Thomas Klie, Ilona Nord (Hrsg.): Tod und Trauer im Netz
Rezensiert von Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike, 11.10.2016
Thomas Klie, Ilona Nord (Hrsg.): Tod und Trauer im Netz. Mediale Kommunikationen in der Bestattungskultur. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2016. 224 Seiten. ISBN 978-3-17-029250-5. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR, CH: 40,90 sFr.
Thema
Der Band zielt auf die praktisch-theologische Wahrnehmung und die interdisziplinäre Diskussion der Visualisierung von Tod, Abschiedsprozessen und Bestattungsritualen im Cyberspace. Auf mediale Kommunikationen in diesem Feld beruhende Veränderungsprozesse sollen damit in den praktisch-theologischen Diskurs eingebracht werden.
Herausgeber
Prof. Dr. Thomas Klie lehrt praktische Theologie an der Universität Rostock.
Prof. Dr. Ilona Nord lehrt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Würzburg.
Die Beiträge in vorliegendem Band stammen neben den Herausgebern und weiteren TheologInnen auch von Soziologen, Kultur- und MedienwissenschaftlerInnen.
Entstehungshintergrund
Die Mehrheit der Beiträge geht auf die Tagung „Gottesäcker und ihre Simulacren. Mediale Kommunikation in der Sepulkralkultur“ zurück, die im Herbst 2014 an der Universität Rostock stattfand.
Aufbau und Inhalt
Der Band umfasst insgesamt 13 Kapitel.
Auf einen einleitenden Abschnitt folgen vier Beiträge, die im engeren Sinne den Umgang mit dem Tod in Internetkulturen beleuchten. Daran schließen sich Aufsätze über Tod und Bestattungskultur in der Malerei, der Fotografie sowie in Film und Fernsehen an. Das letzte Kapitel befasst sich kritisch mit der allseits verfügbaren medialisierten Sepulkralkultur.
1. Gottesäcker und ihre Simulacren. Mediale Kommunikation in der Sepulkralkultur. Im einleitenden Kapitel beleuchten die Herausgeber kurz die aktuellen Entwicklungen zum Thema Bestattung und Trauer. Klie und Nord verweisen dabei darauf, dass der Umgang mit Toten in jeder Kultur von Ordnungen reguliert wird, die Distanzierungsmöglichkeiten schaffen. Die im Buch versammelten Aufsätze betrachten die medialen Aspekte der spätmodernen Bestattungskultur aus medienwissenschaftlicher und religionstheoretischer Perspektive und vor einem theologischen Deutungshorizont. Damit soll ein Beitrag zur Erforschung des Wechselverhältnisses von Medienkommunikations- und soziokulturellem Wandel geleistet werden. Zentral für diesen Wandel sei die hohe Bedeutung visueller Kommunikationsweisen.
2. Der QR-Code: Mixed Realities oder zur Korrespondenz von kulturellem und kommunikativen Gedächtnis in digitalisierten Bestattungskulturen. Dieser Aufsatz thematisiert das Phänomen von CR-Codes auf Grabsteinen und Gräbern. In Deutschland existieren diese seit 2012. Die Digitalisierung führe dabei nur sehr selten zum Verlust einzelner kommunikativer Praktiken wie etwa der Veröffentlichung einer Zeitungsannonce. Vielmehr entstehe eine Vernetzung zwischen realer und virtueller Welt. Die Nutzung von Medien im Bestattungsritual und in der darauf folgenden Zeit der Trauer sei dabei nichts Neues. Dennoch habe sich durch die massenhafte Verbreitung digitaler Medien etwas Spezifisches verändert. Es ist nun in kürzester Zeit von vielen verschiedenen Orten aus möglich, eine kommunikative Beziehung zwischen einer lebenden und einer toten Person aufzubauen. Als kritisch an der medialen Inszenierung der Gegenwart verstorbener Personen wird beschrieben, dass die Trauernden mit Visualisierungen über den Bruch hinweg getäuscht werden, die der Tod bedeutet.
3. Klicken gegen das Vergessen – Die Mediatisierung von Trauer- und Erinnerungskultur am Beispiel von Onlinefriedhöfen. Anke Offerhaus beschäftigt sich in diesem Kapitel mit Online-Friedhöfen und Trauerportalen. Sie beleuchtet anhand eigener empirischer Arbeiten Motive für die Nutzung dieser Angebote. Die Verfasserin geht dazu auf die Mediatisierung von Tod und Trauer ein, beleuchtet verschiedene Arten von Internetseiten zu diesen Themen wie (individuelle) Gedenkseiten, Profilseiten und Trauergruppen auf Social Network-Seiten, virtuelle Friedhöfe, Trauer- und Erinnerungsportale. Außerdem werden Formen der Trauer auf virtuellen Friedhöfen angeführt und der Wandel der Trauer- und Erinnerungskultur thematisiert. Dieser zeige sich in einer breiteren Sichtbarkeit individualisierter und säkular-alternativer Angebote sowie einem darauf bezogenen erweiterten Handlungs- und Kommunikationsspektrum.
