Sandra Verena Müller, Claudia Gärtner (Hrsg.): Lebensqualität im Alter
Rezensiert von Dr. phil. Heiko Schuck, 19.09.2016

Sandra Verena Müller, Claudia Gärtner (Hrsg.): Lebensqualität im Alter. Perspektiven für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2016. 556 Seiten. ISBN 978-3-658-09975-6. D: 79,99 EUR, A: 82,23 EUR, CH: 84,50 sFr.
Thema
Das
besprochene Werk „Lebensqualität im Alter“ widmet sich
ausführlich einer immer bedeutender werdenden Thematik. Bedingt
durch den demografischen Wandel und die stetig steigende
Lebenserwartung der Menschen (auch von Menschen mit geistiger
Behinderung), wird die Gesellschaftsstruktur in Deutschland immer
älter. Dies birgt Herausforderungen für Staat und Gesellschaft;
insbesondere jedoch für institutionelle Unterstützungsstrukturen
bzgl. finanzieller, personeller, organisatorischer und struktureller
Ressourcen. Aber auch für jeden einzelnen Menschen hält die
Lebensphase Alter unterschiedliche Herausforderungen bereit. Die
Erhaltung der Lebensqualität bis ins hohe Alter (besser noch: bis
zum Lebensende) ist dabei allgemeines Ziel.
Aus interdisziplinärer
Perspektive werden in den Beiträgen die Erhaltung
lebensqualitätsrelevanter Aspekte bei aufkommender
Pflegebedürftigkeit insbesondere hinsichtlich Menschen in
Abhängigkeitsverhältnissen (hier Menschen mit geistiger Behinderung
und psychischen Erkrankungen) theoretisch sowie praktisch ausgeführt
und diskutiert. Dabei werden sowohl gesellschaftspolitische als auch
fachspezifische Aspekte aufgegriffen.
Herausgeberinnen
Der
Sammelband wurde herausgegeben von Sandra Verena Müller und
Claudia Gärtner; beteiligt waren 36 Autorinnen und
Autoren.
Prof. Dr. Sandra Verena Müller (Dipl.-Psych.)
lehrt an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Wolfenbüttel an der Fakultät für Soziale Arbeit. Ihre
Forschungsschwerpunkte liegen u.a. in den Bereichen Geistige
Behinderung im Kontext Alter und Demenz. Gegenwärtig leitet sie die
Arbeitsgruppe „Geistige Behinderung und Demenz“ sowie das
Forschungsprojekt „Demenzarbeit bei geistiger Behinderung (DAGBE) –
Maßnahmen zur Begleitung und Versorgung von Menschen mit geistiger
Behinderung und Demenz“.
Dr. Claudia Gärtner ist
Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung der
Theodor-Fliedner-Stiftung in Mülheim an der Ruhr. Gegenwärtig
betreut sie u.a. das Forschungsprojekt „Demenzarbeit bei geistiger
Behinderung (DAGBE)“.
Aufbau
Das Buch ist gegliedert in sieben thematisch strukturierte Teile mit insgesamt 27 Kapiteln.
Zu Teil I Das Konzept der Lebensqualität
Teil I des Buches umfasst drei Kapitel, in denen die theoretischen Grundlagen zum Konzept der Lebensqualität ausführlich dargestellt und mit der Lebensphase Alter kontextualisiert werden.
Das erste Kapitel von Michael Neise und Susanne Zank befasst sich mit der historischen und konzeptuellen Entwicklung des Lebensqualitätskonzeptes. Es werden bedeutende Aspekte aufgegriffen und diskutiert, die die Notwendigkeit der Einbettung des Konzeptes in den jeweiligen Forschungs- bzw. Fachrichtungskontext hervorheben. Darüber hinaus wird die Relevanz der subjektiven Bedeutungsebene hinsichtlich unterschiedlicher Ermittlungsmöglichkeiten bzw. -instrumente und deren praktische Anwendbarkeit betont.
Kapitel Zwei von Josefine Heusinger diskutiert die Lebensphase Alter im sozialen Wandel. Dabei diskutiert sie grundlegend die Frage „Wann ist ein Mensch alt?“ unter Berücksichtigung gängiger interdisziplinärer Perspektiven, um sich der philosophischen Frage des „guten Alterns“ anzunähern. Schließlich resümiert sie, dass „Wünsche und Ansprüche an ein Alter(n) in guter Lebensqualität“ (S. 34) individuell beeinflusst und unterschiedlich sind.
