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Joachim Merchel: Jugendhilfeplanung

Rezensiert von Prof. Dr. Maria Bitzan, 21.02.2017

Cover Joachim Merchel: Jugendhilfeplanung ISBN 978-3-8252-4677-8

Joachim Merchel: Jugendhilfeplanung. UTB (Stuttgart) 2016. 188 Seiten. ISBN 978-3-8252-4677-8. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 31,60 sFr.

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Thema

Mit der Ankündigung, Anforderung, Profil und Umsetzung von Jugendhilfeplanung (JHP) zusammengefasst vorzustellen, wird der Anspruch erhoben, über Grundsätzliches und aktuelle Herausforderungen von JHP zu informieren. Ausgangspunkt für das Buch ist der von Merchel charakterisierte Befund, dass im Unterschied zur Aufbruchsstimmung in den 90er Jahren, als JHP vom Gesetz verpflichtend eingeführt wurde, heute im Diskurs ein merkwürdiger Widerspruch festzustellen sei: einerseits scheint JHP aktuell mittlerweile (wieder) „aus der Mode gekommen“ zu sein, andererseits wird in den Gestaltungsdebatten der Jugendhilfe „immer häufiger die Hoffnung auf Planung“ (10) gesetzt. Nicht zuletzt hängen die unterschiedlichen Einschätzungen und Potentiale von JHP im kommunalen Geschehen ganz entscheidend vom örtlichen und fachlichen Planungsverständnis ab. Merchel möchte mit seinem Beitrag JHP „als prozesshaften und kontinuierlich wirkenden Gestaltungsprozess wieder stärker in den Blick“ nehmen. Daher zielt das Buch darauf ab zu klären, woran sich JHP konzeptionell, methodisch und organisational orientieren muss, um qualitative Entwicklungen zu ermöglichen (12).

Autor

Der Autor Prof. Dr. phil. Joachim Merchel, ist am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster zuständig für das Lehr- und Forschungsgebiet „Organisation und Management“. Er gilt seit Jahren als einer der profiliertesten und engagiertesten Vertreter einer Weiterentwicklung und Charakterisierung von Jugendhilfeplanung. So ist es nur folgerichtig, dass nun ein kleines kompaktes ca. 200 Seiten starkes Grundlagenbändchen von ihm herauskommt. Die Ausführungen knüpfen an viele vorherige Veröffentlichungen an, die der Autor in mehr als 20 Jahren zu konzeptionellen Aspekten und Entwicklungstendenzen in der JHP erarbeitet hat.

Mit dieser Publikation erhofft sich der Autor Impulse zur Neuaktivierung und Neuprofilierung von JHP, wie es unlängst das Bundesjugendkuratorium (2012) in einer Stellungnahme einforderte, der seine Expertise „Profil der Jugendhilfeplanung zur Herausbildung einer ‚Eigenständigen Jugendpolitik‘ im kommunalen Bereich: Praxis und Handlungsoptionen der Jugendhilfeplanung in Jugendämtern“ beigefügt war.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel, die das Feld unter unterschiedlichen Kriterien eingrenzen, beleuchten und diskutieren.

