Peter Singer: Effektiver Altruismus
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.04.2016
Peter Singer: Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben. Suhrkamp Verlag (Berlin) 2016. 250 Seiten. ISBN 978-3-518-58688-4. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
Thema
„Handle so, dass die Folgen deiner Handlung bzw. Handlungsregeln für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind.“ Imperative sind Anweisungen, die aufs Ganze gehen! Es sind gebotsähnliche Forderungen mit dem Ziel, bisherige Einstellungen und Verhaltensweisen zu überdenken und gewissermaßen einen Paradigmenwechsel beim gewohnten und geübten Denken und Handeln vorzunehmen. Als klassisches Beispiel gilt dabei das Kantische Paradigma, das als kategorischer Imperativ die Grundlage eines humanen und ethischen Zusammenlebens der Menschen bildet und sich volkstümlich in der Aufforderung ausdrückt: „Was du nicht willst, das man dir tu´, das füg´ auch keinem andern zu!“. Immanuel Kant präzisiert seine „goldene Regel“, indem er den Bogen vom individuellen Denken und Handeln hin zur kollektiven, globalen Verantwortung spannt: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“. Anlässlich des vom Europa-Parlament in Straßburg 1991 durchgeführten Kolloquiums „Das Universelle und Europa“ hat der spanische Europa-Abgeordnete Enrique Barón Crespo den Anspruch nach „Universalität“ dadurch begründet, „weil jeder einzelne von uns tagtäglich die Verantwortung für die Zukunft der Menschheit trägt“ (UNESCO-Kurier7-8/1992, S. 5). In der anthropologischen Lebenslehre wird das Streben der Menschen nach einem guten, gelingenden Leben als eine der wichtigsten, humanen Daseinsbestimmungen betrachtet. Gut zu leben gilt dabei sowohl als individueller, als auch kollektiver, lokaler und globaler Anspruch (vgl. dazu auch: „Woher kommt das Gute?“, 11.8.2015, www.sozial.de / Schnurers Beiträge).
Entstehungshintergrund und Autor
Die im Titel zitierte Aufforderung wird als das utilitaristische Grundprinzip bezeichnet, mit dem eine altruistische Einstellung und Haltung gebunden wird an die Nützlichkeit (und Wirksamkeit) eines guten Handelns. Der britische Philosoph William MacAskiill von der Universität in Oxford nimmt diesen Gedanken auf, indem er fragt: „Wie kann ich am meisten bewirken und der größtmöglichen Zahl von Menschen zu einem besseren Leben verhelfen?“ (William MacAskill, Gutes besser machen. Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/20648.php).
Der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer wird der philosophischen Denkrichtung des Utilitarismus zugeordnet. Mit der Frage nach utilitas, dem Nutzen einer guten Handlung, werden die humanen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten angesprochen, die sich beim Zusammenleben der Menschen als Individuen und Menschheit ergeben. Im philosophischen Diskurs haben sich dabei verschiedene (moralische) Deutungs- und Erklärungsmuster entwickelt, wie z. B. der Präferenzutilitarismus, der nicht, wie die klassische Form nach dem individuellen Glücksempfinden von Individuen, sondern nach deren Interessen und Wünschen fragt. Peter Singer benutzt diese Position in seinem Buch „The Most Good You Can Do“, das nun in deutscher Sprache im Suhrkamp-Verlag mit dem Titel „Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben“ erschienen ist. Er entwickelt darin die Ideen des „do it better“, indem er den Grundgedanken des „effektiven Altruismus“ formuliert, nämlich „den maximalen Nutzen des eigenen Handelns zu ermitteln, für die Ärmsten der Welt“. Peter Singer hat diese Überlegungen bei den „Castle Lectures“ der Universität in Yale 2015 vorgetragen. Die Präsentation der Texte im Buch sind das Ergebnis von vielseitigen Bemühungen, das Nachdenken über das individuelle und kollektive Leben der Menschen unter den Primat des praktischen Philosophierens zu stellen (siehe dazu auch: „Wer philosophiert – lebt!“, 28. 1. 2014, www.socialnet.de/materialien/174.php), und die Überzeugung zu leben: „Wir sollten so viel Gutes tun wie möglich!“, und zwar mit der Überzeugung: Der effektive Altruismus bewegt tatsächlich etwas! Die Lyrikerin Rose Ausländer (1901 – 1988) hat das in einer ihrer Gedichte so ausgedrückt: „Sei was du bist, Gib was du hast“.
Aufbau und Inhalt
Peter Singer markiert die Eigenschaften von effektiven Altruisten und die Bedeutung des effektiven Altruismus (EA), indem er die folgenden Aspekte hervorhebt:
- EA sind Menschen wie du und ich!
- EA ist effektiv!
- EA gibt unserem Leben einen Sinn!
- EA bringt Rationalität und Emotionalität zusammen!
- EA vermittelt eine optimistische Einstellung zum menschlichen Dasein!
Der Autor gliedert das Buch in vier Kapitel.
- Das erste titelt er mit „Effektiver Altruismus“, indem er fragt, was EA ist und wie sie die EA-Bewegung entwickelt hat.
