Laura Glauser: Das Projekt des unternehmerischen Selbst
Rezensiert von Dr. André Czauderna, 12.08.2016
Laura Glauser: Das Projekt des unternehmerischen Selbst. Eine Feldforschung in der Coachingzone. transcript (Bielefeld) 2016. 266 Seiten. ISBN 978-3-8376-3421-1. D: 39,99 EUR, A: 41,20 EUR, CH: 48,70 sFr.
Thema
Laura Glausers im Transcript Verlag veröffentlichte Studie „Das Projekt des unternehmerischen Selbst. Eine Feldforschung in der Coachingzone“ knüpft an das einflussreiche Konzept des unternehmerischen Selbst des Soziologen Ulrich Bröckling an, das dieser in seiner im Suhrkamp Verlag erschienenen Monographie „Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform“ dargelegt hat. Während sich Bröckling anhand von Managementliteratur primär mit dem allgegenwärtigen, hegemonialen Diskurs selbst beschäftigt – der in neoliberalen Gesellschaften vom Einzelnen abverlangt, sich als Unternehmer seiner Selbst zu verkaufen, d.h. im Beruf (und zunehmend auch in der damit verschwimmenden Freizeit) andauernd aktiv zu sein, sich zu vermarkten und fortlaufend zu optimieren – untersucht Glauser in ihrer ethnologischen Feldforschung in akademischen Career Services (d.h. in hochschulischen Beratungseinrichtungen, die AbsolventInnen bei ihrem Berufseinstieg unterstützen), wie die dort arbeitenden Berufs- und KarriereberaterInnen sowie die dort ratsuchenden AbsolventInnen mit den aus dem Diskurs resultierenden, als unausweichlich vermittelten Anforderungen tatsächlich umgehen.
Autorin
Laura Glauser ist promovierte Ethnologin, die an der Universität Hamburg im Bereich der Personalentwicklung beschäftigt ist. Daneben arbeitet sie freiberuflich als systemische Beraterin.
Entstehungshintergrund
Das hier rezensierte Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung der Dissertation der Autorin. Während der Anfertigung der Studie war sie selbst als Mitarbeiterin eines Career Centers tätig. Außerdem befand sie sich zum damaligen Zeitpunkt – wie sie selbst betont – als Doktorandin in einer ähnlichen beruflich unsicheren Situation wie die BesucherInnen der Career Center. Das damit verbundene Verhältnis zu der beobachteten Praxis bzw. den Einfluss ihres Verhältnisses zum Feld auf die eigene Beobachterposition thematisiert sie umfassend. Es ist gerade diese besondere Perspektive – welche ihr eine Beobachtung der untersuchten Praxis von innen und außen erlaubt – die den Reiz ihrer Analysen im Rahmen ihrer einheimischen Ethnologie ausmacht. Wenngleich es sich bei Glausers Studie um Grundlagenforschung handelt, betont die Autorin auch das zirkuläre Verhältnis von beruflicher Praxis und wissenschaftlicher Forschung. Bei der Studie handelt es sich um Grundlagen- und Praxisforschung gleichermaßen.
Aufbau
Laura Glauser gliedert ihr Buch in zwei Teile:
- Im ersten Teil mit dem Titel „Hintergründe“ stellt sie den Diskurs des unternehmerischen Selbst vor, wobei sie nach einer Einführung der Elemente des Diskurses auf den gesellschaftlichen Kontext (vor allem im Hinblick auf die sozialpolitischen Entwicklungen im Zuge der Hartz-IV-Reformen) und die wissenschaftliche Verortung (mit dem Ziel der Definition von Forschungslücken) eingeht.
- Im zweiten Teil mit dem Titel „Ethnografie“ präsentiert sie – nach einer Darstellung des Feldes (Career Services von Hochschulen) sowie ihres theoretischen Ansatzes (Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse) und ihrer Methoden – die Ergebnisse ihrer eigenen empirischen Studie, in der sie sich mit dem Umgang der MitarbeiterInnen und BesucherInnen von akademischen Karriereberatungseinrichtungen mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst befasst hat. Beiden Untersuchungsgruppen widmet Glauser jeweils ein großes separates Kapitel, das jeweils – genau wie der erste Teil der Arbeit – mit einer Synthese abgerundet wird.
