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Clemens Dannenbeck, Carmen Dorrance et al. (Hrsg.): Inklusionssensible Hochschule

Rezensiert von Prof. Dr. Elisabeth Müller Fritschi, 19.10.2016

Cover Clemens Dannenbeck, Carmen Dorrance et al. (Hrsg.): Inklusionssensible Hochschule ISBN 978-3-7815-2102-5

Clemens Dannenbeck, Carmen Dorrance, Anna Moldenhauer, Andreas Oehme, Andrea Platte (Hrsg.): Inklusionssensible Hochschule. Grundlagen, Ansätze und Konzepte für Hochschuldidaktik und Organisatonsentwicklung. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2016. 355 Seiten. ISBN 978-3-7815-2102-5. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.

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Thema

Die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland beginnen zunehmend, sich in den Inklusionsdiskurs einzumischen, und zwar über den schulisch zentrierten Blick erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen hinaus. Dabei werden vermehrt die Möglichkeiten hochschulischer Öffnungsprozesse ausgelotet. Nachdem es zunächst an erster Stelle um Veränderungen hin zu mehr Barrierefreiheit ging (etwa bauliche Maßnahmen, oder die Gewährung von Nachteilsausgleichen für Studierende mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen, oder die Etablierung von „Behindertenbeauftragen“), verlagert sich aktuell der Fokus. Die Debatte zu zielgruppenspezifischen Kompensationserfordernissen wird erweitert zum Diskurs darüber, wie mehr Bildungsgerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit mit einer zunehmend heterogenen Studierenden- und Lehrendenschaft verwirklicht werden kann. Vor diesem Hintergrund werden in den Beiträgen dieses Herausgeberwerkes theoretische Perspektiven und Hintergründe, konkrete Maßnahmen zur Organisationsentwicklung, empirische Studien sowie Konzepte einer inklusionssensiblen Hochschuldidaktik thematisiert.

HerausgeberInnen

Die fünf HerausgeberInnen aus verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen verfügen insgesamt über eine breitgefächerte Expertise in Forschung und Lehre im Bereiche von Inklusion/inklusive Bildung und inklusive (Hoch-)Schulentwicklung und Didaktik.

Entstehungshintergrund

Die Idee zum Buch stammt aus einer Arbeitsgruppe an der Jahrestagung der Integrations-/InklusionsforscherInnen in Halle (29. IFO-Tagung 2015, mit dem Titel „Inklusion ist die Antwort – was war nochmal die Frage?“). Die Publikation erörtert diesem Tagungsmotto entsprechend grundlegende Fragen rund um Inklusion.

Aufbau

Das Werk besteht aus drei Teilen.

  1. Grundlegende (theoretische) Perspektiven für die Entwicklung der Hochschulen hin zu (mehr) Inklusionssensibilität werden in den ersten sechs Beiträgen dargelegt.
  2. Die acht Beiträge des zweiten Teils widmen sich konkreteren Ansätzen für Studium und Organisationsentwicklung.
  3. Im dritten Teil wird in sieben Beiträgen eine inklusionssensible Hochschuldidaktik zum Thema gemacht.

Inhalt

Clemens Dannenbeck und Carmen Dorrance zeigen in ihrem Beitrag (S. 22ff.), inwiefern die bildungspolitischen Bestrebungen zur Öffnung der Hochschulen im Spannungsverhältnis stehen zu den Bemühungen um Inklusionsorientierung, die sich aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ergibt („Da könnte ja jede/r kommen – inklusionssensible Hochschulentwicklung“). Gemäss Autorin und Autor gilt es, die vielfältigen Teilhabehindernisse in Bildungsinstitutionen auf allen Ebenen (Forschung, Lehre, Selbstverwaltung etc.) und umfassender als bisher wahrzunehmen, zu reflektieren und zu beseitigen.