Eine erste einfache Einführung klärt zunächst einmal die Frage danach, was Planung eigentlich sei. Merchel stellt zwei Wege vor: zum einen eine Annäherung über die Theorie und Begriffsklärung von Planung. Mit Bezug auf das Technologiedefizit der Sozialen Arbeit wird neben der (eher geringen) Vorhersagefunktion denn auch eher die Aufgabe der Beobachtung, Evaluierung und Gestaltung von Handlungsprozessen betont (17). Zum andern benennt er die empirische Annäherung, die schaut, was denn unter der Bezeichnung JHP praktisch getan wird. Hier ergibt sich ein äußerst differenziertes und uneinheitliches Bild, woraus sich keine Definitionen ableiten lassen. Um aber die Praxis auch kritisch beleuchten zu können, braucht es Bezüge auf beide Zugänge. Auf diesem Hintergrund versucht Merchel mit dem Buch, den „Kern“ dessen, was heute allgemein JHP sein kann, herauszuarbeiten (22). Zentral ist in jedem Fall die Verortung als Infrastrukturplanung und das Überschreiten reiner Berichtstätigkeiten (wie etwa bei der Sozialberichterstattung). Zugleich muss gewarnt werden vor der nach wie vor verbreiteten hohen Steuerungserwartung, womit JHP in die Nähe der Hoffnungen (und Vereinfachungen!) von wirkungsorientierter Steuerung oder gar „Evidenzbasierung“ gerückt würde – wovon Merchel sich im Selbstverständnis deutlich absetzt, indem er in fünf Punkten auflistet, warum diese Erwartungen nicht einlösbar sind. Dabei wird noch einmal auf die sozialen Gegenseitigkeitsprozesse im sozialen Handeln (professionell wie lebensweltlich) verwiesen und damit auf die Autonomie von Adressat_innen und Trägern, die schon unter ethischen Gesichtspunkten einfache Steuerungen verbietet (und unter praktischen Gesichtspunkten verunmöglicht). In Übereinstimmung mit einem mehrheitlich durchgesetzten fachlichen Selbstverständnis (bspw. Herrmann 2016) definiert Merchel die Steuerungsmöglichkeiten der JHP vielmehr als das methodische Gestalten von kommunikativen Prozessen. JHP „wird dann verstanden als ein Verfahren, mit dem Prozesse der Aushandlung zu Fragen der Infrastruktur, der Bedarfsdefinition, der gewünschten Angebotsentwicklungen bei Träger und Einrichtungen sowie der Prioritätensetzung so gestaltet werden, dass die für die Planungsumsetzung bedeutsamen Akteure in die Handlungsprozesse einbezogen werden“ (32).

Im zweiten Kapitel werden die rechtlichen Grundlagen sowie die Planungsverantwortung und die fachlichen Vorgaben erläutert. Vom Gesetz her ist JHP das Verfahren, mit dem der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seiner „Gesamtverantwortung“ in den drei wichtigen Planungsdimensionen nachkommt: In der qualitativ-fachlichen Dimension, die über den Bedarf entscheidet, in der quantitativen Dimension, die dafür Sorge trägt, ausreichende Unterstützungsangebote vorzuhalten und in der zeitlichen Dimension, die diese Vorhaltung rechtzeitig und vorausschauend in Bezug auf entstehenden Problemlagen und kritische Entwicklungen zu leisten hat. Dabei wird insbesondere auch auf die Bedeutung und Rolle des Jugendhilfeausschusses als Bestandteil des öffentlichen Trägers hingewiesen und Planung somit dezidiert auch als politisches, nicht nur verwaltendes Geschehen gekennzeichnet (gemäß §§ 79 und 80 SGB VIII). Zusammengefasst werden die fachlichen Ziele, die das SGB VIII insgesamt für die Jugendhilfe auflistet und die sich an der Lebensweltorientierung der Jugendhilfe orientieren. Merchel betont dabei vor allem, dass bereits bei Fragen des Planungszugangs die inhaltlichen Ziele der Jugendhilfe beachtet werden müssen, um Kriterien für deren Überprüfung zu erhalten. Im Gesetz stehen des weiteren keine genauen Abläufe, aber der klassische planerische Dreischritt ist als Mindestanforderung angegeben: die Vergewisserung über den Bestand, die Verständigung über einen fachlich und politisch anzustrebenden Zielzustand sowie die Maßnahmenplanung als Konkretisierung der Schritte, um die Differenz zwischen Bestand und Bedarf in angemessener Zeit zu schließen. Dies alles erfolgt nicht in starrer Abfolge, es muss sich prozessbezogen auf alle Felder der Jugendhilfe beziehen und es ist vom Gesetz her als kontinuierliches prozesshaftes Geschehen gedacht. Im Gesetz wird auch der Beteiligungsanspruch von Trägern und Adressat_innen der Planung angesprochen, der dann später im Buch ausführlicher diskutiert wird. Merchel weist in diesem Kapitel ebenfalls daraufhin, dass Prozesse der JHP zusammen zu denken sind mit Prozessen der Qualitätsentwicklung der Jugendhilfe. Zuletzt wird noch der Charakter der rechtlichen Vorgaben als Planungsverpflichtung (nicht Freiwilligkeitsleistung) der Kommunen unter Absehung allerdings eines einklagbaren Rechts dargestellt.