Die Autorin schließt ihre Arbeit mit einer Schlussbetrachtung und einem Ausblick, in der sie auch Forschungsdesiderate formuliert.
Inhalt
In ihrer Studie stellt sich Glauser die zentrale Frage, wie „Individuen mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst und den damit einhergehenden Subjektanforderungen“ (S. 14) umgehen. Bevor sie sich im zweiten Teil der Beantwortung dieser Frage zuwendet, erarbeitet Glauser im ersten Teil ihrer Arbeit die These, „dass die Virulenz des Diskurses des unternehmerischen Selbst weniger einem sich tatsächlich vollziehenden Wandel der Arbeitsverhältnisse geschuldet ist, sondern mehr einer im Zuge neoliberaler Politik erfolgenden Ökonomisierung des Sozialen“ (ebd.). Diese Ökonomisierung des Sozialen sei „Folge einer politischen Rationalität“, „die auf den Abbau staatlicher Leistungs- und Sicherungssysteme zielt“ und mit dem „Appell zur Eigenverantwortung“ sowie dem Leitbild, „das eigene Leben an wirtschaftliche Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen auszurichten“ (ebd.) verknüpft ist. Dass dagegen viele andere sozial- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten zu den vermeintlich neuen Subjektanforderungen (d.h. zum unternehmerischen Selbst) ebendiese „oft in den Kontext tatsächlicher Veränderungsprozesse der Arbeitswelt“ stellen und damit „die Veränderungsrhetorik des Diskurses reproduzieren“ (S. 69), erachtet Glauser als Schwachstelle der vorliegenden Forschungsliteratur. Die diskursanalytische Perspektive der Gouvernementalitätsstudien, die Glauser als wichtiger Bezugspunkt dient, hingegen hinterfrage „die scheinbar unumgänglichen Subjektanforderungen und Normen als Diskurs auf einer Metaebene und stell[t] sie in einen Macht- und Interessenskontext“ (S. 70). Allerdings – so Glauser – vernachlässige auch diese Forschungsrichtung die materiellen Verhältnisse des Kapitalismus. „Die Verortung des Diskurses in den zentralen Prinzipien des Kapitalismus“ (ebd.) sei aber von besonderer Bedeutung, weil nur so die Neuheit der Subjektanforderungen und die damit verbundene Festschreibung infrage gestellt werden könne. Darüber hinaus weist Glauser darauf hin, dass „kaum Aussagen darüber, welche Bedeutung diese diskursiv verbreiteten Normen und Anforderungen tatsächlich für die Menschen haben“ getroffen werden können, weil „sich die VertreterInnen dieser Forschungsrichtung auf einer gesellschaftlichen Makroebene“ (ebd.) befinden.
Genau an dieser Stelle setzt nun Glausers ethnografische Studie an. So arbeitet die Autorin im zweiten Teil ihres Buches auf einer institutionellen Mikroebene den konkreten Umgang von Menschen mit den Subjektanforderungen des Diskurses des unternehmerischen Selbst heraus. Konkret stellt Glauser die Ergebnisse ihrer von Mai 2009 bis Juli 2010 in zwei akademischen Career Services durchgeführten Feldstudie vor, in der sie die beiden bereits genannten Akteursgruppen untersucht hat: die MitarbeiterInnen von Career Services einerseits und die die Career Services besuchenden HochschulabsolventInnen andererseits. Mithilfe der theoretischen Prämissen der Diskursanalyse und der Ethnopsychoanalyse befasst sich Glauser mit der Frage, „welche subjektive Bedeutung der hegemoniale Diskurs über das »unternehmerische Selbst« und die damit einhergehende Aufforderung nach Eigenverantwortung, »Selbstmanagement« und »Selbstmarketing« für AkteurInnen in Career Services hat“ (S. 105). Sie nimmt die „subjektiven Erfahrungen und Wahrnehmungen des Diskurses“ (ebd.) in den Blick und fragt „nach den Interessen, Machtverhältnissen und AkteurInnen in den beiden Career Services, die ihn prägen“ (ebd.). Letztlich kann sie ihre These untermauern, „dass der Diskurs des unternehmerischen Selbst niemals bruchlos in individuelles Verhalten und Denken übergeht“ (S. 14), indem sie zeigt, wie sich Menschen zum einen ganz freiwillig hegemonialen Normen unterwerfen, zum anderen aber auch Spielräume nutzen und sich den Anforderungen in ihrem Alltag widersetzen.
