William MacAskill: Gutes besser tun (effektiver Altruismus)
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 05.04.2016

William MacAskill: Gutes besser tun. Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können. Ullstein Verlag (München) 2016. 304 Seiten. ISBN 978-3-550-08140-8. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR, CH: 20,50 sFr.
Thema
Bene vivere, euzôia, das gute Leben, wird seit der antiken, anthropologischen Lebenslehre als das existentielle Ziel des anthrôpos, des Menschen, bezeichnet. Eu zên, gut leben, gilt als die Fähigkeit, danach zu streben, im Leben der Menschen mehr als das Notwendigste, nämlich ein sittlich gutes und autarkes Leben zu erreichen. Damit wird ein Ziel angestrebt, das sowohl dafür eintritt, dass jeder Mensch auf der Erde in der Lage ist, seine Grundbedürfnisse zu erfüllen (vgl. z. B. dazu auch die „Bedürfnispyramide“, wie sie von Maslow entwickelt wurde, Abraham H. Maslow, Jeder Mensch ist ein Mystiker. Impulse für die seelische Ganzwerdung, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/16223.php), als sich auch in Wertvorstellungen und Haltungen wie Nächstenliebe, Fernstenliebe, Empathie, Agape… ausdrückt. Wir sind beim Begriff „Altruismus“, mit dem selbstloses, uneigennütziges, nichtegoistisches und auf den Anderen bezogenes Denken und Handeln bezeichnet wird, und das in der idealen Form als Verhaltensweise gilt, die nicht auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung basiert, sondern bei der der Gebende und altruistisch Handelnde zu einer stärkeren Befriedigung und Bestätigung gelangt. Die Auffassung zeigt sich auch im Prinzip „Was mehr wird, wenn wir teilen“, das die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom als ökonomisches Konzept vom Wert der Gemeingüter entwickelte, und für das sie 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt (Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11224.php). Ein Schlüsselwort für eine solche Einstellung stellt auch der Begriff „Solidarität“ dar, wie er etwa im Konzept „Buen Vivir“ des ecuadorianischen Politikers und Ökonomen Alberto Acosta als solidarisches Lastenteilen und Win-Win-Situation bei der ökologischen und nachhaltigen „Yasuni-ITT-Initiative“ in Erscheinung tritt (Alberto Acosta, Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/20598.php).
Entstehungshintergrund und Autor
Der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer gilt als Vertreter des Utilitarismus,Das utilitaristische Grundprinzip lautet: „Handle so, dass die Folgen deiner Handlung bzw. Handlungsregeln für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind“. Es wird also nach utilitas, dem Nutzen einer guten Handlung gefragt. Probleme zeigen sich bei der Frage, wie individueller und kollektiver Nutzen zu werten sind, weshalb sich im philosophischen und ethischen Diskurs verschiedene Varianten und Theorien dieser moralischen Grundposition entwickelt haben; etwa der Präferenzutilitarismus, der nicht, wie die klassische Form nach dem individuellen Glücksempfinden von Individuen, sondern nach deren Interessen und Wünschen fragt. Peter Singer benutzt diese Position in seinem Buch „The Most Good You Can Do“, das in deutscher Sprache in Kürze im Suhrkamp-Verlag mit dem Titel „Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben“ erscheint. Bereits 1972 hat er mit dem Aufsatz „Famine, Affluence, and Morality“ den Grundgedanken des „effektiven Altruismus“ formuliert, nämlich „den maximalen Nutzen des eigenen Handelns zu ermitteln, für die Ärmsten der Welt“.
Der britische Philosoph William MacAskill von der Oxford University nimmt diese Gedanken auf und fragt: „Wie kann ich am meisten bewirken und der größtmöglichen Zahl von Menschen zu einem besseren Leben verhelfen?“. Dabei geht er mit den Mitteln und Möglichkeiten des Big Data, der experimentellen Feldforschung, naturwissenschaftlichen Kontrollverfahren und den Informationen, wie sie leistungsfähige Rechner zur Verfügung stellen (vgl. dazu auch: Ramón Reichert, Hrsg., Big Data. Analysen zum digitalen Wandel von Wissen, Macht und Ökonomie, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17608.php) der Frage nach: „Doing good better. How Effective Altruism Can Help You Make a Difference“ (2015). Das Buch ist nun im Ullstein-Verlag erschienen. Das Ziel klingt erst einmal pragmatisch und effizient orientiert: „Empathie muss sich rechnen. Er will kalkuliert gemeinnützig denken und handeln – nicht für die eigenen Nächsten, sondern für die Ärmsten der Armen weltweit“, so Elisabeth von Thadden, die William MacAskill zu seinem Buch in Oxford interviewt hat (ZEIT LITERATUR, 2016, S. 33ff).
