Renate Zimmer: Handbuch Sprache und Bewegung
Rezensiert von Dipl. Soz. päd. Claudia Nicolaus, 06.06.2016

Renate Zimmer: Handbuch Sprache und Bewegung. Alltagsintegrierte Sprachbildung in Kitas. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2016. 224 Seiten. ISBN 978-3-451-34950-8. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 32,50 sFr.
Thema
Grundlegendes Thema des vorliegenden Handbuches ist die ganzheitliche Sprachbildung im Kindesalter, die von einer Körperlichkeit des Kindes ausgeht und über die sinnlichen Erfahrungen den Spracherwerb unterstützt. Dabei wird vor allem die Sprachbildung im Alltag betrachtet – Situationen und Möglichkeiten der Unterstützung und Förderung des Spracherwerbs.
Entstehungshintergrund
Anlass für die Entstehung des Handbuches sind die Ergebnisse der Pisa – und OECD-Studien. Diese zeigten, dass die Bildungschancen in hohem Maße von den sprachlichen Fähigkeiten der Kinder abhängen. Auch wird kritisiert, dass der Trend in Richtung isolierte Sprachförderung geht und die Sprachbildung und Sprachförderung sehr funktionsorientiert betrachtet wird. Anliegen des Buches ist die Betrachtung der ganzheitlichen Sprachentwicklung von Kindern und die Möglichkeit, sie zu unterstützen.
Zielgruppe
Das Handbuch richtet sich an Professionelle, die in der frühkindlichen Bildung und Erziehung tätig sind. In erster Linie wendet es sich an die werdenden und tätigen PädagogInnnen der Kindertagesstätten. Auch für das Handlungsfeld der Frühförderung bietet das Handbuch eine fundierte Grundlage zum Thema ganzheitliche Sprachbildung und Bewegungsentwicklung. Es können ebenso Felder der Sozialen Arbeit von diesem gebündelten Wissen profitieren wie die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) und die stationäre Erziehungshilfe.
Autorin
Prof. Dr. Renate Zimmer ist Erziehungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt frühe Kindheit und Professorin für Sportwissenschaften an der Universität Osnabrück. Sie ist auf dem Gebiet der Bewegungserziehung und Psychomotorik die bekannteste und erfolgreichste Expertin im deutschsprachigen Raum. Im Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung ist sie Direktorin.
Aufbau und Inhalt
Das Handbuch gliedert sich in elf Kapitel.
Im Vorwort führt Renate Zimmer nach der Klärung des Themas und dem Aufbau des Buches in die verschiedenen Symbole ein, die sich durch das gesamt Buch ziehen. Drei verschiedene Symbole/Piktogramme sind von Bedeutung:
- Praxis relevante theoretische Ergebnisse
- Praktisches Beispiel zum behandelten Thema
- Hinweise auf weiterführende, vertiefende Literatur
Diese Symbole sind gezeichnete Figuren, die bildlich diese drei Funktionen umsetzen und sind am Seitenrand platziert, um für den Leser wichtige Inhalte zu markieren. Auch befinden sich in gewohnter Art und Weise, die für die Autorin wichtigen Begriffe, hervorgehoben am Seitenrand. Die Art und Weise ist typisch für die Aufbereitung des Wissens und ist in allen Handbüchern von der Autorin zu finden. Für mich ist es eine gelungene visuelle Unterstützung und lädt zum Lesen und Wiederfinden ein. In vielen Kapiteln ist am Ende eine Liste mit aktueller/einschlägiger Literatur zum Thema verortet (Tipps zum Weiterlesen).
Kapitel 1 ist eine kurze Einführung in das Thema Sprachbildung. Der Fokus wird auf die Verknüpfung und gegenseitige Wechselwirkung von Sprache und Bewegung gelegt – Sprachbildung braucht Bewegung. In dieser Einführung werden elementare Sichtweisen aufgezeigt, die in den nachfolgenden Kapiteln vertieft werden.