Im Kapitel zu den MitarbeiterInnen von Career Services, das Glauser in drei Unterkapitel zu den Themen Aktivität, Selbstmanagement und Selbstmarketing gliedert, stellt sie fest, dass die MitarbeiterInnen „strukturell dazu aufrufen, unternehmerisch die Initiative zu ergreifen und selbstbestimmt das eigene Berufsleben zu gestalten“ (S. 169). Die MitarbeiterInnen suchten Sicherheit im Diskurs des unternehmerischen Selbst, der die besondere Bedeutung von unternehmerischer Eigeninitiative, Selbstvermarktung und Selbstmanagement immer wieder betone und als Allheilmittel kommuniziert werde. Diejenigen „Faktoren, die nicht in der Hand der Individuen liegen wie Kapital, Ungleichheit oder Glück, aber auch die ganzen Ängste und Unsicherheiten“ hingegen würden in den Gesprächen weniger thematisiert „als die Möglichkeiten jedes Menschen, seinen Werdegang zu beeinflussen“ (S. 170). In ihrer Synthese des Kapitels erklärt Glauser dieses Verhalten der MitarbeiterInnen psychologisch vor allem auch mit ihrer eigenen Prekarität, die „ihre Umgangsweisen mit Unsicherheit und Ohnmacht formt“ (S. 170).
Im folgenden Kapitel zu den AbsolventInnen arbeitet Glauser heraus, dass diese die Hauptschuld ihrer prekären Situation auf dem Arbeitsmarkt systematisch bei sich selbst suchen, anstelle strukturelle ökonomische oder politische Gründe in den Mittelpunkt zu stellen: „Zwar sind sie sich bewusst, dass die Gründe für ihre schwierige Lage auch außerhalb ihrer selbst zu finden sind, doch überwiegt ihre Angst nicht ausreichend aktiv zu sein, sich nicht genügend anzustrengen und sie empfinden sich als ungenügend. Gleichzeitig gibt es ihnen sowohl Mut als auch das nötige Durchhaltevermögen, wenn sie ihre Handlungsmöglichkeiten betonen. Sich ihre Ohnmachtsgefühle einzugestehen, würde ihnen möglicherweise noch mehr Angst machen“ (S. 239). Glauser sieht „ihre Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühle, ihre Angst als faul zu gelten, aber auch ihr Wunsch dazuzugehören zu der Welt der Erfolgreichen“ als „einen Motor für die permanente Selbstaktivierung“ (S. 238). In Selbstmarketing- und Selbstmanagementtechniken meinten sie den Weg zum Erfolg auf dem Arbeitsmarkt – der zum zentralen Lebensziel werde, an dem sich eine Person zu messen habe – gefunden zu haben. Die Unterscheidung zwischen der eigenen Person an sich und der Person als Arbeitskraft werde kaum mehr vorgenommen. Arbeit und Freizeit gingen ineinander über. Das ganze Leben werde „nach ökonomischen Maßstäben wie Effizienz, Leistungsoptimierung und Kosten-Nutzen-Kategorien“ (S. 240) ausgerichtet. Liberale Wirtschaftsideale würden „auf das gesamte Leben übertragen“ (ebd.); „eine instrumentelle Sicht auf das Leben“ (ebd.) eingenommen. Glauser spricht hier von einer „Ökonomisierung des Sozialen“. Zugleich beobachtet die Autorin aber auch „Bestrebungen (…), sich diesen Selbstverantwortungsappellen und Optimierungszwängen zu widersetzen“ (S. 240), z.B. indem die AbsolventInnen versuchen, sich unabhängig von ihrem beruflichen Erfolg zu definieren oder die überzogenen Erfordernisse des Marktes zu kritisieren. Allerdings hielten sie insgesamt am neoliberalen Leistungsideal, am Diskurs des unternehmerischen Selbst fest, denn – Glauser zufolge – rechtfertige ebendieses Leistungsideal ihren eigenen privilegierten Status als AkademikerInnen. So könnten sie später, wenn sie einmal eine Stelle gefunden hätten, ihren Erfolg ihren eigenen Leistungen (nicht ihrer privilegierten Position) zuschreiben (S. 240). Damit würden sie selbst – wie auch die MitarbeiterInnen – zum Träger des Diskurses und unterstützten „die Verstetigung und Verbreitung auf der Mikroebene“ (S. 246). Letztendlich wären beide von Glauser untersuchten Gruppen dem Diskurs eben „nicht schutzlos ausgeliefert“ (S. 246), sondern prägten ihn aktiv – weil die Werte einer meritokratischen Leistungsgesellschaft auch ihnen dabei hälfen, ihre privilegierte Position zu legitimieren (S. 246 f.).
