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Manuel Barthelmess: Die systemische Haltung

Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 31.08.2016

Cover Manuel Barthelmess: Die systemische Haltung ISBN 978-3-525-49161-4

Manuel Barthelmess: Die systemische Haltung. Was systemisches Arbeiten im Kern ausmacht. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2016. 246 Seiten. ISBN 978-3-525-49161-4. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,50 sFr.

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Thema

Der Titel des Buches beschreibt das Thema treffend und vortrefflich: Um systemisch beraten, coachen, therapieren oder supervidieren zu können, verhilft neben systemischem Wissen und systemischer Kompetenz die systemische Haltung zu einer kunstvoll-gelebten Ausführung.

Autor

Manuel Barthelmess ist Gründer und Leiter des Instituts für Systemische Beratung und Bildung (INSYS). Das Institut bietet berufsbegleitende Fort- und Ausbildungen in systemischer Beratung, zum systemischen Berater/Coach und zum systemischen Therapeuten an. Außerdem arbeitet Manuel Barthelmess in eigener psychologischer Praxis. Er ist Autor eines Buches zur systemischen Beratung.

Entstehungshintergrund

Das Buch umfasst Fragmente von Fachartikeln, die der Autor bereits publiziert hat. Neben den Elementen der systemischen Beratung treibt den Verfasser vor allem die Darstellung der systemischen Haltung der Professionellen, jenseits der Anwendung von Techniken oder Methoden um. Im letzten Kapitel greift Manuel Barthelmess zur Verdeutlichung auf eigene Fallbeispiele und eigene Erfahrungen zurück.

Aufbau

Die 240 Seiten sind neben dem Vorwort, der Schlussbemerkung und Literatur in drei Teile untergliedert:

  1. Systemische Beratungskompetenz (Seiten 11-88),
  2. Systemische Grundhaltungen (Seiten 89-142) und
  3. Orientierungen auf dem Weg (Seiten 143-242).

Mit den Wissensanteilen werden die Voraussetzungen gelegt, auf die eine Haltung aufsetzen kann, bevor mit Bezug zu Beratungs-, Supervisions- und Coaching-Situationen Prozesselemente, Klärungen und auch Herausforderungen angesprochen werden.

Inhalt

Das Buch beginnt mit einer „Einführung“ des Verfassers mit der Botschaft, dass zur systemischen Haltung mehr gehört als sich aus dem Werkzeugkasten systemischer Methoden und Techniken zu bedienen. Elemente dieser Haltung, die Manuel Barthelmess als „Kern der beruflichen Expertise“ (S. 9) bezeichnet, beschreibt er in den nachfolgenden Kapiteln.

Im ersten Teil „Systemische Beratungskompetenz“ werden Aspekte zu den folgenden fünf Fragen erläutert:

  • Trägt mich die Hybris oder Expertise? Was unter systemischer Beratungskompetenz zu verstehen ist
  • Welchen „Beraterhut“ habe ich eigentlich auf? Beraterrollen zwischen Prozess- und Wissensberatung
  • Wie klar bin ich? Meine Rolle als Berater, Therapeut, Coach
  • Was mache ich eigentlich jenseits von Technik und Methode? Eine Einführung in die „systemische Kunst“
  • Sehe ich die Brille, durch die ich sehe? Von der Kunst des Beobachtens

Die einzelnen Kapitel sind weiter untergliedert und enden zumeist in einer Zusammenfassung und anschließenden Übungen zur Selbstreflexion.

Der zweite Teil „Systemische Grundhaltungen“ greift die im ersten Kapitel des ersten Teils aufgeführten Elemente der Expertise von systemischer Beratung auf und behandelt die jeweilige zugrundeliegende bzw. implizite Haltung. Dazu gehören:

  • Die Haltung des Nichtwissens
  • Die Haltung des Nichtverstehens
  • Die Haltung des Eingebundenseins
  • Die Haltung des Vertrauens

Alle vier Kapitel sind gleich aufgebaut: Beschrieben wird zunächst die „Grundhaltung“, danach folgen die „Leitlinie“ und die „Methode“. Eingestreut sind jeweils Anregungen für Übungen.

Der dritte Teil „Orientierungen auf dem Weg“ wählt erneut Fragen als Kapitelüberschriften:

  • Wo liegt der Schlüssel zum Erfolg? Auftragsklärung als Basisintervention des systemischen Beraters
  • Ist „gut“ nur gut und „schlecht“ nur schlecht? Vom Arbeiten ohne Wertung
  • Wie geht „zirkulär“ ohne „Drehwurm“? Vom Einsatz zirkulärer Fragen und der Arbeit im Mehrpersonensetting

Hier sind Bezüge zu Inhalten des zweiten Teils und der Kapitel untereinander hergestellt. Auf vorausgegangene Erläuterungen wird verwiesen. Selbstreflexive Fragen sind in die einzelnen Abschnitte eingearbeitet. Der Verfasser berichtet über Beispiele aus der eigenen Praxis.

Die „Schlussbemerkung“ ist mit „Systemische Zumutungen“ überschrieben. Sie beinhaltet ein Plädoyer für die systemischen Grundannahmen wie z.B. der der Unsteuerbarkeit von Klienten/-Kundensystemen, der Verortung der Verantwortung bei den Kunden und Klienten usw.

