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Annett Kupfer: Wer hilft helfen? Einflüsse sozialer Netzwerke auf Beratung

Rezensiert von Laura Fricke, Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner, 15.07.2016

Cover Annett Kupfer: Wer hilft helfen? Einflüsse sozialer Netzwerke auf Beratung ISBN 978-3-87159-716-9

Annett Kupfer: Wer hilft helfen? Einflüsse sozialer Netzwerke auf Beratung. dgvt-Verlag (Tübingen) 2015. 364 Seiten. ISBN 978-3-87159-716-9. D: 32,00 EUR, A: 32,30 EUR.

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Thema

Neben einem umfassenden Überblick zur psychosozialen Beratung befasst sich „Wer hilft helfen?“ intensiv mit der besonderen Rolle von sozialen Netzwerken für den Erfolg professioneller Hilfen. Eingebettet in ein breites Spektrum an Studien und Fachliteratur, beleuchtet Annett Kupfer die unterstützenden Aufgaben, die die Mitglieder sozialer Netzwerke neben der professionellen Hilfe zusätzlich übernehmen. Dabei verdeutlicht die Autorin, wie sehr diese Komponente den Beratungs- und Therapieerfolg bereichert und wie erfolgversprechend deren Einbeziehung daher sein könnte.

Autorin

Dr. Annett Kupfer hat Erziehungswissenschaften, Soziologie und Romanistik an der Technischen Universität Dresden studiert und anschließend dort promoviert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften der TU Dresden. Ihre Arbeit- und Forschungsschwerpunkte sind soziale Unterstützung, Beratung und Migration. (Verlagsinformation)

Aufbau

Das Buch „Wer hilft helfen?“ gliedert sich in drei Hauptteile

  1. zur professionellen Hilfe,
  2. zur informellen Hilfe und
  3. zur Kooperation von informeller und professioneller Hilfe.

Zu 1 Psychosoziale Beratung und ihre Wirkungen – Professionelles Helfen

Im einführenden Kapitel von Teil 1 zur professionellen Hilfe Psychosoziale Beratung -Begriff, Ziele und Funktionen zeichnet Annett Kupfer die Entwicklung professioneller Beratung in der Postmoderne nach und unterscheidet sie vom „Ratgeben“, das auch durch andere Berufsgruppen beiläufig erfolgt, z.B. durch FriseurInnen, MasseurInnen oder TaxifahrerInnen (vgl. S. 26). „Professionelle Beratung ist demnach eine Handlungsform, die durch ihren eindeutigen Problembezug charakterisiert ist“ (S. 27). In der psychosozialen Beratung sieht die Autorin die „Forderung nach der stärkeren Berücksichtigung gesellschaftlicher Faktoren in Beratung und die Rückbindung an Bedürfnisse sozial Benachteiligter“ (S. 33) angelegt. Daraufhin stellt Annett Kupfer Funktionen und Ziele verschiedener Beratungskontexte vor, zunächst von Beratung als Hilfe (wie in der Orientierungs-, Entscheidungs-, Planungs- und Handlungshilfe), anschließend von Beratung als Prävention (als präventives Instrument vor dem Beginn von sozialen, gesundheitlichen oder sonstigen Hindernissen), Rehabilitation (Unterstützung der Reintegration) und Bewältigungshilfe (Beseitigung von Störungen und Hindernissen; vgl. S. 44).