Wenn JHP lebensweltorientiert gedacht wird, so reicht sie weit über das durch die Jugendhilfe im engeren Sinn zu gestaltende Geschehen hinaus – dies wird im 3. Kapitel erläutert unter dem Stichwort: JHP als Teil der kommunalen Infrastrukturplanung. Hier wird insbesondere auf zwei – bereits im Gesetz angelegte – Ansprüche eingegangen: JHP soll die Belange von Kindern und Jugendlichen in die kommunale Politik einbringen und sie soll sich mit anderen kommunalen Planungen verkoppeln. Diese Ansprüche werden in einigen Teilkapiteln näher erläutert: Bei JHP als Teil der kommunalen Sozialplanung geht es um die Abstimmung von Prozessen, um die Nutzung gemeinsamer Datengrundlagen und um die strukturelle Verbindung verschiedener Planungen; bei dem Komplex JHP und Bildung geht es um die Verbindung von Schulplanung und JHP, die in dem Schnittfeld der Schulsozialarbeit einen ausgeprägten Arbeitsbereich der Jugendhilfe beinhaltet, aber darüberhinausgehend weiterer Abstimmungen bedarf. Deutlich wird hier, wie schwierig auf der Planungsebene eine wirkliche Aufeinanderbezogenheit herzustellen ist, gleichwohl auf der praktischen Ebene seit den 2000er Jahren eine große Vielfältigkeit der Kooperationen und gemeinsamen Angebote zu verzeichnen sind. Merchel verweist auf die schwierigen Erfahrungen des letzten Jahrzehnts, bei denen immer die JHP der impulsgebende Akteur sein musste, da von Schule allein wenig Impulse ausgingen. Ein weiteres Feld ist die Schnittstelle zur Familienförderung, die in jüngerer Zeit insbesondere durch die Angebote der frühen Hilfen ein neues Feld, das es gemeinsam zu beplanen gilt, geschaffen hat. JHP weist darüberhinaus Schnittstellen zu weiteren kommunalen Steuerungsfeldern auf wie das Controlling (in Bezug auf die Finanzsteuerung) und die Qualitätsentwicklung. Von den Fachkräften der JHP wird erwartet, sich über die Dimensionen dieser Prozesse und ihrer Zielsetzungen bewusst zu sein und die Kriterien mitzuentwickeln. Insbesondere bei der Qualitätsentwicklung sollten die qualitativen Maßstäbe diskursiv zusammen mit den Trägern erarbeitet werden. Merchel verweist bei diesen Ansprüchen allerdings auch auf die meistenteils begrenzten Ressourcen, die das fachlich kluge Umgehen mit anderen Planungslogiken und -stilen sowie die Entwicklung von Qualitätskriterien nicht immer so ohne weiteres in die Arbeit mit aufnehmen lassen.