Justin J.W. Powell (S. 34ff.) plädiert dafür, dass Universitäten ihr Potential zur Innovation der Gesellschaft nutzen, indem sie vermehrt universal design-Prinzipien anwenden, um ihre Dienstleistungen und Umwelten so zu gestalten, dass sie für alle nutzbar sind („Von Ableismus zur universal design Universität“). Er markiert den Weg der Veränderung, indem er aufzeigt, dass es darum geht, die Barrieren im Kopf, in den Selektionsmechanismen der sozialen, kulturellen und pädagogischen Strukturen und in der Kommunikation zu analysieren und zu verändern. Ziel ist, die defizitorientierte Sichtweise zu überwinden, Diversität anzuerkennen und Hochschulen entsprechend zu gestalten.

Robert Aust (S. 52ff.) untersucht anhand von Gesetzestexten das Verständnis von Behinderung im Diskursfeld Hochschule („Behinderung, Normalität und Hochschulen. Anmerkungen zu rechtlichen Rahmenbedingungen von Universitäten im Zuge der UN-BRK“). Dabei stellt er fest, dass in den untersuchten Texten die Trennung zwischen Behinderung und Normalität zwar stellenweise aufgeweicht wird, dass jedoch die Tendenz, Behinderung am Subjekt festzumachen, immer noch vorherrscht.

Franz Kaspar Krönig (S. 68ff.) skizziert eine (system-)theoretische Verortung inklusiver Hochschuldidaktik zwischen wissenschaftlichen und pädagogischen Interaktionssystemen („Didaktik ohne Erziehung? Wege zu einer inklusiven Hochschuldidaktik jenseits der Pädagogisierung akademischer Lehre“).

Andrä Wolter und Christian Kerst (S. 86ff.) präsentieren die Ergebnisse von drei empirischen Untersuchungen zu Studienzugang und -verlauf von Studierenden mit studienerschwerenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen („Inklusion an Hochschulen: Studieren mit Behinderung und gesundheitlicher Beeinträchtigung im Spiegel der empirischen Studierendenforschung“). Die Daten geben Hinweise auf die Größe der (Teil-)Gruppen von Studierenden, auf die Art der Beeinträchtigungen, auf das Maß der wahrgenommenen Studienerschwernis und auf die Merkmale des Studienverlaufs. Gemäss Autoren änderten die Beratungsangebote (und Nachteilsausgleiche) bislang nur wenig. Sie fordern deshalb eine Sensibilisierung der Hochschulangehörigen für das Thema Inklusion.

Grit Würmseer zeigt in ihrem Artikel (S. 108ff.) auf, wie Hochschulen, die sich als inklusiv verstehen (wollen), die aktive Teilhabe und Partizipation ihrer Mitglieder auf verschiedenen Ebenen ermöglichen können („Mir nach, ich folge Euch! Die unternehmerische Hochschule zwischen Hierarchie und Partizipation“). Die partizipative Steuerung von Hochschulen jenseits akademischer Gremien dient sowohl organisationaler wie auch individueller Weiterentwicklung.

Birgit Drolshagen (S. 127ff.) rückt die Perspektive der Betroffenen, d.h. der Studierenden und Lehrenden mit Behinderungserfahrung, als ExpertInnen mit erhöhter Sensibilität für exkludierende Strukturen und Prozesse ins Zentrum („Der Weg zu inklusiven Hochschulen – Potenziale, Methoden und Konzepte“). Die Erkenntnisse aus der kritischen Reflexion von Exklusions-Erfahrungen könnten vermehrt für die Sensibilisierung und Qualifizierung aller Hochschulangehörigen eingesetzt werden. Am Beispiel des Dortmunder Arbeitsansatzes zeigt die Autorin eine Methode zur schrittweisen Veränderung von Prozessen und Strukturen hin zu einer inklusiven Hochschul(lehr)e auf.

Arthur Limbach-Reich (S. 145ff.) stellt fest, dass sich die Frage der Inklusion an Hochschulen im Zuge der Bologna-Reform akzentuiert hat (Inklusion auf dem Weg zur Hochschule). Durch die grenzüberschreitende Wettbewerbsorientierung und die Straffung von Studienzeiten entstanden neue Belastungen speziell für Studierende mit Behinderungen, und es stellt sich zudem die Frage, wie (auch) die Mobilität von Studierenden mit Behinderungen gefördert werden kann. Der Autor wirft einen Blick auf die Bemühungen zu inklusiver Hochschulbildung, die in Frankreich schon früh begannen und gesetzlich untermauert wurden, und durch die sich andere Hochschulen inspirieren lassen könnten.

