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Cora Herrmann: Thematisierungs­weisen guter Arbeit

Rezensiert von Sabrina Schmidt, 24.08.2016

Cover Cora Herrmann: Thematisierungs­weisen guter Arbeit ISBN 978-3-658-12042-9

Cora Herrmann: Thematisierungsweisen guter Arbeit. Eine empirische Untersuchung im Feld der Kinder- und Jugendwohngruppenarbeit. Springer VS (Wiesbaden) 2016. 211 Seiten. ISBN 978-3-658-12042-9. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 41,50 sFr.

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Thema

Cora Herrmann behandelt in ihrem 191 Textseiten umfassenden Werk die sich in einem kontinuierlichen Wandel befindenden Konzepte guter Arbeit. Dabei nimmt sie in ihrer Studie im Sinne einer Momentaufnahme „den Umgang mit den veränderten Gütekonzepten aus einer disziplinären Perspektive der Sozialen Arbeit in den Blick“ (S. 15) und untersucht, wie pädagogische Fachkräfte in der stationären Erziehungshilfe ihr Handeln bzw. ihre Verhaltens- und Gestaltungsweisen im Kontext der Debatte um gute Arbeit thematisieren. Untersuchungsleitend ist die Frage, „wie sich auf der Mikroebene Wandlungsprozesse abbilden und zeigen, die u.a. auf der Makroebene zu verorten sind“ (S. 15). Es geht der Autorin jedoch nicht lediglich darum zu zeigen, dass das Handeln der Fachkräfte durch die Makroebene geprägt und gestaltet wird, sondern dass sich dieses letztlich auch als die Veränderungen mitgestaltend zeigt.

Autorin

Dr. Cora Herrmann ist Referentin für Jugendforschung und -politik im Jugendpfarramt in der Nordkirche in Hamburg und dort zuständig für die Einschätzung von Entwicklungen der Kinder- und Jugendhilfe und Jugendpolitik hinsichtlich ihrer Bedeutung für die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel im Fachgebiet Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit und außerschulische Bildung.

Bei dem rezensierten Werk handelt es sich die Veröffentlichung ihrer an der Universität Kassel im Fachbereich Humanwissenschaften eingereichten Dissertation.

Aufbau

Die Arbeit von Cora Herrmann gliedert sich in fünf Kapitel.

  1. In dem einleitenden Kapitel Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie erläutert die Autorin die Problemstellung und grenzt diese ein.
  2. Das zweite Kapitel dient der Annäherung an den Forschungsgegenstand und zeichnet die verschiedenen Stränge der Thematisierungen in der disziplinären Fachliteratur im deutschsprachigen Raum nach.
  3. Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Forschungsdesign und erläutert die im Rahmen des Untersuchungsablaufes getroffenen Entscheidungen.
  4. Im vierten Kapitel werden die thematisierten Verhaltensweisen im Kontext der Debatte um gute Arbeit auf Basis des empirischen Datenmaterials dargestellt.
  5. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem Fazit.

Inhalt

In dem eröffnenden Kapitel Erkenntnisinteresse und Aufbau der Studie verweist Cora Herrmann auf den grundlegenden Wandel von „Konzeptionen und Steuerungsweisen ‚guter‘ Arbeit“ (S. 13). So stehen heutzutage vornehmlich „die Entwicklung und Festschreibung von Gütestandards, die Gewährleistung von Güte sowie die Inblicknahme ihrer Wirkung und Effekte“ (S. 13) im Fokus. Diese Veränderungen stellt Cora Herrmann im Anschluss an die disziplinäre Fachliteratur in einen Zusammenhang mit dem sich wandelnden Wohlfahrtsstaat und erläutert die Grundzüge dieses Wandels pointiert. Vor dem Hintergrund dieser Einbettung skizziert die Autorin das gewählte Forschungsfeld – Wohngruppen für Kinder und Jugendliche – und die methodische Anlage der Studie. Abschließend bietet Cora Herrmann einen Überblick über die drei folgenden Kapitel und das sich daran anschließende Fazit.

