Thomas Bronder: Spiel, Zufall und Kommerz
Rezensiert von Dr. Tobias Hayer, 21.06.2016

Thomas Bronder: Spiel, Zufall und Kommerz. Theorie und Praxis des Spiels um Geld zwischen Mathematik, Recht und Realität. Springer Science+Business Media GmbH & Co. KG (Berlin) 2016. 313 Seiten. ISBN 978-3-662-48828-7. D: 29,99 EUR, A: 30,83 EUR, CH: 32,00 sFr.
Thema
Die öffentliche Kontroverse um kommerzielle Glücksspielangebote und die damit einhergehenden Gefahren für das Gemeinwohl ist national wie international primär suchtpsychologisch geprägt. Interdisziplinäre Auseinandersetzungen und sachgemäße Beschreibungen der Eigenschaften und Funktionen ausgewählter Spielformen sowie ihre grundlegende Einbettung in die „Welt des Spiels um Geld“ finden sich indessen selten. Diese Lücke schließt das vorliegende Werk, indem mit vorwiegend spieltheoretischer, mathematischer und technischer Expertise neue Sichtweisen und Denkansätze eröffnet werden. Das Buch richtet sich daher in erster Linie an Spielinteressierte, Glücksspielanbieter, Personen aus der Wissenschaft, politische Entscheidungsträger sowie Sachverständige.
Autor
Thomas Bronder ist promovierter Physiker und Mathematiker und leitete über 15 Jahre lang die Gruppe „Spielgeräte“ an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählte unter anderem die Zulassung gewerblicher Geldspielautomaten. Diese unlängst publizierte Monographie basiert im Wesentlichen auf den dort erworbenen Erfahrungswerten.
Aufbau
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert, die auch unabhängig voneinander gelesen werden können.
- Nach einem kurzen einführenden Blick in die Historie des Glücksspiels beschäftigt sich Kapitel 2 mit den Kernmerkmalen bzw. der Struktur ausgewählter Spiele, der rechtlich bedeutsamen Unterscheidung von Glücks- und Geschicklichkeitsspielen sowie Klassifikationsweisen zur kohärenten Einordnung verschiedener Spielangebote.
- Kapitel 3 rückt den beim Glücksspiel zentralen Begriff des Zufalls ins Zentrum und erläutert anhand zahlreicher praxisnaher Beispiele das Wirken von Zufallseinflüssen bei langen Spielabfolgen (einschließlich deren Messung).
- Schließlich widmet sich Kapitel 4 hauptsächlich der Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein kommerzielles Spielangebot auch lukrativ ist bzw. sich für die Anbieterseite wirtschaftlich lohnt.
Inhalt
Bronder zeichnet zunächst bis zur Gegenwart bzw. dem modernen Online-Glücksspiel nach, welche Auswirkungen technische Weiterentwicklungen und mathematische Erkenntnisse auf die Ausgestaltung einzelner Spielangebote hatten. Im Anschluss daran wird der Versuch unternommen, die vielfältigen Spielvarianten zu ordnen und grundlegende Eigenschaften der klassischen Spielgenres in kompakter Weise vorzustellen. Ein wichtiger Abschnitt bezieht sich dabei auf die Abgrenzung von Glücksspielen und Geschicklichkeitsspielen: Während der Spielausgang bei Glücksspielen per Definition ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhängt und gerade diese Ungewissheit in Verbindung mit den in Aussicht gestellten Geldgewinnen den primären Spielanreiz ausmacht, gelten Geschicklichkeitsspiele im Allgemeinen als weniger oder überhaupt nicht (sucht)potent. Entsprechend unterliegen Glücksspiele jeglicher Ausgestaltung – übrigens nicht nur in Deutschland – einer strengen gesetzlichen Regulierung. Dieser Sachverhalt setzt jedoch voraus, dass jegliche Form des Spiels um Geld anhand transparenter, wertfreier und eindeutiger Kriterien einer wohldefinierten Kategorie zuzuordnen ist. Es ist der Verdienst des Autors, sich nicht nur auf die gängigen Definitionsmerkmale eines Glücksspiels (d. h. Einsatz, Gewinn, Zufall) und die damit assoziierten Messprobleme insbesondere bei den sogenannten Mischspielen zu beschränken, sondern eine alternative Taxonomie basierend auf spieltheoretischen Überlegungen vorzulegen (u. a. mit den Variablen Ausmaß vorliegender Information über die Spielzüge oder Spielsituationen der Gegenspieler sowie Anzahl der Spielwiederholungen). Ein Anwendungsbeispiel mit den Spielformen Skat (als Mehrpersonen-Geschicklichkeitsspiel verortet) und Poker (als reines Zufallsspiel eingestuft) veranschaulicht diese Differenzierung lebensweltnah.
