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Insa Fooken, Jana Mikota: Literarische Miniaturwelten

Rezensiert von Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel, 29.06.2016

Cover Insa Fooken, Jana Mikota: Literarische Miniaturwelten ISBN 978-3-936533-69-9

Insa Fooken, Jana Mikota: Literarische Miniaturwelten. Leben und Tod in Puppengeschichten. universi – Universitätsverlag Siegen (Siegen) 2016. 85 Seiten. ISBN 978-3-936533-69-9. D: 4,00 EUR, A: 4,00 EUR.

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Thema

Fooken/Mikota untersuchen, gestützt auf umfassende Literaturkenntnis, das Verhältnis zwischen Puppenspiel bzw. Puppengeschichten und individueller wie gesellschaftlicher Entwicklung. Dabei stehen Fragen von Umwelt im Vordergrund. Sie wird „unter dem Begriff des Ökosystems“ als „die Gesamtheit materieller und sozialer Umwelten verstanden.“ (5)

Autorinnen

Insa Fooken ist Professorin für Psychologie an der Universität Siegen; Jana Mikota lehrt dort im Fach Germanistik mit dem Schwerpunkt Kinder-/Jugendliteratur.

Entstehungshintergrund

Der Siegener Universitätsverlag universi wurde 2001 gegründet; er gibt Bücher, Zeitschriften, Kunstkataloge, DVDs und Reihen heraus. Mit „Literarische Miniaturwelten“ startete 2016 die „Reihe Umwelt: Verantwortung – Ästhetik – Nachhaltigkeit“.

Aufbau

Fooken/Mikota behandeln zunächst „Puppen als Akteure in Literatur und Umwelt“ (5 ff) und „Puppen und Puppen-Narrative“, also Spielpuppen und Puppenerzählungen (15 ff).

Im dritten Abschnitt geht es um die „Lebensräume“ von Puppen, um „Häuser, Orte, Umwelten“ (21 ff).

Die Abschnitte 4 und 5 behandeln Entwicklungsschritte: „Abschied vom Spiel mit Puppen – Markierung des Endes des Kindheit“ (31 ff) und „Puppen als Wegbereiterinnen ins Erwachsenendasein – literarische Beispiele aus verschiedenen Epochen“ ( 39 ff).

Abschnitt 6 zeigt an zwei Beispielen „Besondere Lebenswelten von Puppenfamilien“ (63 ff).

Der letzte Abschnitt „ Vom Wert der Puppen und Puppen-Narrative für Umweltbewusstsein“ (73 ff) nimmt noch einmal Bezug auf die Reihe „Umwelt“, die mit der Publikation von Fooken/Mikota eröffnet wurde.

Inhalt

Puppen als Akteure“ (5)? Die Zusammenstellung von Puppen und Umwelt mag zunächst erstaunen; Fooken/Mikota gelingt es jedoch sehr schnell, den Zusammenhang von Umweltfragen mit „Puppen und Puppen(um)welten – sowohl als konkret-materielle Artefakte als auch als Topi (sic!) in der Kinder- und Jugendliteratur“ einsichtig zu machen, „gehört“ doch „zur Umwelt nicht nur das ‚Soziale‘ im Sinne von anderen Personen, sondern auch die gesamte unbelebte Welt. Insofern wird unter dem Begriff des Ökosystems die Gesamtheit materieller und sozialer Umwelten verstanden.“ (5) Fooken/Mikota verweisen dabei auf „die (bio-)ökologische Systemtheorie im Sinne Urie Bronfenbrenners“ und darauf, dass „ein Rückgriff auf miniaturisierte und damit überschaubare Puppenwelten uns wertvolle Informationen über dieses komplexen (sic!) Wechselwirkungsgeschehen liefern kann“ (5).