In den knapp vierzig Seiten umfassenden Annäherungen an den Forschungsgegenstand – Stränge der Thematisierungen in der disziplinären Fachliteratur im deutschsprachigen Raum beleuchtet Cora Herrmann zunächst die unter verschiedensten Labeln diskutierte Debatte um gute Arbeit „in ihrer Ausformung seit den 1990er Jahren unter Berücksichtigung historischer Entwicklungen“ (S. 19). Anschließend diskutiert sie die Einflussfaktoren der aktuellen Diskussion und verweist zum einen auf die gesetzliche Materialisierung des aktuellen Gütekonzeptes im SGB VIII, zum anderen auf das sogenannte Neue Steuerungsmodell (NSM) in der Kinder- und Jugendhilfe, ein Konzept der Verwaltungsmodernisierung, und zum dritten und letzten auf die sich vollziehende Transformation des „wohlfahrtsstaatlichen Arrangement[s]“ (Kaufmann 2004: S. 27) in Deutschland. In einem zweiten Teil (Kapitel 2.2) folgt die Darstellung des Arbeitsfeldes der Kinder- und Jugendwohngruppenarbeit unter einem historischen, rechtlichen und empirischen Blickwinkel.

In dem dritten Kapitel wird das Forschungsdesign „in seinen Details entfaltet, um das Forschungsdesiderat, die methodologischen Überlegungen und Annahmen, die der Studie zugrunde liegen, sowie die methodische Vorgehensweise der Untersuchung transparent werden zu lassen“ (S. 19). So konkretisiert Cora Herrmann in einem ersten Schritt (Kapitel 3.1) den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich veränderter Steuerungsweisen in der Kinder- und Jugendhilfe und verweist auf die Forschungslücke, dass die vorhandenen Studien die Veränderungen, insbesondere als Konsequenz anderenorts Vollzogenem, fokussieren. In einem zweiten Schritt beschreibt die Autorin die Anlage der Studie (Kapitel 3.2). Dabei handelt es sich um eine qualitativ-rekonstruktiv angelegte Studie. In diesem Rahmen sind im Erhebungsjahr 2006 fünfzehn in Wohngruppen Beschäftigte mittels Expert_inneninterviews in zwei verschiedenen Bundesländer befragt worden. Die Vorgehensweise bei der Datenanalyse lehnt sich an den Vorschlägen der Kodierverfahren der Grounded Theory an. Das zugrundeliegende Subjektverständnis steht in einer foucaultschen Tradition und begreift „Subjekte als Unterworfene und zugleich als Entwerfende, als Produzierte und Produzierende, als Gestaltete und Gestaltende“ (S. 187).

Das vierte Kapitel Thematisierte Verhaltensweisen im Kontext der Debatte um gute Arbeit im empirischen Blick widmet sich der Darstellung der empirischen Ergebnisse. Vorgestellt werden vier rekonstruierte Thematisierungsfelder, welche jeweils verschiedene Argumentationsweisen mit „unterschiedlichen Bestandteilen, Facetten und Implikationen“ (S. 101) beinhalten.

In dem ersten Thematisierungsfeld Praktiken der Unterwerfung und Gestaltung (Kapitel 4.1) präsentiert Cora Herrmann Perspektiven der interviewten Fachkräfte, die einerseits die politisch initiierten Veränderungen, insbesondere die Etablierung von Verfahren der Qualitätsentwicklung, als Verpflichtung, Druck und Kontrolle vorstellen, andererseits aber auch die innovativen Aneignungsmomente beschreiben, die sich durch die veränderten Verhältnisse ergeben können. So heben die Expert_innen beispielsweise hervor, dass die Implementierung neuer Dokumentationsweisen andere Formen der Reflexion und kommunikativen Verständigung evozierten. Neben der interessenorientierten Gestaltungsmöglichkeit von Verpflichtungen und Drucksituationen zeigen sich zudem „Beharrungstendenzen“ (S. 106) sowie „Praktiken der Kritik oder Verweigerung“ (S. 132).

Unter der Überschrift Marktpraktiken und deren kritische Kommentierung (Kapitel 4.2) identifiziert Cora Herrmann im zweiten Thematisierungsfeld sechs verschiedene Praktiken, die der Finanzierung, des (Aus-)Tausches, des Marktes in der alltäglichen Wohngruppenarbeit, der Platzierung auf dem Jugendhilfemarkt, neuer Marktteilnehmer und im Sozialraumbudget-Paradies. Die bei den Praktiken der Unterwerfung noch zu erkennenden Ambivalenzen, einerseits „Produzierte“ und doch zugleich „Produzent“ der Veränderungsprozesse sein zu können, schimmern in diesem zweiten Muster weniger deutlich durch. Stattdessen lässt sich in den Interviewtexten, vor allem durch Ironisierung und Lachen, eine Distanzierung gegenüber diesen Praktiken des Marktes rekonstruieren.