Das nun folgende deutlich ausführlichere Kapitel umfasst die Vorstellung und Diskussion methodischer Handlungsorientierungen. Hier werden die im 2. Kapitel angedeuteten Schritte ausführlicher behandelt – Merchel positioniert sich hier eindeutig hin zu dem schon oben dargestellten kommunikativen und konfliktorientierten Verständnis einer fachgerechten JHP. Zunächst wird die notwendige Kombination von Empirie, Reflexion und Kommunikation begründet und – analog zu Maykus Ausführungen 2006 – darauf verwiesen, dass empirische Daten und kommunikative Vorgehensweisen keineswegs im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich sinnvollerweise ergänzen müssen. Es geht um „die prozesshafte Ausgestaltung von Aushandlungsvorgängen auf der Grundlage empirischer Daten“ (80). Allerdings werden an dieser Stelle ausschließlich quantitative Daten angeführt und in einer hilfreichen Tabelle inhaltlich systematisiert für ein notwendiges Datenkonzept. Auf dieser Basis wird dann der erwähnte methodische Dreischritt (Bestandsanalyse, Bedarfsanalyse, Umsetzung) im Detail erörtert. Für die Bestandsanalyse zeigt Merchel die Gefahr einer konservativen, das Bestehende bestätigenden, Tendenz auf, wenn nicht bewusst auch kritisch dagegen gefragt wird. Denn die Bewertung des Bestands erfolgt ja mit den Trägern zusammen, die eben diesen Bestand verantworten. So ist bereits bei diesem Schritt eine doppelte Konfliktorientierung angesagt, die einerseits die Bewertungszurückhaltung der Träger aufbricht und andererseits die Konkurrenzen der Träger untereinander nicht zu sehr in den Vordergrund geraten lassen darf. Genauer werden dann Aspekte, die eine Bestandsanalyse strukturieren können, aufgezeigt, Fragestellungen eingeführt und erläutert, auf der Basis welcher Erhebungsschritte die Bestandsanalyse und -bewertung letztlich vollzogen werden kann. Ähnliche Reflexionsnotwendigkeiten erstehen bei der Bedarfsanalyse, die ebenfalls mit einem konfliktorientierten Bewusstsein angegangen werden muss, denn auch Bedarfsfeststellungen sind keineswegs objektiv sondern interessengeleitet. Immer ist zu fragen: brauchen wir ein Mehr Desselben oder aber soll etwas Neues geschaffen werden. Für die Schritte der Maßnahmenplanung und der Evaluierung werden ebenfalls differenzierte Unterfragestellungen und Handlungsschritte vorgestellt – diese Kapitel sind als Arbeitshilfen gut brauchbar.

Für diese Schritte macht es einen Unterschied, mit welcher Ausrichtung an die Strukturierung des Feldes herangegangen wird. Merchel zeigt hier den bereichsorientierten Ansatz und spricht dann genauer über den sozialraumorientierten Ansatz, wobei er deutlich macht, dass diese in der Praxis nicht immer getrennt praktiziert werden. Gerade für letzteren wird ausführlicher auf das Verständnis von Sozialraum eingegangen (und die Notwendigkeit qualitativer Daten!)- und auch auf die Gefahren der Zweitstigmatisierung als Nebenfolgen der Identifizierung besonders förderungswürdiger Quartiere. Hier bezieht sich Merchel explizit auf die kritische Diskussion zur Sozialraumorientierung (Kessl/Reutlinger 2013) und die unweigerlichen Dilemmata, die dieser häufig praktizierte und im Prinzip integrierende Ansatz mit sich bringt.

Zuletzt beschäftigt er sich mit der zunehmenden Praxis, interkommunale Vergleiche heranzuziehen. Vorteil – so Merchel – ist die Chance, aus den eingefahrenen kommunalen Denkmustern herauszutreten und sich irritierenden (und damit bereichernden) Impulsen auszusetzen. Der Nachteil aber – so warnt der Autor, – ist die Gefahr von platten Vergleichen, die eben genau die Relationierung in Bezug auf das je spezifische Kommunale nicht einbeziehen und auf diese Weise zu unsinnigen Schlussfolgerungen gelangen können.

