Hanna Skrzypek-Schnitzler, Hans Ulrich Schmidt u.a.: Der Körper in der Musiktherapie
Rezensiert von Prof. Hartmut Kapteina, 05.07.2016

Hanna Skrzypek-Schnitzler, Hans Ulrich Schmidt, Tonius Timmermann: Der Körper in der Musiktherapie. Dr. Ludwig Reichert Verlag (Wiesbaden) 2016. 200 Seiten. ISBN 978-3-95490-098-5. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Thema
Diese Publikation hat in der Hauptsache historischen Charakter. Der Schwerpunkt liegt auf einer Darstellung von 13 körperorientierten Richtungen in der Psychotherapie (von Atemlehre und Atemtherapie über Funktionelle Entspannung, Feldenkrais Lehre, Biogenetische Analyse bis zur Tanztherapie und Bewegungsanalyse) und einer Untersuchung der Frage, wie sich diese Körperbezogenen Ansätze bei verschiedenen Musiktherapie-Repräsentanten im Verlauf des vorigen Jahrhunderts niedergeschlagen haben.
Entstehungshintergrund
Die Veröffentlichung ist im Anschluss an eine Wissenschaftliche Tagung zum selben Thema im Februar 2015 erstellt worden und schließt mit kurzen Abstracts verschiedener dort gehaltener Vorträge.
Aufbau und Inhalt
Der Hauptteil des Buches (153 Seiten) wird von Hanna Skrzypek besorgt, einer Doktorandin an der Universität Augsburg. Ihre „Doktorväter“ Tonius Timmermann und Hans Ulrich Schmidt steuern jeweils einen begleitenden Beitrag über „theoretische und praxeologische Aspekte“ und den „Umgang mit dem Körper in der verbalen Psychotherapie“ bei.
Im Hauptteil der Publikation werden die 13 genannten körperorientierten Richtungen in der Psychotherapie besprochen, ihre jeweiligen Begründer genannt und die Leistungen gewürdigt, die sie in ihrer Zeit hervorgebracht haben. Hinweise auf Musiktherapeuten, die sich von ihnen besonders inspirieren ließen, werden an dieser Stelle bereits gegeben.
Fünf Anschlusskapitel werden der anthropologischen und Psychosomatischen Medizin gewidmet (Viktor von Weizsäcker) sowie „philosophisch-leibphänomenologischen Einflüssen“, der Gestalttherapie (u.a. Fritz Perls), der Integrativen Therapie (Hilarion Petzold) und der Säuglingstherapie (u.a. Daniel Stern).
So kann sich der Leser das breite Spektrum von psychotherapeutischen Ansätzen im 20ten Jahrhundert vergegenwärtigen, bei denen dem Körper des Menschen bzw. seiner Leiblichkeit besonders Rechnung getragen wird.
Auf dieser Grundlage entwickelt die Autorin eine „Genealogie der Musiktherapie“, indem sie darstellt, wie sich die vielen unterschiedlichen Richtungen der Musiktherapie bzw. ihre Repräsentanten im vorigen Jahrhundert von körperorientierten Arbeitsansätzen haben beeinflussen und inspirieren lassen. Als Quellen dienen hierbei Interviews, Telefonate und Emails mit Zeitzeugen.
Diskussion
Sowohl in der historisch orientierten Behandlung des Themas von Skrzypek als auch in den zugeordneten Kommentaren von Timmermann und Schmidt werden viele interessante Aspekte zusammengetragen; zum eigentlichen Kern des Zusammenhangs zwischen Musik-Erfahrung und körperlichem Erleben dringen die Autoren jedoch kaum vor.
Wer über Jahrzehnte lang Musiktherapie mit Patienten in Psychiatrischen Einrichtungen hinter sich hat und auch heute noch regelmäßig Berichte von Musiktherapeuten über Erfahrungen mit ihren Patienten erhält, wird im vorliegenden Buch vergeblich suchen, was Musiktherapie als bahnbrechende Errungenschaft in der modernen Psychotherapie ausmacht: die bio-psycho-soziale Einheit des Menschen, der Musik macht oder erlebt. Der Körper ist nicht (irgendwie) „in der Musiktherapie“ vorhanden, nein, Musiktherapie ist Körpererfahrung. Das Spiel an und mit den Instrumenten ist Körperbewegung, Handlung und Ausdruck, Haltung, Spannung und Entspannung; das Hören der Klänge verändert den Zustand des Körpers unmittelbar, und lässt die psychosozialen Themen des Patienten in neuem Licht erscheinen.
Viele Fragen, die klinische Praktiker dringend interessieren, sind diesen Gegebenheiten implizit: Wie kommt es zur Wahl des Musikinstruments, das der Patient wählt, um seine Not musikalisch darzustellen; wie bilden sich die psychosozialen Themen und Nöte in den Handlungen an und mit dem Instrument ab, in Körperhaltung, Mimik, Gestik, Haptik usw.? Welche Wirkungen resultieren daraus und welche neuen Handlungsperspektiven?
Außerdem: Wie korrespondiert die Musikwirkung mit der körperlichen Wirkung von Medikamenten (insbes. Neuroleptika oder Antidepressiva) oder im Kontext des klinischen Umfeldes?
Fazit
Viele Fragen stehen im Zusammenhang mit dem „Körper in der Musiktherapie“ und warten auf die gründliche Erforschung. Der Titel des Buches hält aber nicht, was er verspricht. Es ist eine abgehobene, akademische Erörterung von historischen, „theoretischen und praxeologischen“ Gegenständen, die aber, wenn überhaupt, nur ansatzweise Themen der musiktherapeutischen Praxis in der klinischen Realität berührt.
Rezension von
Prof. Hartmut Kapteina
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Zitiervorschlag
Hartmut Kapteina. Rezension vom 05.07.2016 zu:
Hanna Skrzypek-Schnitzler, Hans Ulrich Schmidt, Tonius Timmermann: Der Körper in der Musiktherapie. Dr. Ludwig Reichert Verlag
(Wiesbaden) 2016.
ISBN 978-3-95490-098-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20669.php, Datum des Zugriffs 31.01.2023.
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