Im folgenden Kapitel Was wirkt in Beratung und Therapie? differenziert die Autorin zunächst die Hilfeformen Psychotherapie und Beratung. In ihrem Resümee fordert sie, dass Psychotherapie und Beratung gegenüber KlientInnen ihre vielfachen Gemeinsamkeiten unterstreichen sollten, ohne ihre eigenen Identitäten zu verlieren. Das Kapitel schließt Annett Kupfer mit dem Hinweis auf die fehlende Beratungsforschung ab, die aus Sicht der Autorin für die Weiterentwicklung der Beratung notwendig wäre (vgl. S. 58-60). Anschließend arbeitet Annett Kupfer die gemeinsamen Wirkfaktoren der verschiedenen Hilfeformen und Beratungs- und Therapieansätze heraus: die sog. Common Factors. Sie bestimmen z.B. in Form von Hoffnung oder als Veränderungserwartung das Ergebnis der professionellen Hilfe mit. Neben diesem ‚Placeboeffekt‘ spielen, so die Autorin, die TherapeutIn-KlientIn-Beziehung, (persönliche) KlientInnenfaktoren sowie (soziale) Umweltfaktoren eine entscheidende Rolle für den Erfolg von Psychotherapie und Beratung. Verdeutlicht wird in diesem Zusammenhang, dass es wenig Abweichung zwischen der Wirksamkeit therapeutischer Intervention und der Unterstützung oder Beratung paraprofessioneller HelferInnen (Familienmitglieder, Freunde, KrankenhausmitarbeiterInnen) gibt. „Obschon es kein großer Wirkunterschied zu sein scheint, wenn Klienten, die von Paraprofessionellen Hilfe erhalten, besser abschließen als 63% der Therapieklienten, so gibt es den Autoren nach doch insgesamt überzeugende Belege dafür, dass Paraprofessionelle, insbesondere diejenigen mit einiger Erfahrung im professionellen Feld (z.B. Krankenhausmitarbeiter, Medizinstudenten, Amtsärzte), mindestens genauso effektiv, in vielen Fällen sogar effektiver als Professionelle agieren“ (S. 98f.).

Zu 2 Soziale Netzwerke und soziale Unterstützung – Informelles Helfen

Das erste Kapitel von Teil 2 zur informellen Hilfe Was sind soziale Netzwerke bietet zunächst einen kurzen Abriss zur Geschichte der Forschung sozialer Netzwerke – mit den drei Formen Gesamt- bzw. totales Netzwerk, egozentrierte bzw. persönliche Netzwerke sowie partiale Netzwerke – und erläutert anschließend mit den strukturellen, interaktionalen, funktionalen und bewertenden Merkmalen die wichtigsten Beschreibungsdimensionen persönlicher Netzwerke. Ausdifferenziert werden die Merkmale u.a. in Bezug auf Anzahl und Dichte sowie starke und schwache Beziehungen.

Im Kapitel Soziale Unterstützung – Die zentrale Funktion sozialer Netzwerke erörtert die Autorin nach einem historischen Überblick zur Supportforschung und zur Entwicklung des Begriffs Social Support die emotionale, materiell/instrumentelle, interpretative und informatorische Unterstützung als wichtigste Funktionen sozialer Netzwerke. Daraufhin werden die Wirkmechanismen sozialer Unterstützung in Bezug auf Gesundheit und Wohlbefinden vorgestellt: mit dem Stress-Bewältigungs-Paradigma, dem Puffereffekt (Social Support als „Airbag“ zwischen Stress und Gesundheitsrisiko) und dem Haupteffekt der sozialen Integration „als Wohlfühlfaktor“. Als Quellen sozialer Unterstützung identifiziert die Autorin anschließend (vorgegebene und selbstgewählte, inner- und außerfamiliäre) persönliche Beziehungen und beschreibt diese u.a. anhand von Alter, Bildung, Intimität und Reziprozität und vergleicht die Quantität und Qualität sozialer Beziehungen. Dies verbindet die Autorin mit verschiedenen Theorien wie der Gleichwertigkeitsthese, der Austauschtheorie, der Attributionstheorie sowie der Selbstwert(erhaltungs)theorie oder Theorie des sozialen Vergleichs. Deutlich wird, wie sehr sich die einzelnen sozialen Beziehungen auf die psychische und die körperliche Gesundheit (z.B. die Vermeidung von Herz-, Kreislauferkrankungen) auswirken können.

