Ulrike Petermann, Franz Petermann: Kinderängste bewältigen
Rezensiert von Beate Sonsino, 30.06.2016
Ulrike Petermann, Franz Petermann: Kinderängste bewältigen. 60 Bildkarten zur Arbeit mit sozial unsicheren Kindern.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2016.
15 Seiten.
ISBN 978-3-621-28307-6.
D: 29,95 EUR,
A: 30,80 EUR,
CH: 40,10 sFr.
60 Bildkarten mit 15-seitigem Begleittext.
Thema
Das Kartenset ist der Thematik „Sozial unsichere Kinder“ gewidmet.
Autoren und Entstehungshintergrund
Der Autor Prof. Dr. Franz Petermann ist Direktor des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation an der Universität Bremen, Frau Prof. Dr. Ulrike Petermann ist die stellvertretende Direktorin und ihre Schwerpunkte sind Klinische Kinderpsychologie, Kinderverhaltenstherapie und Entspannungsverfahren für Kinder und Jugendliche. Die beiden Autoren entwickeln seit vielen Jahren Therapieprogramme zu verschiedenen Schwerpunktthemen.
Das vorliegende Kartenset baut auf der Basis des Therapieprogrammes „Training mit sozial unsicheren Kindern“ der gleichen Autoren auf.
Aufbau und Inhalt
Das Kartenset besteht aus insgesamt 60 bunten Spielkarten. Davon sind 27 für das Vorschulalter vorgesehen und mit V in der oberen rechten Ecke gekennzeichnet. Für das Schulalter liegen 33 Karten vor, die mit S in der oberen rechten Ecke gekennzeichnet sind.
Die Kartensets lassen sich für die Angstprävention und auch für die Behandlung von Kinderängsten einsetzen. Im Therapiebereich können Auffälligkeiten und Störungen wie Trennungsangst, soziale Ängste, Schul- und Leistungsängste bearbeitet werden. Mit Hilfe der Kartensets kann ein Kind im Vorfeld einer Therapie für das Thema „Angst“ oder die individuellen Ängste sensibilisiert werden, es kann eine Therapie vorbereitet werden. Nach einer Therapie kann damit eine Nachsorge unterstützt werden, indem sich das Kind mit der Thematik und den eingeübten Bewältigungsstrategien noch einmal auseinandersetzen kann. Im präventiven Bereich kann auch mit kleinen Gruppen von Kindern an dem Thema Angst gearbeitet werden.
Das Kartenset ist wohl vorwiegend in der Kombination mit dem Therapieprogramm „Training mit sozial unsicheren Kindern“ vorgesehen, u. a. ist aber auch an den Einsatz im Rahmen von schulischen Präventionsprogrammen zur Förderung der sozial-emotionalen Kompetenz gedacht. Das Set kann im therapeutischen oder pädagogischen Einzelkontakt Hilfestellungen zur Angstüberwindung geben. Auch die alltagsintegrierte, spielerisch eingesetzte Anwendung der Karten, zum Beispiel in heilpädagogischen Kinderheimen, mit therapeutischer Zielsetzung, oder im Klinikalltag, wird angesprochen. Ich gehe in dieser Rezension ausschließlich auf das vorliegende Kartenset mit Begleitheft ein. Das sehr umfangreiche Therapiemanual liegt mir nicht vor. Da von den Autoren die Möglichkeit eines Einsatzes, u. a. auch für schulische Präventionsprogramme, und die alltagsintegrierte, spielerische Bearbeitung von angstbezogenen Themen und deren Bewältigungsmöglichkeiten im pädagogischen Alltag erwähnt wird, erschien mir diese Variante der Begrenzung vertretbar.
Das Arbeiten kann im Einzelkontakt und kleinen Gruppen stattfinden, wobei eine therapeutische Gruppe aus maximal vier Kindern bestehen sollte. Die Kartensets können sowohl von Therapeuten als auch von Pädagogen eingesetzt werden. Auf den meisten Karten befinden sich auf der Rückseite kurze Instruktionen als Anleitung für den Therapeuten oder Pädagogen. Auf exemplarische Beispiele hierzu wird noch eingegangen.
