Christel Conzen, Jutta Freund et al. (Hrsg.): Pflegemanagement Heute
Rezensiert von Prof. Dr. Olaf Scupin, 29.06.2017
Christel Conzen, Jutta Freund, Gabriele Overlander (Hrsg.): Pflegemanagement Heute. Ökonomie, Personal, Qualität: verantworten und organisieren. Urban & Fischer in Elsevier (München, Jena) 2016. 2. Auflage. 544 Seiten. ISBN 978-3-437-27851-8. D: 88,99 EUR, A: 91,50 EUR.
Thema
Die Organisation der Pflege in einer Institution des Sozial- und Gesundheitswesens kann als eine der ältesten und gleichzeitig jüngsten Herausforderungen gelten. Musste doch schon Pflege in den ersten nicht häuslichen Pflegeeinrichtungen geplant und durchgeführt werden. Aber erst mit einer wissenschaftlichen Perspektive auf die betriebliche Organisation kann von einer Disziplin gesprochen werden. Dies war der Beginn der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaftsdisziplin. Nun stellt sich die Frage, ob das Pflegemanagement ein Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre ist oder ein autonomes Gebiet der Pflege als Wissenschaft? Die Frage soll und kann in diesem Rahmen nicht beantwortet werden. Aber, die Perspektive auf einen wissenschaftlichen Gegenstand, hier der Führung des Pflegedienstes, produziert je nach wissenschaftlichen Bezugsrahmen handlungsleitende Menschenbilder.
Merkmal des Sozial- und Gesundheitswesens ist, das bis zu 70% der Kosten, die für die Leistungserbringung benötigt werden Personalkosten sind. Hier grenzt sich das Gebiet des Pflegemanagement schon stark vom produzierenden Gewerbe, wie z.B. die Automobilindustrie ab, obwohl in beiden Branchen circa genauso viele Beschäftigte tätig sind. Dies ist eine besondere Herausforderung für die Führungspersonen. Gilt es doch in der Pflege primär Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu nehmen. Die klassischen Funktionen des Pflegemanagements wie das Controlling, die Personalentwicklung, Personalbeschaffung und die Buchführung weichen nur unwesentlich von denen des produzierenden Gewerbes ab.
Vor diesem Hintergrund bedarf es spezifisch ausgebildeter Führungspersonen, die die Spezifik des Pflegewesens fachlich begleiten können. Aktuell kündigen ca. 20% der Mitarbeiterin (je nach Studie) im Pflegdienst ihre Arbeitsstelle wegen der Führung im allgemeinen oder den direkten Vorgesetzten. Aus diesem Grunde ist es zu begrüßen, dass sich immer mehr Autorinnen und Autoren an dieses spannende, herausfordernde und wichtige Thema wagen.
Zielgruppe
Als Zielgruppe für das vorliegende Werk werden „Novizen im Bereich Führung“ (Meyenburg; Geleitwort) genannt, wobei die Funktionen hier sehr breit verstanden werden. Angesprochen werden sollen Studierende des Fachgebietes Pflegemanagement, sowie Teilnehmerinnen von Weiterbildungsmaßnahmen für Führungspersonen. Ob die Anforderungen und die Bearbeitungstiefe vergleichbar ist muss bezweifelt werden. Allein der Stundenumfang und die Voraussetzungen für die entsprechenden Bildungsmaßnahmen sind doch deutlich zu unterscheiden.
Aufbau und Inhalt
Als Einleitung in das Werk werden die gesundheits- und sozialpolitischen Bedingungen ausreichend tief und verständlich vorgestellt (Kap. 1).