Im letzten Kapitel dieses zweiten Teils Nonsupport und soziale Belastung – Die Kehrseite der Medaille? wird auf die belastenden Aspekte sozialer Unterstützung, auch Nonsupport, negative (soziale) Unterstützung oder Nicht-Unterstützung genannt, eingegangen. Annett Kupfer macht darauf aufmerksam, dass soziale Belastung und negative soziale Unterstützung im Gegensatz zu sozialer Unterstützung kaum erforscht sind.

Zu 3 Netzwerk- und Supportforschung im Kontext psychosozialer Beratung – Informelles und professionelles Helfen

In Teil 3 zum Zusammenhang von informeller und professioneller Hilfe referiert Annett Kupfer im ersten Kapitel den Forschungsstand zum Einfluss sozialer Netzwerke auf die Inanspruchnahme professioneller Hilfe. Demnach spielt soziale Unterstützung als „Mediator und Überweisungsinstanz“ (S. 252) eine wichtige Rolle bei der Suche nach Hilfe – abhängig von den im jeweiligen sozialen Netzwerk vorherrschenden Einstellungen, Normen und Werten fällt ein einzelnes Mitglied seine Entscheidung für oder gegen den Weg in die Hilfe.

Im nachfolgenden Kapitel Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen sozialen Ressourcen und Beratungsprozessen zeigt Annett Kupfer die „Überbrückungs- und Kompensationsfunktion“ (S. 286) sozialer Unterstützung bezüglich der Beratung auf. Sie beschreibt den möglichen Synergieeffekt zwischen sozialen Netzwerken und professioneller Hilfe und sieht Social Support dabei als einen möglichen „Kooperationspartner“ (S. 290) der Beratung. Die Autorin betont, wie wichtig das Wissen der BeraterInnen über die soziale Unterstützung der einzelnen KlientInnen ist und wie dies entscheidend zum Therapieerfolg beiträgt (vgl. S. 296f.). Der Kontakt zwischen professionellen und nicht-professionellen HelferInnen sowie die Vermittlung der KlientInnen durch Nicht-Professionelle an Professionelle wird wiederholt hervorgehoben.

Im letzten Kapitel des dritten Teils Soziale Unterstützung als Determinante des Beratungs- und Therapieerfolgs konzentriert sich Annett Kupfer auf die Frage, wie sich soziale Unterstützung sowohl auf den Erfolg von Therapie und Beratung auswirkt und wie soziale Netzwerk beschaffen sind, in denen der Übergang aus der Therapie oder Beratung in ein Leben ohne diese Komponente gut gelingt. Die Autorin geht auf verschiedene Studien zum Verhältnis von BeraterInnen zum sozialen Netzwerk vor und nach dem Psychotherapie- bzw. Beratungsprozess ein (z.B. die Follow-up-Studie von Billings und Moos, 1985, mit depressiven PatientInnen), denen zufolge zum einen das soziale Netzwerk nach der Inanspruchnahme von Beratung bzw. Psychotherapie sich erweiterte und die soziale Unterstützung sich qualitativ signifikant verbesserte (S. 309), zum anderen auch Angehörige von der Veränderung der beratenen Personen profitieren, die Hilfemaßnahme als unterstützend empfinden und deshalb auch wohlwollend begleiten. Thematisiert wird zuletzt auch die Arbeitsallianz, die vom Umfeld der zu beratenden Personen mitgestaltet wird.