In dem daran anknüpfenden Kapitel geht Bronder ausführlich auf den Begriff des Zufalls und die Eigenschaften von Zufallsprozessen ein. Aus Sicht eines psychologischen Glücksspielforschers von besonderem Interesse sind vor allem die Ausführungen zur Nutzung des Zufalls in Form von Pseudozufallsgeneratoren beim Automatenspiel einschließlich der Bestimmung von „guten“ bzw. „weniger guten“ Zufallszahlengeneratoren. Als naturgemäß vorrangig formal-technisch geprägt erweisen sich die beiden Abschnitte zur Stochastik und zu den Gesetzmäßigkeiten des Zufalls. Hier werden die Leserin bzw. der Leser mit den Grundtermini und Axiomen der Wahrscheinlichkeitstheorie sowie – anhand von Simulationsbeispielen – mit der Wirkung des Gesetzes der großen Zahl konfrontiert. Wie sich diese Sachverhalte (oder auch „zufällige Irrfahrten“) im echten Leben manifestieren, verdeutlicht der Autor schließlich mit Bezugnahme auf Geldspielautomaten. In diesem Zusammenhang trifft Bronder – zuweilen eher beiläufig – wichtige Aussagen, die bislang in der deutschsprachigen Literatur derart explizit noch nicht zu finden waren. Exemplarisch dafür stehen die Hinweise, dass (a) eine unabhängige Überprüfung der Auszahlungsquote beim gewerblichen Automatenspiel seit der Einführung von Mikroprozessoren zu Beginn der 1980er Jahre nicht mehr mit hinreichender Sicherheit möglich ist oder (b) Spielerinnen und Spieler nur dann in der Nettogewinnzone landen können, wenn sie gleich zu Beginn einer Spielsitzung Glück haben (und dann alsbald ihre Spielteilnahme beenden). Die formale Berechnung des so genannten „Point of no Return“, der eine Rückkehr in die Nettogewinnzone unmöglich macht, untermauert nicht nur die grundsätzliche Sinnlosigkeit des Chasing-Verhaltens (d. h. das „Hinterherjagen“ von Verlusten), sondern bietet darüber hinaus die Möglichkeit, passgenaue suchtpräventive Botschaften zu formulieren.
Im Fokus des finalen Kapitels steht zunächst die Konstruktion von kommerziellen Glücksspielangeboten. Dabei bezieht sich der Autor – neben den Spielbedingungen – in erster Linie auf das Veranstaltungsmerkmal „Gewinnplan“ bzw. das komplexe Wechselspiel zwischen Gewinnplan, Zufallsgenerator und Auszahlungsquote. Ferner findet der Faktor „Zeit“ bzw. die Ereignisfrequenz eines Glücksspiels (mit anderen Worten: die Zeitspanne zwischen Einsatz, Spielausgang und nächster Gelegenheit zum Spieleinsatz) besondere Berücksichtigung. Ein weiterer Schwerpunkt handelt von der Wirtschaftlichkeit von Geschicklichkeits- und Glücksspielen, wobei die derzeit populäre Festquotenwette in diesem Kontext als Primärbeispiel dient. Ebenfalls lesenswert sind Bronders Ausführungen zum Unsinn von Systemspielen, zu möglichen Manipulationen von Spielabläufen sowie zum spielimmanenten Verlustkreislauf bei Glücksspielen (inklusive Spiel-Features, die zum dauerhaften Weiterspielen animieren sollen). Abschließend werden alle relevanten Aspekte eines wirtschaftlich tragfähigen Spielangebotes zusammengefasst und unter Setzung bestimmter Parameter potenzielle Gewinnmargen (aus Anbietersicht) bzw. Verlustmargen (aus Konsumentensicht) vorgestellt.
Diskussion
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit „Spiel, Zufall und Kommerz“ nunmehr eine deutschsprachige, eher technisch orientierte Abhandlung zum Spiel um Geld verfügbar ist, die sich in kompetenter und differenzierter Weise diesem vielschichtigen Themenkomplex annimmt und zum Nachdenken anregt. Während sich die Auswahl der Inhalte eng an der Kernkompetenz des Autors anlehnt und die Gliederung im Ganzen nachvollziehbar erscheint, wirken sich einige Redundanzen oder etwas sprunghafte Darstellungen mitunter negativ auf den Lesefluss aus. Darüber hinaus hätte jedes Kapitel zweifelsohne von einer kurzen Zusammenfassung der jeweiligen Kernbotschaften profitiert.
Weiterer Optimierungsbedarf besteht in der zum Teil wenig stringenten Begriffsverwendung sowie der – wohl intendierten – stark verkürzten Darstellung der psychologischen (subjektiven) Effekte ausgewählter objektiver Veranstaltungsmerkmale respektive Spieleigenschaften. Bronder selbst verweist bereits in der Einleitung darauf, einzelne Begriffe mitunter wenig trennscharf zu benutzen, was in der Tat zum Teil für Verwirrung sorgt (z. B. stellen „Spiel um Geld“ und „Glücksspiel“ hier Synonyme dar). Aus psychologischer Sicht wäre unter anderem die Klassifikation von Poker und Sportwetten als reine Zufallsspiele kontrovers zu diskutieren. An dieser Stelle blendet die Monographie zahlreiche empirische Forschungsbefunde aus, die belegen, dass gerade mit diesen beiden Spielvarianten zumindest ein kleiner Geschicklichkeitsanteil verbunden ist. Ungeachtet dessen versteht es der Autor ohne Frage, eine nachvollziehbare und gut begründete Argumentationskette auf sprachlich anspruchsvollem Niveau zu entwerfen.
Fazit
In der Gesamtschau ist eine Lektüre des vorliegenden Werkes – trotz der erwähnten Kritikpunkte – auf jeden Fall zu empfehlen. Alleine der Perspektivenwechsel in Richtung Spieltheorie und Stochastik fernab der Suchtpsychologie erweist sich als gelungen, überzeugt weitestgehend mit seinen Kernaussagen und bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für zukünftige interdisziplinäre Denk- und Arbeitsweisen. Interessante Einblicke in die technische Welt des Glücksspiels (Binnensicht) wechseln sich dabei mit Fallbeispielen (Praxisnähe) ab und decken ein breites Spektrum an politisch wie regulatorisch relevanten Sachverhalten bzw. Problemlagen ab (Implikationen). Es bleibt infolgedessen zu hoffen, dass die Publikation eine breite Leserschaft erreicht.
Rezension von
Dr. Tobias Hayer
Dipl.-Psych., arbeitet seit 2001 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen
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