Joseph Garncarz: Medienwandel
Rezensiert von Michael Christopher, 27.10.2016
Joseph Garncarz: Medienwandel.
UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2016.
246 Seiten.
ISBN 978-3-8252-4540-5.
19,99 EUR.
UTB 4540.
Autor und Thema
Der Medienwandel ist ein Vorgang, der die Menschen hierzulande in vielen Bereichen berührt. Aus technischer Sicht revolutionieren sich die Medien in immer kürzeren Abständen, aber auch die Nutzung von Medien hat sich über die Jahre verändert. Über den Medienwandel gibt es viele Abhandlungen. Joseph Garncarz stellt mit seinem im UTB-Verlag erschienen Werk, das einfach den Titel Medienwandel erhalten hat, eine weitere auf den Markt. Garncarz hat bereits Bücher mit ähnlichem Inhalt veröffentlicht, wie zur Etablierung des Films in Deutschland, zur Internationalisierung der Kinokultur zwischen 1925-1990 sowie über die Filmpräferenzen der Europäer von 1896-1939.
Zur Zeit forscht Joseph Garncarz an der Universität Köln über die Filmpräferenzen der Deutschen im Dritten Reich.
Aufbau
Das Buch Medienwandel ist in zwei Teile aufgeteilt. Der erste Teil beschäftigt sich mit Definitionen, der zweite mit verschiedenen Fallbeispielen.
Zu 1. Instrumente zur Analyse des Medienwandels
Im ersten Teil des Buches behandelt der Autor Joseph Garncarz definitorische Themen. Er möchte mit dem Leser grundsätzliche Fragen an den Medienwandel stellen und gibt für diesen sogleich die Antworten darauf mit. Seiner Frage »Was sind Medien?« folgt eine Unterteilung der Antworten in die Schlagworte technische Mittel, Mediennutzungsformen sowie Medieninstitutionen.
Die Grundfunktionen der Medien sind nach seiner Definition Kommunikation, Orientierung und Unterhaltung.
Die zweite elementare Frage, die Garncarz stellt, ist, was Wandel bedeute. Er möchte die Geschichte der Medien und nicht die Diskurse darüber in den Mittelpunkt stellen.
Die dritte Frage handelt davon, wie sich Medienwandel beschreiben lasse. Er sieht die Bedingung für eine Beschreibung sowohl Inter-medial (Unterschiedliche Medien betreffend) als auch Inter-disziplinär und fragt nach der Wahrnehmung eines Wandels. Die vorletzte Frage, die er aufwirft, fragt nach dem Antrieb eines Medienwandels, den er in der Attraktivität eines Medienangebots verortet. Am Ende steht die Frage, wie sich der Medienwandel modellhaft repräsentiere lasse. Garncarz sieht hier das Modell von drei Phasen: Erfindung, Etablierung und Verbreitung/ Differenzierung.
Zu 2. Fallstudien zum Wandel der Kino- und Fernsehkultur
Chronologisch bearbeitet Garncarz verschiedene Epochen der Kinokultur in Deutschland und Europa. Zudem beschreibt er den Wandel der Tagesschau in den 1950er und 1960er zu dem heute bekannten Nachrichtenformat.
Garncarz beginnt seine Fallstudien mit der Beschreibung des Auftauchens des mobilen Jahrmarktkinos in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. Vornehmlich seien diese aus wandernden Varietés entstanden und hatten sich im Umfeld anderer Jahrmarktattraktionen etabliert. Erfolgreich sei das Jahrmarktkino besonders in Klein- und Mittelstädten gewesen, da die potentielle Auslastung im ruralen Gebiet als zu gering erwartet worden sei und in Großstädten diese Spielstätten, bei höheren Kosten, mit anderen Unterhaltungsangeboten konkurrieren mussten.
In der Folge beschreibt er die Entstehung von festen Spielstätten und das damit einhergehende Aufkommen von Filmdramen. Ab 1906 seien die Jahrmarktkinos weitestgehend von ortsfesten Kinos verdrängt worden. Garncarz versucht auf eine wirtschaftliche Komponente hinzuweisen. Die Entstehung von Warenhäusern, besonders in Berlin, veränderte das Konsumverhalten der Menschen. In die seitdem leerstehenden Ladengeschäfte zogen zunehmend Lichtspielhäuser ein, die sogenannten Ladenkinos (89). Mit der Etablierung der Kinos ab dem Jahr 1910 sieht Garncarz auch eine Veränderung der Präferenzen des Publikums vom Kino der Attraktionen zum Filmdrama (91ff).