Das die demografischen Entwicklungen eine konkrete Auseinandersetzung mit subjektiver Lebensqualität und Wohlbefinden von alten und sehr alten Menschen erfordert, diskutieren Ines Conrad und Steffi G. Riedel-Heller in Kapitel drei. Dabei erläutern sie Konzepte und Instrumente zur Erfassung von Lebensqualität im Alter und zeigen auf, dass sich die theoretischen Annahmen vom defizitorientierten hin zum ressourcenorientierten Modell weiterentwickelt haben.
Zu Teil II Älter werden mit geistiger Behinderung
Teil II steigt spezifisch in die Thematik des Älterwerdens im Kontext einer geistigen Behinderung ein.
Den Anfang machen Friedrich Dieckmann, Christos Giovis und Ines Röhm (Kap. 4) mit ihrem Beitrag über die Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung. Sie veranschaulichen den Anstieg der Lebenserwartung des Personenkreises und die sich daraus ergebenen Problemstellungen sowie gesellschaftlichen Anforderungen. Dabei beziehen sie internationale Studien zur Sterblichkeit und Lebenserwartung von Menschen mit geistiger Behinderung ein, um anschließend die Studie „Alter erleben“ aus Deutschland vorzustellen und zu diskutieren.
Kapitel fünf (Sandra Verena Müller, Bettina Kuske, Uwe Gövert und Christian Wolff) steht im Zeichen des demografischen Wandels und dessen Auswirkungen auf Ebene der Behinderteneinrichtungen. Es wird dargestellt, dass die demografischen Entwicklungen in Deutschland längst auch den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung betreffen und dies bedeutende Anforderungen für die medizinische und pflegerische Versorgung des Personenkreises mit sich bringt. Einen besonderen Fokus legen die Autorinnen und Autoren auf Demenzerkrankung bei Menschen mit geistiger Behinderung.
Sabine Schäper (Kap. 6) fokussiert in ihrem Beitrag die Sozial- und Teilhabeplanung im Hinblick auf den partizipativen Einbezug von Menschen mit geistiger Behinderung im Alter und deren Bedürfnislagen. Sie führt dabei die kommunale Sozialplanung konkret aus und verdeutlicht die Erkenntnisse durch die Erfahrungen aus dem Projekt SoPHiA.
Dieser Teil des Buches schließt mit Kapitel Sieben, indem Michael Seidel psychische Erkrankungen von Menschen mit geistiger Behinderung im Alter fokussiert. Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dieser Thematik begründet er mit der zunehmenden Lebenserwartung des Personenkreises und den damit verbundenen, erheblichen Herausforderungen auf fachlicher (pädagogischer, therapeutischer und medizinischer) sowie finanzieller Ebene. Die Tragweite psychischer Störungen wird anhand dreier Fallbeispiele eindrucksvoll verdeutlicht. Dabei werden die Auswirkungen von Fehldiagnosen aufgezeigt und die Notwendigkeit differenzialdiagnostischer Abklärungen betont.
Zu Teil III Geistige Behinderung im Alter – Die Herausforderungen – dargestellt am Beispiel Demenz
Teil III des Buches fokussiert die Besonderheiten der Lebensphase Alter von Menschen mit geistiger Behinderung explizit unter der Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen.
Bettina Kuske, Christian Wolff, Uwe Gövert und Sandra Verena Müller diskutieren in ihrem Beitrag (Kap. 8) die Relevanz und Besonderheiten der Demenzdiagnostik bei Menschen mit geistiger Behinderung. Eine umfassende Diagnostik (auch wenn vielfältige methodische Probleme bestehen) ist notwendig, um eine angemessene Behandlung und Begleitung der betroffenen Menschen gewährleisten zu können.
In Kapitel neun (Christian Wolff, Uwe Gövert, Bettina Kuske und Sandra Verena Müller) wird eingehend das HMB-W-Verfahren vorgestellt, das bisher in sieben Bundesländern seine praktische Anwendung gefunden hat, um den Hilfebedarf von Menschen mit geistiger Behinderung in stationären Wohneinrichtungen festzustellen. Die Autorinnen und Autoren resümieren, dass sich die Einrichtungen der Behindertenhilfe vermehrt auf Aspekte der Pflege einstellen müssen, um einen späten Umzug der Menschen in ein Pflegeheim vermeiden zu können.