In beiden Kartensets findet man Karten mit geschlechtsspezifischen Leitfiguren auf der Vorderseite und Kurzanleitungen rückseitig, und Karten zur Ermutigung mit Selbstinstruktionen, die zum Teil vorderseitig mit der weiblichen und rückseitig mit der männlichen Bild Variante bedruckt sind. Die Leitfiguren spielen eine wichtige Rolle bei der Angstbewältigung. Sie haben die Funktion von Identitätsfiguren und dienen als Modelle für sozial kompetentes Verhalten. Die Autoren weisen hier gezielt auf eine ausführliche Beschreibung in ihrem Buch „Training mit sozial unsicheren Kindern. Behandlung von sozialer Angst, Trennungsangst und generalisierter Angst“ hin, das 2015 in 11. Auflage, überarbeitet und erweitert, im Beltz Verlag, Weinheim, erschienen ist.
Bei den Karten für die Schulkinder gibt es noch die männlichen und weiblichen Wolkenköpfe, auf die in der Diskussion noch eingegangen wird, außerdem Comic- und Ermutigungskarten.
(Vgl. Petermann, U., Petermann, F., Kinderängste bewältigen, Begleitheft zu Bildkartenset, S. 2-15.)
Diskussion
Wie schon zuvor erwähnt, habe ich mich bei dieser Rezension auf das Kartenspiel und dessen Begleitheft begrenzt, für den alltagsintegrierten Einsatz im pädagogischen Bereich, in heilpädagogischen Einrichtungen, Kinderheimen und schulischen Präventionsprogrammen.
Es ist besonders hilfreich, dass es sowohl ein Kartenset für das Vorschulalter als auch für das Schulalter, mit altersentsprechenden Bildern und Texten bzw. Kurzinstruktionen, als Anleitung gibt.
Es wird empfohlen, die Arbeit jeweils mit der ersten Karte zu beginnen. Die Karten sind nummeriert. Spielerisch können sich die Kinder mit den Leitfiguren, die zuerst mit ihrer Geschichte vorgestellt werden, identifizieren und auseinandersetzen. So können sich z. B. Schulkinder in der ängstlichen Marie, oder dem ängstlichen Niklas erkennen und erleben, ihr Verhalten und ihr Empfinden gespiegelt bekommen, dann aber auch erleben, wie die mutige Sophie, oder der mutige Max in neuen Situationen anders handeln als die ängstliche Marie oder der ängstliche Niklas. Es wird sich mit Hilfe von Detektivkarten auf die Suche nach Kompetenzen, aber auch auf die Suche nach den eigenen Ängsten und nach Hilfestellungen gemacht. Mit sogenannten Mutmacher-Karten, die Mutmacher-Sprüche vermitteln, werden die Kinder zu neuem Verhalten angeregt. Nach der Kapitän-Nemo-Spruch Karte „Nur ruhig Mut, dann geht alles gut!“, werden die Selbstinstruktionskarten eingesetzt. So z. B. „Kenn ich was nicht gut, hab ich trotzdem Mut!“. Diese Instruktionen sollen Problemlöseverhalten im sozialen Zusammenhang unterstützen. Die Kinder suchen sich einen Spruch aus, den sie dann im Alltag einmal anwenden wollen. Diese Alltagssituation wird konkretisiert und auf ein Ereignis begrenzt. Das kann Kinder ermutigen, Neues auszuprobieren, den Leitfiguren nachzueifern, die mit Angst besser umgehen können, als sie selbst.
Bei den sogenannten Wolkenkopfkarten gibt es wieder die weibliche und die männliche Variante ohne Selbstinstruktion. Dem Kind werden Fragen gestellt, in etwa, was es in den Gesichtern erkennt oder was das Kind auf der Karte fühlt und denkt. Danach wird das Kind angeregt, die Karten der mutigen Wolkenkopf- Kinder zu analysieren. Es soll u. a. berichten, was es in den Gesichtern erkennt und schließlich die Karten mit Selbstinstruktionen wählen, die ihm selbst helfen könnten, dass es mutig etwas Neues ausprobiert, statt unangenehme Situationen zu vermeiden.
Weiter enthält das Kartenset für Schulkinder Comics, mit deren Hilfe das Kind für sozial kompetentes Verhalten sensibilisiert werden soll.