In den 1920ern und 1930ern differenzierten sich laut dem Autor die Filmpräferenzen des Kinopublikums, sowohl national wie auch entlang von sozialen Schichten. Anhand der Identifikation der Zuschauer mit Charlie Chaplin zeigt Garncarz eine gesellschaftliche Differenzierung in Deutschland. Mithilfe des Filmes The Circus (USA 1928, Chaplin) weist er darauf hin, dass Filme zeitgenössisch unterschiedlich wahrgenommen worden seien.
In den 1930er Jahren betrachtet Garncarz den Umgang mit dem fremdsprachlichen Tonmaterial. Das »Normalverfahren« (122) der Untertitelung sei in Deutschland nicht akzeptiert worden. Das »Idealverfahren« (123) der Sprachversion als eigenständiger Film war aufgrund der Kosten und der Problematik der Kulturverschiedenheit (126) risikoreich. Als Alternative kam die Synchronisation auf, deren Durchsetzung der Autor besonders in damals faschistischen Ländern wie Italien, Spanien und Deutschland sieht.
In der nächsten Fallstudie geht der Autor auf die Philosophie zweier Produzenten (Arnold Pressburger und Gregor Rabinowitsch) ein, die als Erfolgsmodell große Filme mit größtmöglicher Einflussnahme der Produktionsfirmen drehten. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten mussten beide Produzenten fliehen und ihre Methode sei von den neuen Machthabern übernommen worden.
Mit dem Film Olympia (Deutschland 1938) von Leni Riefenstahl beschreibt Garncarz den Beginn der modernen Sportberichterstattung, die nicht mehr bloß das Ereignis dokumentieren sollte, sondern es dramatisch verpackte, um Spannung aufzubauen. Neben seiner ästhetischen Komponente, sei der Film, über die Präsentation von Idealkörpern hinaus, ein Propaganda-Film gewesen, der das Auslandsansehen Deutschlands erhöhen und Devisen einbringen sollte (147).
Eine längere Fallstudie widmet der Autor jüdischen deutschen Schauspielern, die in den 1940er in die USA emigrieren mussten und mit Hilfe des Filmagenten Paul Kohner mit der Darstellung von Nazis teilweise Fuß in Hollywood fassen konnten.
Die Stimmung bezüglich der Wahrnehmung von deutschlandkritischen Filmen in den 1950er Jahren beschreibt er anhand des Films Casablanca (USA 1942, Curtiz), der, als er in die deutschen Kinos kam, an kritischen Stellen zurechtgeschnitten wurde und erst 1968 vom WDR in einer Originalversion mit Untertiteln dem deutschen Publikum vorgestellt wurde.
Einen Wandel in der Thematik begeht Garncarz mit der Beschreibung der Tagesschau, die aufgrund der Schwerfälligkeit des Mediums Fernsehens in den 1950er weniger eine Nachrichtensendung als eine unterhaltende Bilderschau gewesen sei (176). Obwohl die Sendung populär gewesen sei, wurde von den Intendanten der ARD ihr Umbau zu einer Nachrichtensendung forciert und 1960 erstmalig in ihrer neuen Form ins Fernsehen gebracht und vom Publikum sofort angenommen.
Nach den 1950er und den 1960er bis in die 1970er hinein markiert Garncarz einen Medien- und Generationswandel. Das populäre Kino der Väter wurde von jungen Filmemachern abgelehnt. Stattdessen wurde eine cineastische Individualität postuliert, in künstlerischer und narrativer Sicht. Die nachfolgende Generation ab den 1980ern lehnte wiederum diese Form des Films ab. Garncarz beschreibt den Versuch, die Veränderungen aus den 1970er Jahren wieder rückgängig zu machen. Was blieb war jedoch die wichtigere Rolle des Regisseurs bei der Erwartungshaltung des Publikums gegenüber einem Film.
Mit der Globalisierung der Kinokultur begann zudem laut dem Autor eine Homogenisierung der Filmpräferenzen in den westeuropäischen Absatzmärkten, die zunehmend von Hollywood durchdrungen wurden. In Deutschland seien unter anderem die Produktionen der 1970er, die nach Garncarz an der Nachfrage vorbei gedreht wurden, Schuld.
Diskussion
Der Autor hat sich bewusst gegen eine rein wissenschaftliche Herangehensweise entschieden und versucht, seine Überzeugungen zu medien-historischen Entwicklungen gegen einen Forschungskonsens mithilfe seiner medien-archäologischen Nachforschungen zu untermauern. So gesehen ist das Buch ein Essay, auch wenn es der Form her, einem wissenschaftlichen Buch folgt. Dennoch ist es im UTB Verlag erschienen und Garncarz betont seine wissenschaftliche Herkunft. Daher verdient diese Veröffentlichung auch eine Plausibilitätsüberprüfung.