Nun folgen Ausführungen zu einem weiteren Kernstück der Planung, das nach wie vor heikel, wenig eindeutig und wenig ausdifferenziert ist, aber bereits vom Gesetz zwingend vorgeschrieben ist: das Beteiligungsgebot. Als zentrales Qualitätsmerkmal von Planung wird dieses Strukturelement ausführlich begründet und sodann aufgedröselt nach Beteiligung von Fachkräften, Trägern und Adressat_innen. Er macht die jeweilige Schwierigkeit der Interessengebundenheit von Trägern und teilweise auch Fachkräften deutlich und zeigt methodische Wege und strategische Möglichkeiten auf. Dabei wird die absolute Notwendigkeit von Beteiligung von Trägern und Fachkräften betont und gerade die Alltagsnähe und das Alltagswissen der Fachkräfte als produktives Element für eine sachgerechte Planung betont. Für die Beteiligung von Adressat_innen gilt jedoch der bekannte Befund der großen Differenz zwischen programmatischen Forderungen und tatsächlicher Praxis. Die Schwierigkeiten haben vor allem damit zu tun, dass Beteiligung als aufwändige Vorgehensweise eigene Zeit und mehr Ressourcen braucht und ergebnisoffen gehandelt werden muss. Das ist in Verwaltungsabläufen mühsam. Hinzukommt, dass Betroffene (insbes. Kinder und Jugendliche) einen eigenen surplus aus ihrer Beteiligung gewinnen können müssen, um motiviert zu sein. Denn „Beteiligung ist für die Adressaten dann am plausibelsten und dann am ehesten realisierbar, wenn sie nah an ihrem Alltag ansetzt und inhaltlich auf die Gestaltung des Alltags bezogen ist“ (127). Somit plädiert Merchel unbedingt für Adressatenbeteiligung, warnt aber gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen. Es folgen methodische Möglichkeiten. Er betont letztlich aber noch einmal die emanzipatorische, aufdeckende Perspektive, wenn er resümiert: „Es geht weniger darum, vorhandene Artikulationsmodalitäten der Adressaten aufzunehmen …, sondern Beteiligung herauszufordern, … und durch sozialpädagogisches Handeln zu unterstützen, damit die Perspektive der Adressaten überhaupt artikulationsfähig gemacht wird“ (130). Damit schließt er – implizit – an die neueren Diskurse zur Adressatenorientierung an (Bitzan/Bolay 2017) und sieht hier in Planung einen Weg, Sichtweisen und Teilhabe hervorzubringen.

Die Erörterung zur JHP wäre nicht vollständig, wenn nicht auch auf die organisationalen Bedingungen einer guten JHP eingegangen würde. In mehreren Schritten werden im 5. Kapitel Organisationsfragen der kommunalen Verankerung von JHP, des Aufgabenprofils und des Organisationsrahmens ausgeführt. Wichtig ist dem Autor dabei, deutlich zu machen, dass JHP nicht nur die Aufgabe einer Fachkraft alleine ist, sondern dass sie ein System von innerhalb der Organisation zu erledigenden Aufgaben ist mit unterschiedlichen Beteiligten aus den Fachabteilungen des Jugendamtes. Darin hat die Planungsfachkraft spezifische Funktionen, aus denen die Moderation und das „produktive Stören“ (139) von eingeschliffenen Denkweisen und Routinen besonders herausragen, weil sie üblicherweise nicht in den Handbüchern stehen.

In seinem letzten Kapitel bearbeitet der Autor einige inhaltliche Arbeitsbereiche der Jugendhilfe, die für die Planung aktuelle besondere Herausforderungen beinhalten (neben den einzelnen klassischen Fachbereichen der Jugendhilfe). Das sind: der Umgang mit Migration und mit Geflüchteten, das Thema der Inklusion, die immer noch steigende Kostenentwicklung in den Hilfen zur Erziehung sowie das Thema der Wirkungsevaluationen als Steuerungsimpuls.