Marie-Luise Braunsteiner und Barbara Brokamp (S. 162ff.) kommentieren in der Form eines Gesprächs den Werdegang des Inklusionsprojektes Wiener Neudorf („Inklusive Blickwechsel zwischen Hochschule und Kommune“). Im Zentrum des Projektes standen der „Index für Inklusion“ (Boban/Hinz 2003) und die Idee, inklusive Praktiken von Bildungseinrichtungen (Pädagogische Hochschule und Volksschule mit Integrationsklassen) auf die Kommune zu übertragen. Im Projekt wurde an einem gemeinsamen Verständnis von Inklusion gearbeitet, es wurden Befragungen unter Einbezug diverser Bevölkerungsgruppen durchgeführt und ein „kommunaler Index für Inklusion“ in einem Praxishandbuch dokumentiert. Schließlich entstand partizipativ ein PH-Lehrgang „Kommunale Bildung“. Im Beitrag werden Entwicklungsprozess und Lehrgang in Bezug auf (beispielhafte) inklusive Praktiken reflektiert.

Irmgard Bernhard und Claudia Rauch (S. 180ff.) referieren über Chancen und Gefahren des „Inclusive Turn“, der sowohl auf struktureller, inhaltlicher und kultureller Ebene stattfinden muss („Keyframes des Inclusive Turn – von der avantgardistischen Vision zum pädagogischen Impetus von Hochschulentwicklung“). Dabei stehen die Entwicklungen der Pädagogischen Hochschulen in Österreich im Zentrum, und es werden Ergebnisse einer Studierendenbefragung zum Ist-Stand inklusiver Kulturen an einer Pädagogischen Hochschule vorgestellt.

Elisabeth Plate (S. 194ff.) thematisiert die Rolle teilhabeorientierter Kulturen, Strukturen und Praktiken der Lehrer_innenbildung (Lehrer_innenbildung für Inklusion braucht Lehrer_innenbildung durch Inklusion). Die Autorin präsentiert ein weitgefasstes Verständnis von Inklusion und zeigt auf, dass Bildung für Inklusion nur durch eine Bildung durch Inklusion erreicht werden kann. Sie verdeutlicht inkludierende und exkludierende Kreisläufe, und zeigt Barrieren und Ressourcen zur Entwicklung inklusiver Praktiken auf.

Ronja Ruppelt, Tabea Schuch und Anne Sierig (S. 215ff.) argumentieren für die Anerkennung und den Einbezug vielfältiger Bedürfnisse und Interessen in die Entscheidungen an einer Hochschule, die sich als inklusionssensibel verstehen will („Universität inklusionssensibel denken – Eine Annäherung anhand der Frage nach studentischem Raum“). Die Autorinnen zeigen an einem Beispiel auf, inwiefern der Umgang mit dem universitären Raum (auch als Sozial- und Handlungsraum) als Indikator für die Anerkennung von verschiedenen Bedürfnissen und die Mitbestimmung an einer Hochschule verstanden werden kann.

Franziska Koglin, Juliane Welge, Jana Meyer und Hannah Behringer (S. 227ff.) stellen eine innerhalb eines Projektseminars geborene Studierendeninitiative vor (“VisionInklusion – für ein lebendiges inklusives Kulturleben an der Leuphana Universität Lüneburg“). Es handelt sich dabei um ein für alle Studiengänge offenes Projekt für Menschen mit und ohne Behinderung, das sich als Schnittstelle zwischen der Universität und integrativ arbeitenden Einrichtungen der Umgebung versteht. Sowohl Hochschule und Studierende als auch gemeinnützige Einrichtungen und engagierte BürgerInnen profitieren, womit ein Beitrag zur Inklusion im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsprozesse geleistet wird.