Die zukünftigen Herausforderungen der Pflegeaspekte – insbesondere im Spannungsfeld Geistige Behinderung und Demenz – für Mitarbeiter/innen in Behinderteneinrichtungen werden in Kapitel zehn (Uwe Gövert, Christian Wolff, Bettina Kuske und Sandra Verena Müller) dargestellt und anhand des Pflege-Stress-Modells diskutiert. Dabei wird deutlich, dass die Mitarbeiter/innen in Behinderteneinrichtungen zukünftig vermehrt mit dem Dilemma konfrontiert sein werden, eine gute Betreuung und Versorgung gewährleisten zu wollen und dabei an ihre Grenzen der Pflegemöglichkeiten stoßen.
Antonia Coppus und Hildegard Telbis-Kankainen beleuchten im letzten Beitrag (Kap. 11) zu diesem Teil des Buches demenzielle Erkrankungen von Menschen mit Trisomie 21 (Down-Syndrom). Sie gehen dabei spezifisch auf die Entstehung, die Diagnose und den klinischen Verlauf sowie mögliche Behandlungsinterventionen ein.
Zu Teil IV Geistige Behinderung im Alter – Möglichkeiten und Instrumente
In Teil IV des Buches werden Unterstützungs- und Interventionsmöglichkeiten sowie (Diagnose-)Instrumente dargestellt und diskutiert.
Kapitel zwölf von Bettina Kuske, Uwe Gövert, Christian Wolff und Sandra Verena Müller zeigt die Bedeutung der Demenzfrüherkennung mit dem Einsatz von Screening-Instrumenten (exemplarisch Psychometrische Instrumente) auf. Dabei stellen die Autorinnen und Autoren heraus, dass die Komplexität und Schwierigkeit der Demenzdiagnose im Kontext Geistiger Behinderung u.a. eine regelmäßige Anwendung und Beobachtung erforderlich macht.
Claudia Gärtner hebt in ihrem Beitrag (Kap. 13) die Bedeutung des „Ageing in Place“, dem Verbleiben in vertrauter Umgebung auch im hohen Alter und bei demenzieller Erkrankung, als wichtige Ressource hervor. Dabei gibt sie anschaulich notwendige räumliche Gestaltungshinweise, um den Wohnalltag für Menschen mit geistiger Behinderung und Demenz zu erleichtern.
Kapitel 14 ist ein Beitrag von Matthew P. Janicki (übersetzt von Alexander Zimbulov), der seinen Fokus auf stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe hinsichtlich der Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung und demenziellen Erkrankungen legt. Es werden u.a. Rahmenbedingungen und Qualitätskriterien für demenzspezifische Versorgungsleistungen dargestellt und resümiert, dass gezielte Gestaltungsmaßnahmen in Form von Spezialversorgung notwendig, jedoch oftmals nicht gegeben sind.
Ludger Kolhoff hebt in seinem Beitrag (Kap. 15) den Einfluss durch Wohnung und Wohnumfeld auf die Lebensqualität hervor. Unter Berücksichtigung der Sozialraumorientierung macht er deutlich, wie durch geeignete Wohn- und Unterstützungsformen ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben für die betreffenden Personen ermöglicht werden kann.
Das letzte Kapitel in diesem Teil des Buches (Kap. 16 von Bettina Lindmeier und Heike Lubitz), befasst sich mit der Bedeutung der Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens. Die Autorinnen stellen ein praktisch erprobtes Bildungsangebot für Mitbewohnende und Betreuungspersonen von demenziell erkrankten Menschen vor, das zum Ziel hatte, den Umgang mit Demenz zu erlernen und für die betreffenden Personen zu sensibilisieren.
Zu Teil V Psychische Erkrankungen im Alter – Die Herausforderungen
In Teil V des Buches werden bedeutende Aspekte hinsichtlich psychischer Erkrankungen in der Lebensphase Alter aufgegriffen.
Mit Kapitel 17 eröffnet Tilman Fey diesen Teil und gibt eine Einführung in das älter werden mit psychotischen Erkrankungen. Dabei erläutert er die Begrifflichkeit Psychose und stellt diese exemplarisch an verschiedenen Krankheitsbildern (u.a. Schizophrenie, Psychotische Symptome und Demenz sowie isolierte Wahnentwicklungen und Halluzinosen im Alter) dar. Er resümiert, dass altersbedingte organische Erkrankungen und die jeweiligen sozialen Situationen häufige Ursachen für psychotische Erkrankungen im Alter sind.