Im ersten Abschnitt geht es darum, „Ausschau“ zu „halten nach Ähnlichkeiten und Korrespondenzen zwischen den inneren und äußeren Welten der Puppen mit den innerseelischen und äußeren Realitäten der Heranwachsenden.“ Dabei gehen die Autorinnen „davon aus, dass die Puppentexte wichtige Anstöße für Reflexionsprozesse über Fragen zur eigenen Verantwortung in der Welt setzen und somit in den Bereich kultureller und ästhetischer Bildung gehören.“ (9) Dazu „der Spielpädagoge Jürgen Fritz (1992,7) … ‚Die Puppe als Spiegel der Gesellschaft ist eine ‚Mitteilung‘ dieser Gesellschaft über sich selbst‘“ (9). „Gerade die fantastisch-poetische Dimension der Puppen – als Objekt und Narrativ – entspricht oft“, so Fooken/Mikota, „dem Bedürfnis und der Lust vieler Kindern (sic!) am spielerisch-magischen Denken. Und auf der faktisch-sachlichen Ebene können Puppen die Rolle als Verhaltensmodelle und Übungsobjekte einnehmen und ihnen kommt damit eine wichtige sozialisatorische Funktion zu.“ (11) Bei „Puppen-Lebenswelten als Untersuchungsgegenstand“ geht es also zum einen um die „Bedeutung von Puppen und Puppenspiel bzw. von Puppen-Wohnformen und Puppenhäusern“ und darüber hinaus um „die Rolle der Puppe in Bezug auf die Bestimmung des Endes der … unbeschwerten Jahre der Kindheit“ (13).

Damit geraten im zweiten Abschnitt „Entwicklungskontexte“ und, mit Verweis auf Winnicott (1953), „Puppen als Übergangsobjekte in Übergangsräumen“ in den Blick. „Mit einem solchen Objekt entsteht ein Übergangsraum zwischen der inneren psychischen Realität des Kindes und der äußeren Welt mit ihren Anforderungen, ein grundsätzlich offener Zwischen-Raum, in dem im optimalen Fall ein spielerisches Sich-Einlassen auf die äußere Umwelt zugelassen werden kann und gleichzeitig über das Objekt, so zum Beispiel über die Puppe, die Selbstvergewisserung und Rückbindung an innere Befindlichkeiten und Bedürfnisse gewährleistet ist.“ (15) „Nicht von ungefähr“, so Fooken/Mikota, „lautet eine der hier interessierenden Fragestellungen: Was lernen und erkennen Kinder über sich selbst und ihre Lebensansprüche in den Spiel-Zusammenhängen und Interaktionen mit ihren Puppen? Weiterführend kann in einem zweiten Schritt gefragt werden: Was passiert mit den Puppen (und den eigenen Bindungen an die Puppen), wenn die Zeit gekommen ist, erwachsen zu werden und sich von der Kindheit zu verabschieden?“ (18) Dazu ein Zitat aus einem Puppenbuch von 1883: „Große Mädchen müssen sehr viel lernen und werden dabei klug: aber sie haben zum Spielen nicht mehr Zeit“ (Emma Biller: Die Puppenfamilie, S. 137) (19).

Im dritten Abschnitt über „Lebensräume – Häuser, Orte, Umwelten“ (21ff) finden sich „detailliert durchgestaltete Puppenhäuser als Luxusobjekte der sozialen Eliten“ (22), aber auch „Das Puppenhaus als Ort weiblicher Rollen-Disziplinierung … zumeist noch völlig in die disziplinierenden Maßnahmen der traditionellen Mädchenerziehung eingebunden.“ (22) Dazu wiederum ein Zitat: „Gleich wie jeder andere Haushalt, so muss auch der Puppenhaushalt mit größter Ordnung und Reinlichkeit geführt werden … (Lovica von Pöpper: Puppenmütterchen, 1882, 9)“ (23). Fooken/Mikota kommentieren: „Das Puppenhaus scheint hier eine Umwelt zu repräsentieren, die weniger ein Spielraum zu sein scheint als ein Übungsplatz für geschlechtsstereotypisiertes Rollenverhalten.“ (26)

Zum dann folgenden „Abschied vom Spiel mit Puppen“ verweisen Fooken/Mikota auf die „Untersuchung, die Ende des 19. Jahrhunderts von … A. Caswell Ellis und G. Stanley Hall durchgeführt wurde“; sie zeigte, „dass die ‚Puppenspiel-Leidenschaft‘ am stärksten im Alter zwischen 8 und 9 Jahren ausgeprägt war, dass aber noch bis etwa zum Alter von 13 und 14 Jahren kontinuierlich mit Puppen gespielt wurde … Jungen entledigten sich auch früher ihrer Puppen“, bevorzugten „im Übrigen stärker ungewöhnliche Puppen – wie Clowns oder exotische Varianten“, spielten „vor allem gerne mit ‚Tierpuppen‘ … Auch heutzutage stellt nach aktuellen Befragungen die gefühlsmäßige Bindung an Kuscheltiere für Jungen keinerlei Tabu dar … Und auch für Mädchen stehen mittlerweile Kuscheltiere deutlich höher im Kurs als Puppen.“ (31) Mit „‚dem Auftauchen der Adoleszenz nimmt die Puppen-Leidenschaft ab. Es wird nun klarer als zuvor erkannt, dass Puppen keinerlei inneres Leben oder Gefühl haben‘ (Hall u. Ellis, 1897, 43).“ (32)