Yvonne Kuhnke, Lis Marie Diehl und Jana York (S. 237ff.) fragen, ob und wie gut sich Hochschulen auf die Bedürfnisse der Studierenden einstellen können („Mehr DOMOkratie wagen. Chancen inklusionssensibler Lernformate“). Die Autorinnen legen Passungsprobleme zwischen Hochschulstrukturen und Bedürfnissen von Studierenden dar (Durchlässigkeit, Infrastrukturen und Beratung, kompensatorische Angebote und Karriereförderung) und stellen danach mit dem Beispiel des Dortmunder Modells: Musik (DOMO) ein inklusionssensibles Lehrformat vor, das Menschen mit Lernschwierigkeiten in den universitären Lehrbetrieb einbezieht.

Julietta Adorno und Carola Iller (S. 253ff.) plädieren dafür, den Blick für Fragen der Zugangsberechtigungen und Durchlässigkeit des Bildungssystems zu erweitern, und die konkreten Lehr-/Lernsituationen in Bezug auf Zugang und Selektion für „nicht-traditionelle Studierende“ zu analysieren („Überlegungen zu den hochschuldidaktischen Konsequenzen einer inklusionssensiblen Hochschule“). Grundlegend für eine chancengerechtere Hochschule ist eine hohe Sensibilität für soziale Ungleichheitserfahrungen und ihre Auswirkungen auf die Situation nicht-traditioneller Studierender. Abhilfe schaffen könnten: eine vermehrte Studierendenzentrierung (bspw. mit „learning contracts“, welche variantenreichere Lernwege für Studierende ermöglichen); eine Fokussierung auf die Selbstlernfähigkeiten der Studierenden; flexiblere Studienprogramme.

Im Beitrag von Helen Knauf (S. 267ff.) geht es die Gestaltung einer Lehre, die Vielfalt wahrnimmt, berücksichtigt und wertschätzt („Inklusive Hochschuldidaktik: Individualisierung, Partizipation, Kooperation und Selbstverantwortung“). Dabei sollten sich im konstruktiven Alignment Lernergebnisse, Lehr/Lernaktivitäten und Prüfungsformate an Inklusion orientieren. Inklusion wird für das didaktische Setting anhand der vier im Titel angesprochenen Prinzipien operationalisiert. Durch die Erhöhung der Optionenvielfalt in den Lehr-/Lernprozessen für alle entstehen auch mehr Spielräume für alle, und die Problematik der Kategorisierung („Normalstudierende„…) lässt sich auflösen.

Melanie Werner, Peter Mönnikes und Heike Fiebig (S. 282ff.) thematisieren ein Lehrforschungsprojekt in einem Studiengang Soziale Arbeit („Dieser Druck macht irgendwie alles kaputt – Studentische Gruppenarbeiten im Spiegel von Zeitmanagement und Bildungsorientierung“). Auf der einen Seite hat die Bologna-Reform durch Standardisierung und Beschleunigung von Bildungsprozessen die Möglichkeit geschaffen, unabhängig(er) von sozialer Herkunft ein Studium zu realisieren (s. Studien, die darauf hinweisen, dass klare Studienstrukturen v.a. für Bildungsaufsteiger/innen vorteilhaft sind). Auf der andern Seite beeinflussen Zeitdruck und Effizienzvorstellungen Bildungsgelegenheiten wie Gruppenarbeiten v.a. auch im Hinblick auf Inklusion negativ.

Andrea Platte, Lydia Scheithauer und Stefanie Vogt (S. 298ff.) stellen ein dreisemestriges Projekt vor, in dem Studierende (als Expert/innen für Inklusionsprozesse) und Lehrende zusammen Lehrveranstaltungen beobachten und diskutieren, um Kriterien für eine inklusionsorientierte Gestaltung der Lehre auszumachen („Exzellenz – Expertise – Exklusivität: Das Projekt Studierende coachen Lehrende als Zugang zu einer inklusiven Hochschuldidaktik“). Der Beitrag liefert Reflexionsanstösse bis hin zur übergreifenden Frage, ob der Exklusivitätsanspruch der Hochschule ohne Exklusion überhaupt funktionieren kann.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Bettina Lindmeier und Dorothee Meier (S. 312ff.) stehen die bildungsbiographischen Erfahrungen und Entscheidungen und das Erleben von Öffnungs- und Schließungsprozessen („Verschiedenheit der Teilnehmer_innen als Ausgangspunkt einer diversitätssensiblen Hochschule“). Die Effekte sozialer Herkunft zeigen sich in Fremd- und Selbstselektionsprozessen bei Bildungsentscheidungen (bspw. der Studienfachwahl). Welche Chancen in der Verschiedenartigkeit der Lernvoraussetzungen liegen, wird am Beispiel eines Seminars gezeigt, welches für Studierende Sonderpädagogik und erwachsene Berufstätige mit Behinderung durchgeführt und evaluiert wurde.