4. Trauerarbeit online – Facebook als Generator für Erinnerungen. In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, wie das soziale Netzwerk Facebook als bild-biografisches Archiv und Erinnerungsgenerator zur Trauerarbeit anleiten kann. Dieses geschehe, indem hinterbliebene Freunde und Angehörige ins Erzählen und Erinnern gebracht werden. Als praktisch-theologische Herausforderung benennt die Autorin Swantje Luthe z.B. die Intensivierung der Erforschung von Seelsorge als Selbstsorgeprozesse sowie von transindividuellen Formen der Begleitung von Trauernden.
5. Tod, Sterben und Bestattung im Computerspiel. Dieser Beitrag thematisiert, wie Kinder und Jugendliche medial inszenierte Todes-, Trauer- und Bestattungsdarstellungen erleben. Daneben wird beleuchtet, in welchen Situationen Sterbesezenen in Computerspielem eine Rolle spielen und inwiefern die Bestattung ein wesentliches Element in diesen Spielen darstellen kann. Der Abschnitt gliedert sich in die drei Unterkapitel Wahrnehmen, Interpretieren und Handeln.
- Das erste Unterkapitel widmet sich der Begegnung mit dem Tod in Computerspielen.
- Im zweiten werden verschiedene Interpretationsmöglichkeiten von Tod in diesen Spielen aufgezeigt; Tod im Sinne einer Fehleranzeige, einem nicht weiter bedeutsamem Faktor, als moralische und soziale Komponente oder als Einbruch von außerhalb des Spiels, z.B. durch In-Game-Memorials.
- Im letzten Unterkapitel „Handeln“ wird auf religionspädagogische Ansätze im Umgang mit der Thematik eingegangen. Hierbei werden die Konfrontation mit Kontingenzerfahrungen und das experimentelle Einüben des Umgangs mit Trauer und Wut als besonders relevant beschrieben.
6. Bilder des Todes zerstören. Carvaggio, Kierkegard und Martin über Selbstvorstellung Destruktion. Marius Timmann Mjaland widmet sich in diesem Aufsatz der Frage, welche Wahrheit über den Tod in Bildern verborgen liegt. Dazu zieht er vor allem Caravaggios Werke heran, die den Augenblick der Zerstörung des Subjekts im Tod darstellen, und die Interpretation dieser Bilder durch seinen Schüler Nicolas Poussin. Auch die die Vorstellungen des Todes bei Sören Kierkegard wird anhand der Rede „An einem Grab“ dazu in Bezug gesetzt – ebenso wie die Bildtheorie des französischen Philosophen und Kunsttheoretikers Louis Marin.
7. Die Bildlichkeit des Lebensendes. Zur Dialektik der Totenfotografie. In diesem Abschnitt wird die Bedeutung von Fotografien für das Verständnis des Todes thematisiert. Dabei wird die These aufgeworfen, die Fotografie verhelfe zu einem zweiten Körper, der die verstorbene Person repräsentiere. Außerdem werde der Tod darin aufbewahrt; Fotografien geben dabei Einblicke, die der normale Lebensalltag verwehrt. Sie speichern damit den Anblick eines Körpers im zweifachen Verlust: sowohl den des Körpers als auch den des Anblicks.
8. „Sprengstoff“ narrativer Identität: Trauerreden im Medium der Fiktion am Beispiel von Uwe Timms Roman „Rot“. Anhand des in der Überschrift zitierten Romans wird in diesem Kapitel eine Analyse von Trauerreden und ihrem Umgang mit dem Tod in der Literatur vorgenommen. Dabei gehe es um die Imagination des Sterbens, um das Erzählen vom Nullpunkt des Todes aus, die Rekonstruktion der eigenen Lebensgeschichte im Angesicht des Todes und die Konstruktion einer narrativen Identität in der Trauer- oder Totenrede. Hierbei sei eine wertschätzende Würdigung des Ganzen durch das Fragmentarische hindurch zentral.
