Wolfgang Schäfer, Peter Jacobs: Praxisleitfaden Stationsleitung
Rezensiert von Prof. Dr. Olaf Scupin, 14.11.2016

Wolfgang Schäfer, Peter Jacobs: Praxisleitfaden Stationsleitung. Handbuch für die stationäre und ambulante Pflege. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2015. 5., überarbeitete Auflage. 416 Seiten. ISBN 978-3-17-028691-7. D: 36,00 EUR, A: 37,10 EUR, CH: 47,90 sFr.
Thema
Das Gesundheitswesen ist aus volkswirtschaftlicher Perspektive ein wachsender Markt. Von den Gesamtausgaben für das Gesundheitswesen entfallen ca. 30% auf den Kliniksektor. Die Besonderheit dieses Sektors liegt in dem hohen Ausgabenanteil für die Personalkosten. Diese liegen weiterhin, je nach Trägerschaft einer Einrichtung, zwischen 60-70% der Gesamtausgaben. Zum Vergleich liegen die Personalkosten in der Automobilindustrie nur noch bei ca. 10% der Herstellungskosten für ein Automobil. Parallel zu dieser Entwicklung gibt ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflegedienst an, dass Sie Ihren Arbeitsvertrag wegen der fehlenden Führungsqualitäten ihrer direkten Vorgesetzten gekündigt haben oder beabsichtigen dies zu tun (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2005). Umso wichtiger erscheint es, dass Stationsleitungen hoch qualifiziert sein sollten. Sie verfügen über einen direkten Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterkontakt und besitzen somit einen kausalen Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit.
Erschwert wird diese ohnehin herausfordernde Aufgabe durch eine Komplexitätssteigerung der Patientenversorgung (Multimorbidität, Singularisierung, …). Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens (z.B. DRG-Einführung) trägt ihr Übriges zu einer subjektiv empfundenen Steigerung des Arbeitspensums bei. Zur Orientierung in dem komplexen Berufsfeld der Stationsleitung, sei es in Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder in der ambulanten Pflege, wird ein Referenz- oder Ordnungssystems zur Strukturierung der Aufgabenfelder als Stationsleitung dringend benötigt. Gerade Stationsleitungen empfinden ihre Funktion oft als Sandwichposition. Auf der einen Seite sollen die Interessen der Patienten, Klienten, Kunden und die der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den unternehmerischen Zielen in Einklang gebracht werden. Ein Dilemma, welches überwiegend nicht gelöst werden kann. Treffen normative Ziele, zum Beispiel der würdevolle Umgang mit dem Menschen (s. Grundgesetz), mit der realen personellen und finanziellen Ausstattung des Gesundheitswesens aufeinander ist ein Scheitern des individuellen Anspruchs auf der Grundlage von Patientenbedürfnissen vorprogrammiert.
Das Vorgenannte macht deutlich, warum die Praxis der Stationsleitungen eine Beschreibung ihres Aufgabenfeldes benötigt. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein Kompendium für Stationsleitungen.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Buch verfügt über einen logischen und schlüssigen Aufbau.
Im Abschnitt über die ethischen Prinzipien der Pflege werden die Funktionen und Ziele eines Leitbildes nachvollziehbar vorgestellt. Anschließend wird die Praxisrelevanz der Pflegetheorien und -modelle erläutert. Nach einem Exkurs über die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Gesundheitswesen widmen sich die Autoren der Krankenhausfinanzierung.
Ab Kapitel 2 werden u.a. die Kompetenzen, über die eine Stationsleitung verfügen sollte, vorgestellt. Auf welcher Grundlage dieses Kompetenzmodell entwickelt wurde wird leider nicht erläutert. So wird zum Beispiel bei den Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnengruppen u.a. zwischen älteren und jungen Mitarbeitern unterschieden. Ein eher reduktionistisches Verständnis von Individuen. Es wird ein rollentheoretisches Modell zur Erklärung dieser Perspektive herangezogen. Im Anschluss an diese Ausführungen werden verschiedene Führungsstile definiert. Dabei wird nicht berücksichtigt, das bei den Führungsstilen überwiegend die Führungsperson im Mittelpunkt der Betrachtung steht und nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Anders bei den Führungstheorien. Diese versuchen primär zu erklären, warum eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter sich warum wie verhält. Weiterführend befassen sich die Autoren mit wesentlichen Führungsinstrumenten, wie der Mitarbeiterbeurteilung, der Mitarbeitermotivation und der Delegation von Aufgaben aus rechtlicher Perspektive.
