Livia Prüll: Trans* im Glück – Geschlechtsangleichung als Chance
Rezensiert von Elisabeth Vanderheiden, 26.09.2016

Livia Prüll: Trans* im Glück – Geschlechtsangleichung als Chance. Autobiographie, Medizingeschichte, Medizinethik. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2016. 224 Seiten. ISBN 978-3-525-49011-2. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,50 sFr.
Thema
Livia Prülls Buch stellt einerseits die eigene Biographie bzw. das eigene Erleben der Autorin als transidenter Mensch in den Fokus, liefert aber auch gleichzeitig Ergebnisse der Medizingeschichte und Medizinethik zum Thema Transidentität. Transidentität wird dabei definiert als die fehlende Übereinstimmung von körperlichem und gefühltem Geschlecht. Ansatz des Buches ist ein „practical turn“ in der Wissenschaftsgeschichte, bei dem der Einfluss der eigenen Lebenserfahrung auf die Ausübung von Wissenschaft akzeptiert wird (Klappentext). Die Darstellung berücksichtigt sowohl das eigene Erkennen der Trans*identität wie die Frage nach dem Sinn transidenten Lebens. Die Autorin macht Gleichgesinnten Mut und gibt auch sehr konkrete Hilfestellung. Zugleich bietet die Publikation aber auch Mediziner*innen und Psychotherapeut*innen wichtige Hintergrundinformationen und Hilfestellungen, um mit transidenten Klient*innen adäquat umzugehen, auch erhalten Medizin- und Wissenschaftshistoriker*innen neue Einblicke in die medizinhistorische Relevanz von Transidentität.
Autorin
Livia Prüll ist Professorin für für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Zugleich ist sie eine Trans*frau, also ein „körperlicher Mann, der/die sich als Frau fühlt“ (15). Geboren als Cay Rüdiger Prüll lebt sie seit einigen Jahren als trans*idente Frau.
Aufbau und Inhalt
Neben der Einleitung enthält Livia Prülls Buch fünf weitere inhaltliche Kapitel:
- Ich bin transident – eine Entdeckungsreise beginnt. Die drei Stadien im Umgang mit der Transidentität
- Die konkrete Umsetzung des transidenten Lebens
- Die Einordnung des transidenten Lebens
- Trans* im Glück – Das Ende als Anfang
Ein umfangreicher Anhang weist auf Beratungsstellen und in kategorisierter Form auf relevante Literatur hin. Des Weiteren stellt die Autorin die Texte zur Verfügung, mit denen sie in den unterschiedlichen Lebenszusammenhängen ihr Coming out kommunizierte.
Im ersten Teil des Buches gibt Livia Prüll recht detailliert Auskunft über die Entdeckung der eigenen Transidentität und ihren Weg zu ihrem Wunschgeschlecht. Dabei thematisiert sie persönliche Erfahrungen und Beobachtungen, gibt ebenso praktische Hinweise in Bezug auf die Kleidung, Make up und Frisur, wie Anregungen für die Kommunikation über diesen Entwicklungsweg bzw. das Coming out.
Dabei werden auch die zentralen Begrifflichkeiten definiert, u. a.:
- Transidentität: „jemand, der eine Transidentität hat, fühlt ein anderes Geschlecht, als er körperlich besitzt. Das biologische Geschlecht und der seelische Wunschgeschlecht passen nicht zusammen, sie sind inkongruent.“ (18)
- Crossdresser: Bezeichnung für alle diejenigen, die „ die aufgrund der Transidentität zeitweise die Kleider des anderen Geschlechts anziehen“ (18)
- Transsexuelle: „ dabei handelt es sich ebenfalls um transindente Menschen. Im Unterschied zum Crossdresser wollen diese jedoch dauerhaft im Wunsch Geschlecht leben, entweder als Trans*frau oder als Trans*mann.“ (18)
- Biofrauen, damit sind biologische Frauen gemeint.
- Cis*gender: „Menschen, die nicht transident sind. Das Sternchen bezeichnet wiederum die Vielfalt, in dieser Personengruppe herrscht“ (22).
- Transgender: „Das sind alle diejenigen Menschen, die die sozialen Grenzen der Geschlechter äußerlich und/oder innerlich überschreiten. Es handelt sich sich um einen Oberbegriff, der die transidenten Menschen umfasst, aber auch die vielen anderen genannten Gruppen: TransvestitInnen, schwule Männer in Frauenkleidern, Dragqueens und Dragkings sowie Shemales“ (23).
Im zweiten Kapitel des Buches folgen eher theoretische Ausführungen sowohl zur Geschichte wie zur Ethik von Transidentität, aber auch zum Sinn von Transidentität
Die Autorin selbst versteht ihr Buch: „als eine Art Ratgeber, der mit der eigenen Biographie als Material arbeitet, um Phänomene verständlich zu machen. Die hier beschriebene Zweiteilung des Buches findet dabei ihre Entsprechung im Alltagsleben der Betroffenen und dem transidenten Leben selbst: Gleichgewichtig existieren eine sehr wichtige praktische Seite, die sich mit der Umsetzung, der Außendarstellung, der Performanz der inneren Verfassung auseinandersetzt, und gleichzeitig eine theoretische Seite, die sich mit der eigenen Identität historisch und wissenschaftskritisch gefasst. Dieser Umstand ist systemimmanent.“ (13)
Diskussion und Fazit
Das Buch vermittelt – persönliche und wissenschaftliche – Einblicke in die Erfahrungswelt transidenter Menschen. „Trans* im Glück“ zeigt auf, wie Transidentität als große Chance verstanden werden kann, ein zufriedenes und selbstbestimmtes Leben zu führen und sich konstruktiv in die Gesellschaft einzubringen. Livia Prülls Buch ist wichtig für alle Menschen, die betroffen sind, oder die Menschen zu tun haben, die betroffen sein könnten oder es sind. Aber auch allen anderen bietet „Trans* im Glück“ – der Buchtitel ist natürlich eine Anspielung an das Grimm´sche Märchen vom „Hans im Glück“ – spannende und lehrreiche Einsichten und Informationen!
Rezension von
Elisabeth Vanderheiden
Pädagogin, Germanistin, Mediatorin; Geschäftsführerin der Katholischen Erwachsenenbildung Rheinland-Pfalz, Leitung zahlreicher Projekte im Kontext von beruflicher Qualifizierung, allgemeiner und politischer Bildung; Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu Gender-Fragen und Qualifizierung pädagogischen Personals, Medienpädagogik und aktuellen Themen der allgemeinen berufliche und politischen Bildung
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