Jan Arendt Fuhse: Soziale Netzwerke
Rezensiert von Dipl. SozPäd / Dipl. Päd. Detlev Lindau-Bank, 20.12.2016
Jan Arendt Fuhse: Soziale Netzwerke. Konzepte und Forschungsmethoden.
UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2016.
250 Seiten.
ISBN 978-3-8252-4563-4.
D: 19,99 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 25,30 sFr.
Print und EPUB kombiniert: 23,99 €.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8252-4981-6 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Im Zentrum des Buches stehen Forschungskonzepte, Methoden und Techniken der Netzwerkforschung. Dabei liegt der Fokus auf der sozialwissenschaftlichen, empirisch orientierten Netzwerkforschung, die soziale Strukturen mit Blick auf die Beziehungsgeflechte zwischen den beteiligten Akteuren untersucht. Der Autor will die gesamt Bandbreite der Netzwerkforschung abbilden und damit eine Lücke schließen, die die meisten Einführungsbücher zu diesem Thema hinterlassen.
Auf Grund der in den letzten Jahren erweiterten sprachlichen Verwendung des Begriffs „Soziale Netzwerke“ im Sinne von Online-Diensten, die eine virtuelle Kommunikationsplattform anbieten, muss wohl vorausgeschickt werden, dass diese nicht thematisiert werden. Auch werden Forschungsergebnisse weder referiert noch diskutiert, sondern als nur als Beispiele zur Veranschaulichung der Forschungskonzepte und Methode referiert.
Der Autor versteht sein Buch als Lehrbuch, das aus einem Studienbrief für die TU Kaiserslautern entstanden ist. Entsprechend ist das Buch mit einem einem klaren und hilfreichen Sachwortregister sowie einem Glossar ausgestattet, das die wichtigsten im Buch verwendeten Begriffe erläutert. Für die forschungspraktischen Kapitel hat der Autor sechs Übungsaufgaben mit Lösungen bereitgestellt. Alle Kapitel werden mit Leseempfehlungen für eine vertiefende Beschäftigung mit den jeweils besprochenen Themen abgeschlossen.
Autor
PD Dr. Jan Arendt Fuhse ist als Heisenberg-Stipendiat am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin im Lehrbereich Makrosoziologie tätig. Seit 2014 ist Fuhse Sprecher der Sektion für Soziologische Netzwerkforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
Aufbau und Inhalt
Im einführenden 1. Kapitel bietet der Autor an, soziale Netzwerke im interaktionstheoretischen Sinn als Muster an Sozialbeziehungen zwischen Akteuren zu verstehen. Dadurch werden Handlungen im Sinne von Verhalten, Verhaltenserwartungen und Erwartungserwartungen zwischen den Akteuren empirisch zugänglich. Davon ausgehend kennzeichnet der Verfasser die Netzwerkforschung als eine prinzipiell strukturalistische Vorgehensweise auf der Meso-Ebene, die individuelles Verhalten als Erklärung oder Folge von Netzwerkpositionen auf der Mikro-Ebene empirisch untersucht und durchaus gesellschaftliche Kontexte, also die Makro-Ebene ausblendet bzw. nachrangig berücksichtigt.
Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Verständnisses leitet Fuhse vier Forschungsstränge ab, die insbesondere durch das verwendete Forschungsinstrumentarium gekennzeichnet sind:
- Formale Analyse von Netzwerken,
- statistische Analyse,
- Qualitative Analyse,
- Theoretische Reflexion.
Im zweiten Kapitel werden aber zunächst die Ursprünge der Netzwerkforschung von der formalen Soziologie über den symbolischen Interaktionismus, der Soziometrie bis zur britischen Sozialanthropologie in den Blick genommen und gleichzeitig die Bedeutung der strukturellen Betrachtung von sozialen Phänomenen als Grundlage für die Netzwerkforschung hervorgehoben. Dieses Kapitel ist eine gelungene, wenn auch sehr voraussetzungsreiche Einordnung in die Tradition der Netzwerkforschung.
Die formale Analyse von sozialen Netzwerken ist für das vorliegende Buch zentral ist und wird in den Kapiteln 3 bis 7 behandelt. Hier wird in soziometrische Verfahren eingeführt und schrittweise erklärt wie man Netzwerke in Graphen, Matrizen und Blockmodellen darstellen, messen und analysieren kann. Dazu nutzt der Autor die Software UCINET, die kostenpflichtig ist und darüber hinais leider nur für das Betriebssystem Windows programmiert wurde und auf Mac-Computern nur mit Hilfe von Emulator-Programmen wie Parallels läuft. Die sechs Übungsaufgaben sind hilfreich, aber benötigen zum Teil Datensätze die nur mit dem Programm UCINET zugänglich sind. Auch ist nicht verständlich, warum man für die Musterlösungen eine webseite des Verlages UTB aufrufen muss, wo die Lösungen auf sechs Seiten in einem pdf-file angeboten werden. Diese sechs Seiten hätte man durchaus im Anhang des Buches aufnehmen können. Hier zeigt sich der Ursprung des Buches. Für einen Studienbrief mag es sinnvoll sein, mit Übungsaufgaben zu arbeiten und daran das eigene Verständnis für die Anwendung des Programms zu überprüfen und möglicherweise mit den Dozenten zu besprechen. Als Lehrbuch für die isolierte Lektüre ohne Anbindung an ein Seminar ist eher ein zu vernachlässigendes Angebot.