Aufbau und Inhalt
Der Anspruch, die richtigen Fragen zu stellen, um die richtigen, wahren und effektiven Antworten zu bekommen, ist ja ein bewährtes Mittel für kritisches Denken (vgl. dazu auch: Jos Schnurer, Wer philosophiert – lebt, 28.1.2014, www.socialnet.de/materialien/174.php). Altruistisches Denken und Handeln kann dabei in die Falle geraten, Mitgefühl als Schild vor sich herzutragen und dabei die eigenen Wirksamkeiten und Möglichkeiten aus den Augen zu verlieren; wie auch Nützlichkeitsdenken als das einzig wirksame (und rigorose) Mittel zu betrachten. Da ist es schon angebracht, Illusionen von Wirklichkeiten unterscheiden zu können; etwa mit der Rechnung: „Wenn Sie eine 40-Stunden-Woche haben, arbeiten Sie in 40 Jahren genau 80.000 Stunden“. Interessant wird es, wenn man jetzt weiter fragt; etwa: Wie verbringe ich diese Zeit? Steht dabei für mich das „Business as usual“ im Vordergrund, oder das Motiv, „dass wir mindestens einen beträchtlichen Teil unserer Zeit und unseres Geldes aufwenden sollten, um anderen zu helfen“. Wie man die Fallen umgeht, hat tatsächlich etwas mit den Zauberworten Empathie und Solidarität zu tun. Möglich, dass man sich dabei den Vorwurf der indisch-britischen Philosophin Amira Srinivasan einhandelt: „Der Kapitalismus hat sich mal wieder seine stärksten Kritiker einverleibt“. Es kann aber auch sein, dass sich Mitstreiter finden, wie etwa der Oxforder Philosoph Toby Ord, der mit seinen Fragen – „What are the most important issues of our time? How can wie best address them?“ – über global health und global poverty forscht (vgl. dazu auch: Oliver Razum / Hajo Zeeb / Olaf Mueller / Albrecht Jahn, Hrsg., Global Health. Gesundheit und Gerechtigkeit, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/18229.php; Paul Collier, Der hungrige Planet. Wie können wir Wohlstand mehren, ohne die Erde auszuplündern, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/13125.php).
William MacAskill gliedert sein Buch in zwei Teile, die er in zehn Kapitel unterteilt.
In der Einleitung reflektiert er über „Würmer und Wasserpumpen“. Er kommt dem Ergebnis, dass es bei der lobenswerten Einstellung, Gutes zu tun, darauf ankomme, Herz und Verstand einzusetzen, und dabei Opfer- und Gebebereitschaft zu verbinden mit dem guten Gefühl, dass durch effektives Geben das eigene Wohlbefinden nicht beeinträchtigt, sondern sogar gestärkt und befriedigt wird (was sich etwa in der Entscheidung ausdrücken kann, Spenden dafür zu verwenden, um das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen, durch Wurmkuren, zu stärken, und dann erst an die Anschaffung von Wasserpumpen zu denken), Er stellt fest: „Wer im Jahr mehr als 34.000 EUR verdient, gehört zum reichsten Prozent der Weltbürger“. Damit ermutigt er nicht nur die Millionäre und Milliardäre der Welt, sondern viele, viele Menschen auf der Erde; und sogar diejenigen, die weniger Einkommen haben, etwa 16.000 Dollar im Jahr („wie ich“, wie er bekennt) zu begreifen, dass „Sie zu den reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung zählen“. Um diesen Herausforderungen näher zu kommen, formuliert er im ersten Teil die fünf Schlüsselfragen des EA:
- „Wie viele Menschen profitieren davon und in welchem Maß?“
- „Ist dies das Wirksamste, das Sie tun können?“
- „Ist dies ein vernachlässigter Bereich?“
- „Was wäre andernfalls geschehen?“
- „Wie gut sind die Erfolgsaussichten, und wie viel wäre ein Erfolg wert?“.
