teilweise aus dem Zusammenhang gerissene Fakten zur Stimmungsmache gegen reproduktionsmedizinische Maßnahmen genutzt. Künstliche Befruchtung sowie Adoptionen führen den Autoren zufolge zu allen möglichen Arten von Störungen. Die Autoren erscheinen mit ihren Interviewpartnern überidentifiziert, die Kommentare wirken, als ob ein Supervisor die Fallvignette eines Klienten bespricht. Befremdlich wirken außerdem die Deutungen des elterlichen Verhaltens, die die Autoren ja gar nicht persönlich kennenlernten. Trotzdem sehen sich Oelsner und Lehmkuhl zu weitreichenden Interpretationen in der Lage, diagnostizieren Kompensationswünsche bei unterdurchschnittlicher Intelligenz, Paardynamiken, bei denen die Väter nicht genügten und ähnliches mehr. Eltern, die aufklären tun dies angeblich ausschließlich „um sich zu entlasten“. Spenderkinder, die Verständnis für die Motive ihrer Eltern zeigen „schonen diese“ anstatt zu konfrontieren und der Vater, der seine Tochter intensiv bei der Suche nach ihrem Spender unterstützt „steht allenfalls am Anfang eines guten Weges“. Auch bei anderen Personen, die die Autoren nur aus dritter Hand kennen, nämlich durch das Lesen eines Buches oder Artikels werden solche Ferndiagnosen gestellt. Der Subtext „Spenderkinder als Opfer ihrer Eltern und der Reproduktionsmedizin“ zieht sich durch das ganze Buch.
Die Autoren erwähnen kurz, dass es sich bei ihren Interviewpartnern ausschließlich um Mitglieder des Vereins Spenderkinder handelt. Sie berichten aber nicht, dass es sich hierbei um eine besondere, kleine Gruppierung handelt, die eine bestimmte Haltung zum Thema Samenspende vertritt. Für den nicht szenekundigen Leser wird nicht ersichtlich, dass es sich hier um eine hochgradig vorselektierte Stichprobe handelt, vielmehr entsteht der Eindruck von Repräsentativität. Junge Erwachsene, die ähnlich adoptierten Kindern mit dem Wissen um ihre Entstehung groß geworden sind, wie es sie im deutschsprachigen Raum beispielsweise in den IDI-Gruppen gibt, werden nicht befragt. Es erscheint jedoch durchaus als möglich, dass die Autoren gar nicht um solche Gruppierungen wissen.
Weiterhin wird die heutige Realität der Samenspende in Deutschland – zunehmende Offenheit von Reproduktionsmedizinern und Eltern gegenüber einer frühen Aufklärung, das Bemühen um eine längere Archivierung der Spenderdaten und einen leichteren Zugang für die Kinder, vielfältige Beratungsangebote für Wunscheltern – kaum dargestellt. Der Beratervereinigung zum Thema Kinderwunsch, BKID werden vorwiegend finanzielle Interessen unterstellt, ihre Bemühungen für mehr Offenheit gegenüber den pluraler werdenden Familienrealitäten, werden kritisch gesehen.
Das Buch wirbt auf dem Klappentext mit dem Slogan „Was Kinder fragen werden, was Eltern wissen sollten“. Es wird erfreulicherweise deutlich herausgearbeitet, dass der Spender für die Kinder wichtig sein wird/ist und dass die Art ihrer Zeugung den Kindern nicht verschwiegen werden sollte. Ansonsten entstehen allerdings mehr Fragen als dass Antworten gegeben werden. Sogar die Haltung der Autoren zur frühen Aufklärung erscheint ambivalent, da sie schildern, wie es bei einem früh aufgeklärten Adoptivkind durch zu viel, zu frühe Aufklärung zu Störungen kam. Ein Beispiel für eine gelungene Aufklärung wird nicht gegeben. Hilfreiche Konzepte für den Umgang mit Kindern nach reproduktionsmedizinischen Maßnahmen sind nicht Thema dieses Buches. Die Zielgruppe des Buches bleibt daher unklar.
Fazit
Die Autoren stellen Lebensskizzen von Mitgliedern des Vereins „Spenderkinder“ dar, die sie in einleitenden und zusammenfassenden eigenen Texten kommentieren, deuten und bewerten. Ein insgesamt schlecht recherchiertes Buch, das Eltern vor einer Samenspende vermutlich eher dazu bewegen wird, größtmögliche Geheimhaltung zu betreiben, auch wenn die Autoren dafür plädieren, offen mit dieser Art der Zeugung umzugehen. Wie genau das in guter Weise geschehen kann lassen sie allerdings völlig offen.
Rezension von
Dr. med. Judith Zimmermann
Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin, Systemische Therapeutin, Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch (BKiD)
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Es gibt 9 Rezensionen von Judith Zimmermann.
Zitiervorschlag
Judith Zimmermann. Rezension vom 09.03.2016 zu:
Wolfgang Oelsner, Gerd Lehmkuhl: Spenderkinder - Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen. Was Kinder fragen werden, was Eltern wissen sollten. Fischer & Gann
(Munderfing) 2016.
ISBN 978-3-903072-16-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20376.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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