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Werner Gross: Was Sie schon immer über Sucht wissen wollten

Rezensiert von Prof. Dr. Gundula Barsch, 27.09.2016

Cover Werner Gross: Was Sie schon immer über Sucht wissen wollten ISBN 978-3-662-48326-8

Werner Gross: Was Sie schon immer über Sucht wissen wollten. Springer (Berlin) 2016. 156 Seiten. ISBN 978-3-662-48326-8. D: 19,99 EUR, A: 20,55 EUR, CH: 25,00 sFr.

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Thema

Das Interesse an Sucht als zu problematisierendes Phänomen und emotional aufgeladenes Diskussionsthema ist längst aus Expertenkreisen herausgetreten, wird medial mit diversen Berichten und Geschichten bebildert und hat sich mit ganz eigenen Vorstellungen, Vorurteilen und Mythen auch einen beachteten Platz im Alltagsdenken erobert. Scheinbar wissen alle, wovon sie reden, auch wenn jeder dann doch von etwas anderem spricht. Dies nicht nur deshalb, weil sich diesem Phänomen aus sehr unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen genähert wird, die jeweils andere Facetten in den Mittelpunkt ihrer Erklärungsmodelle stellen, sondern auch, weil sich die Vorstellungen von Sucht bzw. Abhängigkeit in den letzten Jahren erheblich verändert haben und nicht zuletzt auch deshalb, weil um die Deutungshoheit dieses Problems auch heftige ideologische Kämpfe entbrannt sind. Insofern erwartet man von diesem Titel eine facettenreiche Sicht auf dieses hochkomplexe und offensichtlich nur mit einer kritischen Distanz zu verstehende Thema.

Aufbau und Inhalt

Das Buch versucht einen Rundumschlag auf alles, was gegenwärtig unter dem Begriff Sucht in der deutschen Gesellschaft diskutiert wird. Wobei fairerweise hätte deutlicher vorangestellt werden müssen, dass dies vor dem Hintergrund psychotherapeutischer Verstehensweisen erfolgt und deshalb mit vielen Auslassungen und Voreinstellungen gearbeitet wird.

Diese werden bereits in den ersten Kapiteln deutlich, in denen erklärt wird, wie Sucht definiert wird, wie diese von anderen Phänomenen wie Gebrauch, Missbrauch, Gewöhnung abzugrenzen sei und welche Kriterien als wesentlich für die Diagnosestellung „Sucht“ zu gelten haben. Sodann werden stoffgebundene Suchtformen vorgestellt, die entlang verbreiteter illegalisierter und legalisierter Drogen beschrieben werden.

Es schließt sich ein Überblick über stoffungebundene Verhaltenssüchte an, die ebenfalls entlang bestimmter hochproblematischer Handlungsmuster dargelegt werden, wobei all diese Ausarbeitungen weder einer Systematik folgen, welche Facetten jeweils in den Blick gerückt werden (Geschichte, Epidemiologie, Frage-/Problemstellungen), noch wird die anfangs herausgearbeiteten Differenzierung in Gebrauch, Genuss, Missbrauch und Abhängigkeit konsequent in den Darlegungen abgearbeitet. Folgerichtig wird jede Umgangsweise mit einer psychoaktiven Substanz in die Nähe zur Sucht gerückt oder als Sucht deklariert, wodurch der anfangs postulierte Vorsatz, möglichst nicht in eine vorurteilsbesetzte Sicht zu geraten, nicht eingehalten wird. Schon scheint die alten Überzeugung auf, dass es beim Umgang mit bestimmten Substanzen (u. a. Tabak) nicht anderes geben kann, als nur eine Sucht.

Deutlich wird diese sehr fokussierte Sichtweise auch bei der Behandlung stoffungebundener Süchte. Diese Einschätzung muss selbst dann gelten, wenn zumindest am Ende dieses Kapitels die Frage aufgeworfen wird, ob diese extremen Handlungsstile tatsächlich als Sucht gelten können und mit diesem Label die bestmögliche soziale Umgangsform damit bereits gefunden ist.

Weit vor dem offiziell ausgewiesenen Serviceteil mit Adressen von Institutionen und Verbänden, die sich mit dem Thema beschäftigen, ließen sich die noch folgenden Kapitel ebenfalls als eine Art Serviceteil lesen, der einem wenig informierten Leser auf wenigen, leider manchmal redundanten Seiten versucht, zumindest die Türen zu zeigen, hinter denen man nach Erklärungsmodellen für Sucht suchen muss, die einen Eindruck davon vermitteln wollen, wie Angehörige von Suchtkranken mitbetroffen sind, die darauf hinweisen, wer die Helfer in dem interdisziplinären Suchthilfesystem sind und welche Institutionen hier welche Hilfe und Unterstützung anbieten. Hier wundert es dann schon nicht mehr, dass Hilfeansätze von Harm Reduction und akzeptierender Drogenarbeit offenkundig gar nicht rezipiert werden – es ist eine folgerichtige Konsequenz der vielen pauschalen Zuweisungen des Labels Sucht an Phänomene, die auch anders verstanden werden können. Die Kapitel „Sucht und Wissenschaft“ und „Gesellschaftliche Kosten der Sucht“ gehören zwar formal zum Thema des Buches, die inhaltliche Angebote sind allerdings so kurz, dass man besser darauf hätte verzichtet sollen.

Fazit

Das Buch wendet sich an einen bisher gar nicht informierten Leser, der sich rasch und mit wenig Aufwand an Lese- und Denkleistung einen Überblick darüber verschaffen will, wie der Themenkreis, der sich um „Sucht“ rankt, aussieht und wie die Sichtweise und die Erklärungsmuster konservativer Verstehensweisen dazu sein können. Das offensichtlich selbstgestellte Ziel, eine Übersichtsarbeit zum Thema mit ganz wenigen Seiten vorzulegen, ist leider nur auf Kosten einer differenzierten Darstellungen gelungen, in der man alle hochkontroversen und widersprüchlichen Diskurse vermisst.

Rezension von
Prof. Dr. Gundula Barsch
Hochschule Merseburg
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Es gibt 23 Rezensionen von Gundula Barsch.

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Zitiervorschlag
Gundula Barsch. Rezension vom 27.09.2016 zu: Werner Gross: Was Sie schon immer über Sucht wissen wollten. Springer (Berlin) 2016. ISBN 978-3-662-48326-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20921.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.


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