Diskussion
Die einheimische Ethnologie des rezensierten Buches nimmt den Leser mit in die neue Welt der „Coachingzonen“ an deutschen Hochschulen, die im Zuge des Bologna-Prozesses und der Diskussion um „Employability“ in den letzten Jahren entstanden ist. Laura Glauser führt in die Räume deutscher Hochschulen, in denen Seminare zum Zeitmanagement und Beratungsgespräche zur Darstellung des eigenen Lebenslaufes stattfinden. Dabei ähnelt Glausers Stil streckenweise dem einer Reportage. Des Öfteren zitiert sie wörtlich aus ihrem Feldforschungstagebuch und Begegnungen mit ihren Untersuchungspersonen beschreibt sie bisweilen als eine Art Ich-Erzählerin. Dass sie zu Beginn einiger Analysen ihre eigenen Gefühle zur jeweils analysierten Situation formuliert, war während der Analyse zentraler Antrieb der Erkenntnisgewinnung. Im Rahmen der Darstellung ihrer Ergebnisse im Buchformat dient diese Form der Annäherung an ihren Forschungsgegenstand der Spannungserzeugung.
Spannung erzeugt auch ein anderes Merkmal des Analyseansatzes von Glauser, und zwar, dass sie mit den Aussagen und Verhaltensweisen ihrer Untersuchungspersonen durchaus hart ins Gericht geht. Trotz einer gewissen Nähe zu ihren GesprächspartnerInnen auf beiden Seiten, trotz einer fast persönlichen Beziehung, die sie zu einigen von ihnen aufgebaut hat, vermeidet sie eine geglättete und beschönigende Darstellung der untersuchten Personen. Ihre Charakterisierungen zeichnen sich in der Regel durch ihre Komplexität aus. An einer Stelle schreibt Glauser über eine ihrer Gesprächspartnerinnen, die sie beim Bewerbungsmappen-Check kennengelernt hat, Folgendes: „Es entwickelt sich ein regelmäßiger Kontakt zwischen uns, neben zwei Interviews, die ich mit ihr geführt habe, treffen wir uns mehrere Male zum Kaffee trinken in einem Lokal oder gehen zusammen essen und schreiben uns E-Mails. Anfangs bin ich in der Rolle der Fragerin und sie erzählt mir von aktuellen Entwicklungen und Ereignissen bei der Arbeitssuche, doch je länger wir uns kennen, erkundigt sie sich immer genauer nach den Höhen und Tiefen, die ich mit meiner Promotion erlebe. Dennoch bleibt unser Verhältnis distanziert und sie wirkt auf mich eher verschlossen. Anders als mit anderen InformantInnen sind unsere Gespräche nur selten ausgelassen und unbeschwert. Sie spricht meist leise, macht beim Reden immer wieder lange Pausen und seufzt hin und wieder sorgenvoll. Ich kann diese Stille nur schwer aushalten, da ich sie nicht richtig einzuordnen weiß und mich frage, ob sie nachdenkt, sich langweilt oder ihr vor lauter Sorgen die Worte fehlen (Tagebuch 9/2010).“ (S. 197)
Konsequenterweise wendet die Autorin ihre kritische Grundhaltung auch auf ihr eigenes Handeln an. Ihre durchgehend selbst-reflexive Haltung bezieht sich dabei nicht nur auf ihre Rolle als Forscherin, sondern auch auf ihre Doppelrolle als Karriereberaterin und Person, die beruflich noch nicht angekommen ist, in der sie vom Diskurs des unternehmerischen Selbst in besonderer Weise betroffen ist. Im Fallbeispiel eines Seminares zum Zeit- und Selbstmanagement gibt sie Folgendes zu: „So konnte ich mich während der Veranstaltung nur sehr schwer auf die anderen TeilnehmerInnen und deren Reaktionen konzentrieren, da ich von meinen selbstkritischen Gedanken über mein eigenes »Zeit- und Selbstmanagement« abgelenkt war. So wird im Seminar an die TeilnehmerInnen appeliert, sich selbst kritisch zu hinterfragen, um das eigene Verhalten zu verbessern. Diese Appelle lösen in mir Versagensgefühle aus, aber auch ein schlechtes Gewissen nicht genügend aktiv zu sein. Ich komme zum Schluss, dass ich »zu wenig« tue, faul und desorganisiert bin, dass ich mein Verhalten ändern muss, möchte ich erfolgreich sein. Dabei gebe ich mir selbst die Verantwortung für meinen Erfolg. Am eigenen Leibe merke ich, wie dieser Diskurs »sich selbst zu managen« wirkt und einen auch unter Druck setzen kann.“ (S. 133)