In einem Querblick resümiert der Autor am Schluss des Buches noch einmal Chancen und Grenzen von kommunikativer und konfliktorientierter JHP. Die hohe Steuerungserwartung kann sich kontraproduktiv auswirken und JHP in eine latente Überforderungssituation bringen, wenn sie sich ständig legitimieren muss. Außerdem kann sie schnell unter Profilverlust leiden, wenn die Aufträge diffus sind, die Kooperation in die anderen Planungsbereiche hinein blockiert wird und die Ausstattung mangelhaft ist. Das ergibt eine Negativspirale, die die JHP marginalisiert. Angelehnt an seine Ausführungen von 2012 und 2010 werden am Schluss Eckpunkte für eine „gute JHP“ zusammengestellt, die die ausführlich diskutierten Knackpunkte der vorangegangenen Kapitel noch einmal aufgreifen und zu Qualitätsmerkmalen umformulieren.

Diskussion

Mit dem Buch liegt ein Band vor, der die meisten Diskussionsebenen und eingebetteten Themen des Diskurses um JHP aufgreift, sortiert und systematisiert. Anders als in den bereits vorliegenden Herausgeberbänden als Handbuch (vgl. Maykus/Schone 2010) wird hier aus einem Guss und mit einem durchgängig organisations- und steuerungskritischen Blick das Feld aufgerollt und durchgepflügt. Alle Bereiche der JHP sind angesprochen, in ihren jeweiligen Hintergründen und Zielrichtungen begründet und in den möglichen Formen und Ausdifferenzierungen durchgesprochen. Insofern ein umfassendes Buch.

Das besondere Markenzeichen von Merchels Planungsverständnis, das sich pointieren lässt in der Formel: JHP auch als Irritation – kommt immer wieder durch, wenngleich es – leider – nirgends systematisch aufbereitet wird. Besonders wichtig erscheint mir – neben den notwendigen fachlichen Charakterisierungen und gesetzlichen Erklärungen –, dass er immer wieder die Chancen von JHP betont, auch kritische, quer zu dem Bestehenden liegende Impulse in die Abläufe hineinzubringen, Impulse durch Beteiligung, durch kritisches Hinterfragen von Trägerlogiken und durch geschickte Moderation von Aushandlungsprozessen – Planung also in der Gewichtung als politischer Prozess wieder neu zu beleben im Gegensatz zu affirmativen verwaltungsaffinen datenbezogenen Ordnungsbemühungen.

Verwunderlich, und auch ärgerlich, ist, dass bei dem sehr ambitionierten und beteiligungsorientierten, um soziale Schieflagen wissenden Grundverständnis von JHP Fragen des Geschlechts in keiner Weise vorkommen (einzige Ausnahme: auf S.42 werden die gesetzlichen Ziele der Jugendhilfe aufgelistet und dabei auch die Forderung der Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen erwähnt). So ist zwar Diversity- und Migrationssensibilität gefordert, aber gerade im Hinblick auf die Fragen, wie Bedarf sich unterschiedlich zeigt unter geschlechtersensiblen Erhebungen, ist hier doch eine deutliche Leerstelle zu verzeichnen. Damit reiht er sich im Übrigen ein in den Mainstream des aktuellen Diskurses, der zugunsten der Fragen der Migration die Geschlechterfrage verabschiedet zu haben scheint. Die Debatte um eine geschlechtergerechte JHP stagniert seit den 90er Jahren. Diese Blindstelle wird auch deutlich an der durchgängig männlichen Sprache.

Abgesehen davon ist allerdings die unterlegte Konfliktorientierung – auch wenn sie nicht mit diesem Begriff belegt ist – eine Stärke der Ausführungen. Dies zeigt den Lesenden, vor allem den Studierenden, dass auch vermeintlich langweiliges Verwaltungshandeln Impulse zu Veränderung und politischer Teilhabe beinhalten kann.

