Margit Gratz, Traugott Roser: Curriculum Spiritualität für ehrenamtliche Hospizbegleitung
Rezensiert von Mag. Helga Schiefermair-Wieser, 22.07.2016

Margit Gratz, Traugott Roser: Curriculum Spiritualität für ehrenamtliche Hospizbegleitung. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2016. 150 Seiten. ISBN 978-3-525-40555-0. D: 49,99 EUR, A: 51,40 EUR, CH: 62,90 sFr.
Thema
Das Werk setzt einen besonderen Akzent in der weitläufigen Landschaft der Literatur zu Sterbebegleitung, Tod und Trauer. Auf wissenschaftlich fundiertem Hintergrund und mit vielfältigen Bezügen zu aktueller einschlägiger Fachliteratur sowie themenspezifischen Stellungnahmen christlicher Kirchen wird hier ein Curriculum, ein „Lehrplan“ entworfen für den Schwerpunkt Spiritualität in der Ausbildung ehrenamtlicher Hospiz – Begleiter_innen.
Autorin und Autor
Die Autor_innen sind
- Margit Gratz, Diplomtheologin und Pallitativkraft, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster mit Arbeitsschwerpunkt Forschung und Lehre in der Hospizarbeit, Palliative Care, Spiritual Care.
- Dr. Traugott Rosner, evangelischer Pfarrer und Palliativ – Seelsorger, Professor für praktische Theologie an der Universität Münster.
Entstehungshintergrund
„Curriculum Spiritualität“ verortet sich im Prozess einer zunehmenden Professionalisierung auch ehrenamtlicher Mitarbeit im Hospiz – Kontext. und bietet ein detailliertes Konzept zur Erarbeitung des Spannungsfeldes zwischen fachlich begründetem und persönlich reflektiertem Umgang mit spirtuellen und existentiellen Fragen Sterbender und Ihrer Angehörigen.
Eine Initiative und finanzielle Unterstützung des bayrischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen in den Jahren 2012 /13 haben die vorliegende Veröffentlichung mit ermöglicht.
Aufbau
Das Werk bietet eine detaillierte Gliederung in zwei Hauptabschnitten.
Zum ersten Teil
Ein ausführlicher erster Teil, als Einleitung überschrieben, enthält Begriffsklärungen von Spiritual Care und spiritueller Begleitung, und Ausführungen zur spirituellen und religiösen Grundlage des Curriculums. Hier wird der starke Bezug zur christlichen Religion deutlich gemacht, mit dem Anspruch, dass die formulierten Zielsetzungen strukturell auch für andere Religionen offen sind. Entsprechende Inhalte werden stichwortartig hauptsächlich im Kapitel „Thema 5 – Basiswissen Spiritualität: Religionen und Kulturen“ vorgestellt. Ausführlichere Darstellungen der Zugänge anderer Religionen in Quellentexten und „seelsorgerlichen“ Konzepten fehlen, werden aber von den Autor_innen als wünschenswerte Ergänzung bezeichnet.
In einem weiteren Unterpunkt der Einleitung werden der strukturelle Aufbau, Hinweise für Referent_innen zu Kursplanung, methodischer Gestaltung, Verwendung des Materialteiles mit Teilnehmer_innen-Unterlagen, Powerpoint-Folien etc., Themen und Schnittstellen sowie Grundlagen- und Überblicksliteratur vorgestellt. Urheberrechtliche Hinweise zu den Teilnehmer-innen-Materialen werden gegeben, verbunden mit der expliziten Möglichkeit, die vorgelegten Unterlagen individuell zu modifizieren, besonders auch die Powerpoint-Folien als offene Dateien im Download-Bereich, zu dem der Zugang mit dem Buch erworben wird.
Interessant sind die Hinweise für Auftraggeber_innen ehrenamtlicher Hospizbegleiter_innen-Ausbildung zur Auswahl geeigneter Referent_innen: Ebenso wichtig wie theologische und seelsorgerliche Qualifikation werden Praxisbezug im Hospiz / Palliative Care-Kontext sowie pädagogische Kompetenz und Erfahrung in der Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter_innen bezeichnet.
