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Anthony B. Atkinson: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können

Rezensiert von Prof. Dr. Monika Sagmeister, 06.01.2017

Cover Anthony B. Atkinson: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können ISBN 978-3-608-94905-6

Anthony B. Atkinson: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2016. 540 Seiten. ISBN 978-3-608-94905-6. D: 26,95 EUR, A: 27,70 EUR.

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Die ökonomischen Rahmenbedingungen sozialer Ungleichheit

Armut und Ungleichheit hat verschiedene Dimensionen. Dieses Buch widmet sich den ökonomischen Rahmenbedingungen sozialer Ungleichheit. Im Fokus steht jedoch nicht das Individuum, sondern gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge unter denen Ungleichheit zu betrachten ist und sich zuspitzt oder verringert. Obwohl das Buch ökonomische Themen behandelt, ist es zugleich sehr politisch. Es begnügt sich nicht mit einer Analyse und Situationsbeschreibung, sondern unterbreitet ganz konkrete Vorschläge, wie sich mit politischem Gestaltungswillen ökonomische Rahmenbedingungen schaffen ließen, die Ungleichheit verringern.

Autor

Sir Tony Atkinson ist einer der führenden Ungleichheitsforscher gewesen. Der britische Ökonom hat sich Zeit seines Lebens mit Ungleichheit und Armutsstudien befasst. So trägt der Atkinson-Index als Unleichheitsmaß seinen Namen. Er arbeitete mit führenden Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz zusammen und gilt als Mentor von Thomas Piketty, der mit seinem Buch „das Kapital im 21. Jahrhundert“ das Thema „Ungleichheit“ im Jahr 2014 ebenfalls einer breiten Öffentlichkeit vermittelt hat. Er beriet Regierungen und hat seit den 1960er Jahren zum Thema publiziert. Anthony Barnes Atkinson erhielt 19-mal die Ehrendoktorwürde, seine erste 1987 von der Goethe Universität in Frankfurt. Er verstarb am 1. Januar 2017 im Alter von 72 Jahren.

Entstehungshintergrund

Seit dreißig Jahren werden die Reichen immer reicher während die Reallöhne mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Dies ist nicht nur ein Effekt von Globalisierung und technischem Fortschritt, sondern auch das Ergebnis von zurückhaltender politischer Einflussnahme und keineswegs naturgegebenes Gesetz. Atkinson will mit seiner Analyse und den dargestellten Maßnahmen Politik zum Handeln bewegen oder zumindest eine öffentliche Debatte über eine in ihren ökonomischen Möglichkeiten auseinanderdriftende Gesellschaft in Gang setzen.

Aufbau

Der Inhalt ist in drei Abschnitte gegliedert.

  1. In Teil I widmet sich der Autor der Diagnose von Ungleichheit.
  2. In Teil II stellt er 15 staatliche Maßnahmen dar, mit denen sich seiner Meinung nach Ungleichheit verringern ließe.
  3. In Teil III setzt sich Atkinson mit möglichen Einwänden gegen seine Vorschläge auseinander und diskutiert die Durchführbarkeit der staatlichen Eingriffe.

Jeder Abschnitt verfügt über mehrere Kapitel. Insgesamt gibt es elf Kapitel. Teil I „Diagnose“ besteht aus drei sehr umfangreichen Kapiteln, Teil II „Vorschläge zum Handeln“ aus fünf und Teil III „Kann es gelingen?“ aus weiteren drei Kapiteln.

Zu Teil I: Diagnose

Der Autor beginnt das Buch in Kapitel eins ganz klassisch mit einer Annäherung an den Begriff Ungleichheit. Bewusst wendet er sich hier gegen den Begriff der „Chancengleichheit“, denn gleiche Chancen würden nicht immer zu gleichen Ergebnissen führen und für Atkinson ist Ergebnisungleichheit ein entscheidender Auslöser für politisches Handeln. Es wird darauf eingegangen, welche Auswirkungen steigende Einkommen und Spitzensteuersätze auf die Armutsquote haben. Ebenso wird das Haushaltseinkommen als Maß für Armut erläutert sowie auf Ungleichheit eingegangen, die nicht wie üblich über Einkommen sondern über Verbrauch bzw. Konsum gemessen wird. Aspekte wie „Geschlecht“ sowie „Zeit und Generationen“ werden ebenso betrachtet wie globale Ungleichheit.