Ab dem 7. Kapitel verändert sich der Charakter des Buches. Es werden nicht mehr Methoden detailliert vorgestellt und angeleitet, sondern es wird ein Überblick über die Forschungsansätze, Methoden und Instrumente geleistet. Im Zentrum dieses Kapitels steht die Analyse von Small-World-Netzwerken und Netzwerksimulationen, die ein vertieftes Verständnis für die Netzwerkmechanismen ermöglicht und die formale Analyse von Netzwerken abrundet.
Als zweiter Forschungsstrang wird in Kapitel 8 die quantitative Erhebung von Daten und statistische Analyse zur Erklärung von Beziehungsmustern und Netzwerkeffekten thematisiert. Diese Verfahren beziehen sich auf ego-zentrierte Netzwerke und eignen sich insbesondere für die Erklärung von individuellen Verstrickungen in persönliche Beziehungsnetzwerke.
Der dritte Forschungsstrang rekurriert auf qualitative Erhebungsmethoden zum Verständnis von Sinngehalten in Netzwerken und den kommunikativen Aushandlungsprozessen (Kapitel 9). Dabei werden die qualitativen Verfahren wie teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews oder Dokumentenanalyse in ihrer explorativen Funktion im Zusammenhang mit der formalen Netzwerkanalyse oder in ihrer verstehenden Funktion im Sinne von ethnographischen Studien eingeordnet.
Im 10. Kapitel geht Fuhse auf Netzwerkmechanismen ein, deren Untersuchung er verschiedenen Forschungssträngen zuordnet. Diesen Bruch in der Aufbaulogik des Buches erklärt er mit der Unterscheidung von Grundlagenforschung, die er als theoretische Reflexion in Kapitel 11 bespricht und theoretischer Modellierung von Netzwerken, die durch das Erforschen von netzwerkimmanenten Mechanismen wie zum Beispiel in Simulationen deutlich wird.
Als vierter Forschungsstrang versteht Fuhse die theoretische Reflexion, die er als systematische Unterfütterung der Netzwerkforschung versteht, die zum einen konsistente theoretische Konzeptionen von sozialen Netzwerken liefert und zum anderen das Verhältnis der sozialen Netzwerke (Meso-Ebene) zur Mikro- und Makroebene klärt (Kapitel 11). Dazu bezieht der Autor sich auf die Handlungstheorie, um Netzwerke als ermöglichende und einschränkende strukturelle Bedingung für Handeln zu erklären. Mit Bezug auf kulturtheoretische Ansätze, insbesondere dem Sozialkapitalkonzept werden Netzwerke als Ressource und mit systemtheoretischem Blick als Funktionssystem verstanden. Mit Rekurs auf die relationale Soziologie werden Sinnstrukturen und Identitätsbildung thematisiert. Die Akteur-Netzwerk-Theorie obwohl vom Autor selbst als nicht zur Unterfütterung empirischer Netzwerkforschung gedacht, wird abschließend erwähnt. Dies ist sicher dem Anspruch des Autors auf Vollständigkeit geschuldet, hinterlässt aber den Eindruck, dass der Forschungsstrang „Theoretische Reflexion“ mehr der Rahmung dient.
Im abschließenden zwölften Kapitel werden Hinweise für das Design von Forschungsprojekten gegeben, die sehr allgemein gehalten sind, sich aber gut als Zusammenfassung des Buchinhaltes eignen.
Fazit
Das Buch wird seinem Anspruch als Lehrbuch gerecht, das von einem erfahrenen Netzwerkforscher angeboten wird. Wer einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der Netzwerkforschung sucht, sei es, um sich in Forschungsmethoden einzuüben oder eine Entscheidungshilfe für die Gestaltung eines Forschungsdesigns braucht, wird hier fündig. In diesem Sinne ist es nicht nur ein Lehrbuch für Studierende, sondern auch ein hilfreiches Kompendium für Forscherinnen und Forscher.
Rezension von
Dipl. SozPäd / Dipl. Päd. Detlev Lindau-Bank
Wiss. Mitarbeiter
ISBS-Soziale Arbeit
Universität Vechta
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Es gibt 1 Rezension von Detlev Lindau-Bank.
Zitiervorschlag
Detlev Lindau-Bank. Rezension vom 20.12.2016 zu:
Jan Arendt Fuhse: Soziale Netzwerke. Konzepte und Forschungsmethoden. UVK Verlagsgesellschaft mbH
(Konstanz) 2016.
ISBN 978-3-8252-4563-4.
Print und EPUB kombiniert: 23,99 €.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20665.php, Datum des Zugriffs 13.10.2024.
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