Janine Berg-Peer: Moderation von Selbsthilfegruppen
Rezensiert von Dipl. Päd. Martin Zauner, 10.01.2017
Janine Berg-Peer: Moderation von Selbsthilfegruppen. Ein Leitfaden. Psychiatrie Verlag GmbH (Köln) 2016. 96 Seiten. ISBN 978-3-88414-651-4. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Selbsthilfegruppen sind meist hierarchiefreie Zusammenschlüsse von Menschen in vergleichbaren Situationen beziehungsweise mit vergleichbaren oder ähnlichen Erfahrungen. Sie werden in der Regel von Laien geleitet und reagieren, egal ob für Betroffene oder Angehörige, auf irgendeine Form von Leidensdruck. Dafür gibt es sie. Sie sollen, je nachdem, emotional entlasten, informieren, vernetzen, verstehen, vermitteln, verbünden, helfen und, so möglich, verbessern. Das hier zu besprechende Buch versteht sich als Leitfaden und Ratgeber. Es möchte vor allem Unerfahrene bei der Gründung und Moderation solcher Selbsthilfegruppen begleiten.
Autorin
Es ist naturgemäß immer schwer, als Rezensent einen Menschen zu charakterisieren, den man nicht kennt und logischerweise auch nicht kennen darf. Die Autorin Janine Berg-Peer ist Soziologin mit jahrzehntelanger Coaching- und Beratungserfahrung. Sie kann nicht Fahrrad fahren, hasst Sport, reist gerne bis ans Ende der Welt, geht häufig in ihren Garten, ernährt sich gesund und schreibt aus und mit Passion Bücher (was per se noch kein Qualitätskriterium darstellt). Es empfiehlt sich an dieser Stelle einfach ein Blick auf die leicht zu findende Homepage von Janine Berg-Peer.
Entstehungshintergrund
Eine langjährige Beratungstätigkeit ist natürlich meist schon eine gute handwerkliche Ausgangslage für das Verfassen eines Ratgebers. Der spezifische Themenbezug leitet sich bei Frau Berg-Peer, wenn es der Rezensent richtig interpretiert, aber aus eigener Betroffenheit als Mutter einer vor vielen Jahren an Schizophrenie erkrankten Tochter her. Dem Umschlagtext des Buches ist obendrein zu entnehmen, dass auch die eigene Mutter an einer Bipolaren Störung litt. Die Autorin hat offenbar große Erfahrung als Moderatorin und als Angehörige zugleich und möchte etwas davon mit ihrem Buch weitergeben.
Aufbau
Konsequenter Weise muss ein so intendierter Ratgeber beziehungsweise Leitfaden entsprechend umfassend vorbereiten und begleiten. Die Autorin definiert dafür die folgenden Themenbereiche als relevant und zielführend:
- Was leisten Selbsthilfegruppen
- Moderation in Selbsthilfegruppen
- Gründung einer Selbsthilfegruppe
- Was brauchen Sie für die Moderation?
- Es geht los: Ablauf einer Selbsthilfegruppe
- Wertschätzende Kommunikation
- Umgang mit Konflikten
Inhalt
Im Folgenden sollen lediglich einige inhaltliche Spots gesetzt werden, die nach Ansicht des Rezensenten besonders relevant sind für die Zielgruppe der noch unerfahrenen (potentiellen) Moderatorinnen und Moderatoren.
Das Kapitel „Moderation in Selbsthilfegruppen“ diskutiert grundsätzliche Aspekte zur Zusammensetzung (homogen oder heterogen), zur Organisation (offen oder geschlossen) und zur Moderation (von Laien oder Profis), die vor dem Hintergrund erwarteter Wirkungen und Effekte bedacht werden sollten. Es werden des Weiteren kurz die Themenfelder „Psychoedukation“, „Trialogische Seminare“ und „Virtuelle Selbsthilfegruppen“ gestreift. Die Autorin betont dabei die zentrale Bedeutung wertschätzender und fürsorglicher, dabei gleichzeitig klärender und ausgleichender Moderation, da individuelle Betroffenheit, Erfahrungen und (Teil-) Expertisen nicht selten doch zu ganz unterschiedlichen Erwartungen bei den Teilnehmenden führen. Das passt häufig zunächst nicht ganz zusammen und kann sich entsprechend atmosphärisch niederschlagen.
Das Kapitel „Gründung einer Selbsthilfegruppe“ widmet sich strukturellen Fragestellungen. Es geht beispielsweise um die passende Örtlichkeit, um die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um Häufigkeiten und Dauer der einzelnen Gruppentreffen, um die Teilnehmerakquise und um finanzielle Fördermöglichkeiten.
Die vielleicht zentrale Aussage des Kapitels „Was brauchen Sie für die Moderation?“ ist: Man braucht zunächst nichts außer Motivation. Darüber hinaus wird es dann aber doch etwas griffiger. Zuerst werden einige Ressourcen in der Person der Moderatorin oder des Moderators hinterfragt, Haltungen, Belastbarkeit und Fachwissen. Dann wird noch etwas konkreter auf Moderatorenaufgaben, besser -rollen, Bezug genommen: Organisator, Gastgeber, Motivator und bei Bedarf Konfliktmoderator, natürlich jeweils auch in der weiblichen Form.
Das Kapitel „Ablauf einer Selbsthilfegruppe“ nimmt eine prominente Stellung ein, allein des relativen Umfangs wegen. Es geht um die konkreten Gruppenstunden, um deren Vorbereitung und Durchführung. Die meisten der bereitgestellten, als Download zur Verfügung stehenden Checklisten und Arbeitsblätter (s.u.) beziehen sich hierauf. Die Autorin unterscheidet zwischen dem ersten Treffen, dem sie sich aus nachvollziehbaren Gründen sehr ausführlich unter verschiedenen Aspekten und Fragestellungen widmet, und den weiteren regulären Treffen. Sie spricht für letztere kurz wie griffig dabei auch die Option von spezifischen „Themenabenden mit Referenten“ an: Planung, Akquise und Moderation.