Puppen als Wegbereiterinnen ins Erwachsenendasein“ finden sich in „verschiedenen historischen Epochen“ (39); unter Bezug auf die „Schicksale der Puppe Wunderhold von Antonie Cosmar, … 1839 in Erstauflage veröffentlicht“ (40) formulieren Fooken/Mikota: „Die Puppe als Spielzeug dient weitgehend dazu, Mädchen auf ihre Rolle als Hausfrau, Gattin und Mutter vorzubereiten. … Diese Form einer ‚gelingenden Anpassung‘ wird als ‚weibliche Erfüllung‘ propagiert.“ (40 f) Dabei „erweist sich der Topos einer irgendwann ‚notwendigen‘ und anstehenden Trennung von der Puppe, um erwachsen zu werden, vom Beginn der Puppenerzählungen an als ein wiederkehrendes Thema.“ (45) Wird nach Schulbeginn weiter mit Puppen gespielt, dann eher mit einer Veränderung: eingenommen „wird die neue Rolle als Lehrerin …, die ihre unwissenden Puppen nun unterrichten muss.“ (48) Am „Gesamtkontext“ des Werkes von Emma Biller machen Fooken/Mikota deutlich, „dass ihre ‚Botschaften‘ an die Leserinnen auf zwei Ebenen angesiedelt sind: Vordergründig wird den damals herrschenden Verhaltensstandards zumeist entsprochen, unterschwellig werden diese gleichzeitig aber auch immer ein wenig subversiv unterlaufen. Trotz dieser vorsichtigen ‚Emanzipation‘ weiblichen Rollenverhaltens fällt aber auch auf, dass ihre Puppengeschichten fast immer auf eine klassische Gegenüberstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit als anthropologisch gegebene menschliche Polaritäten und ‚Wesensmerkmale‘ hinauslaufen. … Dabei werden allerdings weibliche Eigenschaften und Rollen deutlich positiver bewertet als männliche Rollen Merkmale (sic!) – männliche Puppen und deren relativ restringiertes soziales Rollenverhalten erfahren insgesamt eher wenig Wertschätzung.“ (49 f) „Passagen wie die über den Puppen-Ehemann zeigen, dass die (Puppen-)Mädchen kaum eine Vorstellung über Männer und von männlichen Lebenszusammenhängen haben und diese weder nachspielen noch nachempfinden können.“ (51)

Anschließend präsentieren Fooken/Mikota mit der „1914 publizierten Erzählung Ein Emigrant … von Selma Lagerlöf (1914)“ eine echte Besonderheit: „Die Puppe als Erzieherin für einen Jungen“. Für den Jungen Fritz „fungiert“ seine Puppe Laban „nicht nur als Übergangsobjekt, sondern ist ein wahrer Lebenshelfer.“ (51) „Fritz kann mit der Puppe auch lustvoll spielen, ganz unterschiedliche Perspektiven und soziale Rollen einnehmen“ (52). Fooken/Mikota fassen zusammen: „Es handelt sich um eine Erzählung, die nicht nur für die damalige Zeit, sondern auch heute noch in ganz ungewöhnlicher Weise emanzipatorisch wirkt, weil traditionelle Geschlechterrollen-Normen aufgehoben werden und sowohl Jungen als auch ganz generell Erwachsenen ein konstruktiv-kreativer Zugang zu Puppen ermöglicht wird.“ (54)

Als Beispiele für „Erwachsenwerden im 21. Jahrhundert im Kontext von Puppenerzählungen“ stellen Fooken/Mikota zwei aus dem Amerikanischen übersetzte Jugendromane vor: „Die Puppenkönigin von Holly Black (2013)“ (54) und „Clara und die Magie des Puppenmeisters von Laura Amy Schlitz (2013)“ (57)