Bei der Analyse der Situation nimmt der Autor in Kapitel zwei eine historische Perspektive ein und sucht vor allem nach Perioden, in denen die Ungleichheit rückläufig war. Besonders in den Blick wird die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Ende der Siebzigerjahre genommen, in denen einige Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheit eingeführt wurden. Hier spielt der Wohlfahrtstaat und seine Transferleistungen, die Lohnquote und die Verteilung des Kapitalvermögens eine Rolle. Seit den 1980er Jahren nimmt die Ungleichheit eher zu, was Atkinson auch mit politischen Eingriffen wie die Senkung des Spitzensteuersatzes, anhaltender Arbeitslosigkeit oder Einschränkungen bei umverteilenden Tansferleistungen erklärt.

Kapitel drei widmet sich der wirtschaftlichen Ungleichheit. Hier führt der Autor zuerst die Lehrbuchmeinung auf. So würde etwa die Globalisierung und neue technologische Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie die Ungleichheit erhöhen. Atkinson weicht immer wieder bewusst von dieser Lehrbuchmeinung ab, kennzeichnet und erläutert dies eindeutig. Es ist ihm zu einfach argumentiert, steigende soziale Ungleichheit lediglich auf die Globalisierung zu schieben. Ebenso entscheidend seien der Wachstum des Finanzdienstleistungssektors, eine veränderte Lohnpolitik, der Bedeutungsverlust der Gewerkschaften und die Einschränkungen der umverteilenden Steuer- und Transferpolitik.

Zu Teil II: Vorschläge zum Handeln

Dieser Teil bildet das Kernstück des Buches. Der Autor entwickelt 15 Vorschläge, die Ungleichheit abbauen sollen. Hierbei handelt es sich teilweise um radikale Maßnahmen wie eine staatlich garantierte Arbeitsplatzsicherheit, ein staatlich gewährtes Mindesterbe, das mit Erreichen der Volljährigkeit ausbezahlt wird, ein Spitzensteuersatz von 65% oder eine progressive Lebenszeit-Kapitalzugangssteuer für Erbschaften und Schenkungen. Atkinson argumentiert hier jederzeit wissenschaftlich fundiert und leitet seine Erkenntnisse aus den in Kapitel zwei beschriebenen historischen Entwicklungen und ökonomischen Erkenntnissen ab.

Weniger radikal erscheinen da Vorschläge, wie die Stellung der Gewerkschaften zu stärken, um angemessene Machtverhältnisse zwischen den Interessensgruppen herzustellen, Erwerbslosigkeit zu verringern, einen gesetzlichen Mindestlohn oder ein EU-weites zu versteuerndes Kindergeld zur Existenzsicherung von Kindern einzuführen.

Berücksichtigt werden muss hier, dass Atkinson Brite war und sich aus diesem Grund der Inhalt häufig auf die Situation in Großbritannien bezieht. Nichtsdestotrotz werden aber immer wieder Vergleiche und Bezüge zu anderen Ländern wie den USA bzw. der Europäischen Union hergestellt. Deutschland ist dabei selten zu finden. Von Vorteil ist aber, dass Atkinson Wissenschaftler ist und die Situation vieler Länder kennt und aus diesem Grund sein Interesse darin besteht, dass jede Leserin und jeder Leser viele Aspekte findet, die trotz des britischen Blickwinkels von Interesse sein können.

So geht Atkinson auch auf Entwicklungshilfe ein und schlägt vor, ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden.

Zu Teil III: Kann es gelingen?