Kapitel 2 betrachtet Sprache und Bewegung im Kontext frühkindlicher Bildungsprozesse. Hier wird deutlich, dass die Autorin den Schwerpunkt auf die Eigenaktivität des Kindes legt und der Bedeutung der Eigenaktivität des Kindes für PädagogInnen im frühkindlichen Bereich einen sehr hohen Stellenwert einräumt. Dies gilt nicht nur für den professionellen Kontext. Auch für Eltern sind die Aussagen verständlich formuliert und sollen sichtbar machen, wie Sprache und Bewegung, vor allem durch die Eigenaktivität des Kindes die Entwicklung der Persönlichkeit beeinflussen.
Im Kapitel 3 werden die Bereiche der Sprachentwicklung beschrieben. Darunter werden die wichtigsten Bereiche des Spracherwerbs gefasst wie: Prosodie / Prosodische Kompetenz; Linguistische Kompetenz; Semantik und Lexikon – Wortbedeutung, Wortschatz und Begriffsbildung; Morphologie und Syntax – Wortbildung und Satzbildung und die Pragmatische Kompetenz – die kommunikative Funktion der Sprache. Die Ausführungen bilden die wichtigsten Begrifflichkeiten zu den Bereichen ab und werden zusätzlich mit der Fördermöglichkeiten im Rahmen von Bewegung in diesen Bereichen untermauert. Dazu werden Beispiele für die Unterstützung des Aufbaus der sprachlichen Kompetenzen durch Bewegung gegeben z.B. Herr Fischer, Herr Fischer wie tief ist das Wasser.
Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Sprach- und Bewegungsentwicklung. Die wichtigsten Fragen sind hier: Wie kommt das Kind zur Sprache – Stufen des Spracherwerbs und Wie kommt das Kind zum Laufen – Entwicklung der Motorik. Eine anschließende Tabelle gibt einen groben Überblick über die Entwicklungsstufen in den unterschiedlichen Lebensaltersspannen bis zum 6.Lebensjahr.
In Kapitel 5 werden die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Spracherwerbs thematisiert. Zunächst werden die organischen Voraussetzungen betrachtet, weiter die gelingenden Wahrnehmungsprozesse, die kognitiven Voraussetzungen und zum Schluss die kommunikativen Voraussetzungen – die Entfaltung der Sprechfreude. Am Ende greift die Autorin das Symbol des Baumes von Wendlandt (2011) auf, welches in der Fachwelt hinreichend bekannt ist.
Kapitel 6 betrachtet ausgewählte empirische Studien, die den Zusammenhang von Bewegung und Sprache untersucht haben unter der Frage: Wie hängen Sprache und Bewegung zusammen? Die erste Studie von Mandler & Zimmer 2006 erfasst 126 Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren, die einen Kindergarten besuchen. Ziel dieser Studie war es, den Zusammenhang zwischen den Leistungen im Sprachtest und den Leistungen im Motoriktest zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigten, dass es signifikante Zusammenhänge zwischen motorischen und sprachlichen Fähigkeiten gibt. Weiterhin wird eine Untersuchung zur „Bewegten Sprache“ im Kindergarten vorgestellt. Hier wird die Wirksamkeit einer bewegungsorientierten Sprachförderung untersucht. Insgesamt wurden 244 Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren betrachtet. Sie dient der Überprüfung der Effektivität einer alltagsintegrierten Sprachförderung. Insgesamt können die Befunde als Hinweis auf die Wirksamkeit bewegungsorientierter Sprachförderung gedeutet werden, so die Autorin. (S.102) Auch wird ein kurzer Überblick über die Ergebnisse von empirischen Studien gegeben, die durch die Arbeitsgruppe „Bewegte Sprache“ an der Universität Osnabrück und dem Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) erhoben wurden. Den Abschluss bildet ein kurzer Einblick in die Untersuchungen „Bewegte Sprache“ für Kinder mit Migrationshintergrund und Ergebnisse einer Teilstudie „Bewegte Sprache“ in der Krippe. Die Ergebnisse all dieser Untersuchungen zeigen positive Effekte bei den untersuchten Kindern im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Kapitel 7 ist überschrieben mit dem Titel: Vom Bewegungshandeln zum Sprachhandeln. Hier wird sich dem Zusammenhang von Sprache und Bewegung über der Sichtweise des Handelns genähert. „Bewegung begleitet das sprachliche Handeln, Sprache begleitet das Bewegungshandeln.“ (S.111) Es geht hierbei um elementare Bewegungs- und Sprachhandlungen wie Körpererfahrung, Materialerfahrung und Sozialerfahrung. Auch werden viele praktische Beispiele zur Veranschaulichung gegeben.