9. Gestorben wird immer – Tod im Fernsehen. Dieser Beitrag beleuchtet die Repräsentation des Todes in Spielfilmen und Serien. Besondere Beachtung finden dabei die Serien Six Feed Under und CSI (Crime Scene Investigation). Daran werden die Wechselwirkungen medialer Todesdarstellungen und gesellschaftlicher Entwicklungen veranschaulicht. Das Durchbrechen bislang bestehender Darstellungstabus bilde dabei potentiell die Grundlage für einen Wertewandel.
10. Das ewige Leben… und die Kunst des Ausklangs. Bestattungsrituale im Film. Als weiterer Aspekt der filmischen Thematisierung werden westeuropäische und asiatische Arthouse-Filme betrachtet, in denen sich die Veränderung der Tabuhaftigkeit des Todes widergespiegelt. Besonders Bestattungsrituale finden dabei Beachtung. Diese Filme ermöglichten es damit, an dem, was nach dem Tod geschehe, teilzuhaben.
11. Das orthodoxe Holy Fire – Über die virtuelle Dimension der Frohen Botschaft im Heiligen Land. Der Theologe und Filmemacher Julian Sengelmanns beschreibt in diesem Beitrag seine selbst gemachten Erfahrungen mit dem im Titel genannten orthodoxen Ritual. Dazu reiste er mit einem Kamerateam nach Jerusalem um am orthodoxen Ostersamstagmorgen in der Grabeskirche mit dabei zu sein, wenn sich im vermeintlichen Grab Christi das Wunder ereignet, dass ein heiliges Feuer vom Himmel herab kommt und diese erleuchtet. Der Autor sieht hierin eine Art archaisch anmutende Erfahrungsmöglichkeit der Überwindung des Todes, die er filmisch in Szene gesetzt hat.
12. Urnenstelen – Totenbücher – Friedhofsführer. Mixed Realitiy im Kontext von Indoor-Friedhöfen. In diesem Beitrag werden spätmoderne Kirchenkolumbarien in ihren architektonischen und pragmatischen Ausprägungen beschrieben und auf ihre Funktion hin untersucht. Dazu wird eine Einführung zu Kirchenkolumbarien gegeben und eine Typologie dieser aufgezeigt. Außerdem finden Formen der Onlinepräsenz von Kirchenkolumbarien sowie realleibliche Trauerbegleitung und webbasierte Gedenkkultur Beachtung.
13. Leibhaft und erdenschwer. Eine kritische Relecture. Abschließend thematisiert Thomas Klie die protestantische Liebe zum Wort und den Argwohn gegen das Bild. Er kritisiert die allerorten immer verfügbare medialisierte Sepulkralkultur. Klie plädiert für ein Festhalten an der christlichen Bestattungskultur, die ihren Umgang mit dem Tod in der Unumkehrbarkeit von Lebenswegen kultiviere.
Diskussion
Vorliegender Band bietet eine spannende Zusammenstellung von Beiträgen zu vielfältigen medialen Bereichen, in denen der Tod, Abschiedsprozesse und Bestattungsrituale visualisiert und thematisiert werden. Dabei werden Veränderungen durch mediale Kommunikation aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Während einige Beiträge in einer sehr wissenschaftlich-theoretisch geprägten Fachsprache formuliert sind, finden sich in anderen Aufsätzen sehr alltagsnahe Darstellungen von Erfahrungen und empirischen Untersuchungsergebnissen.
Fazit
In vorliegendem Buch wird anhand verschiedener Beiträge die Visualisierung von Tod, Abschiedsprozessen und Bestattungsritualen interdisziplinär beschrieben und diskutiert. Die vorwiegend auf die Tagung „Gottesäcker und ihre Simulacren. Mediale Kommunikation in der Sepulkralkultur“ im Herbst 2014 zurückgehenden Aufsätze thematisieren dabei neben dem Umgang mit dem Tod in Internetkulturen im engeren Sinne auch Tod und Bestattungskultur in der Malerei, der Fotografie sowie in Film und Fernsehen. Damit bietet der Band einen guten Überblick über die aktuelle Diskussion kultureller Veränderungen auf diesem Gebiet.
Rezension von
Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Zentrum für Palliativmedizin
Universitätsklinikum Köln (AöR)
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Es gibt 24 Rezensionen von Kerstin Kremeike.
Zitiervorschlag
Kerstin Kremeike. Rezension vom 11.10.2016 zu:
Thomas Klie, Ilona Nord (Hrsg.): Tod und Trauer im Netz. Mediale Kommunikationen in der Bestattungskultur. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2016.
ISBN 978-3-17-029250-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20968.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.
Urheberrecht
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