Einen weiteren wesentlichen Raum im Werk nimmt das Kapitel über die Stationsorganisation ein. Zunächst werden die Pflegesysteme (Funktionspflege, Bezugspflege, …) als Organisationsform der professionellen Pflege vorgestellt. Hierunter fällt auch die Dienstplangestaltung als Teil der Personalwirtschaft. Die konkrete praktische Erstellung wird nicht vermittelt.
Nachfolgend werden Rechtsfragen für Stationsleitungen beschrieben. Die rechtlichen Grundlagen werden umfassend und einwandfrei vorgestellt und gehören sicher in ein solches Werk. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der Personalentwicklung ohne ein traditionelles Verständnis zu verlassen. Spannend verspricht das Kapitel über die Verantwortung der Stationsleitung in der Zukunft zu werden (S. 360 ff). Im Vordergrund steht jedoch die demografische Entwicklung, die für so vieles herhalten muss, ohne wirklich zu wissen wie seriös die Szenarien sind. Organisatorische Konsequenzen aus den möglichen Szenarien werden nicht vorgestellt.
Diskussion/ Fazit
Das vorliegende Werk verfügt über eine hohe Praxisrelevanz. Die Autoren sind als leitende Mitarbeiter in einem Universitätsklinikum tätig bzw. waren tätig. Dies schränkt jedoch auch die institutionelle Reichweite der Praxisrelevanz ein. Aktuell werden im Gesundheitswesen die Führungsstrukturen den externen Herausforderungen angepasst (Prozessorganisation, Interdisziplinarität, überinstitutionelle Patientensteuerung, …). Zum Teil wird aktuell die Funktion und Ebene der Stationsleitung abgebaut. So wird im vorliegenden Buch die Existenz einer stellvertretenden Stationsleitung postuliert und eben nicht in Frage gestellt. Neuere Pflegeorganisationssysteme in Deutschland und im europäischen Ausland gehen z.T. andere Wege. Das Buch trägt dieser Entwicklung leider keine Rechnung oder öffnet nicht einen notwendigen Diskurs über diese Entwicklungen. Ebenso wird von den Autoren versprochen, dass die Inhalte ebenso für den SGB XI – Sektor (Pflegeversicherung) gelten. Es wird aber lediglich die Krankenhausfinanzierung vorgestellt. Die Altenheimfinanzierung oder die Finanzierung der Ambulanten Pflege wird nicht vermittelt. Das Kapitel über die ethischen Prinzipien der Pflege ist mit 1,5 Seiten (!) deutlich zu kurz. Erwartet werden müsste in diesem Kapitel die Grundlegung eines Verständnisses von einer Leitungsfunktion im Pflegedienst.
Es handelt sich bei der vorliegenden Publikation um ein Handbuch für Stationsleitungen aus dem Praxisfeld der Autoren, welches nicht in Gänze auf andere Kliniken oder Pflegeeinrichtungen übertragbar ist. Gleichwohl erscheint das vorliegende Buch in der 5. Auflage und erfreut sich somit einer breiten Leserschaft. Aus wissenschaftlicher Perspektive können einige Aussagen nicht unkommentiert bleiben. Die Aufteilung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in „junge“ und „ältere“ ist nicht haltbar. Die zugeschriebenen Kompetenzen entbehren einer Absicherung. Auch alte Menschen können lernen und sich entwickeln. Entwicklung ist zutiefst individuell (Wessel, 2015). Die Reduktion des Alters auf körperliche Defizite ist ebenso stereotyp.
Zusammenfassend hält der Rezensent das vorliegende Buch deshalb für die Praxis für wertvoll, weil in gut lesbarer und konzentrierter Form die wesentlichen Elemente und Gebiete einer Stationsleitung vermittelt werden. Gerade die Auswahl der relevanten Gesetzessammlung ersetzt das Studium ganzer Gesetzeswerke. Für die traditionelle Stationsleitung ist die Lektüre ein echtes Grundlagenwerk.
Rezension von
Prof. Dr. Olaf Scupin
Professur für Pflegemanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena, Mitglied der Leibniz-Sozietät zu Berlin, Direktor am Institut für Coaching und Organisationsberatung der EAH Jena, Diplom-Pflegewirt (FH), Pflegedirektor, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege, Krankenpfleger, Weiterbildung zur Leitung einer Station oder Abteilung am ÖTV-Institut Duisburg
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