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Wolf-Dieter Perlitz: Zur empirischen Ermittlung ... (Patientennutzen in der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV))

Rezensiert von Dr. phil. Andreas Meusch, 24.08.2016

Cover Wolf-Dieter Perlitz: Zur empirischen Ermittlung ... (Patientennutzen in der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV)) ISBN 978-3-8487-2978-4

Wolf-Dieter Perlitz: Zur empirischen Ermittlung von evidenzbasiertem Patientennutzen in der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV). Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2016. 280 Seiten. ISBN 978-3-8487-2978-4. D: 69,00 EUR, A: 71,00 EUR, CH: 99,00 sFr.

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Thema

Seit dem 1. Januar 2004 (GKV-Modernisierungsgesetz) können Krankenkassen Verträge schließen, die ihren Versicherten ermöglichen, an der HzV teilzunehmen(§ 73b SGB V). Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom April 2007 wurden die Krankenkassen dazu verpflichtet, ihren Versicherten diese Möglichkeit zu bieten. Die Teilnahme der Versicherten war und ist freiwillig. Ausgangspunkt der Studie ist, dass bisher „weitgehend unklar (ist), in welchem Maß die angestrebten Ziele erreicht werden“ (S. 24).

Der Autor legt mit Hilfe von Routinedaten (Abrechnungsdaten) „einer Gesetzlichen Krankversicherung in Baden-Württemberg“ (S. 201) eine Analyse über die Auswirkungen der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) im Vergleich zu der Regelversorgung vor. Die Untersuchung fokussiert dabei auf den Patienten und seinen Nutzen.

Entstehungshintergrund

Es handelt sich um die Doktorarbeit des Autors. Die Krankenkasse mit 800.000 Versicherten in Baden-Württemberg und Hessen, mit deren Routinedaten die Erkenntnisse gewonnen werden, wird als „Projektpartner“ bezeichnet (S. 201).

Weiterhin hat die Firma WifOR bei der Aufbereitung der Rohdaten und beim Druck der Dissertation unterstützt. Der Autor war von 2010 bis 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter der WifOR Wirtschaftsforschung.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt.

Im ersten werden die Problemstellung und die Forschungsfragen herausgearbeitet sowie der Gang der Untersuchung erläutert. Das zweite Kapitel gibt dann einen Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur Evaluation der hausarztzentrierten Versorgung.

In den vier anschließenden Kapiteln geht es um die Entwicklung eines Modells zur Nutzenmessung der HzV aus Patientenperspektive. Dazu wird zunächst der Nutzenbegriff eingegrenzt und dann operationalisiert. Es sollen nur Indikatoren verwendet werden, deren epidemiologische Evidenz belegt ist. Es wird ein Studiendesign entwickelt, das die Teilnehmer der HzV vergleicht mit den Teilnehmern der Regelversorgung. Die Risikoadjustierung erfolgt mit dem Propensity Score als Matchingverfahren. Seine Indikatoren für den Patientennutzen entwickelt der Autor aus dem „Qualitätsindikatorensystem für die ambulante Versorgung (QISA)“, das das AQUA- Institut, Göttingen entwickelt hat. Von den 138 Indikatoren wählt er schließlich 107 aus, die er für geeignet hält, Aussagen zum Patientennutzen zu generieren (S. 170). Allerdings lassen sich davon nur rund ein Drittel mit Routinedaten der Krankenkassen messen (S. 198). Schließlich konzentriert sich der Autor darauf, eine geringe Hospitalisierungsquote für ambulant-sensitive Krankenhausfälle sowie Komplikationsvermeidung als Indikatoren für Versorgungsqualität heranzuziehen.

Das siebte Kapitel beschreibt dann die Umsetzung der Datenauswertung und die Ergebnisse, die „der HzV eine neutrale bis positive Wirkung auf den Versorgungsoutcome“ bescheinigen (S. 234). Bei zwei Ergebnisindikatoren zeigen sich „hoch-signifikante“ Unterschiede: für Typ-2-Diabetiker und Patienten ab 70 Jahren ist die Hospitalisationsrate durch die Teilnahme an der HzV zum Teil deutlich geringer als in der Regelversorgung (S. 241). In den abschließenden Schlussfolgerungen im achten Kapitel setzt sich der Autor kritisch damit auseinander, wie begrenzt dies Aussagekraft der untersuchten Indikatoren ist und legt dar, dass es auch Hinweise gibt, „dass sich die HzV möglicherweise nicht für alle Teilnehmer positiv auswirkt“ (S. 242) und schließt mit den Desiderat zusätzlichen Forschungsbedarfs.

Diskussion

„Die Erkenntnisse begründen Empfehlungen für den Patienten zur Teilnahme an der HzV und unterstützen die Forderung nach dem Ausbau des Angebots an alternativen Versorgungsmodellen“. Mit diesem Text bewirbt der Verlag die Publikation. Diese Werbebotschaft ist irreführend und von der Arbeit nicht gedeckt. Dies ergibt sich zum einen aus den zahlreichen Ausführungen des Autors selbst, was die Aussagekraft seines Ansatzes betrifft. Zum zweiten gibt es in der Versorgungspraxis in Deutschland eine Mehrzahl von Vertragskonstruktionen für die HzV. Die Unterschiede sind zum Teil erheblich. Rückschlüsse von einem Setting auf ein anderes Setting sind wissenschaftlich nicht haltbar. Gerade in Baden-Württemberg gibt es mehrere HzV Konzepte der verschiedenen Krankenkassen. Viel spricht dafür, dass die Ärzte in der Praxis nicht so stringent zwischen den unterschiedlichen Konzepten unterscheiden. Ob die gefundene Evidenz dem untersuchten Vertrag nach § 73b SGB V zuzuschreiben ist oder dieser seine Wirkung erst im Kontext mit anderen HzV-Verträgen entfalten kann, wird nicht gefragt, dies wäre mit den vorhandenen Daten auch nicht zu beantworten.

Der meinungsstarke Werbetext schadet einem Werk, das methodisch sehr sauber arbeitet und aus der Not der unzureichenden Daten versucht, das Beste zu machen. Die Lektüre lohnt für alle, die sich mit Routinedatenanalysen oder dem Problem der Qualitätsmessung in der Versorgung beschäftigen. Ungewollt zeigt die Studie aber auf, dass Handlungsbedarf besteht, der Versorgungsforschung bei der Datenanalyse mehr zu erlauben als die Datenschutzvorschriften derzeit zulassen: Oftmals nur ein Stochern im Datennebel.

Fazit

Die Studie fragt, ob die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) sich aus Patientensicht lohnt. Dazu wertet sie die Abrechnungsdaten einer baden-württembergischen Krankenkasse aus und vergleicht Personen, die an der HzV teilnehmen, risikoadjustiert mit Versicherten der selben Krankenkasse, die nicht eingeschrieben sind. Sie findet dabei Evidenz für Typ-2-Diabetiker und Patienten ab 70 Jahren, weil diese bei ambulant sensitiven Krankenhausfällen weniger Krankenhausaufenthalte haben als die Vergleichsgruppe.

Rezension von
Dr. phil. Andreas Meusch
Lehrbeauftragter an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenshaften (HAW), Hamburg,
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Es gibt 25 Rezensionen von Andreas Meusch.

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ISSN 2190-9245