Hamid Reza Yousefi, Ina Braun (Hrsg.): Interkulturelles Handbuch der Kulturwissenschaften
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel, 09.06.2017
Hamid Reza Yousefi, Ina Braun (Hrsg.): Interkulturelles Handbuch der Kulturwissenschaften. Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Verlag Traugott Bautz (Nordhausen) 2016. 519 Seiten. ISBN 978-3-88309-988-0. D: 100,00 EUR, A: 102,90 EUR.
Thema
Das „Handbuch“ von Yousefi/Braun versteht sich als Hilfe für interkulturelle Kommunikation; es geht nicht von einer bestimmten Kultur aus, sondern von der Gleichberechtigung der Kulturen und dem gegenseitigen Respekt im Umgang miteinander.
Herausgeber
Hamid Reza Yousefi lehrt an der Universität Koblenz-Landau und hat die Forschungsstelle für Interkulturelle Philosophie mitbegründet. Geboren wurde er 1967 in Teheran, dort auch Schulausbildung; dann Philosophie- und Pädagogikstudium in Trier, Dissertation: ‚Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings – Eine interkulturelle philosophische Orientierung‘. 2005 erscheint ‚Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen. Das Islambild im christlichen Abendland‘; 2010 erfolgt die Habilitation mit ‚Interkulturalität und Geschichte. Perspektiven für eine globale Philosophie.‘ Seit 2011 ist Yousefi Leiter des Instituts zur Förderung der Interkulturalität.
Als zweite Herausgeberin wird Ina Braun genannt.
Autoren
Das „Interkulturelle Handbuch“ verzeichnet keine Autoren; es gibt auch keine Autorenliste. Allerdings werden auf der Titelseite (S. 3) mit dem Hinweis „unter Mitwirkung von“ dreizehn weitere Namen genannt. Vermutlich stammt ein großer Teil der zentralen Lemmata von Yousefi; sie enthalten jedenfalls jeweils Hinweise auf seine Veröffentlichungen.
Aufbau und ausgewählte Inhalte
Das einleitende „Vorwort“von Yousefi/Braun beginnt mit einem Loblied auf die Sprache: „Worte sind konservierte Denkleistungen… Wir möchten so weit gehen und annehmen, dass Sprache die zentrale Säule der Kultur, ihres Erhalts, ihrer Entwicklung und ihrer Weitergabe darstellt.“ (7) „Die Beachtung von begrifflichen Kontexten ist daher eine unverzichtbare Grundlage der Völkerverständigung, die ein kulturwissenschaftliches Wörterbuch notwendig werden lässt.“ Dabei will das vorliegende Buch „im Geiste einer dialogischen Verständigung Brücken bauen und interkulturelle Bildung fördern“ (8), wobei „kultur- und kommunikationsrelevante Begriffsapparate integriert sind.“ (9)
Das dann folgende eigentliche „Handbuch“ unterteilt nicht, wie der Untertitel nahe legt, in „Grundlagen und Schlüsselbegriffe“, sondern zeigt sich nach dem kurzen Vorwort (7-10) als alphabetisch geordnetes Wörterbuch (11-518). Dabei erstrecken sich einige zentrale Artikel über mehrere Seiten; viele Einträge umfassen weniger als eine halbe Seite; insgesamt werden schätzungsweise 800 Begriffe behandelt – zum Teil bekannt, vielfach unbekannt, beginnend mit „Aberglauben“, also einem Phänomen, das in unterschiedlichen Kulturen, Zusammenhängen und Bedeutungen zu finden ist und zumindest unterschiedliche Schattierungen aufweist, endend mit einem speziellen Begriff aus der indischen Mythologie: „Zwölf Nidanas“. Dabei verwirrt das (zunächst unverständliche) Wort „Sinn-Staube“ (518). Erst die Erinnerung an die griechische Atomistik hilft: gemeint sind wohl Materiepartikel, die die Sinneswahrnehmung gleichsam transportieren, stimulieren, ermöglichen. Eine nächste Verwirrung erfolgt durch das Adjektiv „vilotionell“, das ich nicht aufklären kann. Überdies werden eine Reihe anderer Bezeichnungen zur Erläuterung der Nidanas verwandt, die im „Handbuch“ nicht weiter erklärt werden.