Garncarz schreibt flüssig und unterhaltsam. Es fällt nicht schwer, seinen Gedankengängen zu folgen. Bedeutend schwerer ist es hingegen den Verweisen, Quellen und den zitierten Gedankengängen anderer Autoren im Text zu folgen, da die stete Suche in den Endnoten den Lesefluss arg stört. Auch die eigentliche Einführung zu den Fallstudien, die in grauen Kästen inmitten des Definitionsteils eingeschoben worden sind, schaden der Übersichtlichkeit.
Der erste Teil ist didaktisch aufgebaut und handelt die für Garncarz wichtigen Begriffe definitorisch ab. Er schafft hier eine Basis für seine weiteren Ausführungen.
In seinen Definitionen zu Medien bedient sich Garncarz zuweilen zeitgenössischer Lexikoneinträge. Hier folgt bereits der erste Bruch mit der wissenschaftlichen Tradition der Medienwissenschaft, die zu Beginn gerne McLuhan hervorholt und nicht Meyers Online Lexikon, um dem Begriff Medien näher zu kommen. Auf den ersten Blick wirkt dies erfrischend, einen Begriffswandel anhand populärer Texte zu verfolgen, doch wirkt dieses Rebellentum am Ende nicht rund, da Garncarz andere Positionen selten hinterfragt, sondern diese vielmehr an den Rand drängt, um seine definitorische Macht dem Leser darzulegen. Ein diskursives Element zu finden, fällt schwer, da vieles auf den Leser im Status der Allgemeingültigkeit einwirkt.
Das erste Fallbeispiel zur frühen Kinogeschichte ist schlüssig und logisch erzählt. Mit dem Jahrmarktkino sei eine neue Medieninstitution entstanden (87), die mit dem Kino der Attraktionen eine neue Mediennutzungsform gesteuert habe (ebd.). Besonders die Texte zum frühen Kino bringen interessante Facetten in die Filmgeschichtsschreibung hinein, im Speziellen, wenn es um die Etablierung des Kinos geht.
In Leni Riefenstahls Film Olympia sieht Garncarz eine Propaganda, die über die vielfach beschriebenen Körperbilder im Film hinausgehe. Es gehe um Devisen und um das Ansehen im Ausland (147). Dazu habe Riefenstahl eine »innovative Ästhetik« genutzt (ebd.).
Der Ansatz ist nicht neu. Besonders in Bezug zu den Olympischen Spielen (vgl. Krüger 2003) und dem Olympia-Film (Elsaesser 2000) wurde Hitler bereits von anderen eine Appeasement Strategie zugeschrieben, die der Welt ein positives Bild von Deutschland zeigen sollte. Das Revolutionäre für die Sportberichterstattung (148) ist in Teilen zu finden, jedoch weniger in der Ästhetik und Dramaturgie, sondern in dem massiven Einsatz von Medien, hier der Filmkamera, die die besten Plätze einnimmt. Sportsendungen heutzutage zielen, abgesehen vom Aktuellen Sportstudio oder der Sport 1 Spieltagsanalyse, eher auf den Moment der Spannung als auf eine inszenierte Dramatik.
Garncarz schreibt, dass die Mediengeschichte bislang über Jahrzehnte als Einzelmediengeschichte beschrieben worden sei, ohne andere Medien systematisch in die Analyse eines Mediums mit einzubeziehen (46). Leider geschieht dies in diesem Buch auch nur unzureichend. Das Hauptthema für den Autor bilden die Zuschauerpräferenzen für oder gegen ein filmisches Angebot. Die Rolle des Fernsehens für die Veränderung des Films wurde hierbei von Garncarz nur am Rande beachtet. Viel zu sehr bezieht sich Garncarz auf das Medium Film, betrachtet ein wenig ökonomische und politische Felder, ohne auf etwaige gravierende Veränderungen der Gesellschaft in ihren Brüchen in den jeweiligen Zeiten (Epochen) einzugehen.