Im zweiten Teil wird der „effektive Altruismus in Aktion“ thematisiert. Es sind Fragen, die „Gemeinkosten, Managergehälter und anderen verwirrenden Details“ von Hilfsorganisationen und Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit betreffen; wie verlässlich und damit förderungswürdig die Organisationen und Institutionen sind, und welche exzellente Hilfsorganisationen nach den Kriterien von geschätzter Kostenwirksamkeit, Nachweis der Wirksamkeit, Implementierung und Fähigkeit zur Nutzung zusätzlicher Spendengelder aus der Sicht des EA empfohlen werden. Dabei handelt es sich um sieben international vernetzte Initiativen, wie z. B.: „GiveDirectly“, „Development Media International“, „Deworm the World Initiative“, „Against Malaria Foundation“, „Living Goods“, u.a., die er gewissermaßen exemplarisch benennt, weil sie die genannten Kriterien in vorbildhafter Weise erfüllen. Es sind Beispiele, die auf der Frage beruhen: „Wie kann man als Konsument am meisten bewegen?“, etwa durch die Beachtung von Fairtrade-Produkten. Auch die Frage „In welchen Berufen kann man am meisten bewegen?“ steht im Fokus, natürlich verbunden mit dem EA-Credo: „Verdienen, um zu geben“; und nicht zuletzt die Frage nach den Prioritäten, die im individuellen und lokal- und globalgesellschaftlichen Leben eine Rolle spielen. Es sind Herausforderungen, die sowohl ein direktes und effektives, materielles Engagement betreffen, als auch – und hier verweist MacAskill auf ein neues, bisher im Diskurs um globale Gerechtigkeit eher vernachlässigtes Feld -auf zivilgesellschaftliche Fragen, wie etwa eine „Reform des amerikanischen Strafrechts“, zur „Internationalen Arbeitsmobilität“, „Massentierhaltung“, „Klimawandel“. Damit wird noch einmal das Augenmerk gerichtet auf die Veränderungs- und Entwicklungsprozesse, die wegweisen sollen vom Momentanismus, Egoismus und Ethnozentrismus und hin zu einer ganzheitlichen, engagierten Lebensführung, die von der Überzeugung bestimmt ist: „Ich kann und will Gutes tun!“.
Wie also wird man ein effektiver Altruist? Es sind vier Anregungen für den individuellen und gesellschaftlichen Alltag. Sie können dazu beitragen, das eigene Leben zu verändern und damit die Existenz von vielen Menschen lebenswerter und besser machen:
- Machen Sie es sich zur Gewohnheit, regelmäßig zu spenden!
- Machen Sie sich einen Plan dazu, wie Sie den effektiven Altruismus zu einem Bestandteil Ihres Lebens machen werden!
- Schließen Sie sich der Gemeinschaft der effektiven Altruisten an!
- Erzählen Sie anderen vom effektiven Altruismus!
Denn das ist es doch, was Menschsein ausmacht: Die Fähigkeit, den Willen, die Kraft und den Mut, sich in Gemeinschaft mit den Mitmenschen zu verändern hin zu einem humanen Leben für alle Menschen auf der Erde.
Fazit
Ist EA die Rettung aus den Katastrophen, Krisen und Katasteranalysen über den Zustand der Welt? Die indisch-britische Philosophin Amia Srinivasan, gleich jung (28) wie MacAskill, sieht im effektiven Altruismus „Wohlfühldenken von Individualisten“. Es fehle der Theorie eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Institutionen, den nationalen und egoistischen, lokalen und globalen staatlichen Strukturen und Normvorstellungen, um die Ursachen der Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten beseitigen und einen makroökonomischen und -gesellschaftlichen Perspektivenwechsel vollziehen zu können. Ich vermute, dass William MacAskill darauf antworten würde: Wir effektiven Altruisten wollen keine rigorosen Fingerzeige und beanspruchen auch nicht, das Rezept zur Rettung der Welt parat zu haben. Wenn es gelänge, hoffend, spielerisch und effektiv viele Menschen dazu zu bringen, materiell und ideell Gutes besser zu tun, wäre viel für mehr Gerechtigkeit und Friedlichkeit in der Welt erreicht.
So lässt sich aus den Mutmaßungen, Vermutungen und Messen darüber, wie es gelingen könnte, die Menschheit in der Welt zu verändern, auch die Formel bilden:
- EA = Empathie + Solidaraität = Humanität oder
- EA = Effektivität + Zuversicht = Humanität
- EA = Selbstbewusstsein + Wirksamkeit = Humanität
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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