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Prithvi Perepa: Autismus im Kleinkindalter

Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 16.12.2016

Cover Prithvi Perepa: Autismus im Kleinkindalter ISBN 978-3-95571-502-1

Prithvi Perepa: Autismus im Kleinkindalter. Grundlagenwissen für Eltern und professionelle Helfer. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2016. 190 Seiten. ISBN 978-3-95571-502-1. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.

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Thema

Die Diagnose Autismus ist für viele Eltern zunächst ein Schock. Familien brauchen Menschen, die ihnen professionell und empathisch zur Seite stehen. Sie benötigen Aufklärung, was es bedeutet ein Kind aus dem Autismus Spektrum zu haben. Das Buch handelt davon, wie Pädagogen in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern die betroffenen Kinder als auch deren Familien bestmöglich und individuell unterstützen können. Neben Beispielen aus der Praxis werden auch wissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt. Das Buch enthält Erklärungen über die charakteristischen Denk- und Verhaltensweisen autistischer Kinder und Übungen zur Förderung. Damit bekommen Eltern oder Geschwister eine fundierte und gut verständliche Einführung in die Welt des autistischen Kindes (Klappentext).

Autor

Dr. Prithvi Perepa ist Dozent an der Universität in Northampton. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er forscht zum Thema kulturell bedingte unterschiedliche Wahrnehmungen von Behinderungen, Strategien zur Vermittlung von soft skills für Menschen mit Autismus sowie zu der Zusammenarbeit mit Eltern.

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst143 Seiten und ist im softcoverformat erschienen. Es gliedert sich in zehn Kapitel. Die Kapitel sind durchnummeriert. Jedes Kapitel schließt mit der gleichen Struktur: in einer Textbox findet man eine Zusammenfassung, den Hinweis „Werden Sie aktiv“ sowie „hilfreichen Internetseiten“, teilweise in englischer Sprache. Fallvignetten sind im Fließtext grau hinterlegt und heben sich damit sichtbar ab. Am oberen Seitenrand ist zur besseren Orientierung die Kapitelüberschrift abgedruckt.

  1. Einführung in das Autismusspektrum 
  2. Identifikation und Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung
  3. Die Arbeit mit den Familien der Betroffenen
  4. Soziale Interaktion
  5. Kommunikation
  6. Vorstellungsvermögen und flexibles Denken
  7. Wahrnehmungsbezogene Probleme
  8. Schwierigkeiten im Verhalten
  9. Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften
  10. Der Übergang in die Grundschule

Hinweise zur Terminologie und Literatur schließen das Programm ab.

Das erste Kapitel Einführung in das Autismusspektrum erläutert Probleme in zwei Bereichen. Erstens in der sozialen Kommunikation und Interaktion und zweitens beim Vorstellungsvermögen und dem flexiblen Denken. Es geht auch auf die Prävalenz in einzelnen Ländern und in ethnischen Gruppen, also wie viele Menschen weltweit betroffen sind. Die Autismus Spektrum Störung gehört zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, was bedeutet, dass sie bereits in der Kindheit auftritt. In den bisher gültigen Klassifikationssystemen wurde noch zwischen frühkindlichem Autismus und dem Asperger-Syndrom unterschieden. Diese Unterscheidung wird aufgehoben, weil es nicht verlässlich möglich ist, im frühen Lebensalter eine eindeutige Diagnose zu stellen. Beide Phänomene werden deshalb unter dem Begriff Autismus Spektrum Störung zusammengefasst. Im englischen Sprachraum spricht man nicht mehr von Störung sondern von „autismus spectrum conditions“ (ASC), übersetzt „Autismus Spektrum Zustandsbild“, um den Störungsbegriff zu umgehen, da sich viele Menschen aus dem Autismusspektrum nicht als leidend erleben, sondern ihren Autismus als Teil der Persönlichkeit einordnen.

Im zweiten Kapitel Identifikation und Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung  empfiehlt der Autor, die eigene Einschätzung zu kommunizieren. Er stellt die diagnostischen Abläufe und Untersuchungswerkzeuge vor und erläutert, wie es zur Differentialdiagnose kommt. Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der Rolle von Familien und Fachkräften bei der Diagnose und die Reaktionen auf die Diagnose.