Es war der Tonfilm, der den dänischen Filmstar Asta Nielsen (die schweigende Muse) aus den Kinos fegte. Die schnell fortschreitende Urbanisierung mit all ihren Problemen in den 1920ern, die Berlin zu einer unangefochtenen Metropole machte, generierte erst ein Publikum für das Kino, das die Weimarer Republik prägte. Die Emigration vieler deutscher Regisseure und Filmemacher in die USA hat Hollywood enorm beeinflusst. Und die Frage danach, welcher Nation ein Film zuzuschreiben ist (z.B. bei Roland Emmerich oder Werner Herzog), um sie überhaupt in ein Präferenzmuster zu bringen, wurde nicht ausreichend beantwortet. Ebenso die Rolle von amerikanischen Filmserien, wie Dallas (USA 1978-1991) oder Magnum (USA 1980-1988), dem Privatfernsehen und nicht zu allerletzt den Videos auf MTV in Bezug auf die Etablierung von Sehgewohnheiten hätten zu weiteren Erkenntnissen für einen Wandel der Filmpräferenzen führen können.
Weiter gesponnen hätten so auch die neuen Medien Einzug in die Betrachtung der Sehgewohnheiten des Publikums halten müssen: Wie hat YouTube, VoD oder das immer präsente Smartphone die Präferenzen, aber auch die (visuelle) Kultur in Europa verändert? Der Ansatz von Lisa Gitelman (2004, 62), die den technologischen Wandel mit einer sozialen Plastik in Verbindung bringt, käme dem Ansatz von Garncarz, Medienwandel universeller zu verstehen, nahe. Auch die Synergien aus einem Wandel und die Selbstreflexivität der Medien zum Wandel selber (vgl. Thorburn und Jenkins 2004, 3f.) hätten hierzu den Text bereichern können.
Leider hört Garncarz in den 2000er Jahren mit seinen Fallbeispielen sehr früh auf. Dabei gestaltet sich gerade jetzt ein erneuter Wandel, zum einen mit der zunehmenden Digitalisierung von Filmaufnahmen, deren Faszination mit der Star Wars (USA 1978-laufend, Lucas, 1997 mit digitalen Spezialeffekten wiederveröffentlicht) Saga Ende der 1970er begonnen hatte und dem Aufkommen von 3-D Filmen in den Kinos. Auch das Scheitern von Wandel, wie bei 70mm Filmen oder den IMAX Filmen, hätte ein Kapitel verdient gehabt.
Der Titel Medienwandel ist leider irreführend. Es geht Garncarz in seinem Buch nicht um einen Medienwandel. Er bezieht seine Fallstudien selten auf diesen Begriff. Vielmehr beschreibt er eine Evolution der Publikumserwartung im deutschen Kino. Ein Bezug auf dieses eher spezielle Thema im Titel würde zu weniger Irritationen bei der Suche nach dem Medienwandel in den Texten führen.
Fazit
Die einzelnen Fallanalysen im Buch Medienwandel sind interessant zu lesen und verweisen auf Aspekte in der deutschen Filmgeschichte, auf die man selten einen Blick verliert. Besonders in der frühen Geschichte hat der Text seine Stärken. Jedoch verliert sich das Buch in der Beschreibung, so dass es sein Thema »Medienwandel« galant außen vor lässt. Medienwandel ist mehr als der Autor dem Leser hier offenbart. Das Buch wirkt unfertig, bzw. wie ein Exzerpt seiner früheren Veröffentlichungen. Ein wirklicher Bogen wurde nicht geschlagen, die Fallbeispiele hängen lose aneinander, zum Teil nur zusammengehalten von der Chronologie ihrer Anordnung.
Das Buch richtet sich an filmhistorisch interessierte Leser, die mehr über die unterschiedliche Facetten der Geschichte des Kinos in Deutschland lesen möchten. Dass das Buch eher ein Essay ist, sollte der Leser aber stets im Hinterkopf behalten. Mit diesem Wissen ist es spannend zu lesen.
Literatur
- Elsaesser, Thomas (2000) Weimar Cinema and After: Germany´s Historical Imaginary, Psychology Press
- Krüger, Arnd / Murray, William (2003) The Nazi Olympics: Sport, Politics, and Appeasement in the 1930s, University of Illinois Press
- Lisa Gitelman (2004) „How Users Define New Media: A History of the Amusement Phonograph.“ In Rethinking Media Change. ed. by David Thorburn and Henry Jenkins. MIT Press, 61-79
- Thorburn, David/ Jenkins, Henry (2004) Rethinking Media Change: The Aesthetics of Transition, MIT Press
Rezension von
Michael Christopher
Filmwissenschaftler, Theaterwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift manycinemas
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Es gibt 34 Rezensionen von Michael Christopher.
Zitiervorschlag
Michael Christopher. Rezension vom 27.10.2016 zu:
Joseph Garncarz: Medienwandel. UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2016.
ISBN 978-3-8252-4540-5.
UTB 4540.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20602.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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