Der folgende Abschnitt behandelt „Besondere“ – gleichsam historische – „Lebenswelten von Puppenfamilien“ (63 ff). „Im Mittelpunkt des Buchs Das geheime Leben der Puppen (Martin u. Godwin, 2001) steht das Puppenhaus der Familie Puppenheimer, die bereits seit Jahrzehnten in der (Menschen-)Familie Palmer lebt“ (63); „die Puppen … können sich, sobald die Menschen aus ihrem Blickfeld verschwunden sind, frei bewegen. … Annabelle Puppenheimer, die Porzellanpuppe, trifft auf Tiffany Flinkbeiner, die Plastikpuppe.“ (64) „Innerhalb der Puppenheimer-Familie finden kaum Veränderungen statt. Ihr Leben verläuft seit fast 100 Jahren gleich. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert, man musiziert gemeinsam und erinnert im Habitus an eine kleinbürgerliche Familie. Die Familie Flinkbeiner ist hingegen eine ‚moderne‘ Puppenfamilie des 20. Jahrhunderts. Die Puppen sind aus Plastik, ihr Haus ist bunt und man besitzt zahlreichen Komfort: neben der Mikrowelle, auch einen Computer und ein Videogerät. Deutlich wird das unterschiedliche Lebenstempo der Familien, die Schnelllebigkeit der Zeit, die Beschleunigung der gesamten Lebensverhältnisse, die veränderten Familienformen und Lebensauffassungen.“ (65)

„In der fünfbändigen Buchreihe über die Mennyms, geschrieben von der englischen Kinderbuchautorin Sylvia Waugh (1993/ 1996/ 2000), wird das Leben einer Puppenfamilie geschildert.“ (69) „Sind es im allgemeinen die Kinder (und Menschen), die so tun als ob die Puppen lebendig wären, sind es hier die Puppen selber, die diese genuin menschliche Fähigkeit des Symbolspiels und das Agieren auf einer Möglichkeitsebene beherrschen, um ihre Puppenexistenz gegenüber den Menschen abzusichern. … ‚Sprache und Erzählung sind die Bedingungen ihres Lebens‘ – so resümiert Gundel Mattenklott (2014, 40) die Besonderheit der Mennyms.“ (71)

Im letzten Abschnitt geht es noch einmal um den Zusammenhang von Puppen, Puppen-Narrativen, „Umweltbewusstsein“ und Umweltgestaltung. Werden „die inneren Bindungen an die frühen Objekte der Kindheit zugelassen“, so Fooken/Mikota, dann „werden wichtige Entwicklungsimpulse gesetzt, die dazu auffordern, sich offen auf das ‚innere Kind‘ einzulassen und es in die eigenen Entwicklungs- und Lebensentwürfe zu integrieren.“ (73) Das setzt zugleich Gestaltungskräfte frei. „Kinder und Heranwachsende ko-konstruieren ihre Umwelten zusammen mit anderen Menschen und mit den dazugehörigen Gegenständen als spezifische Lebenskontexte und Umwelten, die mal stärker eine Parallelwelt zur realen Welt, mal mehr Miniatur, Imitation bzw. Widerspiegelung dieser Welt sein können.“ Fooken/Mikota verweisen hier auf die amerikanischen Entwicklungspsychologen Pellegrini, Dupuis und Smith (2007). Sie „gehen in ihren Überlegungen zur Bedeutung des Spiels für Evolution und Entwicklung davon aus, dass den innerhalb der menschlichen Evolution anstehenden Anforderungen neuer unbekannter Umwelten quasi vorauslaufend mit innovativen Verhaltensweisen am sinnvollsten begegnet werden kann, die durch einen spielerischen Zugang zur Welt gelernt werden. Demnach würde exploratives Spiel und Neugier auf Lesestoff evolutionäre Prozesse konstruktiv beeinflussen.“ (74) Mit anderen Worten, so der Schluss-Satz von Fooken/Mikota: „Häuser, Tod und Leben der Puppe(n) in der Literatur bieten ein enormes Potential für die Auseinandersetzung mit Umwelt-Fragen und der Reflexion von Verantwortung, Ästhetik und Nachhaltigkeit.“ (75) Damit wird noch einmal deutlich, in welch umfassenden Rahmen Fooken/Mikota ihre Untersuchung gestellt haben.

