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Marliese Weißmann: Dazugehören. Handlungsstrategien von Arbeitslosen

Rezensiert von Dr. Lea Putz-Erath, 08.07.2016

Cover Marliese Weißmann: Dazugehören. Handlungsstrategien von Arbeitslosen ISBN 978-3-86764-656-7

Marliese Weißmann: Dazugehören. Handlungsstrategien von Arbeitslosen. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2016. 268 Seiten. ISBN 978-3-86764-656-7. D: 37,00 EUR, A: 38,10 EUR.

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Thema

Mit ihrer Studie versucht Weißmann auf knapp 250 Seiten einen besonderen Blick auf arbeitslose Menschen. Nicht deren Status am Rand unserer Gesellschaft interessiert sie, sondern gerade die andere Seite, die Bemühungen der einzelnen, sich in der Gesellschaft zu verorten, einen Platz zu haben und dazuzugehören. Dazu bedient sie sich biographischer Analysen.

Autorin

Marliese Weißmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut (sofi) Göttingen.

Entstehungshintergrund

Das Buch ist die veröffentlichte Dissertationsschrift, die die Autorin 2015 an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig erfolgreich verteidigen konnte. Sie wurde bei der Forschung zu Ihrer Dissertation unterstützt durch ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und war Mitarbeiterin im DFG-Projekt: „Weltsichten in prekären Lebenslagen“ an der Universität Leipzig.

Aufbau

Das Buch gliedert sich in vier Abschnitte:

  1. Zum Problem gesellschaftlicher Zugehörigkeit in der Arbeitslosigkeit
  2. Methodisches Vorgehen
  3. Typische Modi der Inklusion von Arbeitslosen
  4. Diskussion der Ergebnisse: Kampf um Zugehörigkeit und das Problem der Anerkennung.

Diesen vier Abschnitten voran gestellt sind das Abbildungsverzeichnis, das Vorwort und eine Einleitung. Zum Ende der Arbeit, unentbehrlich, das Literaturverzeichnis.

Inhalt

Der erste Abschnitt wird von Weißmann geschickt in drei Teile gegliedert.

  1. Im ersten Teil gibt sie einen ansprechenden und umfassenden Überblick zu den verschiedenen theoretischen Perspektiven auf Inklusion und Exklusion. In- und Exklusion in der soziologischen Systemtheorie, den Ansatz Robert Castels, das Underclassphänomen, Ausgrenzung als Teilhabeproblem (Kronauer) und die „Überflüssigen“ diese fünf Perspektiven beschreibt sie nicht nur, sondern bringt sie in gut nachvollziehbare Vergleichsdimenisonen (S 53).
  2. Im zweiten Teil legt sie mit der Einführung des Verständnisses des Sozialstaats als „gesellschaftlicher Relationierungsmodus“ nach Lessenich (2008), eine wichtige Grundlage für die Studie. Der Sozialstaat wird demnach als Akteur gesehen, der soziale Beziehungen durch seine Programme formt. Mit der Neustrukturierung der Arbeitslosenhilfe durch die Harz Reformen und die Umsetzung des SGBII ist eine „aktivierungspolitische Neuausrichtung“ (S 61) erfolgt, die die Pflichten der Hilfe-(und Arbeits-)suchenden in den Vorder- und Hilfsangebote in den Hintergrund bringe. Die Inklusion in die Grundsicherung des Wohlfahrtsstaats bedeutet unter diesen Vorzeichen, dass, um Ressourcen zu erhalten, Statuszuweisungen und Verhaltensaufforderungen erfolgen.
  3. Marliese Weißmann schließt den ersten Abschnitt mit Ausführungen zur Perspektive der Subjekte auf In- und Exklusion. Das subjektive Zugehörigkeitsgefühl und Exklusionsempfinden wurde in einigen sehr interessanten Studien beforscht, die für das Ziel der Arbeit diskutiert werden. Mit folgenden vier Gesellschaftsbereichen wird die subjektive Zugehörigkeit in Beziehung gebracht:
    1. Sozialraum,
    2. Konsum,
    3. Arbeitswelt und
    4. soziale Netzwerke.

Mit Hilfe von biografischen Analysen will sie Fragen der persönlichen Zugehörigkeitsempfindungen klären.

In Abschnitt Zwei schildert die Autorin das methodische Vorgehen. Die akteurszentrierte Sichtweise soll sich im Forschungsdesign voll widerspiegeln. Es wurde ein qualitativ-fallrekonstruktiver Zugang gewählt. Weißmann nutzte Daten aus biographisch-narrativen Interviews, die für ein DFG Projekt 2008 – 2010 geführt wurden, an dem sie ebenfalls beteiligt war. Die Auswahl des Samples setzt auf schon lange aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossene Personen. Personen zwischen 45 und 63 sowie Arbeitslose unter 25 mit geringer Bildung stellen die zwei Kontrastgruppen dar. Die vollständig anonymisierten und transkribierten Interviews wurden sequenzanalytisch in Anlehnung an die Objektive Hermeneutik analysiert. Darüber hinaus wurden in Anlehnung an die Grounded Theory Kategorien gebildet. Dieses zweidimensionale Vorgehen führt zu besonders dichten Dimensionen und Typen. Theoretische Konzepte wurden sensibilisierend eingesetzt: Die Unterscheidung von Leistungs- und Publikumsrollen, sekundären Leistungsrollen (Burzan, Stichweh) sowie Prozessstrukturen des Lebenslaufs (Fritz Schütze).