Die anfangs formulierte Abgrenzung zur Sozialberichterstattung, mit der Merchel die Prozessorientierung gegenüber der Produktion von statischen gedruckten Plänen das Wort reden möchte, fällt aber insofern ein wenig hinter den derzeitigem Diskussionsstand zurück, weil doch mittlerweile klar ist, dass für die Berichterstattung auch das Zustandekommen der Daten ein zentrales Element der Qualität ist: darin stecken Fragen der Perspektive auf ein Problem oder eine thematische Herausforderung ebenso wie Fragen danach, wie denn die Daten gefunden wurden. Berichterstattung muss sich insofern immer auch damit beschäftigen, wen sie wie an der Datensammlung beteiligt, wie also Partizipation dazugehört. Die Wege der Ermittlung können also selbst wiederum Prozesse von Planung und Bearbeitung sein, und somit als Planungsbestandteile gewertet werden (vgl. Lindner 2016 und Bitzan 2017)

Da sich das Buch dezidiert an Studierende Sozialer Arbeit richtet, wurde weitgehend auf tiefergehende philosophisch- theoretische Hintergrunddiskurse verzichtet und auch kaum Bezüge zu den grundlegenden Theorien des Faches hergestellt. An manchen Stellen wäre dies sicher wünschenswert gewesen – so aber bleibt die Kompaktheit und Geschlossenheit erhalten.

Fazit

Eine kompakte sehr klare und umfassende Einführung in das Sujet der JHP, dabei gleichzeitig eine deutliche Positionierung zu einer Wiederbelebung und Neuorientierung, die Planung wieder mehr als politischen Prozess begreift – in dieser Kompaktheit auf jeden Fall eine Bereicherung der vorhandenen verschiedenen Artikel zum Thema.

Eine formale sehr lesefreundliche Gestaltung macht das Buch auch als Lehrbuch gut geeignet: Immer wieder werden zentrale Sätze/Erkenntnisse in einem Kasten noch einmal als Merkpunkte extra hervorgehoben, nach den großen Kapiteln erfolgen jeweils kurze kompakte Zusammenfassungen und insgesamt ist der Text klar und verständlich geschrieben, sodass er auch für Menschen, die sich bisher noch nicht mit der Thematik beschäftigt haben, gut rezipierbar ist.

Literatur

  • Bitzan, Maria i.E.: „… sind angemessen zu beteiligen“. Mit Beteiligung und Gendersensibilität Jugendhilfeplanung profilieren? In: Daigler, Claudia (Hg.): Profil und Professionalität (in) der kommunalen Jugendhilfeplanung. Springer VS Verlag 2017.
  • Bitzan, Maria 2017: „Empirie und Politik“ – Praxisforschung als Beitrag zur Jugendpolitik. In: Lindner, Werner/ Pletzer, Winfried (Hrsg.): Kommunale Jugendpolitik. Beltz Juventa Weinheim, S. 215-231.
  • Bundesjugendkuratorium (BJK) (Hrsg.) 2012: Neuaktivierung der Jugendhilfeplanung: Potenziale für eine kommunale Kinder- und Jugendpolitik. Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums (BJK). München: Deutsches Jugendinstitut e. V., Arbeitsstelle Kinder- und Jugendpolitik. www.bundesjugendkuratorium.de. Zugegriffen 04. Februar 2017.
  • Herrman, Franz 2016: Lebensweltorientierung und Sozialplanung. In Praxishandbuch Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, Hrsg. K. Grunwald und H. Thiersch, 460-472. 3. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa.
  • Lindner, Werner 2016: Mit Daten Politik machen? Mit Daten Politik machen! Jugendberichterstattung und Jugendbefragungen als Instrumente (kommunaler) Jugendpolitik. In: deutsche jugend, H.2/2016, S. 67-76.
  • Maykus, S., und R. Schone, Hrsg. 2010: Handbuch Jugendhilfeplanung. Grundlagen, Anforderungen und Perspektiven. 3. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.

Rezension von
Prof. Dr. Maria Bitzan
Fakultät SAGP Soziale Arbeit Gesundheit und Pflege
Hochschule Esslingen
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Es gibt 4 Rezensionen von Maria Bitzan.

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Zitiervorschlag
Maria Bitzan. Rezension vom 21.02.2017 zu: Joachim Merchel: Jugendhilfeplanung. UTB (Stuttgart) 2016. ISBN 978-3-8252-4677-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20940.php, Datum des Zugriffs 09.10.2024.


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