Typisch für Glausers Analyse- und Darstellungsstil ist auch die Art und Weise, wie sie eine von ihr vorgenommene Dekonstruktion der Metapher einer Sammlung von Jahreskalendern für ein ganzes Leben, welche die Leiterin des oben genannten Seminares für Zeit- und Selbstmanagement in provozierender Absicht verwendet, einleitet (S. 129 ff.). Nach Darstellung der Szene und wörtlichem Zitat aus ihrem Feldforschungstagebuch leitet sie die eigentliche Analyse der Metapher folgendermaßen ein: „Mich schockiert die Vorstellung, das Leben als eine Aneinanderreihung von Plänen zu sehen und ich habe in dem Moment den Impuls den Raum zu verlassen. Nach der Veranstaltung unterhalte ich mich mit einer Teilnehmerin, auch sie empfindet diese Gleichsetzung von Leben und Plan als »krass«. Ich möchte nun meinen eigenen Reaktionen und Gefühlen folgen und sie als Ausgangspunkt für ein Verständnis des Themas nehmen.“ (S. 129)
In ihren Analysen fokussiert Glauser stark auf die Sprache ihrer Untersuchungspersonen. Sie schaut auf „sich wiederholende Denkfiguren, Begrifflichkeiten und Motive“ und „ungesagte, ambivalente und widersprüchliche Inhalte“ (S. 98). So analysiert sie beispielsweise Metaphern wie die der Bühne (S. 159), die des Theaterspiels (S. 222) oder auch die der Eintrittskarte (S. 144) – die in der Sprache der Karriereberatung eine wichtige Rolle spielen, etwa wenn es um das Thema Außenwirkung geht. Glauser kann zeigen, wie sowohl BeraterInnen als auch Ratsuchende die Sprache des Diskurses des unternehmerischen Selbst, die Sprache des neoliberalen Kapitalismus verinnerlicht haben und fortlaufend verwenden.
Methodisch geht Glauser im ethnografischen Teil ihrer Arbeit – ausgehend von ihrem eigenen Erleben, ihren Beobachtungen und Interviews sowie Fallbeispielen – vom Speziellen ins Allgemeine. Dabei ist das Spektrum ihrer Untersuchungsobjekte aufseiten der AbsolventInnen relativ weit. Mögliche Unterschiede innerhalb der Gruppe der AbsolventInnen, die sich u.a. aus unterschiedlichen Fachkulturen und beruflichen Perspektiven ergeben könnten, werden weniger thematisiert. In weiteren Studien zum Forschungsthema sollte verstärkt unterschieden werden zwischen am Arbeitsmarkt stark nachgefragten und weniger stark nachgefragten AbsolventInnen, zwischen spezialistisch und generalistisch ausgebildeten AbsolventInnen, und auch zwischen verschiedenen Fachgruppen. Gerade AbsolventInnen künstlerischer und gestalterischer Studiengänge (siehe bei Glauser den Fall Lea auf S. 226 ff.) dürften in ihrem Milieu der „Creative Industries“ dem Diskurs des unternehmerischen Selbst in besonderer Weise ausgesetzt sein, wie z.B. Angela McRobbies (2016) Monographie „Be creative: Making a living in the new culture industries“ veranschaulicht. Bei den AbsolventInnen kreativer Studiengänge ist der Imperativ „Handle wie ein Unternehmer!“ mehr noch als bei den meisten anderen AbsolventInnengruppen wörtlich zu nehmen: der Weg in die Selbständigkeit, ins Kleinunternehmertum im eigentlichen Sinne ist eine bedeutende Karriereoption. Zudem sind diese AbsolventInnen nicht nur vom Imperativ des unternehmerischen Selbst, sondern auch von einem anderen Imperativ, der da lautet: „Sei kreativ!“ (vgl. Reckwitz 2012), der den Zeitgeist weiter Teile des Arbeitsmarktes zu prägen scheint (vgl. Florida 2014), in besonderer Weise betroffen. Mit ebendiesem Imperativ beschäftigt sich auch die oben genannte Arbeit von McRobbie, die mit Glausers Studie insofern Ähnlichkeiten aufweist, als dass beide eine mikrosoziologische Perspektive auf HochschulabsolventInnen mit einer besonderen Berücksichtigung neoliberaler Diskurse und politischer Reformen verbinden – wobei sich beide theoretisch auch von Michel Foucault haben inspirieren lassen.