Die Monographie ist angereichert mit sehr hilfreichen und für den Leser und die Leserin verständlichen 25 Abbildungen und 14 Tabellen sowie mit einem zweiseitigen Literaturverzeichnis.

Diskussion

Manuel Barthelmess kreist in seinem Buch darum, den „Kern“ systemischen Arbeitens zu beschreiben und versucht die „Haltung“, die auf den Wissens- und Könnenselementen der systemischen Expertise beruht, in Worte zu fassen. Dieses Unterfangen ist, wie sich zeigt, eher prozesshaft möglich: Was sich in der Haltung Ausdruck verleiht, sind Leitlinien, das Menschenbild, Werte, wobei die beiden Letztgenannten nicht explizit ausgeführt werden. Insofern bleibt die Frage offen, wie die systemische Haltung mit dem Kern systemischen Arbeitens verknüpft ist. Der Leser oder die Leserin kann sich in der Bezugsliteratur kundig machen oder sich fragen, was wohl der Autor dazu sagen würde, warum ihm oder ihr die Sache so wichtig erscheint.

Zu den im Buch mantraartig sich wiederholenden Aussagen gehören u.a. der Respekt vor der Selbststeuerung des Klienten-/Kundensystems und deren subjektiver Wirklichkeitskonstruktion, die die Verhaltensmöglichkeiten des Beraters oder der Beraterin mitbestimmen und sich in der Haltung widerspiegeln. Deren Professionalität liegt ja darin, dass sie mit verschiedenen „Hilfskonstruktionen“ die Deutungsspielräume der Klienten und Kunden erweitern und ihnen zu neuen Einsichten verhelfen. Diese Hilfsmittel „richtig“, d.h. dem Klienten und Kunden dienlich und für die Erweiterung seines Deutungs- und Handlungsspielraums nützlich einzusetzen, sein „Problem“ anders zu betrachten (umzudeuten), gehört zur Haltung. Wie schmal der Grat zwischen Expertise mit professionellem Handeln zur Manipulation ist, zeigt sich an folgender Textstelle: „Diese paradoxe Haltung werde ich den Klienten nicht sofort ‚unter die Nase reiben‘ (…) Mit einer derartigen Botschaft zu Beginn einer Zusammenarbeit und ohne weitere Begründung wird man Kunden erschrecken und vertreiben (…)“ (S. 199). Welche Kriterien werden angelegt, dem Klienten oder Kunden gegenüber das eigene Vorgehen transparent zu machen oder es ihm vorzuenthalten? Solche Klärungen wären auch „Zumutungen“, die bei der Beschreibung von Haltung elementar sind. Insofern bleibt die Antwort auf die Frage nach der Haltung weitgehend auf das einigende Band um das kunstvolle Wissen und Können beschränkt, das Band an sich ist zu wenig definiert. Nichtsdestotrotz sind sehr wichtige Fragen gestellt und viele selbstreflexive und metasprachliche Anregungen enthalten. Manuel Barthelmess geht es im vorliegenden Buch nicht um systemische Theorieelemente als Basis von Beratung, Coaching oder Supervision, diese setzt er voraus. Ein kritischer Blick auf den systemischen Ansatz und systemisches Vorgehen sind deshalb in diesem Buch nicht zu finden, weshalb sich gelegentlich der Eindruck einschleicht, die systemische Haltung wirke Wunder – selbst da, wo „geschickte“ Klienten zu knacken sind.

Fazit

Dieses Buch ist von einem bekennenden und überzeugten Systemiker geschrieben, der seine Haltung transparent und die von ihm in seiner jahrelangen beruflichen Praxis erfahrene erfolgreiche Wirkung deutlich macht. Manuel Barthelmess glückt es weitgehend sehr gut, nicht in „man nehme“-Ratschläge zu verfallen, obwohl die beraterische Interaktion häufig mit einer Kunst verglichen wird, aber eben mit einer Kunst, die Können voraussetzt, dessen Erwerb auch mühevoll sein kann, wie er an einem eigenen Gesprächsbeispiel durchaus offenlegt.

An einigen Stellen zeigt er Parallelen zu anderen Haltungen wie z.B. der klientenzentrierten auf bzw. macht die Unterschiede im Verständnis z.B. zur humanistischen Auffassung deutlich.

Ein Plus der Monographie ist ihr stringenter Aufbau sowie die gut verständliche Sprache, die besonders im dritten Kapitel bisweilen in die Erzählform übergeht. Die Teile sind zwar unabhängig voneinander lesbar, der innere Zusammenhang erschließt sich jedoch besser mit einer linearen Lektüre.

Der Inhalt des Buches kann als Basis- und Begleitlektüre für eine systemische Aus- und Weiterbildung gesehen werden, mit dem Ziel anschließend die Grundannahmen systemischen Arbeitens zu kennen und zu wissen, dass Kennen noch nicht Können bedeutet. Ausgewählte Kapitel können sehr hilfreich sein, um sich die Elemente systemischer Gesprächsführung zu erarbeiten, insofern ist das Buch für Studierende der Sozialen Arbeit / Sozialpädagogik – auch wegen des sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnisses – empfehlenswert.

Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Es gibt 83 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.

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ISSN 2190-9245