Claudia Gärtner und Valentina Nartschenko fokussieren in ihrem Beitrag (Kap. 18) die zunehmende Bedeutung des chronifizierten Substanzmissbrauchs im Alter. Dabei stellen sie klar, dass es sich nicht um die Problemlage einer Randgruppe handelt, sondern ältere Menschen zunehmend von Alkohol- und insbesondere Psychopharmakaabhängigkeit betroffen sind. Dies hat zur Folge, dass sich neue Anforderungen für die Pflege und Betreuung bei Substanzabhängigkeit ergeben.
Sehr anschaulich befassen sich Georgia Böwing und Harald J. Freyberger mit einem weiteren, sehr bedeutenden Einflussfaktor auf die Lebensqualität im Alter: die Traumareaktivierung und Retraumatisierung im Alter (Kap. 19). Die Vergangenheitsbewältigung insbesondere hinsichtlich Kriegserlebnissen ist für entsprechende Alterskohorten von großer Relevanz. Mangelnde Verarbeitungsmechanismen bzw. das Nichteingestehen notwendiger Bewältigung („die Unfähigkeit zu trauern“, S. 331) wurde generationsübergreifend übertragen. Dadurch können sich posttraumatische Belastungsstörungen oder Traumafolgen auch im höheren Alter manifestieren. Da mittlerweile Konsens darüber besteht, dass Traumata auch als Ursache für die Entstehung einer Demenz in Betracht gezogen werden müssen, ist die Berücksichtigung der ausgeführten Aspekte maßgeblich.
Zu Teil VI Psychische Erkrankungen im Alter – Möglichkeiten und Instrumente
Teil VI des Buches zeigt praktische Möglichkeiten und Instrumente auf, die in der Gerontopsychiatrie Anwendung finden.
Einleitend mit Kapitel 20 von Michael und Lena Schifferdecker wird ausgeführt, dass psychotherapeutische Hilfe bei älteren Menschen insbesondere auch im Hinblick auf depressive Erkrankungen und gerontopsychotherapeutische Bedarfe gegenwärtige Versorgungsrealität sind. Neue Behandlungskonzepte sind dabei nicht notwendig, jedoch ist eine Anpassung bestehender Psychotherapieverfahren durch altersspezifische Konflikte und Belastungen vorzunehmen. Es wird resümiert, dass psychotherapeutische Interventionen im Alter sehr erfolgreich sind und betroffenen Personen geholfen werden kann.
Rolf D. Hirsch zeigt in seinem Beitrag (Kap. 21) die Herausforderungen und Grenzen der Gerontopsychiatrie auf. Er unterstreicht, dass die Gerontopsychiatrie ein eigenständiges Teilgebiet der Psychiatrie ist, deren Aufgabengebiete psychische Störungen beim Altern und im Alter sind. Aktuell ergibt sich jedoch ein weiteres Aufgabenfeld, dass Menschen mit geistiger Behinderung in der Lebensphase Alter in den Fokus nimmt. Er führt u.a. aus, dass insbesondere über alte Menschen mit geistiger Behinderung mit psychischen Störungen nur wenig bekannt, dieses Desiderat jedoch unbedingt aufzuarbeiten ist.
Mit Kapitel 22 von Peer Abilgaard schließt dieser Teil des Buches. Der Autor illustriert ausführlich die Chancen der Resilienzstärkung in der Akutpsychiatrie und verdeutlicht dieses anhand eines Fallbeispiels aus der Praxis. Dabei bezieht er Methoden der „Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie (PITT)“ nach Reddemann ein. Er unterstreicht, dass die Anerkennung und Würdigung der individuellen Belastungssituationen der Patientinnen und Patienten wichtiger Bestandteil therapeutischer Interventionen ist und nachhaltig zur Stärkung individueller Resilienz führen kann.
Zu Teil VII Ethische und rechtliche Rahmenbedingungen
Im letzten Teil des Buches werden abschließend ethische und rechtliche Rahmenbedingungen fokussiert.
Kapitel 23 von Harry Fuchs kontextualisiert die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) und Aspekte der Lebensqualität. Dabei hebt der Autor hervor, dass Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen für Menschen mit geistiger Behinderung klar im SGB IX und den Forderungen der UN-BRK begründet sind und auch in der Lebensphase Alter gelten, um die Lebensqualität des Personenkreises gewährleisten zu können.