Im Wörterbuch dominieren Sachbegriffe; es gibt keinen Artikel zu Personen. Unter Buddhismus (113f) findet sich einiges über Buddha, unter Konfuzianismus (293f) einiges zu Konfuzius. „Mohammad – Ale-Mohammad ist ein anderer Ausdruck für ‚Geschlecht Mohammads‘. Mohammad bedeutet wörtlich ‚Vielgelobter‘. Eine besondere Rolle kommt dem Geschlecht des Propheten Mohammad zu, welches sich durch seine Tochter Fatima und ihren Gemahl Ali fortsetzt. Nichtsdestotrotz ist der Baum dieses Geschlechts nicht allein durch diese Blutlinie begründet, sondern auch durch eine Lichtlinie, also eine geistige und spirituelle Verbundenheit..“ (347).
Deutlicher Schwerpunkt des Wörterbuchs ist die „Philosophie“ (388), dem Grundlemma folgen Philosophiedidaktik; Philosophie, afrikanische; Philosophien, asiatische; Philosophien, europäisch-westliche; Philosophie, indische; Philosophie, interkulturelle; Philosophie, islamische bzw. Al falsafa-I-islamiya; Philosophie, lateinamerikanische; Philosophiegeschichtsschreibung (388-394); dazu kommen, an anderer Stelle eingeordnet: „A posteriori“, „A priori“, „kategorischer Imperativ“, „Kinderphilosophie“, „Geschichtsphilosophie“, „Dàodéjing oder Laozi“, „Dào Tong“, „Dasein“, „Dé“ und viele andere, darunter ein ausführlicher Artikel zu „Ethik“ (175-181) und eine knappe Erläuterung zu „Akhlaq“, dem „koranischen Ausdruck für Ethik“ (36). Als Beispiel zitiere ich aus dem Lemma „Denken … Denken hat vielerlei Dimensionen. Diese können totalitär, autoritär, extrovertiert oder introvertiert sein. Sie können aber auch mutig oder ängstlich sein. Es gibt neben scharfem bzw. logischem Denken auch ein edles, kühnes, großartiges, kleinliches, linkes, rechtes oder feministisches Denken. Es erzieht den Menschen, Erziehung wiederum schult das Denken…“ (131). Dazu erfolgt als „Literaturhinweis: Yousefi: Die Bühnen des Denkens. Neue Horizonte des Philosophierens, Münster 2013.“ (131)
Deutlich wird hier, wie das Buch immer wieder erzieherisch-pädagogische Intentionen verfolgt, wie es versucht, interkulturelle Gespräche und Begegnungen zu erleichtern, zu entwickeln; wie es versucht zu klären, welche Einstellungen, Ausdrucks- und Verhaltensweisen förderlich sind, wie sich eine Gesprächskultur entwickeln lässt. Das Handbuch ist also mehr als eine Informationsquelle; es sucht nach den Möglichkeiten einer verbesserten, d.h. einer bedächtigen, behutsamen, bewussten Kommunikation. Dazu vier Beispiele:
„Exotisierung ist eine eigentümliche und befremdende Beschreibung des Anderen, die eine Art von unreflektiertem Rassismus darstellt.“ (196)
„Hermeneutik ist die Lehre des Verstehens bzw. des Auslegens… ‚Apozyklische Hermeneutik‘ ist eine Interpretations- und Verstehensmethode, die restaurativ-reduktiv verfährt. Sie beschränkt sich auf Selbsthermeneutik und betrachtet andere Denkformen nur aus der eigenen Perspektive heraus… ‚Interkulturelle Hermeneutik‘ ist ein methodisches Regelwerk des Verstehens, der Auslegung und der Erklärung von Texten, Kunstwerken und Zusammenhangsstrukturen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, in denen es um das Wechselverhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen geht.“ (246 f)
„Horizontüberlappung ist ein zentraler Begriff der Kommunikation auf jedwedem Gebiet. Eine Kommunikation kann echte Verständigung herbeiführen, wenn die Akteure bemüht sind, Gemeinsamkeiten und Differenzen gleichermaßen zu identifizieren und vor allem Überlappungen bzw. Schnittmengen zu suchen. Je mehr sich die Meinungen der Akteure überlappen, desto schneller kann eine gedeihliche Verständigung erfolgen. In der Kommunikation geht es also stets um eine Horizontüberlappung. Insofern ist sie ein Gegensatzpaar“ (gemeint ist: bildet sie einen Gegensatz) „zu der Horizontverschmelzung.“ (251)
Und negativ: „Indoktrination bedeutet eine systematische und bewusste Strategie, mit der Inhalte und Werte einer Doktrin eingesetzt werden, um das menschliche Verhalten auf ganz bestimmte Weise zu formen und zu prägen… eine besonders vehemente, keinen Widerspruch und keine Diskussion zulassend Belehrung.. Ein wesentliches Merkmal bzw. ein zentrales Instrument der Indoktrination ist die Propaganda.“ (260)
Umfangreich und differenziert werden auch Themen aus Musik (353 ff) und Pädagogik (381 f) behandelt.
