Kay Schweigmann-Greve: Kurt Löwenstein
Rezensiert von Dr. Sebastian Engelmann, 27.06.2016

Kay Schweigmann-Greve: Kurt Löwenstein. Demokratische Erziehung und Gegenwelterfahrung.
Hentrich & Hentrich Verlag
(Berlin) 2016.
80 Seiten.
ISBN 978-3-95565-153-4.
D: 8,90 EUR,
A: 9,20 EUR.
Jüdische Miniaturen, 187.
Thema
Thema der hier vorliegenden Miniatur ist nicht mehr und nicht weniger als das Leben und Wirken des bekannten sozialdemokratischen Bildungsreformers Kurt Löwenstein (1885-1939). Löwenstein war einer der wohl einflussreichsten sozialistischen Persönlichkeiten der Geschichte der Schulreform in Deutschland. So war er es, der maßgeblich an der Gründung der „Kinderfreundebewegung“ beteiligt war und noch heute als Inspirationsquelle für die Jugendorganisation „Die Falken“ steht. Auch fungiert er als Namensgeber für zahlreiche Schulen und Bildungseinrichtungen. Das kleine Büchlein thematisiert sowohl in aller Kürze die Lebensgeschichte von Löwenstein als auch die Grundzüge seiner pädagogischen Ideen und Praxisprojekte.
Autor und Entstehungshintergrund
Kay Schweigmann-Greve studierte Philosophie, Geschichte und Rechtswissenschaften. Er ist in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft aktiv und Mitglied des Trägervereins der Jüdischen Bibliothek in Hannover. Seine Promotion fertigte er über den Sozialrevolutionär Chaim Zhitlowsky an.
Der Band erscheint in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ als 187. Band. Neben der Miniatur zu Löwenstein sind bereits Miniaturen zu Janus Korzcak, Leo Baeck und vielen weiteren bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten erschienen.
Aufbau
Das Buch wird durch ein informatives Vorwort der Bezirksbürgermeisterin von Neukölln Dr. Franziska Giffey eröffnet und durch ein weiteres Vorwort des Bezirksstadtrates für Bildung, Schule, Kultur und Sport des Bezirks Neukölln Jan-Christopher Rämer ergänzt. Es folgen zehn kürzere Kapitel.
Die ersten fünf behandeln die Kindheit, die Familie, die politische Karriere, die Gründung der Kinderfreundebewegung und die Zeit im Exil. Diese ersten Kapitel sind eher biografischer Natur.
Die anschließenden fünf Kapitel setzen sich mit den pädagogischen und sozialpolitischen Konzepten von Kurt Löwenstein auseinander und werden durch einen Aktualitätsbezug abgeschlossen.
Das Buch schließt mit einem überschaubaren Anmerkungsapparat und Abbildungsnachweisen nach rund 73 Seiten ab.
Inhalt
Trotz des zugegebenermaßen im Konzept der Miniatur bereits angelegten geringen Umfangs schafft der Autor es, eine Vielzahl an relevanten Informationen in seinen Text zu integrieren. Den ersten Teil des Textes nehmen Informationen über Kindheit und Jugend von Löwenstein ein. Beschrieben werden der familiäre Hintergrund, der Bildungsweg und auch die Hochzeit von Kurt Löwenstein. Der Autor Schweigmann-Greve schafft es, in diesem Kapitel auch bereits einige zeitgeschichtlich relevante Referenzpunkte zu nennen, die möglicherweise prägend für Löwenstein waren. Genannt werden August Bebel und auch Marx und Engels.
Mit Beginn des ersten Weltkriegs ändert sich Löwensteins Leben – Schweigmann-Greve stellt dieses Erlebnis als wichtigen Punkt in der Biografie Löwensteins dar. Im weiteren Verlauf des Kapitels wird die politische Karriere von Kurt Löwenstein geschildert, der bis 1933 Abgeordneter im Parlament der Weimarer Republik war. Zudem initiierte er einige relevante Veränderungen in der Berliner Schulpolitik. Verbindungen zum Reformpädagogen Fritz Karsen – einem der maßgeblichen Begründer der Gesamtschule und Vertreter der Möglichkeit des zweiten Bildungswegs – werden in diesem Kapitel genauso aufgezeigt wie auch charakteristische und unterhaltsame Spezifika von Löwenstein selbst.
Den nächsten relevanten inhaltlichen Punkt stellt die Auseinandersetzung mit Löwensteins Rolle in der „Kinderfreundebewegung“ dar, die in der pädagogischen Diskussion auch mit den sogenannten Kinderrepubliken assoziiert wird. Die Kinderrepubliken waren besondere pädagogische Orte, die versuchten, eine demokratische und selbstorganisierte Form des Zusammenlebens zu ermöglichen – ein auch heute noch beachtenswertes Konzept, welches damals einiges an Kritik einstecken musste. Nach Etablierung zahlreicher Veränderungen im Schulsystem musste Löwenstein ins Exil gehen wo er schließlich im Jahr 1939 auch starb.
Im Anschluss an die biografische Skizze schildert Schweigmann-Greve zahlreiche pädagogische Facetten des Wirkens Löwensteins. Er thematisiert nicht nur die Bildungspolitik und die schulreformerischen Bemühungen, sondern eben auch die Verflechtung von Löwenstein und der sozialistischen Jugendbewegung. Die Idee der pädagogischen Provinz – realisiert eben auch in den Kinderrepubliken – führt der Autor erneut auf und greift damit eins der spannenden Themen, die in der Biografie angerissen wurden, erneut auf. Nach der Skizzierung dieser verschiedenen Themen endet Schweigmann-Greve mit einer spannenden Schlussbetrachtung, die auch den Bezug zu anderen Philosophen und Pädagogen wie Martin Buber oder Hermann Cohen herstellt. Deutlich macht er auch, dass Löwenstein zwar Marxist, aber kein deterministisch denkender Parteifreund war. Er sah Erziehung und Selbstbildung als relevante und möglicherweise auch einzig mögliche Schritte zur Verwirklichung einer besseren Gesellschaft. Daher, so Schweigmann-Greve, sei Löwenstein auch heute noch relevant.
Fazit
Die Miniatur ist eine mundgerechte Einführung für alle, die sich mit Kurt Löwenstein vertraut machen wollen und zuvor noch nichts von ihm gehört haben. Löwenstein ist ein gerne angesprochener Referenzpunkt in der Pädagogik – gerade wenn diese sich selbst als emanzipativ besteht. Einen wirklich vermittelten Zugang zum Werk Löwensteins gibt es in umfassender Form aber bis heute noch nicht – einige wenige Publikationen werfen zwar einen Blick auf ihn, lassen seine Ideen dann aber doch als Randbemerkung zur „großen“ Erzählung links liegen. Das hier vorliegende Buch kann diesem Vergessen entgegenwirken, eignet es sich doch als niedrigschwelliger Zugang zum Werk eines doch relevanten Pädagogen. Dem Autor ist mit seiner Miniatur also größeres gelungen, als man es dem Format zutraut. Ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen.
Rezension von
Dr. Sebastian Engelmann
Universität Tübingen, Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Allgemeine Pädagogik
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