Das dritte Thematisierungsfeld Standardisierende Praktiken und deren Begrenzung (Kapitel 4.3) fokussiert „die Standardisierung von Verhaltensweisen sowie sich abbildende Versuche, diese zu begrenzen“ (S. 151). Cora Herrmann systematisiert die Thematisierung vereinheitlichter und vereinheitlichender Vorgehensweisen entlang drei verschiedener Handlungsbereiche: pädagogische Interaktionsprozesse, spezifische Handlungsfelder und Situationen wie die Aufnahme und Entlassung von Kindern und Jugendlichen sowie interinstitutionelle Kommunikation. Deutlich wird am empirischen Material zwar eine „aktuell bestehende Gegenwärtigkeit“ (S. 166) von Standardisierungen, gleichzeitig erscheinen sie jedoch auf spezifische Handlungsfelder begrenzt zu sein. „Insbesondere die ‚eigentliche‘ Wohngruppenarbeit […] scheint vor Standardisierung gefeit zu sein bzw. sich vor dieser zu schützen“ (S. 167). Die vorhandenen standardisierten Praktiken werden von den interviewten Personen als hilfreich und unproblematisch, aber auch als problematisch und kritisch dargestellt.

Geht es um die Konkretisierung und Füllung des Qualitätsbegriffs werden Praktiken der Orientierungen am „Individuum“ (Kapitel 4.4)thematisiert. Dieses vierte Muster präsentiert die Ausrichtung des Handelns der pädagogischen Fachkräfte am „Individuum“ als das zentrale Gütekriterium der Arbeit in Wohngruppen für Kinder und Jugendliche. Dabei zeichnen sich drei Facetten einer Orientierung an der Person des Gegenübers im empirischen Datenmaterial ab:

  1. die Orientierung an der „individuellen“ Verfasstheit und Situation von Jugendlichen zu Beginn der Betreuung (vgl. S. 170);
  2. die gemeinsame Erarbeitung von an Einzelnen orientierten Perspektiven (vgl. S. 170);
  3. die handlungsweisende Wahrnehmung und Anerkennung „individueller“ Probleme und Ressourcen im Hilfeverlauf (vgl. S. 172).

Im Anschluss an die Darstellung, der sich in den Interviewtexten abbildenden Haltungen und Handlungsweisen, spezifiziert Cora Herrmann ihre Darlegung anhand von Ausschnitten auf die Argumentationsfigur der Abgrenzung – insbesondere von einer Orientierung an „gesellschaftlichen Normalitätsentwürfen“ (S. 185) und von einer vom öffentlichen Kostenträger „angestrebten schnell(er)en Hilfebeendigung“ (S. 185) (Kapitel 4.4.2) – sowie auf die sich zeigende Präsentation von Kindern und Jugendlichen als „schwierig“ und als immer wieder krisenhafte Phasen durchlaufend (Kapitel 4.4.3).

Diskussion

Die Studie von Cora Herrmann zu den Thematisierungsweisen guter Arbeit schließt an eine Vielzahl von Forschungsbeiträgen an, die sich mit den Konsequenzen wandelnder Konzepte und Steuerungsweisen von guter (Sozialer) Arbeit für die leistungserbringenden individuellen wie organisationalen Akteure und leistungsberechtigen Adressaten auseinandersetzt.