- Im zweiten Kapitel rät er: „Wie man so viel Gutes wie möglich tut“. I
- m dritten diskutiert er „Motivation und Rechtfertigung“, und
- im vierten Kapitel zeigt er auf, wie Zwecke und Organisationen ausgewählt werden sollten.
Anhand von eigenen Erlebnissen, Diskussionen und Reflexionen stellt Peter Singer eine Reihe von Fragen, die sich am Anspruch des EA orientieren und durchaus kontrovers beantwortet werden können; wie etwa: „Was zählt als das Beste?“ und „Zählt das Leid jedes Einzelnen gleich viel?“, oder „Wie steht es mit Werten wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit oder Wissen?“. Die Antworten darauf werden nicht als Rezepte verteilt, sondern beruhen auf dem Grundprinzip, das sich EA gesetzt hat, nämlich: Selbst zu denken und nicht andere für sich denken zu lassen (Karl-Heinz Bohrer). Ein weiterer Rat, der den Aktivitäten der effektiven Altruisten eigen ist: „Bescheiden leben, um mehr zu geben“. Er knüpft an das wachsende Bewusstsein an, dass das eigene Wohl-Haben allein weder Wohlgefühl noch Zufriedenheit schafft, sondern sich die Überzeugung durchzusetzen beginnt, dass „mehr wird, wenn wir teilen“, wie dies die Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften Elenor Ostrom deutlich gemacht hat (Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11224.php).
Kapitalismuskritiker werden Peter Singers Argumentationen, möglichst danach zu streben, viel zu verdienen, um viel geben zu können, nicht als das Ei des Kolumbus halten, um mehr Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Damit aber halten sich die EA nicht groß auf. Das dürfte dann auch eines der Mankos sein, das sich hierbei zwischen effektiven und emotionalen Denk- und Verhaltensweisen auftut. Zwar stellt Singer in seinen Fallbeispielen heraus, dass effektive Altruisten keinesfalls „eiskalte, rationale Rechner“ seien, sondern vielmehr in der Verbindung von Empathie, Emotion, Engagement und Effektivität die optimale Wirkung von EA zu finden sei, doch die (Über-)Betonung des ökonomischen Effektivitätsgedankens nährt diesen Einwand. Bei der Frage, welche Kriterien angelegt werden sollten, um möglichst effektiv tätige Wohltätigkeitseinrichtungen zu unterstützen und ineffektiv tätige Organisationen nicht zu fördern, befinden wir uns auf dem holperigen und eher unbestellten Gelände der Wirksamkeit des Helfens (vgl. dazu auch den kontroversen Diskurs „Hilfe zur Selbsthilfe“, 19.6.2015, www.sozial.de, Schnurers Beiträge). Im Zeichen der staatlichen und privaten Entwicklungszusammenarbeit werden mittlerweile Vorschlagslisten vorgelegt, in denen geprüfte und zertifizierte Einrichtungen aufgeführt sind, für die empfohlen wird zu spenden. Peter Singer nennt insbesondere zwei Initiativen, die die Effektivität und Wirksamkeit von Hilfsorganisationen bewerten: „Give Well“ und „Charity Navigator“. Er seziert deren Auswahlkriterien und zeigt anhand von Studien auf, dass es nicht ausreicht, sich allein auf deren Vorschläge und Listungen zu verlassen; vielmehr komme es darauf an, die eigenen Motive des Helfens und des solidarischen Handelns in den Mittelpunkt der altruistischen Einstellungen zu bringen, um so soviel Gutes wie möglich tun zu können.
Fazit
Die Argumentationen von Peter Singer, wie effektiver Altruismus nicht nur dazu beitragen kann, für eine bessere, gerechtere und friedlichere (Eine) Welt einzutreten, indem der Einzelne so viel wie möglich vom eigenen Wohl-Haben abgibt, sondern auch zu einem besseren, individuellem und gesellschaftlichem, humanem, ethischem Leben führt, sind faszinierend und anregend für die immer wieder notwendigen Fragen: Wer bin ich? – Was soll ich tun? – Was kann ich hoffen?. Das ausführliche Sach- und Namensregister bietet den Leserinnen und Lesern hilfreiche Such- und Nachschlagmöglichkeiten.
Die Betonung der effektiven Altruisten auf die materiellen Notwendigkeiten und Nützlichkeiten bei den Motiven, Gutes besser zu tun, vernachlässigt die gleichfalls notwendige Frage nach dem lokalen und globalen Perspektivenwechsel, wie ihn die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ 1995 postuliert hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“. Einige Lösungsansätze und Antworten finden wir im Sammelband: Hans-Peter Waldhoff / Christine Morgenroth / Angela Moré / Michael Kopel, Hrsg., Wo denken wir hin? Lebensthemen, Zivilisationsprozesse, demokratische Verantwortung, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/19997.php.
Wie reagiert die deutsche altruistische Szene auf die Bücher von William MacAskill und Peter Singer?
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 21.04.2016 zu:
Peter Singer: Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben. Suhrkamp Verlag
(Berlin) 2016.
ISBN 978-3-518-58688-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20649.php, Datum des Zugriffs 04.12.2024.
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