Zum zweiten Teil
Der wesentlich umfangreichere zweite Teil gliedert sich in elf Themenschwerpunkte,die jeweils einen Materialteil für Referent_innen, eine Beschreibung des Referent_innen-Auftrages, Unterrichtsziele, Unterrichtsablauf, Literaturhinweise, Anleitungen und Hintergrundinformationen sowie einen Materialteil für Teilnehmer_innen enthalten.
Folgende Themen werden durchgängig in dieser Form vorgestellt:
- Basiswissen Spiritualität: Begriffe
- Basiswissen Spiritualität: Bedürfnisse und Nöte, Hoffnungen und Ressourcen
- Basiswissen Spiritualität: Existentielle Krisen
- Basiswissen Spiritualität: Lebenssinn
- Basiswissen Spiritualität: Religionen und Kulturen
- Basiswissen Spiritualität: Bewältigung von Leid
- Basiswissen Spiritualität: Grundlagen Spiritual Care
- Basiswissen Spiritualität: Aufgaben der Hospizbegleiter: Präsenz und Gespräch
- Basiswissen Spiritualität: Aufgaben der Hospiz – Begleiter: Grundhaltung „Dasein und Aushalten“
- Basiswissen Spiritualität: Aufgaben der Hospiz – Begleiter: Einbindung von Seelsorge
- Basiswissen Spiritualität: Aufgaben der Hospiz – Begleiter: Rituale und Kreativität
Das Inhaltsverzeichnis macht bereits den Ansatz und die wesentlichen Inhalte des Curriculums sehr ausführlich deutlich: Ausgegangen wird von einer Sensibilisierung der Auszubildenden für die Wahrnehmung von Äusserungen, Fragen und Nöte Sterbenskranker und ihrer Angehörigen, die existentielle und spirituelle Thematiken betreffen, und mitunter gar nicht so einfach zu erkennen sind.
Laufend angeregt wird die Reflexion eigener Zugänge von Hospiz-Begleiter_innen zu den erwähnten Themen, sowie das Auseinanderhalten eigener Überzeugungen und der Zugänge der begleiteten Personen.
In einem dritten Schritt werden Informationen eingeführt, im Sinne eines erfahrungsorientierten Lernens.
Aufbauend auf dem so entstandenen wahrnehmenden, reflektierten Wissen werden anschliessend Aufgaben von Hospizbegleiter_innen beschrieben.
Die angestrebten Kompetenzen im Bereich Spiritual Care werden beschrieben als Wissen, Fertigkeiten zum Handeln und Haltung. Dies Aspekte werden in jedem Kapitel als „Unterrichtsziele“ konkret und detailliert formuliert.
Ebenso enthält jedes der Themen-Kapitel konkrete Modelle und Methoden zur Gestaltung entsprechender „Unterrichtseinheiten“ sowie die bereits erwähnten Unterlagen für die Ausbildungs-Teilnehmer_innen mit komprimierten Informationen, Definitionen, gelegentlich Fallbeispielen, Texten, Reflexions-Fragen, Arbeitsaufträgen u.ä.
Die komprimierten Inhalte der einzelnen Kapitel wiederzugeben, würde an dieser Stelle zu weit führen, das sehr detaillierte Inhaltsverzeichnis bietet einen guten Überblick.
Diskussion
Das vorliegende Werk bietet einen stimmigen Zugang zur Gestaltung von erfahrungsorientiertem Lernen und Erarbeiten von Selbstreflexion, Wahrnehmung und Gesprächsführung bzw. auch schweigendem Dasein und Aushalten existentieller und spiritueller Themen am Lebensende für die Ausbildung von Hospiz-Begleiter_innen.
Wesentlich, auch in Unterscheidung zur zahlreichen Ratgeber-Literatur, ist die Verknüpfung von Fallbeispielen, Zitaten aus Gesprächen mit Sterbenskranken und Angehörigen mit wissenschaftlichen, qualitativen Studien etwa zu Veränderungen von persönlichen Werten im Verlauf von Diagnose, einer eveventuellen Rückkehr nach Hause und dem Endstadium eines Krankheitsverlaufes.
In weiten Teilen wissenschaftsbasiert und mit zahlreichen Verweisen zu entsprechender Fachliteratur versehen, ist der Text um eine für Refernt_innen und Teilnehmer_innen allgemein verständliche, fachliche und lebensweltlich-erfahrungsorientierte Sprache bemüht.