Kapitel 8 und Kapitel 9 beinhalten eine Sammlung von Praxisbeispielen für die „Bewegte Sprachförderung“. Benannt ist Kapitel 8 mit: „Praxisbeispiele – Voraussetzungen für den Spracherwerb“. Die Beispiele werden unterteilt in die verschiedenen Bereiche wie: die Atmung spüren, Artikulation und Mundmotorik und mit allen Sinnen wahrnehmen. Kapitel 9 zeigt Praxisbeispiele zur Sprachförderung und Sprachbildung. Bereiche sind hier Prosodie, Phonologie- Phonologisches Bewusstsein, Semantik und Lexikon, Grammatik und Syntax und Pragmatik/ Kommunikative Fähigkeiten. Der Aufbau der Praxisbeispiele folgt einem Schema (Titel der Übung, Material, Didaktischer Kommentar und Variation). Es ist für den Leser sehr gut strukturiert und übersichtlich aufbereitet.
Kapitel 10 beschreibt die Beobachtung und Dokumentation der Sprachkompetenz von Kindern. Dieser Abschnitt richtet sich explizit an die Fachkräfte von Kindertagesstätten. Thematisiert wird der Bereich der Standardisierten Sprachtests und Screeningverfahren und der prozessbegleitenden Beobachtung. Hier werden einige Verfahren benannt und kritisch beleuchtet. Der BaSIK – Begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen (Zimmer 2014) wird ausführlicher vorgestellt. Die Rückmeldung, die aus der Praxis gegeben wurde zeigt, dass die PädagogInnen sensibler im Erkennen von sprachrelevanten Möglichkeiten und Situationen im Kindergartenalltag wurden.
Kapitel 11 greift ein aktuell politisches Thema auf – Sprachbildung von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache. Dabei geht es neben dem Zugang zum Kind, um die Besonderheiten in der Sprachentwicklung mehrsprachiger Kinder und um verschiedene Einflussfaktoren. Abgerundet wird das Kapitel mit einigen Praxisbeispielen zur Unterstützung der Sprachbildung bei Kindern mit Mehrsprachigkeit.
Fazit
Die Autorin hat mit dem Handbuch Sprache und Bewegung – Alltagsintegrierte Sprachbildung in der Kita – ein Fachbuch geschrieben, das eine fundierte Aufbereitung des Wissens zum Thema Sprache und Bewegung bereit hält und durch den hohen Anteil an Praxisbeispielen sehr lebendig und praxisnah aufbereitet ist. Für die Fachkräfte der Kita ist das Buch ein Muss, um Prozesse auf der theoretischen Ebene gut zu verstehen und gleichzeitig eine Vielzahl von Möglichkeiten/Anregungen und Ideen für die Praxis zu bekommen. Im Fokus steht der Zusammenhang und Bedingtheit von Sprache und Bewegung. Das Handbuch bleibt dem Stil der Autorin treu und ist an die Handbücher zur Sinneswahrnehmung, Psychomotorik und Bewegungserziehung angelehnt.
Rezension von
Dipl. Soz. päd. Claudia Nicolaus
Lehrkraft für besondere Aufgaben Hochschule Magdeburg-Stendal
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