Dabei macht diese Untersuchung Praktiken der Unterwerfung (Kapitel 4.1) sichtbar, „über die sich Verfahren der Qualitätsentwicklung im Bereich der Kinder- und Jugendwohngruppenarbeit zwar als eingeführt präsentieren, die jedoch immer auch verknüpft sind mit Praktiken der Umdeutung, Umschreibung und Verweigerung“ (S. 132). Dieses Resultat schließt an Ergebnisse im Rahmen eines Forschungsprojektes, welches binnenorganisatorische Governanceformen hinsichtlich der intermediären Funktion von Organisationen analysiert, an (vgl. Bauer 2010). Die Darstellung der Machtpraktiken (Kapitel 4.2) ist anschlussfähig an Forschungsbeiträge, die ähnliche Resultate hervorgebracht haben (vgl. u. a. Fischer 2005; Messmer 2007). Übereinstimmungen als auch Abweichungen mit den Ergebnissen bisheriger Untersuchungen deutet Cora Herrmann als ein Hinweis „auf einen nicht abgeschlossenen Veränderungsprozess“ (S. 149). So liegen zwischen den jeweiligen Erhebungszeiträumen jeweils drei bis vier Jahre. Damit bietet die vorliegende Arbeit ein wertvolles Schlaglicht auf die Veränderungsprozesse in der Praxis. Die hohe Bedeutung des Thematisierungsfeldes der Standardisierung (Kapitel 4.3) bestätigen dagegen Studienergebnisse von Kessl (2005), Beckmann (2009), Krone et al. (2009) und Polutta (2014) und auch die dominante Thematisierung von guter Arbeit als Orientierung am „Individuum“ (Kapitel 4.4) lässt sich als Fest- und Fortschreibung einer sich auch in der disziplinären Fachliteratur zeigenden Figur „des Pädagogischen“ (vgl. Winkler 1988) lesen.

Damit zeigen sich die Befunde von Cora Herrmann vielfach anschlussfähig an aktuelle Debatten und Forschungsbeiträge, verweisen gleichwohl durch die methodische Anlage auf neue Erkenntnisse.

Fazit

Cora Herrmanns Arbeit ist mit dem Anspruch angetreten, „sichtbar werden zu lassen, ob bzw. wie sich (Sozial-)Pädagog_innen zu veränderten Konzepten und Steuerungsweisen guter Arbeit ins Verhältnis setzen. […] Über die Studie sollte in den Blick geraten, ob und besonderes [sic!] auf welche Weisen Thematisierungsfelder und -weisen, die auf der Makroebene anzusiedeln sind, sich in dem auf der Mikroebene Thematisierten abbilden“ (S. 187). Diesen Anspruch erfüllend rekonstruiert die Autorin vier verschiedene Thematisierungsfelder, „welche jeweils verschiedene Thematisierungsweisen beinhalten. Dies waren 1) Praktiken der Unterwerfung und Gestaltung, 2) Marktpraktiken und deren kritischen Kommentierung, 3) standardisierte Praktiken und deren Begrenzung sowie 4) Praktiken der Orientierung am ‚Individuum‘“ (S. 188). Dabei zeigt sich in den Interviewtexten, dass die kritischen Argumente gegen die Einführung neuer Steuerungsformen aufgegriffen werden, um jedoch zugleich über die Beschreibung der darüber evozierten neuen Gestaltungsmöglichkeiten die hervorgebrachten Argumente zu relativieren. Die Resultate der Studie zeigen, dass das wandelnde wohlfahrtsstaatliche Arrangement und die damit verknüpften Phänomene die thematisierten Verhaltensweisen der Fachkräfte gestalten. Gleichwohl ist zu konstatieren, „dass (Sozial-)Pädagog_innen auch gestalten […]. Denn im Zusammenhang der sich zeigenden Weisen des Sich-Verhaltens werden nicht zuletzt Praktiken der Umdeutung, Umschreibung und Durchquerung sichtbar. So zeigen sich die veränderten Konzepte und Steuerungsweisen guter Arbeit als Gestaltende und als gestaltbar“ (S. 189).

Damit präsentiert die Arbeit wertvolle Einsichten in die Verhaltens- und Gestaltungsweisen und einen interessanten sowie lesenswerten Beitrag zu den Thematisierungsweisen guter Arbeit im Rahmen der stationären Kinder- und Jugendhilfe sowohl für Vertreterinnen und Vertreter der Fachdisziplin als auch in der Praxis tätige Pädagoginnen und Pädagogen.

Rezension von
Sabrina Schmidt
M.A. Sozialmanagement, Dipl. Soz.Päd./Soz.Arb., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Köln
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Es gibt 2 Rezensionen von Sabrina Schmidt.

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Zitiervorschlag
Sabrina Schmidt. Rezension vom 24.08.2016 zu: Cora Herrmann: Thematisierungsweisen guter Arbeit. Eine empirische Untersuchung im Feld der Kinder- und Jugendwohngruppenarbeit. Springer VS (Wiesbaden) 2016. ISBN 978-3-658-12042-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21141.php, Datum des Zugriffs 08.06.2023.


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