Die Karten sind bunt, kindgerecht, sehr ausdrucksstark und ansprechend. Der Pädagoge oder Psychologe arbeitet mit ihrer Hilfe mit Fragen und Aufforderungen. Zum Beispiel Fragen, nach den Gesichtsausdrücken auf den Bildern, den möglichen Ursachen von z. B. dem traurigen, zweifelnden oder energischen Gesichtsausdruck, den möglichen Gefühlen der gezeichneten Kinder. Dann können die Karten der mutigen Sophie und des mutigen Max dazu geholt und mit den vorangegangenen Karten verglichen werden. Danach wird das Kind angeregt, ein eigenes Beispiel zu beschreiben und eine Wolkenkopf-Karte von den mutigen Leitfiguren zu wählen und eine Selbstinstruktion zu wählen, die ihm selbst helfen kann, mutig etwas auszuprobieren.
Bei den Comics wird der Fokus sehr stark auf die erkennbaren Gesten und Körpersprache gerichtet. Unsichere Kinder haben oft „Interpretationsschwierigkeiten“ von Körpersprache und Verhalten Anderer. Dies kann zu Angst, Rückzug und nicht angemessenem Verhalten führen. Die Sprech- und Gedankenblasen in den Comics sind nur für eine Handlungsperson ausgefüllt. Das Kind soll mit Hilfe der Gestik aller Personen und der vorhandenen Texte den Zusammenhang und Ablauf der Situation erfassen. In einem Rollenspiel kann dann auch sozial kompetentes Verhalten umgesetzt werden. (Vgl. Petermann, U., Petermann, F., Kinderängste bewältigen, Begleitheft zu Bildkartenset, S. 2-15.)
Zu der vorletzten Ausgabe des erwähnten Manuales liegt eine Rezension bei www.socialnet.de/rezensionen/944.php vor.
Fazit
Das dargestellte Kartenspiel ist von den Autoren wohl primär für den Einsatz in Kombination mit dem Therapieprogramm „Training mit sozial unsicheren Kindern“ vorgesehen, kann aber auch alltagsintegriert in pädagogischen Zusammenhängen eingesetzt werden. Es werden von Petermann und Petermann z. B. der alltagsintegrierte Einsatz in einer heilpädagogischen Einrichtung, in einem Kinderheim, im Kliniksetting oder im Rahmen eines schulischen Präventionsprogrammes zur Förderung der sozial-emotionalen Kompetenz erwähnt. Ich habe mich auf die alltagsintegrierten Varianten begrenzt, das erwähnte, sehr umfangreiche Therapiemanual liegt mir nicht vor.
Die Autoren lassen seit Jahrzehnten Praktiker im psychologischen, therapeutischen und pädagogischen Bereich an ihrer Forschung teilhaben und versorgen diese immer wieder mit hilfreichen Materialien. Auch mit dem vorliegenden Kartenset ist wieder ein bereicherndes Material für die pädagogischen und psychologischen Praktiker geschaffen worden. Für die Arbeit mit sozial unsicheren, ängstlichen Kindern helfen die bunten, sehr ausdrucksstarken Karten, einen Zugang zu den Kindern und deren Zugang zur Angstproblematik, zu finden.
Wer gezielt therapeutisch arbeiten möchte, sollte in jedem Fall das angesprochene Manual mit berücksichtigen. Für den alltagsintegrierten Einsatz sind die Kurzanleitungen ausreichend. Eine solide pädagogische oder psychologische Basis für das Arbeiten mit genannter Zielgruppe und dem Kartenmaterial sollte allerdings auch für diese Einsatzvarianten Voraussetzung sein. Ich habe früher selbst mit umfangreichen Manualen dieser Autoren zu anderer Thematik gearbeitet und sehe in den Karten eine wertvolle Ergänzung. Ich kann das Kartenset für die vorgesehene Zielgruppe sehr empfehlen.
Rezension von
Beate Sonsino
M.A. - Tätig in der Aus- und Fortbildung von Lehrern und pädagogischem Fachpersonal
Mailformular
Es gibt 23 Rezensionen von Beate Sonsino.
Zitiervorschlag
Beate Sonsino. Rezension vom 30.06.2016 zu:
Ulrike Petermann, Franz Petermann: Kinderängste bewältigen. 60 Bildkarten zur Arbeit mit sozial unsicheren Kindern. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2016.
ISBN 978-3-621-28307-6.
60 Bildkarten mit 15-seitigem Begleittext.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20575.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.