Das Kapitel über die „Gesundheitsökonomie“ verschafft der Leserin/dem Leser einen übersichtlichen Einstieg in die Komplexität der Gesundheitswirtschaft ohne zu sehr in eine wirtschaftswissenschaftliche Perspektive abzugleiten. Interessant ist, dass der Abschnitt zum Casemanagement (S. 35) im Kapital „Gesundheitsökonomie“ behandelt wird. Handelt es sich doch auch um eine spezifische Methodik der Patienten- oder Fallsteuerung und somit um eine spezifische Methode der individuellen Hilfeplanerstellung für einen Menschen. Somit ist auch zu entschuldigen, dass lediglich nur eine Definition (aus einer Sekundärquelle) zum Casemanagement verwendet wird.
Im Abschnitt über die „Rechtlichen Grundlagen des Pflegemanagements“ wird u.a postuliert, das die leitende Pflegekraft in ihrer „Führungsverantwortung den ärztlichen Dienst bei seinen Aufgaben“ unterstützt. Zunächst handelt es sich hier um eine klinkspezifische Perspektive und spiegelt nicht den transmuralen Sektor mit seinen versicherungs-, haftungs- und strafrechtlichenrechtlichen Sonderfunktionen wieder. Ansonsten ist dieses Kapitel sehr gut aufbereitet und als Überblick zur Systematik sehr gut geeignet. Anschließend wird im Kapitel 4 ein Verständnis des Pflegeberufes nicht nur im historischen Kontext vorgestellt (58 ff). Dieses Kapitel wirkt insgesamt etwas unstrukturiert. Dies spiegelt aber die tatsächliche Situation der Pflege als Profession ganz gut wider.
Das Kapitel über die „Pflegewissenschaft“ entspricht dem aktuellen Diskussionstand der Fachdisziplin. Eingeschränkt widersprechen muss der Rezensent, wenn die evidenzbasierte Pflege solch einen breiten Raum in einem Lehrbuch einnimmt ohne sich dieser auch kritisch zu stellen. Wenn Pflege auch mit multiaxialen Phänomenen (z.B. Diagnosen, die sich mit anderen Disziplinen überlappen und eben nicht naturwissenschaftlich erklären lassen) zu tun hat, muss ebenso akzeptiert werden das Handlungskonzepte und zwar ganz praktische, z.B. aus der Philosophie oder Anthropologie stammen.
Im Kapitel 6 widmen sich die Autorinnen ethischen Fragestellungen des Pflegemanagements. Dies zeigt eine kleine Schwäche des Lehrbuches auf. Dieses Kapitel (S. 95-107) wird gleichwertig neben den anderen von einem Autor „geliefert“. Anspruchsvoll wäre es diese Perspektive des Pflegemanagements an den Anfang des Buches zu stellen.
Das Kapitel über die „Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsrisiken und Gesundheitsförderung“ stellen sehr nachvollziehbar den Brückenschlag zwischen Herausforderungen von Führungspersonen im Umgang mit Patientenphänomenen (Problematischer Umgang mit Patienten, ..) und Mitarbeiterproblematiken (Fehlzeiten, ..) dar. Leider wird das Format des Coachings so kurz vorgestellt, das es seiner aktuellen Relevanz nicht gerecht wird. Die verwendete Primärliteratur passt nicht zum aktuellen Kenntnisstand des Coachings.
Von Kapitel 8 und 9 an werden die unterschiedlichen Gesundheitsinstitutionen (Kliniken, Pflegeheime und Ambulante Pflegedienste) vorgestellt und die betriebswirtschaftlichen Grundlagen und die Finanzierungssystematik übersichtlich und korrekt erläutert. Dem Thema des Qualitätsmanagements wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Dieses erfolgt nachvollziehbar und entspricht wiederum dem aktuellen Stand in den Kliniken, jedoch nicht durchgängig in den Institutionen des SGB XI – Bereiches.