In einzelnen Passagen (z.B. Thema 6, Bewältigung von Leid) wird jedoch beinahe ausschliesslich auf Gottesbilder und daraus zu folgernde christlich-religiöse Bewältigungsformen in einer binnenreligiösen, z.T. theologisch geprägten Sprache fokussiert.
Hier vermisst man die Thematisierung agnostischer, nicht-religiöse und auch individuell konstruierter Zugänge zu existentiellen Fragen, bzw. den Verweis darauf, dass spirituell / existentielle Bewältigungsformen von Leid in der persönlichen Realität Betroffener mitunter quer zu allen Kategorisierungen und auch in sich verändernden „Mischformen“ zum Ausdruck gebracht werden.
Ärgerlich und nicht nachvollziehbar ist die beinahe durchgängig nicht geschlechtergerechte Sprachgestaltung, zumal im Kontext von Hospiz-Arbeit überwiegend weibliche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen tätig sind.
Etwas irritierend ist auch der Sprachgebrauch „Unterricht / Unterrichts-Ziele, -Einheiten“ etc., der einem zeitgemässen Verständnis von Erwachsenenbildung, dem das Konzept sich verpflichtet, nicht angemessen erscheint.
Fazit
Das vorliegende Werk bietet ein wissenschaftsbasiertes, praxisorientiertes, ebenso umfangreiches wie detailliertes Curriculum, einen „Lehrplan“ mit differenziert ausgeführten Zielen und Inhalten für den Ausbildungs-Schwerpunkt „Spiritual Care“ für ehrenamtliche Hospiz-Begleiter_innen. Ergänzt wird es durch konkrete Ausbildungs-Module bzw. Einheiten mit Methoden, Literaturverweisen und Teilnehmer_innen – Unterlagen. Das Konzept folgt erfahrungsorientiertem, reflektierendem Erwerb von Wissen, Fertigkeiten in der Begleitung Sterbenskranker und Angehöriger, und Haltungen entlang von Themen wie Begriffsklärungen, Wahrnehmung von Bedürfnissen und Ressourcen, existentielle Krisen, Lebenssinn, Informationen zum Umgang von Religionen und Kulturen mit Leid und Tod, Aufgaben von Hospiz-Begleiter_innen im Bereich Spiritual Care u.a.m.
In weiten Teilen christlich-religiös geprägt, wird ein ausführlicherer Teil zu „anderen Religionen“ von den Autorinnen als wünschenswert formuliert, und eine grundsätzliche Offenheit des Konzeptes für „andere ( Welt – ) Religionen“ und Weltanschauungen postuliert. Verweise auf weitere religiöse Formen und ihre kulturellen Ausprägungen, wie sie etwa von der zunehmenden Zahl von Migrant_innen z.B. aus afrikanischen Ländern mitgebracht werden, spirituell individuell konstruierte, sowie nicht-religiöse Zugänge zu existentiellen Fragen sind in den Augen der Rezensentin unterrepräsentiert, ebenso ein Verweis auf Konzepte einer „interreligiösen / transreligiösen“ Seelsorge und spirituellen Begleitung.
Primäre Zielgruppe sind Referent_innen für den Schwerpunkt „Spiritual Care“ in der zunehmend professionalisierenden Ausbildung ehrenamtlicher Hospiz-Begleiter_innen, die idealerweise fachlich-theologische, im Hospiz-Bereich praxiserfahrene sowie Erwachsenenbildungskompetenzen als Qualifikationen mitbringen sollen. Ihnen werden Ziele, Inhalte, Materialien und „einsatzbereite“ Methodenbausteine in kompakter, differenzierter Form geboten, mit ausdrücklicher Einladung zu individueller Modifikation.
Darüber hinaus können Teile des Werkes von Interesse für Religions pädagog_innen, Seelsorger_innen und Ausbildungsträger bzw. Ausbildung konzipierende Fachkräfte von Interesse sein.
Mit dem Buch erwirbt man auch eine Download-Berechtigung, u.a. zu ergänzbaren Powerpoint-Folien.
Rezension von
Mag. Helga Schiefermair-Wieser
DSA. Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Campus Wien, Studiengang Soziale Arbeit; Themenschwerpunkte: Professionsethik, Trauer– und Sterbebegleitung in der SA,
Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation,
interdisziplinäre Fallarbeit;
langjährige Praxis im Gesundheitsbereich.
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