Im dritten Kapitel geht es um die Arbeit mit den Familien der Betroffenen. Im Mittelpunkt diesen Kapitels geht es um die Auswirkungen des Autismus eines Kindes auf die Familie, die Zusammenarbeit mit der Familie sowie Probleme bei der Aufrechterhaltung einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Das vierte Kapitel Soziale Interaktion befasst sich mit verschiedenen Konzepten wie das der sog. „Theory of Mind“ oder die beeinträchtigte interpersonelle Verbundenheit. Es wird erläutert, wie Bindung sich entwickelt oder der Kontakt über die Augen. Der Autor geht davon aus, dass das Erkennen von Emotionen unterrichten werden kann. Soziale Regeln sollten erklärt werden, um sie zu verstehen und anzuwenden. Wichtig ist zudem, dass Beziehungen zu Gleichaltrigen entwickelt werden.

Das fünfte Kapitel behandelt das Thema Kommunikation. Neben theoretischen Erklärungen wird erläutert, wie die Kommunikationsfähigkeit beurteilt werden kann. Bilder können sehr gut bei der Kommunikation eingesetzt werden. In der Arbeit mit Kindern aus dem autistischen Spektrum begegnet man dem Phänomen der Echolalie und der Umkehr von Pronomen. Wichtig ist auch zu wissen, wie man mit Redewendungen und Metaphern umgehen sollte. Auch hier sollten Konzepte erklären und Fertigkeiten in der Gesprächsführung besprochen werden.

Die Erklärung der kognitiven Entwicklungsphasen des Spielens bzw. des Sozialspiels, auch in Bezug auf Autismus sowie Kriterien der Beurteilung der Fertigkeiten im Spielen sind Inhalte des sechsten Kapitels mit dem Titel Vorstellungsvermögen und flexibles Denken. Daran schließen sich mögliche Strategien für die Förderung von Fertigkeiten im Spielen an.

Um wahrnehmungsbezogene Probleme geht es im siebten Kapitel. Erläutert werden die theoretische Grundlagen sowie Strategien zur Abhilfe.

Im achten Kapitel geht es um Schwierigkeiten im Verhalten wie Schwierigkeiten in der Kommunikation, Schwierigkeiten beim sozialen Verständnis, Schwierigkeiten beim Vorstellungsvermögen und im flexiblen Denken, Schwierigkeiten in der sensorischen Wahrnehmung und in der Verhaltensbeurteilung und Planung. Vorgestellt werden mögliche Strategien zur Förderung.

Das neunte Kapitel widmet sich der Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften und beschreibt etwaige Probleme, die bei der Zusammenarbeit auftreten können. Der Autor formuliert  Richtlinien für die „Gute Praxis“.

Das Buch endet mit dem Kapitel Der Übergang in die Grundschule, in dem es um die Auswahl einer Schule und die Vorbereitung des Übergangs geht.

Es folgen Hinweise zur Terminologie, ein Literaturverzeichnis sowie ein Portrait über den Autor.

Diskussion

Zunächst erleben Eltern einen Schock, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass bei ihrem Kind Autismus diagnostiziert wurde. Die Ausprägung und das Erscheinungsbild hängen von der Einordnung innerhalb des Autismusspektrums ab. Immer zu erwarten sind allerdings die Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion mit anderen Menschen sowie Schwierigkeiten im flexiblen Denken. Mit seinem Buch will der Autor aufklären und unterstützen. Er richtet sich vornehmlich an professionelle Helfer, will aber nach eigenen Aussagen auch Eltern oder Geschwister eine fundierte und gut verständliche Einführung in die Welt des autistischen Kindes geben (Klappentext). Ein zentraler Kern des Buches stellte die Sichtung wissenschaftlicher Erkenntnisse dar, welche der Autor mit Quellenangaben belegt. Diese reichen teilweise in das Jahr 1950 des letzten Jahrhunderts zurück. Das mag für Fachleute interessant sein, um sich einen Überblick über das Thema zu verschaffen, aus Sicht der Eltern oder Geschwister sehe ich diese Tiefe allerdings kritisch und frage mich, was diese Zielgruppe mit diesem Wissen anfangen können soll. Für sie sind Beispiele aus der Praxis interessant, die leider auch zu kurz kommen.

Der Begriff Autismus Spektrum Störung ist emotional besetzt, auch weil er oft einseitig betrachtet wird. Es ist zu begrüßen, dass sich zunehmend Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus leben, in die Forschungsarbeit einbringen bzw. sich mit Vorträgen, blogs und Büchern zu Wort melden. Sie stellen aus eigener Sicht eine andere Perspektive dar, viele empfinden Autismus nicht als Störung oder als Leiden, sondern als charakteristischer Teil ihrer Persönlichkeit. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag und tragen dazu bei, dass Autismus nicht einseitig aus medizinischer bzw. pathologischer Sicht betrachtet wird, sondern als eine Normvariante des Menschseins, wie Tony Atwood es einmal ausdrückte.

