Thomas Schmidt-Lux, Monika Wohlrab-Sahr et al.: Kultursoziologie - eine problemorientierte Einführung
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.08.2016

Thomas Schmidt-Lux, Monika Wohlrab-Sahr, Alexander Leistner: Kultursoziologie - eine problemorientierte Einführung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2016. 215 Seiten. ISBN 978-3-7799-2616-0. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema
„Ohne Kultur können wir uns keine menschliche Gesellschaft vorstellen“, ohne eine (Zivil-)Gesellschaft gibt es auch keine Kultur. Kultur, im Sinne einer „globalen Ethik“, wie sie als Menschenrecht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 proklamiert wird, „kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“ (Weltkonferenz über Kulturpolitik vom 26. 7. – 6. 8. 1982). Diese umfassende Definition verdeutlicht schon, dass die Beschäftigung mit Kultur einer fachspezifischen Herangehensweise allein nicht gerecht wird. Kulturwissenschaftliches Denken, Forschen und Handeln braucht notwendig die interdisziplinäre Kooperation; vor allem auch deshalb, weil das Phänomen „Kultur“ in seinen vielfältigen Ausprägungen und Schwerpunktsetzungen den allgemeinen Blick darauf nur möglich macht, wenn die einzelnen Fächer – Kulturwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Politische Wissenschaft, Geographie, Biologie, Pädagogik, Politische Wissenschaft, Sprachwissenschaft, Ethnologie, Religion, Kunst, Musik und nicht zuletzt die Soziologie – ihre spezifischen Blickrichtungen einbringen (Stephan Conermann, Hrsg., Was ist Kulturwissenschaft? Zehn Antworten aus den »Kleinen Fächern«, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/12965.php).
Entstehungshintergrund und Autorenteam
„Von Anfang an steht der Kulturbegriff in der Soziologie zum Begriff der Gesellschaft in einem Ergänzungs-, zum Teil auch in einem Konkurrenzverhältnis“. Theoretische (Frank Adloff, Hrsg., Kultursoziologie, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17923.php)und praktische kultursoziologische Zugänge (Ute Frietsch / Jörg Rogge, Hrsg., Aus der Praxis der historischen Kulturwissenschaften. Ein Handwörterbuch, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/15485.php) liegen mittlerweile mit verschiedenen Zielsetzungen vor. Der Paradigmenwechsel, der sich auch in der Soziologie vollzogen hat und unterscheidet zwischen Kultur und Struktur, Kultur und Gesellschaft, legt die Einschätzung nahe: „Kultursoziologie ist ein lebendiges Unterfangen“, in Lehre und Forschung, in Theorie und Praxis, in Ausbildung und in der Profession. Der wissenschaftliche Mitarbeiter beim Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, Thomas Schmidt-Lux, die Kultursoziologin Monika Wohlrab-Sahr und der wissenschaftliche Referent beim Deutschen Jugendinstitut, Alexander Leistner, legen eine problemorientierte Einführung in die Kultursoziologie vor. Sie wollen damit vor allem Studierende der sozial- und kulturwissenschaftlichen Studiengänge, „die neugierig darauf sind, kulturelle Phänomene zu erschließen und die bereit sind, dabei etwas tiefer zu schürfen, als es im Alltagsgespräch häufig der Fall ist“, ansprechen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch wird in drei Kapitel gegliedert.
- „Was heißt Kultursoziologie?“
- „Perspektiven der Kultursoziologie“
- „exemplarische Felder kultursoziologischer Forschung“
Es sind die verschiedenen Kulturbegriffe, „die jeweils unterschiedliche Reichweiten von Kultur transportieren und verschiedene Zugänge zur Kultursoziologie implizieren“; und zwar in den Sichtweisen, die kultursoziologisches Denken und Handeln betreffen: „Das Kulturelle ist die zweite Natur des Menschen und damit gleichbedeutend mit dem Sozialen“ – „Das Kulturelle bezeichnet Sinn und Bedeutung des Sozialen“ – „Das Kulturelle ist ein Feld des Sozialen“ – „Das Kulturelle ist eine Form der Bestimmung und Unterscheidung sozialer Vergemeinschaftungen“. Die Theoriebildungen, Systematisierungen und Perspektiven, die sich in der modernen Kultursoziologie an Max Weber, Karl Mannheim und der Cultural Sociology von Jeffrey Alexander orientieren, fokussieren in der Auffassung, dass „alle Phänomene der sozialen Welt zum Gegenstand (der Kultursoziologie) werden“.
„Ergebnisse menschlichen Kulturhandelns haben Regeln“; diese erst einmal lapidar anmutende Feststellung gewinnt an Gewicht, wenn die Autoren die vorherrschenden symbolischen Ordnungen analysieren, auf ihre Wirkmächtigkeit hin befragen und aufzeigen, dass kulturelles Handeln einem permanenten Wandel unterworfen und als Zeit- und Gegenwartsdiagnose geeignet ist, aber auch Konflikte erzeugt, die in den jeweiligen Ordnungssystemen gelöst werden oder nicht lösbar sind (nach dem Grad der Aufgeklärtheit, der demokratischen Selbstbestimmung.. ist der Rezensent versucht hinzuzufügen). Die interdisziplinärem Denken und Forschen innewohnende Zielsetzung, durch wissenschaftliche Vergleiche eigene Positionen zu stabilisieren und durch die deutlich werdenden Veränderungsprozesse handhabbar zu machen, zeigt sich in den sozialwissenschaftlichen Fächern in besonderem Maße und lässt den Schluss zu, dass Kulturvergleich = Gesellschaftsvergleich ist (vgl. dazu auch: Philip Thelen, Vergleich in der Weltgesellschaft. Zur Funktion nationaler Grenzen für die Globalisierung von Wissenschaft und Politik, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12557.php).
Die im dritten Kapitel vorgestellten exemplarischen Felder sollen die Stärken, Schwächen und Spezifika
in der kultursoziologischen Forschung aufzeigen: Da ist zum einen die Auseinandersetzung mit „Fans und Fankultur“, die bisher in nationalen und internationalen Zusammenhängen wenig Beachtung findet, in den Zeiten der sich immer interdependenter, entgrenzender und (ent-)ideologisierend entwickelnden (Einen?) Welt jedoch wichtig ist; zum anderen die nicht weniger brisante Thematik „Moscheebauten und Moscheebaukonflikte“ (siehe auch: Jos Schnurer, Wenn ihr nicht so werdet wie wir, seid ihr unsere Feinde! Minarette als Raketen? 19. 12. 2009, www.socialnet.de/materialien/90.php).
Fazit
Die problemorientierte Einführung in die Kultursoziologie als Fach und interdisziplinäre Herausforderung richtet sich vornehmlich an Studierende der sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Sie fordert heraus zur „Reflexion der Spannung .. zwischen Methode und Theorie, generalisierender Zeitdiagnose und empirischer Sorgfalt, wissenschaftlicher Distanz und gesellschaftlicher Beteiligung“.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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