Auch das anschließende Kapitel „Wertschätzende Moderation“ ist nicht zuletzt des Umfangs wegen relativ prominent. Der Knackpunkt sind kommunikative Probleme. Gruppenteilnehmer kommunizieren aus unterschiedlichsten Gründen nicht ganz selten weniger angemessen. Das ist zwar individuell verständlich, bringt aber in der Regel nicht viel mehr als situative emotionale Entlastung für Einzelpersonen, während die Anderen davon eher genervt sind und entsprechend (nicht-)reagieren. Es ist Aufgabe der Moderatorin oder des Moderators, ein eher positionsgeleitetes Gespräch hin zu einer lösungsorientierten Diskussion zu verändern. Mit ihren in diesem Kontext formulierten Ratschlägen und Tipps bezieht sich die Verfasserin schwerpunktmäßig auf die Gewaltfreie Kommunikation von Marschall Rosenberg. Thematisch greift sie beispielsweise die Problematik von schwer zu äußernden Gefühlen und Wünschen auf, von Verallgemeinerungen, von Endlosschleifen und Dauerthemen, von Besserwisserei und Beratungsresistenz.
Das Kapitel „Umgang mit Konflikten“ trägt der Tatsache Rechnung, dass Unzufriedenheit und Frustration auch und vielleicht sogar besonders zu Selbsthilfegruppen gehören. „Psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehörigen sind durch ihre Situation sehr belastet und werden dünnhäutig“ (S. 82). Zur Vorbeugung beziehungsweise Intervention größerer Eskalationen empfiehlt das Buch exemplarisch drei Feedbackübungen mit verschiedenen Zielsetzungen zu implementieren (ritualisieren), die auch konkret beschrieben werden.
Das abschließende Kapitel „Heikle Themen“ betont die Wichtigkeit beziehungsweise eher Notwendigkeit für Selbsthilfegruppen, sich für Tabuzonen zu öffnen. Das meint Dinge, die hochsensibel und unangenehm zugleich sind, aber im Subkontext massiv wirken und belasten können. Es handelt sich hier konkret, wohl auch stellvertretend, um Suizid, Sexualität und Intimität, und um das Alter und eigene Erkrankungen der Angehörigen.
Downloadmaterialien: Im Internet finden sich auf der Verlagsseite einige unterstützende Informations- und Arbeitsblätter und eine kleine Bibliografie zur thematischen Vertiefung von verschiedenen psychischen Erkrankungen.
Diskussion
Das Buch „Moderation von Selbsthilfegruppen“ versteht sich als Leitfaden und Ratgeber. Es handelt sich explizit nicht um ein wissenschaftliches Werk und ein wissenschaftlicher Anspruch wird auch nicht erhoben: Im Literaturverzeichnis finden sich zwei Angaben. Der Inhalt fußt offenbar vor allem auf den Erfahrungen der Verfasserin. Und das ist für diesen Leitfaden kein Makel – ganz im Gegenteil.
Erklärte Intention des Werkes ist es, noch Unerfahrene, die sich mit dem Gedanken befassen eine Selbsthilfegruppe aufzubauen und zu leiten, bei ihrem Vorhaben zu unterstützen. Und das bedeutet eben, ganz viele Dinge zu beachten: Dinge, die meist sowieso und wie von selbst im Fokus stehen, daher bei ihrer Erwähnung vielleicht etwas banal oder auch überzeichnet wirken, und Dinge, an die man einfach nicht denken würde obwohl sie wichtig sind, und die durch das Buch dankenswerterweise in den Fokus gerückt werden.
Die Verfasserin tritt dabei angenehm zurückhaltend auf. Sie verpackt Zusammenhänge, auf die es keine klaren und eindeutigen Antworten gibt, in Fragestellungen zur situativen und auch individuellen Entscheidung, und gibt an anderer Stelle sehr konkrete und praktische Anregungen, dort, wo das passt. Der Leser beziehungsweise die Leserin sieht sich an keiner Stelle einer besserwissenden Rat- und Tippgeberin gegenüber. Das ist sympathisch und angemessen.
Fazit
Diesen Ratgeber kann der Rezensent für Menschen, die zu genannter Zielgruppe der Unerfahrenen und/oder Unsicheren gehören, durchaus empfehlen, mit entsprechender Einschränkung auch für Erfahrenere, wobei für letztere natürlich vieles etwas sehr selbstverständlich wirken wird. Aber man kann sich ja die Rosinen auch herauspicken!
Abschließend sei noch erwähnt, dass es sich bei den hier bedachten Selbsthilfegruppen um solche im Umfeld psychischer Erkrankungen handelt, ein Transfer in andere Bereiche aber problemlos möglich erscheint.
Rezension von
Dipl. Päd. Martin Zauner
Dipl.Päd.(univ), Dipl.Sozialpäd.(FH), Mediator (BM), AkadOR an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (Lehrgebiete: Gruppenarbeit, Teamführung /-entwicklung, Mediation, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit)
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Zitiervorschlag
Martin Zauner. Rezension vom 10.01.2017 zu:
Janine Berg-Peer: Moderation von Selbsthilfegruppen. Ein Leitfaden. Psychiatrie Verlag GmbH
(Köln) 2016.
ISBN 978-3-88414-651-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21074.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.
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