Diskussion
Die Informationen sind vielfach klar, präzise, verständlich; manchmal ersticken sie, insbesondere bei Informationen aus dem chinesischen Kulturraum, in einer Vielzahl von schwer- oder gar unverständlichen Namen und Begriffen. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Verweise gibt; es ist also nicht klar, ob an anderer Stelle weitere bzw. ergänzende Informationen zu finden sind.
Unterschiedlich behandelt werden auch Gegensatzpaare; „Epimetheus“ (164) und „Prometheus“ (400) sind getrennt; auch heilig und profan: „Heilige, das ist der Gegenbegriff zu profan..“ (244), „Profanität … ist eine Bezeichnung, die alles Materielle, zu dem auch die materialisierte Transzendenz gehört, umfasst.“ (399).
„Yin und Yang“ werden in einem Artikel behandelt (512); zusätzlich gibt es „Yi-Yang“ (511).
Noch komplizierter bei Ich und Du. Es gibt ein Lemma „Dualismus“ (149), kein Lemma „Du“, aber ein Lemma „Ich“: „Ich bezeichnet das Subjekt des Denkens, Handelns und Wollens im Gegensatz zum unbewussten Personenbereich… Das Ich-Du-Verhältnis entsteht, wenn das Ich einer Person aufgrund ihrer geistigen Blickfähigkeit das Ich einer anderen Person erblickt.“ (253) Erst der „Literaturhinweis“ nennt „Buber, Martin: Das dialogische Prinzip“ (254).
Der „Teufel ... in der Regel als der Gegensatz zum guten Geist oder der guten Geister verstanden“ (460) wird für sich behandelt; „Geister gibt es in den Mythologien praktisch aller Kulturen“; der weitere Text behandelt dann seltsamer Weise sehr schnell den Begriff „Geistesgeschichte“ (220); ein Lemma „Engel“ gibt es nicht, „Götter“ oder „Gott/Gottesvorstellung“ auch nicht, wohl aber „Götzendienst“ (236).
Fazit
Zweifellos ist ein „Interkulturelles Handbuch der Kulturwissenschaften“ nicht nur wichtig, sondern notwendig. Die „Welt“ ist in der Gegenwart noch näher aneinander gerückt, zugleich von Kontroversen zerrissen [1]. Das vorliegende interkulturelle Handbuch von Yousefi/Braun stellt eine Fülle von nützlichen Informationen zur Verfügung, es formuliert überdies eine klar pädagogisch-aufklärerische Position. Es hat freilich seine optimale Form noch nicht gefunden. Für eine hoffentlich bald notwendige Neuauflage sollten zumindest Verweise eingefügt, Autoren genannt und eine Reihe kleinerer Ungenauigkeiten eliminiert werden. [2]
[1] Es gibt im Interkulturellen Handbuch kein Lemma „Welt“, wohl aber Weltanschauung, Weltbild, Weltbürgertum, Weltethos (mit Bezug auf Hans Küng), Weltgesellschaft, Weltkultur, Weltmusik!
[2] Nur ein Beispiel: „Ekstase“ (195) ist zwischen „Exorzismus“und „Exotisierung“ eingeordnet.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel
Institut für Spiel- und Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin
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Zitiervorschlag
Hans Wolfgang Nickel. Rezension vom 09.06.2017 zu:
Hamid Reza Yousefi, Ina Braun (Hrsg.): Interkulturelles Handbuch der Kulturwissenschaften. Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Verlag Traugott Bautz
(Nordhausen) 2016.
ISBN 978-3-88309-988-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20770.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.
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