Eine spezifische Gegenüberstellung der Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe unternimmt Peter Udsching in seinem Beitrag (Kap. 24). Er hebt hervor, dass eine „traditionelle Zersplitterung von Zuständigkeiten und unterschiedlichen Finanzierungsverantwortungen“ (S. 437) immer wieder zur Benachteiligung betroffener Personen führt und adäquate Lösungen oftmals an Verteilungskämpfen finanzieller Ressourcen zwischen Bund und Ländern scheitern.
Kapitel 25 (Gabriele Nellissen und Kerstin Telscher) nimmt die Abrechnungsschwierigkeiten zwischen Teilhabe- und Pflegeleistungen in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe in den Fokus. Die Autorinnen heben hervor, dass es kein Gesamtkonzept zur Betreuung und Versorgung behinderter und pflegebedürftiger Menschen gibt. Insbesondere in der Lebensphase Alter werden jedoch sowohl Leistungen zur Sicherung der Teilhabe als auch Pflegeleistungen notwendig. Die dadurch entstehende Abgrenzungsproblematik stellt vollstationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe vor vielfältige Herausforderungen. Es wird resümiert, dass übergreifende Konzepte „zur Harmonisierung der Leistungsbereiche“ (S. 460) notwendig sind.
Johannes Eurich und Anika Christina Albert fokussieren in Kapitel 26 spezifisch die Bedeutung der Lebensqualität im Alter und die damit einhergehende, notwendige Berücksichtigung individueller Bedarfslagen. Dabei beziehen sie theologische und ethische Aspekte ausführlich mit ein.
Das letzte Kapitel des Buches (Kap. 27, Eberhard Hauschildt) diskutiert die Bedeutung von Spiritualität, Religion und Resilienz. Der Autor führt anschaulich die Möglichkeiten dieser drei Aspekte für die Lebensphase Alter, auch hinsichtlich des Lebensendes, aus. Er betont das Recht aller Menschen auf Ausleben spiritueller und religiöser Bedürfnisse sowie die Bedeutung der Ressourcennutzung durch Resilienzverhalten.
Diskussion und Fazit
Das
vorliegende Buch befasst sich intensiv mit Lebensqualität in der
Lebensphase Alter, unter Berücksichtigung einer geistigen
Behinderung (exemplarisch ausgeführt am Beispiel Demenz) und
psychischen Erkrankungen. Wenngleich die Ausrichtung auf demenzielle
Erkrankungen im Kontext Geistiger Behinderung stellenweise überwiegt
und darüber hinaus ein erweiterter Blickwinkel auf weitere
Lebenssituationen von Menschen mit geistiger Behinderung im Alter
wünschenswert wäre, gibt das Buch durch unterschiedliche,
interdisziplinäre Herangehensweisen einen umfassenden Überblick zur
fokussierten Thematik. Dabei werden nicht nur fachwissenschaftliche
Anforderungen erfüllt, sondern auch Leser/innen aus der Praxis
erhalten fundierte Diskussionsanstöße. Durch
Best-Practice-Beispiele sowie eigene Erfahrungen der Autorinnen und
Autoren aus Praxis und Forschung werden theoretisch ausgeführte
Aspekte kritisch reflektiert bzw. gestützt.
Durch den stringent
strukturierten Aufbau des Buches wird es ermöglicht, einzelne
Beiträge separat oder einen thematisch fokussierten Teil gebündelt
zu studieren. Die Leserschaft erhält neben notwendigem theoretischem
Basiswissen ebenfalls vertiefende Fundierungen zur Thematik.
Aufgrund der aktuellen Entwicklungen und desiderater Publikationsbeiträge zur Thematik der Lebensqualität aus fachspezifischer Perspektive der Geistigbehindertenpädagogik ist das vorliegende Buch ein wertvoller Beitrag zur fachwissenschaftlichen Diskussion. Trotz der hohen Anschaffungskosten (79,99 €) ist diesem eine weite Verbreitung zu wünschen.
Rezension von
Dr. phil. Heiko Schuck
Dipl. Päd., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Geistigbehindertenpädagogik, Justus-Liebig-Universität Gießen
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Es gibt 3 Rezensionen von Heiko Schuck.
Zitiervorschlag
Heiko Schuck. Rezension vom 19.09.2016 zu:
Sandra Verena Müller, Claudia Gärtner (Hrsg.): Lebensqualität im Alter. Perspektiven für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
(Wiesbaden) 2016.
ISBN 978-3-658-09975-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20484.php, Datum des Zugriffs 03.12.2023.
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