Bei Christoph Schüle und Sabine Klomfass (S. 329ff.) stehen inklusive Einstellungen von Lehrpersonen für die erfolgreiche Umsetzung inklusiver Bildung im Fokus („Inklusion in der Lehrer_innenbildung? Haltung entwickeln!“). Inklusive Einstellungen werden als wichtiger Faktor bei der Umsetzung von inklusiven Handlungen thematisiert, weshalb im Beitrag gefragt wird, wie Einstellungsveränderung in der universitären Bildung stimuliert werden kann. Als ein diesbezüglich vielversprechendes Lehrformat wird die „Fallarbeit“ vorgestellt.

Anna Moldenhauer und Andreas Oehme (S. 341ff.) fragen, wie Lernwerkstätten für Partizipationsimpulse und Organisationsentwicklung eingesetzt werden können („Lernwerkstätten als Impulsgeber für Partizipation an der Hochschule“). Denn damit Absolvent/innen von Hochschulen in ihrem Beruf inklusiv arbeiten können, müssen sie entsprechendes (implizites und explizites) Wissen erwerben. Am Beispiel einer interdisziplinär angelegten Lernwerkstatt zeigen Autorin und Autor, wie Studierende und Lehrende kooperativ und partizipativ ihre Erfahrungen mit Inklusion in Theorie und Praxis sammeln und reflektieren können.

Diskussion

Die sechs Beiträge des ersten Teils skizzieren den Diskurs zum aktuellen Stand der Inklusionsorientierung an Hochschulen, bspw. zum Umgang der Hochschulen mit barrierefreien Studienbedingungen für alle. Es wird aufgezeigt, dass es Diskussions- und Handlungsbedarf gibt, wenn Bildungsinstitutionen mit ihrem gesellschaftlichen Innovationspotential der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK 2009, org. CRPD 2006) und der zunehmenden Heterogenität der Studierenden und Lehrenden gerecht werden wollen. Die Beiträge machen deutlich, warum die Strukturen und Prozesse von Hochschulpraxis im Hinblick auf Diskriminierungsfreiheit (für alle) kritisch zu hinterfragen sind (s. Beitrag Powell), und warum das Verständnis von „Behinderung“ und „Normalität“ im Diskurs (weiter) zu klären ist (s. Beitrag Aust). Damit sich Hochschulen weiterentwickeln können, müssen alle Hochschulangehörigen für das Thema Inklusion sensibilisiert werden und es gilt, die Mitglieder der Hochschule durch unterschiedliche Partizipationsformen auf allen Ebenen einzubeziehen (s. Beitrag Würmseer). Interessant für die anstehenden Diskussionen und für zukünftige empirische Forschung zum Thema ist der Beitrag von Wolter/Kerst („Inklusion an Hochschulen: Studieren mit Behinderung und gesundheitlicher Beeinträchtigung im Spiegel der empirischen Studierendenforschung“).