Diskussion

Insgesamt stellt das Buch eine beeindruckende Übersicht über soziale Netzwerke in ihrer Funktion rund um beratende Zusammenhänge dar. Das Buch ist daher sowohl für WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen als auch Studierende äußerst nützlich. Die sozialen Netzwerke werden in ihrer Unterstützungsform von der Autorin umfassend dargestellt. LeserInnen gewinnen dadurch ein nahezu vollständiges Bild über die Zusammenführung der Themen soziale Netzwerke, professionelle und informelle Hilfe und Beratung. Faszinierend ist in diesem Zusammenhang, wie selbstverständlich die sozialen Netzwerke trotz ihres Laienstatus neben professionell ausgebildete, erfahrene TherapeutInnen gestellt werden, weil sie für die Ratsuchenden einen vergleichbaren Nutzen erfüllen. Die Mitglieder sozialer Netzwerke haben demnach verschiedene Funktionen, sie nehmen z.B. Einfluss auf die Inanspruchnahme professioneller Hilfe, sind Puffer in Krisen, können jedoch auch Grund für die Suche nach professioneller Hilfe sein. Soziale Netzwerke bestehen meist aus den engsten Vertrauten im Familien- und FreundInnenkreis und übernehmen dort verschiedene Aufgaben, z.B. als direkte Verbündete. FreundInnen dagegen haben das „außerfamiliäre Unterstützungsmonopol“ (S. 322) und übernehmen weniger praktische als viel mehr emotionale Unterstützung.

Überwiegend werden soziale Netzwerke von der Autorin als positiv geschildert. Es wird aber auch auf den problematischen Anteil sozialer Netzwerke Bezug genommen, eine häufige Lücke im Netzwerkdiskurs. Konflikthafte Netzwerkmitglieder zeichnen sich durch fehlenden Support oder z.B. bei PartnerInnen durch belastendes Verhalten aus. FreundInnen und PartnerInnen können Beratung oder Psychotherapie jedoch auch vermitteln bzw. die zu beratende Person darin bestärken, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zum Umfeld wissen die FreundInnen und PartnerInnen zumeist über die Inanspruchnahme professioneller Hilfe Bescheid, auch wenn die zu beratenden Personen dies (sonst) geheim halten möchten. Gleichzeitig bieten die sozialen Netzwerke Hilfe parallel zur professionellen Hilfe an. Sie dienen auch zur Überbrückung zwischen Beratungsterminen und fördern diese mit einer positiven Einstellung gegenüber der professionellen Hilfe.

Präziserweise kommt Annett Kupfer zu dem Schluss, dass soziale Netzwerke die professionelle Hilfe keinesfalls ablösen, aber in die Arbeit der Beratung eingebunden werden sollten. Dies könne auch dazu dienen, die Selbsthilfe zu stärken. Dieser Punkt hätte vielleicht noch ein wenig ausführlicher Beachtung finden können, da die aktuelle Diskussion Peerverfahren und Betroffenenkontrolliertenansätze immer stärker ins Spiel bringt. Die Autorin fordert jedoch richtigerweise, dass das Wissen um die Bedeutsamkeit und Relevanz verschiedener therapeutischer Zugänge viel mehr in neue Beratungs- und Psychotherapieformen einfließen sollte. Ebenso bemängelt sie das Fehlen großflächiger Beratungsforschung. Unter Verweis auf zahlreiche Studien und AutorInnen spricht sich Annett Kupfer überzeugend für die stärkere Einbindung sozialer Netzwerke aus, um eine noch erfolgreichere Beratung und Behandlung zu ermöglichen.

Fazit

Annett Kupfer gibt mit ihrem Buch „Wer hilft helfen?“ einen umfassenden Überblick zu einem breiten Spektrum an Literatur, Studien und Modellen, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, und bietet damit einen kompakten Einblick in das Thema „soziale Netzwerke als Unterstützung für Beratung und Psychotherapie“, mit Verweisen auf aktuelle und relevante Studien und hilfreiche weiterführende Literatur. Dennoch ist Annett Kupfers Buch „Wer hilft helfen?“ angenehm lesbar und somit nicht nur für langjährige PraktikerInnen und an diesem Gebiet Forschungsinteressierte, sondern auch für Studierende sehr bereichernd.

Rezension von
Laura Fricke
B.A. Soziale Arbeit, wissenschaftliche Mitarbeit in diversen Forschungsprojekten
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Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner
Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit für den Arbeitsbereich Psychosoziale Diagnostik und Intervention an der Alice Salomon Hochschule Berlin
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ISSN 2190-9245