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Hannes Horter, Martin Driessen u.a.: Systemimmanente Anreize im Pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP)

Rezensiert von Arnold Schmieder, 04.10.2016

Cover Hannes Horter, Martin Driessen u.a.: Systemimmanente Anreize im Pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) ISBN 978-3-658-12657-5

Hannes Horter, Martin Driessen, Winfried Zapp: Systemimmanente Anreize im Pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP). Analyse am Beispiel der Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2016. 65 Seiten. ISBN 978-3-658-12657-5. D: 29,99 EUR, A: 30,83 EUR, CH: 31,00 sFr.

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Thema

Die Anreize des PEPP-Systems (in der Version von 2015), aber auch die Risiken werden in dieser Analyse ausgelotet, und zwar anhand der Behandlung von Alkoholabhängigen, wobei die verschiedenen Erscheinungsformen dieser Krankheit in die Betrachtung und Auswertung einbezogen werden. Ziel der Untersuchung war es, „Anreize zu identifizieren“ und „anhand von Erlösveränderungen zu quantifizieren.“ (S. 19) Es konnte entlang einer Studie im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld an über 1 300 Fällen (aus 2014) nachgewiesen werden, dass Patienten, die einen hohen Pflegeaufwand benötigen, rein rechnerisch wenig lukrativ sind, wohingegen solche Patienten, die sich einer stationären psychotherapeutischen Behandlung unterziehen, im Hinblick auf Kostendeckung positiv zu Buche schlagen. Auch konnte nachgewiesen werden, dass Anreize zur Verkürzung der Verweildauer mit einer Steigerung der Fallzahlen einhergingen. Dass schwierige Fälle in der Regel benachteiligt werden, wird in dieser Analyse auch hervorgehoben.

Aufbau und Inhalt

In der Zusammenschau von Pflegeaufwand, Betreuungsintensität und Verweildauer sowie ökonomischen Vor- und Nachteilen gibt diese differenzierte Wirkungsanalyse des PEPP genauere Auskunft, was durch detaillierte Vergleiche der einzelnen Fallgruppen gelingt. Gegenüber anderen Erwartungen stellen die Autoren fest, dass „aufgrund der degressiven Vergütung des PEPP-Systems zu erwarten ist, (…) eine hoch signifikante negative Korrelation zwischen den Erlösen pro Behandlungstag und der Verweildauer“ besteht. (S. 41) Unter dem Strich heißt das, „je niedriger die durchschnittliche Verweildauer (…), desto größer (…) der Erlös pro Tag.“ (S. 77) Handelt es sich um „Patienten mit komplexem sozialem Klärungsbedarf“, ist also auch ein „relativ großer sozialarbeiterischer Aufwand“ vonnöten oder eine „soziale Behandlungsindikation“ angezeigt, wird diese Problematik „bislang nicht im PEPP-System abgebildet“. Problematisch ist auch die Verortung solcher Patienten im Anreizsystem, die zusätzlichen Behandlungsbedarf durch eine „komorbide psychische Erkrankung“ abnötigen. (S. 48 ff.)

In Überprüfung ihrer Hypothesen kommen die Verfasser zu dem Schluss, dass infolge des PEPP-Systems darüber hinaus auch Anreize zur „Mehrdokumentation bzw. Mehrkodierung“ entstehen, „da diese zu Mehrerlösen führen können.“ Das allerdings muss sich lohnen und es lohnen sich „unkomplizierte Fälle, die sich für strukturierte psychotherapeutische Behandlungen eignen“, „betreuungsintensive Patienten jedoch nicht.“ Deutliche „Mehrerlöse lassen sich bei der Behandlung von Alkoholabhängigen generieren“, wenn die Aufnahme gezielt gesteuert wird oder die Patienten ebenso gezielt zwischen somatischen und psychiatrischen Abteilungen verlegt werden. (S. 77) Ganz allgemein zeichne sich neben den erhobenen Befunden aus der Analyse des aktuellen PEPP-Systems ab, dass jede „Veränderung der Erlösstruktur (…) zwangsläufig zu bestimmten Anreizen (führt), die sich, bezogen auf die Krankenhausstrukturen, auch auf die Patientenversorgung auswirken.“ (S. 83) Folge könnte sein, dass neben „einem minimalistischen Therapieprogramm (…) dies zu einem gefährlichen Balanceakt der pflegerischen Versorgung am Rande des (verantwortbaren) Minimums“ führe. (S. 85) Auch eine ins Haus stehende „Zentralisierung der psychiatrischen Akutversorgung“ könnte die „Erfolge der gemeindepsychiatrischen Bewegung“ zunichtemachen bzw. „schrittweise auflösen.“ (S. 87)

Diskussion

Die Autoren bezeichnen ihre Bemerkung als etwas „überzeichnet formuliert“, dass das „‚Angebot von Psychotherapie (…) sich vor allem bei den gesünderen Patienten‘“ lohne. Man möchte zynisch persiflieren, am meisten lohnt sich der gesunde Patient, dem man entsprechend zu ökonomischen Vorgaben eine lukrative Verweildauer in Kombination mit ebenso lukrativer Behandlung verpassen kann. Natürlich darf die Frage gestellt werden, „was geschehen würde, wenn weniger Patienten eine Entgiftung erhielten und nur ausgenüchtert würden.“ (S. 3) Auf jeden Fall wäre es kostengünstiger, was aber nicht heißt, dass es auch lukrativer wäre.

