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Gabriela Seitz-Hoffmann: Gesundheit als Dimension des Politischen

Rezensiert von Dr. Alexander Brandenburg, 27.05.2016

Cover Gabriela Seitz-Hoffmann: Gesundheit als Dimension des Politischen ISBN 978-3-8300-8849-3

Gabriela Seitz-Hoffmann: Gesundheit als Dimension des Politischen. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2016. 247 Seiten. ISBN 978-3-8300-8849-3. D: 88,90 EUR, A: 91,40 EUR.

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Thema

Idealerweise verfolgt jede Art von Gesundheitspolitik das Ziel, die Gesundheit der Bürger auf Dauer zu sichern und zu fördern. Tatsächlich aber zielt die Gesundheitspolitik darauf ab, das vorhandene Gesundheitssystem weiterzuentwickeln, ohne den überkommenen Bestand in seiner Grundstrukturen infrage zu stellen und auf neue Herausforderungen zu antworten. Anspruch und Wirklichkeit sind eben verschiedene Welten.

Angesichts der Macht der Verbände im Gesundheitssektor (Ärzteverbände, Krankenhausträger, Pharmaindustrie etc.) und der damit gegebenen Dominanz der Anbieter von Gesundheitsleistungen ist diese Politik des „einfachen“ Weitermachens durchaus verständlich. Die Seite der Konsumenten der Gesundheitsleistungen bleibt in diesem System trotz der Krankenkassen jedenfalls unterrepräsentiert; es gibt gleichwohl eine „Leerstelle der Partizipation“ (von Ferber).

Überhaupt lässt sich ja der größte Gesundheitsgewinn für den Bürger durch gute Ernährung, Drogen- und Nikotinverzicht und mäßigen Alkoholkonsum sowie normaler Bewegung erzielen, durch Aktivitäten also, die in den primären Netzwerken verortet werden können. Hier liegen die von einer Gesundheitspolitik noch stärker zu aktivierenden Reserven für eine Verbesserung des Gesundheitszustandes aller Bürger. Doch gibt es hier auch eine in der Entscheidungsfreiheit der Bürger liegende Grenze, die unbedingt respektiert werden muss.

Da die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in der Vergangenheit wesentlich zum Gesundheitsgewinn der Bürger beigetragen hat (oft mehr als der medizinische Fortschritt, dem dieses Resultat oft zugeschrieben wird), bleibt die in fortschreitender Entwicklung liegende Hoffnung auf ein Mehr an Gesundheit für die Bürger aber nicht ganz unbegründet. Die Zukunft wird es zeigen.

Entstehungshintergrund

Die vorliegende Arbeit von Gabriela Seitz-Hoffmannn ist ihre Promotionsschrift und beschäftigt sich im Kern mit dem gegenwärtigen Gesundheitssystem, das als Institutionengefüge beschrieben und wohldosiert auch kritisiert wird.

Aufbau und Inhalt

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit und erläutert in diesem Zusammenhang den philosophischen Gesundheitsbegriff an den Beispielen von Platon, Kant und Nietzsche.

Das zweite Kapitel stellt Einflussfaktoren vor, die auf die Gesundheit einwirken. Das soziale Umfeld, die Ernährung, körperliche und geistige Aktivitäten und die Umweltbedingungen (Partikelbelastung der Luft, Lärm und Strahlenbelastungen) werden angesprochen.

Das dritte und zentrale Kapitel thematisiert die politische Steuerung des deutschen Gesundheitssystems.