In der Einnahme eines ethnologischen Blickes auf den individuellen Umgang mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Kontextes liegt der Reiz Glausers Ansatzes. Mit ihrer Fokussierung der tatsächlichen Auswirkungen des Diskurses des unternehmerischen Selbst auf die Menschen (d.h. konkret auf AkteurInnen in akademischen Beratungseinrichtungen) kann Glausers Arbeit das Forschungsfeld zum Konzept des unternehmerischen Selbst deutlich bereichern.
Fazit
Laura Glausers Studie, die in Buchform unter dem Titel „Das Projekt des unternehmerischen Selbst. Eine Feldforschung in der Coachingzone“ vorliegt, leistet einen wertvollen Beitrag zur Diskussion um den neoliberalen Diskurs zur Arbeitswelt im Allgemeinen und den Diskurs des unternehmerischen Selbst, wie er von Bröckling (2013) herausgearbeitet wurde, im Besonderen, weil sie sich nicht nur mit dem hegemonialen Diskurs an sich, sondern vor allem auch mit den tatsächlichen Auswirkungen des Diskurses aufseiten der Menschen beschäftigt. Konkret untersucht Glauser in ihrer ethnologischen Studie in hochschulischen Beratungseinrichtungen, wie die dort arbeitenden KarriereberaterInnen und die dort ratsuchenden AbsolventInnen am Übergang zwischen Studium und Beruf mit den aus dem Diskurs des unternehmerischen Selbst resultierenden, als unausweichlich vermittelten Anforderungen umgehen.
Die Stärke ihrer einheimischen Ethnologie liegt unter anderem auch darin, dass sie ihren Untersuchungspersonen nahe kommt, ohne deren Verhaltensweisen und Einstellungen unkritisch hinzunehmen. Es ist gerade die relative Nähe Glausers zu ihren Untersuchungspersonen sowie ihre kritische Haltung gegenüber ihnen, aber auch gegenüber ihrer eigenen Person in ihrer Doppelrolle als Forscherin und als vom Diskurs selbst betroffenen Person, die ihr Buch zu einer äußerst spannenden und erkenntnisreichen Lektüre macht.
Literatur
- Bröckling, U. (2013): Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform. Suhrkamp Verlag.
- Florida, R. (2014): The Rise of the Creative Class--Revisited: Revised and Expanded. Basic books.
- McRobbie, A. (2016): Be creative: Making a living in the new culture industries. John Wiley & Sons.
- Reckwitz, A. (2012): Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Suhrkamp Verlag.
Rezension von
Dr. André Czauderna
M.A.
Technische Hochschule Köln
Cologne Game Lab
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Es gibt 3 Rezensionen von André Czauderna.
Zitiervorschlag
André Czauderna. Rezension vom 12.08.2016 zu:
Laura Glauser: Das Projekt des unternehmerischen Selbst. Eine Feldforschung in der Coachingzone. transcript
(Bielefeld) 2016.
ISBN 978-3-8376-3421-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/20986.php, Datum des Zugriffs 03.11.2024.
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