Was die erste Hypothese der Autoren betrifft, „dass kürzere Behandlungen gefördert werden und Anreize zur früheren Entlassung oder Verlegung geschaffen werden“ (S. 57), ist – wie von den Verfassern geleistet – differenziert zu betrachten, signalisiert aber eine Tendenz und gilt allenthalben. Wenn angemerkt wird, dass „durch den zunehmenden wirtschaftlichen Druck“ zu erwarten ist, „dass einige vor allem kleinere psychiatrische Akutkliniken Schwierigkeiten haben, solvent zu bleiben“ (S. 87), wird auch hier nur eine an einem Beispiel thematisch, was im Bereich stationärer Behandlung nicht mehr zu übersehen ist. Die kleineren Krankenhäuser sind immer weniger überlebensfähig, die großen oder ‚Ketten‘ müssen immer schärfer kalkulieren, u.a. weil sie ihre ‚Shareholder‘ bedienen müssen. Wen wundert´s, dass diese generelle Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu Kosten der Kranken und noch mehr der sozial und psychosozial depravierten Kranken geht.

Ebenso, wie sich Controlling und Case-Management bei etwa den besonderen medizinischen Belangen einer dementen, 95jährigen Apoplexie-Patientin schwertun dürfte, verhält es sich sicherlich auch mit chronisch mehrfachgeschädigten Abhängigkeitskranken, wobei in diesem Fall gezielte prophylaktische, therapeutische Interventionen zur Rückfallprävention schon während der Behandlung aus kalkulatorischen Gründen unter den Tisch fallen. Doch solche ökonomische Hürde ist bereits tiefer gelegt. Bekannt ist das Problem, dass zwischen stationärer Entwöhnungsbehandlung und, da genehmigungspflichtig, zu beantragender Kurz- oder Langzeittherapie ein oft zu langer Zeitraum liegt, was für die Maßnahmen ungünstig ist, haben sie doch „das Ziel der beruflichen Eingliederung, was oft nur mit einer längerfristigen Abstinenz oder zumindest einer geringen Rückfallfrequenz erreichbar ist.“ (S. 18) Aber da kann man dann auf Selbsthilfegruppen hoffen, jedenfalls als Betroffener oder Betroffene, die ja in Pauschalierenden Entgeltsystemen keinen Aktivposten darstellen. – Richtig bleibt, dass mit Controlling im Krankenhaus und wie auch immer differenzierten und nicht nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgeklügelten Entgeltsystemen Vorteilsnahmen und Missbrauch entgegengewirkt werden kann; richtig bleibt aber auch, dass der ökonomische verengende Blick auf das Patientengut den oder die Kranke zunehmend durch die ökonomische und damit scheint´s im gleichen Maße weniger durch die medizinische und pflegerische Brille sieht. In der Regel wird hier mit dem Sachzwangargument der Kostenexplosion und unabdingbar notwendiger -deckung eingewandt bis abgewiegelt, was einmal dagegen blendet, dass auf diesem Mark in toto Gewinne gemacht werden müssen, und zum anderen einmal mehr augenfällig werden lässt, dass der Markt so ist, wie er ist – eben auch im Bereich der Behandlung von Alkoholkrankheit.

Fazit

Dieses Buch richtet sich wie andere der Reihe an Fach- und Führungskräfte im Controlling von Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen. Es dürfte auch für DozentInnen und Studierende im Bereich Gesundheitswesen und spezieller Gesundheitsmanagement von Interesse sein. Betriebswirtschaftliches Kalkül spielt bekanntlich eine immer größere Rolle in allen Bereichen von Krankheit und Gesundheit, wobei Kenntnisse um das Rechnungswesen zum unabdingbaren Rüstzeug gehören. Es irritiert nur am Rande, dass die Einleitungen zu den Hauptkapiteln redundant, d.h. textidentisch sind. Sehr deutlich wird, dass und wie der ökonomische Gestaltungsrahmen einengt, die vorausgesetzten gesetzlichen Regelungen darin konkret Gestalt annehmen, was eben auch an PEPP deutlich und von dieser differenzierten Wirkungsanalyse deutlich belegt wird, wenn auch an einem besonderen Gegenstand. Die kritischen Töne, welche die Verfasser anschlagen, sind durchaus verallgemeinerbar – und unterschlagen dabei das grundsätzliche Problem: Krankheit als Geschäft.

Rezension von
Arnold Schmieder
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Es gibt 121 Rezensionen von Arnold Schmieder.

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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 04.10.2016 zu: Hannes Horter, Martin Driessen, Winfried Zapp: Systemimmanente Anreize im Pauschalierenden Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP). Analyse am Beispiel der Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2016. ISBN 978-3-658-12657-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21196.php, Datum des Zugriffs 29.05.2023.


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