  1. Die staatlichen Stellen in Bund, Ländern und Kommunen werden als die erste Ebene dieses Systems bezeichnet. Hierzu werden u. a. das Bundesministerium für Gesundheit, die Landesministerien für Gesundheit, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, verschiedene Institute, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und die Gesundheitsämter gezählt.
  2. Körperschaften und Verbände obliegt die unmittelbare und operative Gestaltung des Gesundheitswesens auf einer zweiten Ebene. Die besondere Rolle der Verbände und Körperschaften im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wird als Charakteristikum des deutschen Gesundheitswesens herausgestellt. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, der Medizinische Dienst, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Gemeinsame Bundesausschuss und viele weiter Institutionen werden genannt.
  3. Die dritten Ebene beschäftigt sich mit den verschiedenen auf das Gesundheitssystem einwirkenden Interessenverbänden. Der Verband der privaten Krankenversicherung, der Hartmannbund, der Marburger Bund und andere Interessenvertretungen werden aufgeführt.

Alle aufgeführten (circa 50) Akteure werden kurz und knapp vorgestellt. Man erhält einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit des Gesundheitssystems und den darauf einwirkenden Kräften. Um eine Vorstellung zu geben, welche Größenordnung der „Nicht-Markt Gesundheit“ hat, werden Zahlen aus Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zitiert und erläutert.

Zum Schluss finden auch die außerhalb des Gesundheitssystems liegenden politischen Handlungsfelder Aufmerksamkeit. Der im Sozialgesetzbuch (SGB) festgelegte soziale Ausgleich, die Gesundheitsförderung in der Schule, die Verantwortung für die Lebensmittel, die Verbesserung der Umwelt und die grundsätzlichen Pflichten und Grenzen der Politik (z. B. die Beachtung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte) gehören zu diesen für die Gesundheit nicht unwesentlichen Handlungsfeldern.

Diskussion

Es kann nicht gutgehen, wenn versucht wird, den „Gesundheitsbegriff in der Philosophie“ auf ein paar Seiten und an den großen Gestalten eines Platos, Kants und Nietzsches zu erörtern: Die Viersäftelehre stammt aus dem Umkreis des Hippokrates und reicht bis zu Empedokles zurück und kann nicht ausschließlich dem Plato zugeschrieben werden. Ähnlich kann der Anspruch kritisiert werden, die „Entwicklung der Medizin im Zeitverlauf“ von der Antike bis zum 20. Jahrhundert auf gut 6 Seiten auch nur skizzieren zu können. Überblicke dieser Art gehören meines Erachtens in Expertenhand.

Wer sich einen Überblick über die Steuerung des Gesundheitssystems verschaffen möchte, kann diese Veröffentlichung durchaus zurate ziehen. Es ist schon beeindruckend, wie viele Institutionen daran beteiligt sind, und die gut 90 Seiten mit ihrer Beschreibung der einzelnen Akteure ist erhellend. Zwar sind die Steuerungswirksamkeit, das Potential, das Beziehungsgeflecht und die Interessenlage jeder Institution nicht ausreichend analysiert, doch wird der Leser informiert und aufgeklärt. Es besteht ja durchaus ein Mangel an Übersichtsdarstellungen in diesem Bereich.

Zu den lesenswerten Kapiteln zählen darüber hinaus die Darstellung der wirtschaftlichen Größe der Gesundheitswirtschaft sowie die Beschreibung der Pflichten und Grenzen der Politik.

Fazit

Wer sich ernsthaft mit den Strukturen des deutschen Gesundheitssystems beschäftigen möchte, kann zum Einstieg und zur ersten Vertiefung in das Thema auf diese Publikation zurückgreifen. Es ist auch nicht ganz falsch, wenn die Autorin selbst sehr vorsichtig mit der oftmals sehr schnell geäußerten Kritik am Gesundheitssystem umgeht, da dieses System trotz vieler auch in der Steuerung liegender Probleme relativ gut funktioniert und die Patienten in der Regel im zufriedenstellenden Umfang versorgt werden.

Rezension von
Dr. Alexander Brandenburg
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Zitiervorschlag
Alexander Brandenburg. Rezension vom 27.05.2016 zu: Gabriela Seitz-Hoffmann: Gesundheit als Dimension des Politischen. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2016. ISBN 978-3-8300-8849-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20773.php, Datum des Zugriffs 31.05.2023.


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