Atkinson scheint sehr wohl bewusst gewesen zu sein, dass er mit seinen Vorschlägen eine Reihe von Kritikern auf den Plan ruft. In diesem Teil nimmt er deren Argumente bereits prophylaktisch auf und setzt sich damit auseinander. Der Kompromiss zwischen Gleichheit und Effizienz wird hier ebenso diskutiert wie die Finanzierbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Positive wie negative Auswirkungen auf Verteilung und Armut werden angesprochen.

Diskussion

Aus diesem Buch spricht die Leidenschaft eines Wissenschaftlers für ein sozial relevantes Thema. Sein Bestreben war es, ein Buch für wirtschaftlich und politisch interessierte Laien zu schreiben. Dies ist zum großen Teil gelungen. Sprachlich ist das Buch gut zu lesen, alle Fachbegriffe werden eingeführt und meist mit einfachen Worten erläutert, die zahlreichen Quellenangaben sind als Fußnoten in den Anhang verbannt, um den Lesefluss nicht zu stören.

Bei diesem Buch handelt es sich um kein Sachbuch im Lehrbuchstil, denn dazu weicht Atkinson zu oft von der Lehrmeinung ab. Allerdings sind die Ausführungen wissenschaftlich genug, um das für den Laien kenntlich zu machen und mit Argumenten darzulegen. Gerade im Bereich der Diagnose verliert sich das Buch manchmal in Datensätzen, gleichzeitig scheint dieses genaue und akribische Vorgehen aber nötig zu sein, um die anschließend vorgeschlagenen 15 Maßnahmen nicht in den Bereich der Utopie abzutun, sondern als fundierte Erkenntnisse eines Mannes ernst zu nehmen, der sich sein ganzes Leben lang mit diesem Thema befasst hat. Dieses Buch eignet sich deshalb auch gut für den sozialen Bereich, da es auf verständliche Weise ein ökonomisches Thema behandelt und die Möglichkeiten darlegt, wie Politik und Ökonomie Lebensverhältnisse verbessern und Ungleichheit minimieren können. Aspekte wie Bildung und Ausbildung wurden deshalb von Atkinson bewusst weggelassen. Allerdings ist beim Lesen eine gewisse Ausdauer von Nöten, da das Buch keine einfachen Standard-Lösungen präsentiert und intensiv auf Themen hinführt.

Wünschenswert wäre, dass das Buch Eingang in politische Diskussionen findet, wenngleich man an der einen oder anderen Stelle froh sein kann, zum Beispiel in Deutschland und nicht in Großbritannien zu leben. Einige der Vorschläge, wie etwa zum Kindergeld, werden in der BRD bereits jahrelang praktiziert und gehen über das vorgeschlagene Maß hinaus.

Fazit

Sir Tony Atkinson präsentiert ein umfassendes Buch zur sozialen Ungleichheit. Besonders gelungen ist die Darstellung der ökonomischen Rahmenbedingungen, die zur Ungleichheit beitragen. Diese Diagnose bildet die Ausgangsbasis für 15 Maßnahmen, die vom Autor ausführlich dargelegt und begründet werden. Dabei wird sowohl auf die Auswirkungen, Machbarkeit und Finanzierung der Maßnahmen eingegangen und Gegenargumente bereits im Buch aufgegriffen. Das Buch ermöglicht ein umfassendes Verständnis für die ökonomischen Rahmenbedingungen sozialer Ungleichheit und gibt im sozialen Bereich tätigen Personen Argumente für politisches Engagement in die Hand, um sich anwaltschaftlich für die Lebensverhältnisse der Klientel einsetzen zu können.

Rezension von
Prof. Dr. Monika Sagmeister
Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart
Cooperative State University Baden-Württemberg, Stuttgart
Fakultät Sozialwesen, Lehrgebiet Sozialökonomie
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Es gibt 4 Rezensionen von Monika Sagmeister.

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ISSN 2190-9245