Zunehmend wird dabei auch deutlich, dass die Einordnung und Abgrenzung in unterschiedliche Klassifizierungen so wie sie bisher galten also in frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus oder Asperger Autismus nicht verlässlich möglich ist, was sich auch voraussichtlich im ICD 11, der 2018 erscheint, niederschlägt, dort spricht man zukünftig nur noch von der Autismus Spektrum Störung.

Erkennbar ist das Bemühen des Autors das Thema umfassend zu beleuchten, sogar das Thema Spielen (7 Seiten) oder den Übergang in die Grundschule (3 Seiten) miteinzubeziehen. Leider fallen die einzelnen Kapitel dann aber sehr kurz und oberflächlich aus, was vielleicht dem Anspruch geschuldet ist, den Umfang des Buches gering zu halten. Allerdings torpediert er mit dieser verkürzten Darstellungsweise seinen eigenen Anspruch, zum einen Grundlagenwissen für Professionelle und Eltern zu vermitteln und zum zweiten alltagstaugliche Hilfen im Umgang mit dem eigenen Kind vorzustellen. Hier wäre weniger mehr gewesen!

Fazit

Die Diagnose Autismus ist für viele Eltern zunächst ein Schock. Familien brauchen Menschen, die ihnen professionell und empathisch zur Seite stehen. Sie benötigen Aufklärung, was es bedeutet ein Kind aus dem Autismus Spektrum zu haben. Das Buch handelt davon, wie Pädagogen in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern die betroffenen Kinder als auch deren Familien bestmöglich und individuell unterstützen können. Neben Beispielen aus der Praxis werden auch wissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt. Es enthält Erklärungen über die charakteristischen Denk- und Verhaltensweisen autistischer Kinder und Übungen zur Förderung.

Gelungen ist die Auswahl des Titelbildes, bei dem ein Kind durch ein Fenster in die Welt guckt. Dieses Bild wirkt durch seine Symbolik. Es macht deutlich, dass es eine Innensicht (aus der autistischen Perspektive) und eine Außensicht (aus der neurotypischen Perspektive) gibt, die miteinander abgeglichen werden muss, um hilfreiche Strategien zu entwickeln.

Leider fallen die Erklärungen- anders als im Klappentext angekündigt- zu oberflächlich aus, als dass sie hilfreich sind. Erkennbar ist das Bemühen, sowohl aus der Theorie und auch aus der Praxis zu berichten und damit einen Überblick über das komplexe Thema mit seinen zahlreichen Aufgabenstellungen zu geben. Das Buch kann diesem Anspruch aufgrund seiner zehn Kapitel, die sich aber nur auf 140 Seiten verteilen, leider nicht gerecht werden. Die Themen werden leider nur angerissen. Diese Verkürzung zieht sich durch alle Kapitel. Der Ansatz ist gut, die Ausführung nicht gelungen, weil die Adressaten des Buches, Eltern und Professionelle, mit einem Halbwissen ausstattet werden. Der Autor ist Privatdozent und arbeitet im wissenschaftlichen Umfeld. Er forscht zum Thema Autismus, zitiert Studien und vergleicht diese auch unter ethnischen Gesichtspunkten. Er stellt Diagnostikinstrumente vor und erläutert knapp die Vor- und Nachteile. Das ist sicher wichtig, in diesem Buch mit der Zielgruppe Eltern und Angehörige aber fehl am Platz. Stattdessen wäre es hilfreicher gewesen, weniger Themen auszuwählen und diese dafür eingehender zu vertiefen. Der Begriff Autismus Spektrum beinhaltet, dass es viele Facetten des Autismus gibt und es ist von zentraler Bedeutung, sich gut zu informieren und mit den aktuellen Erkenntnissen auseinander zu setzen, um sich ein Urteil zu bilden, um zu verstehen und auf dieser Grundlage passgenaue Unterstützung zu entwickeln. Das hier vorgelegte Buch bleibt insgesamt zu sehr an der Oberfläche und kann statt zu informieren eher Verwirrung stiften. Bedauerlich!

Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Es gibt 313 Rezensionen von Petra Steinborn.

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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 16.12.2016 zu: Prithvi Perepa: Autismus im Kleinkindalter. Grundlagenwissen für Eltern und professionelle Helfer. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2016. ISBN 978-3-95571-502-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20867.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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