„Typische Modi der Inklusion von Arbeitslosen“ titelt den dritten Teil der Studie. Er nimmt mit ca. 140 Seiten eine dem „Ergebnisteil“ einer Arbeit entsprechend breiten Raum ein. Marliese Weißmann arbeitet aus den Daten zwei Dimensionen: – subjektive Zugehörigkeitsdeutungen, also Konzepte von Selbst und Gesellschaft und – Praktiken der Zugehörigkeitsherstellung. Und forscht mit folgenden Fragen: „Wie verorten sich Arbeitslose in ihrer sozialen Umwelt? Auf welche Bezugsgrößen richtet sich die Zugehörigkeit?“ (S 105). Daraus entstehen im Ergebnis vier Modi der Inklusion:

  1. der Modus der Normalisierung,
  2. der Modus des Prozessiertwerdens,
  3. der Modus der Statusnivellierung und
  4. der Modus der Selbstermächtigung.

In der Ausführung widmet sich Weißmann zu jedem Modus ausführlich den Daten. Wobei sie zunächst jeweils ein oder zwei typische VertreterInnen aus den Fällen vorstellt und an Hand dieser die Eigenschaften des Modus ansprechend darstellt. In weiterer Folge kontrastiert sie die ausführlichen Fälle mit weiteren Fällen, auf die sie nur noch stellenweise eingeht. Zu jedem Modus schließt sie mit einer Diskussion der Ergebnisse. Abschließend finalisiert sie die Auswertungen mit einem „Typentableau“ (Abbildung 6 S 236). Im Modus der Normalisierung fokussieren die Betroffenen auf ihre Normalität. Sie strengen sich an (z.B. durch bewusst gewählte Kleidung oder gestaltete Beziehungen) trotz Arbeitslosigkeit von Anderen als „Normal“ gesehen zu werden. Im Modus des Prozessiertwerdens orientieren sich die Individuen mit ihren Bemühungen um Inklusion nach Außen. D.h. in ihrem hierarchischen Gesellschaftsbild obliegt es anderen (z.B dem Jobcenter) ihnen zu einer höheren gesellschaftlichen Position zu verhelfen, da sie selbst die Mittel dazu nicht haben. Der Modus der Statusnivellierung führt dazu, dass die Akteure sich selbst etwas weiter unten im Status sehen und sich gleichzeitig an bestimmten Punkten (z.B. durch Nähe zu öffentlich bekannten Personen) sozial aufwerten. Diese Personen nützen dazu auch (nicht immer) virtuelle Welten. Der Modus der Selbstermächtigung fasst Akteure zusammen, die versuchen für ganz bestimmte spezielle Kompetenzen, Wissensbereiche, in der Gesellschaft Anerkennung zu finden. Arbeit abseits der Erwerbsarbeit spielt für sie eine Rolle (z.B. durch Leistungsrollen im Ehrenamt).

So zeigt die Autorin ein Bild von Akteuren, wie sie sie nennt, die auf verschiedenen Wegen versuchen Anschluss an die Arbeitsgesellschaft zu halten/wieder zu bekommen, obwohl sie schon lange Jahre davon ausgeschlossen werden. Im abschließenden vierten Teil diskutiert sie die Relevanz dieser Befunde. Dabei fasst sie die „eigensinnige[n] Inklusionsleistungen“ (S 242) noch einmal zusammen und hebt noch einmal die aktive Rolle der Akteure hervor. Diesen aktiven Leistungen sei soziale Anerkennung entgegen zu bringen, damit soziale Exklusion nicht weiter gefördert werde.

Diskussion

So eine Dissertation hätte ich auch gerne geschrieben. Der Literaturteil kompakt, klar, verständlich aber nicht banal, die Ergebnisse in sich stabil, fachlich sehr interessant und voller Respekt für die Subjekte der Forschung, so präsentiert sich dieses Buch. Eine Empfehlung für DoktorandInnen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Aber natürlich ebenfalls für alle KollegInnen der Wissenschaft, die zum Thema arbeitslose Menschen forschen und eine Ergänzung zu dem oftmals negativen Bild suchen.

Fazit

Die Dissertation von Marliese Weißmann ist eine wertvolle Ergänzung in der Forschung zu arbeitslosen Personen. Sie beantwortet die Frage, ob und wie sich schon lange vom Arbeitsmarkt ausgeklammerte Akteure um gesellschaftliche Inklusion bemühen. Dabei richtet sie den Blick auf die Biografien der Akteure in einer qualitativen Studie. Narrative Interviews werden angelehnt an die Objektive Hermeneutik und die Grounded Theory ausgewertet. Ergebnis ist eine Kategorisierung von vier Modi der Inklusion, die anschaulich mit Datenmaterial unterlegt wird. Im theoretischen Vorbau der Arbeit zeigt die Autorin einen guten Überblick zum Thema „Exklusion“ und der Rolle des Sozialstaats.

Rezension von
Dr. Lea Putz-Erath
Geschäftsführerin femail – Verein für Frauenberatung und zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, AT
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Es gibt 21 Rezensionen von Lea Putz-Erath.

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Zitiervorschlag
Lea Putz-Erath. Rezension vom 08.07.2016 zu: Marliese Weißmann: Dazugehören. Handlungsstrategien von Arbeitslosen. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2016. ISBN 978-3-86764-656-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20664.php, Datum des Zugriffs 11.11.2024.


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