Der Personalwirtschaft mit den Teilfunktionen der Führung (Führungsstile usw.), der Kommunikation und der Teamentwicklung wird in den Kapiteln 12 – 15 Rechnung getragen. Diese Kapitel sind logisch aufgebaut und können inhaltlich als das Handwerkszeug einer Führungsperson verstanden werden. Beispielhaft sei angemerkt das zum Thema Personaleinsatzplanung leider keine konkreten Hinweise für die Erstellung von Dienstplänen gegeben werden. Dies bleibt weiterhin einer vertieften Vermittlung vorbehalten, obwohl dieses Instrument sicher das emotionalste im Gesundheitswesen ist. Es existieren inzwischen analytische Instrumente der Personaleinsatzplanung. Diese hätten vermittelt werden können. In der Tiefe der Kapitelbearbeitung ist somit in einer leichte Unwucht zwischen einen praxisrelevanten Anspruch des Buches und der Realisierung zu resümieren. Die Motivations- und Führungstheorien können in dem vorliegenden Werk nicht in Gänze vorgestellt werden. Dies bleibt zur Vertiefung berechtigt dem Leser überlassen.
Fazit
Das vorliegende Grundlagenwerk hält die Kriterien, die an ein wissenschaftsfundiertes Werk zu stellen sind ein. Das Buch richtet sich an WeiterbildungsteilnehmerInnen für Leitungspersonen im Mittleren Management des Gesundheits- und Sozialwesens und an Studierende mit der Vertiefungsrichtung Pflegemanagement. Das keine Differenzierung vorgenommen wird ist sympathisch. Von einem Grundlagenwerk kann jedoch erwartet werden, das es eine übergeordnete Orientierung im Sinne eines wissenschaftlichen besser noch eines fachwissenschaftlichen Menschenbildes liefert. Was ist die Perspektive des Pflegemanagements im Kontext der Wissenschaftslandschaft? Somit wäre nachvollziehbar warum, welche Perspektive zu den jeweiligen Kapiteln von den Autorinnen eingenommen wird. Das Buch bleibt ein Werk, welches die aktuelle Situation des Pflegewesens im weitesten Sinne in den Focus stellt. Somit ist es hochaktuell, bedarf aber sicher einer kontinuierlichen Überarbeitung bzw. Neuauflage. Das Gesundheits- und Sozialwesen ist sehr dynamisch. Das Vorgenannte soll kein Qualitätsmerkmal sein, sondern lediglich eine Beschreibung eines Systems liefern, welches ohne gesellschaftliche Orientierung lediglich seine Funktion erfüllt. Da die Herausgeber überwiegend an einer Hochschule studiert haben, färbt die Auswahl der Beispiele naturgemäß ein. Es ist eben noch nicht durchgängig zu einer Schulenbildung in der jungen Wissenschaft der Pflege gekommen. Auch dies ist ein Merkmal und Schicksal einer jungen Wissenschaft.
Das vorliegende Buch ist ein Grundlagenwerk, ohne eine Vertiefung ersetzen zu wollen. Es ist den Autoren zu Danken, das sie diese Zusammenführung der pflegemanagementrelevanten Inhalte geleistet haben. Das Buch kann tatsächlich als Grundlagenwerk für die o. g. Zielgruppen gelten und mit den wenigen genannten Hinweisen uneingeschränkt empfohlen werden.
Rezension von
Prof. Dr. Olaf Scupin
Professur für Pflegemanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena, Mitglied der Leibniz-Sozietät zu Berlin, Direktor am Institut für Coaching und Organisationsberatung der EAH Jena, Diplom-Pflegewirt (FH), Pflegedirektor, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege, Krankenpfleger, Weiterbildung zur Leitung einer Station oder Abteilung am ÖTV-Institut Duisburg
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Zitiervorschlag
Olaf Scupin. Rezension vom 29.06.2017 zu:
Christel Conzen, Jutta Freund, Gabriele Overlander (Hrsg.): Pflegemanagement Heute. Ökonomie, Personal, Qualität: verantworten und organisieren. Urban & Fischer in Elsevier
(München, Jena) 2016. 2. Auflage.
ISBN 978-3-437-27851-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21162.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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