Diskussion

Gegenstände der Welt (genau wie die „Welt“ insgesamt) verwickeln jeden Menschen immer auch in ein Antwort-Geschehen; sie ‚laden‘ sich auf mit unseren An-Sichten, geben einen Widerhall, ein Echo. Das umso mehr, je komplizierter (menschenähnlicher) ein Gegenstand ist und je häufiger wir mit ihm umgehen. Dieses verwickelte Wechselverhältnis (Interaktionsgeschehen) lässt sich zwar strukturell, aber nicht spezifisch auflösen, weil sich mit jedem einzelnen Individuum, jeder neuen Spielerin, jedem neuen Leser ein anderes Interaktionsfeld bildet. Von Fooken/Mikota wird dieses Interaktionsfeld, einschließlich seiner historischen Entwicklung, am Beispiel von Puppe und Puppengeschichten differenziert und kenntnisreich dargestellt.

Schon bei der Puppe ist jedoch ein weiterer Außen-Akteur wirksam: der Hersteller der Puppe, der mit ihr seine Welt-Anschauung (z.B. seine Geschäftsinteressen) zum Ausdruck bringt. Deutlicher wird dieser „Außenakteur“ bei der Puppengeschichte: durch die Puppe und ihre Erlebnisse spricht die Autorin mit der Leserin – auch dann, wenn die Puppe sich in direkter Rede äußert (und z.B. Ratschläge gibt); aber auch in dieser Begegnung wird die Puppe und ihre Geschichte wiederum affiziert von der Leserin; es bleibt bei einer Art erweitertem Selbstgespräch. Zwar kann die Puppe nicht mehr wissen oder fühlen als das Kind – trotzdem beflügelt sie dessen inneren Dialog. Klüger und erfahrener kann die Puppe einer Puppengeschichte sein; durch sie spricht ja eine erwachsene Autorin – aber auch hier ist die Leserin an Ausgestaltung, Interpretation und damit Wirkung der Geschichte entscheidend beteiligt.

Kommt hinzu, dass Kinder mit ihren Puppen immer wieder neu (und anders!) spielen, spielen können (ihre Puppengeschichten anders lesen) – angestoßen vielleicht von Veränderungen in ihrer Umwelt – sodass sie nicht nur Veränderungen erfahren, sondern Verändern lernen. Ähnlich die Überlegungen der von Fooken/Mikota zitierten Entwicklungspsychologen Pellegrini, Dupuis und Smith (2007) (s.o.), „dass den innerhalb der menschlichen Evolution anstehenden Anforderungen neuer unbekannter Umwelten quasi vorauslaufend mit innovativen Verhaltensweisen am sinnvollsten begegnet werden kann, die durch einen spielerischen Zugang zur Welt gelernt werden.“ (74)

Bleibt bei allem Einverständnis mit der Publikation von Fooken/Mikota ein Desiderat, ein Wunsch an die Autorinnen: den (weiblich konnotierten) Begriff der Puppe durch den (eher männlich bestimmten) Begriff der Figur zu ergänzen, also Cowboys, Indianer, Ritter, marschierende und kämpfende Soldaten und ihre Umwelt (Schlachtschiffe, Panzer und explodierende Granaten …) wie die dazu gehörenden „Figurengeschichten“ (etwa Andersens „standhaften Zinnsoldaten“) einzubeziehen.

Fazit

Fooken/Mikota haben das Forschungsgebiet ‚Puppen/Puppengeschichten‘ schon mehrfach kompetent behandelt; mit der jüngsten Veröffentlichung „Literarische Miniaturwelten“ bereichern sie es durch eine neue Dimension: die Einbeziehung einer umfassend verstandenen dinglichen wie sozialen ‚Umwelt‘.

Dabei wird insbesondere der komplex-vielschichtige Zusammenhang zwischen dem kindlichen Spiel mit Puppen (bzw. dem Lesen von Puppengeschichten), der gesamtgesellschaftlichen Situation und der individuellen Entwicklung der spielenden und lesenden Kinder (vor allem ‚natürlich‘ der Mädchen!) erhellt und untersucht – wichtig für Forschung (Literaturwissenschaft, Entwicklungspsychologie, Spielpädagogik), wichtig auch für Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen.

Rezension von
Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel
Institut für Spiel- und Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin
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Zitiervorschlag
Hans Wolfgang Nickel. Rezension vom 29.06.2016 zu: Insa Fooken, Jana Mikota: Literarische Miniaturwelten. Leben und Tod in Puppengeschichten. universi – Universitätsverlag Siegen (Siegen) 2016. ISBN 978-3-936533-69-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20879.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.


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