In den acht Beiträgen des zweiten Teils stehen Konzepte und Projekte in konkreten Hochschulen im Mittelpunkt. Es wird aufgezeigt, dass der Weg zu einem inklusiven Hochschulsystem über die Analyse von Strukturen und Prozessen, über den Einbezug von individuellen und systemischen Perspektiven und über die Identifizierung von Exklusionsrisiken und den Barriereabbau im Rahmen von Organisationsentwicklungsprozessen führt. Eine umfassende inklusive Hochschulentwicklung wirft den Blick jedoch nicht nur auf Forschung, Lehre und hochschulinterne Strukturen/Prozesse, sie stellt diese entsprechend ihrer Rolle in der Gesellschaft auch in einen gesellschaftlichen Zusammenhang (bspw. kommunale Entwicklungen, Beitrag Braunsteiner/Brokamp). Es wird sehr deutlich gemacht, dass die Entwicklung von Strukturen, Kulturen und Praktiken hin zum mehr Inklusion kaum über das bloße Vermitteln von Inhalten zur Thematik geschehen kann. Entscheidend ist vielmehr, dass Inklusion in partizipationsorientierten Projekten und Angeboten praktiziert wird. Dabei erscheinen neben den Öffnungsprozessen gegen innen auch Öffnungsprozesse gegen außen vielversprechend (bspw. Einbezug von Menschen außerhalb der Hochschule, vgl. Beiträge Koglin/Welge/Meyer/Behringer und Kuhnke/Diehl/York).

In den Beiträgen des dritten Teils geht es um die Entwicklung einer inklusionssensiblen Hochschuldidaktik. Denn in der konkreten Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen zeigt sich letztlich der gesellschaftliche Umgang mit Werten wie Teilhabe und Wertschätzung von Vielfalt. Damit wird das Feld der Hochschuldidaktik zu einem wichtigen Ansatzpunkt für Veränderungsprozesse. Eine Entwicklung kann dann stattfinden, wenn in den Entwicklungsstrategien einer Hochschule auch die makro-, meso- und mikrodidaktischen Ebenen berücksichtigt werden: Chancengerechtigkeit soll bei der Zulassung, im Studienprogramm und in Lehr-/Lernsettings hergestellt werden. Bei einer zunehmenden Heterogenität der Studierendenschaft kann Individualisierung jedoch nicht bedeuten, dass für immer mehr Anspruchsgruppen immer mehr maßgeschneiderte Angebote kreiert werden. Vielmehr geht es darum, die Wahlmöglichkeiten für alle Studierenden zu erhöhen, und insgesamt ein variantenreiches Angebot bereitzustellen, um Kategorisierungen („Normalstudierende“) aufzulösen (s. Beitrag Knauf). Diversität (bspw. in der Berufsbiographie, s. Beitrag Lindmeier/Meyer) ist letztlich eine Ressource, die für das (gemeinsame und individuelle) Lernen fruchtbar gemacht werden kann. Dazu braucht es allerdings Einstellungen, die Öffnungsprozesse und Diversität als etwas Positives erkennen (s. Beitrag Schüle/Klomfass) und entsprechende Impulsgeber (s. Beitrag Moldenhauer/Oehme). Und immer wieder ist es zentral, inkludierende bzw. exkludierende Praktiken auch aus der Sicht der Betroffenen (Studierende) genau zu beobachten und zu analysieren (s. Beitrag Platte/Scheithauer/Vogt).

Fazit

Das vorliegende Herausgeberwerk hält, was der Titel verspricht. Es werden zentrale Fragen aufgenommen, „auf die Inklusion eine Antwort sein könnte“ (S. 13). Die 21 Beiträge geben insgesamt einen sehr guten Überblick über Grundlagen, Konzepte, Projekte und aktuelle Fragen zum Thema Inklusionsorientierung bzw. Inklusionssensibilität an Hochschulen. Das Buch bietet allen, die sich mit aktuellen Hochschulentwicklungsfragen auseinandersetzen und für die inklusionssensibles Handeln innerhalb der Strukturen, Kulturen und Prozesse der Hochschule ein Muss ist, grundlegendes Wissen zum Stand der Diskussion und Denkanstösse. Die einzelnen Beiträge können für die anstehenden Entwicklungs- und Diskussionsprozesse rund um Bildungsgerechtigkeit, Diskriminierungs- und Barrierefreiheit, Partizipation und Umgang mit Diversität, inklusionssensible Hochschuldidaktik, etc. genutzt werden.

Rezension von
Prof. Dr. Elisabeth Müller Fritschi
Referentin in der Fachstelle Didaktik und angewandte Linguistik
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Es gibt 13 Rezensionen von Elisabeth Müller Fritschi.

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ISSN 2190-9245