Imke Knafla, Marcel Schär et al.: Jugendliche stärken
Rezensiert von Dipl.-Soz. Willy Klawe, 28.08.2017
Imke Knafla, Marcel Schär, Christoph Steinebach: Jugendliche stärken. Wirkfaktoren in Beratung und Therapie. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2016. 196 Seiten. ISBN 978-3-621-28352-6. 36,95 EUR.
Thema
Ziel der AutorInnen ist es, Jugendberatung nicht aus der Sicht einer bestimmten gängigen „Therapie- und Beratungsschule“ zu entwickeln, sondern „nach den übergreifenden und zugleich zentralen Wirkfaktoren gelingender Jugendberatung“ (11) zu fragen.
Aufbau und Inhalt
Der vorliegende Band besteht – abgesehen von einem kurzen Vorwort sowie einem ausführlichen Literatur- und Stichwortverzeichnis – aus zwei Teilen.
- Im ersten Teil werden „Entwicklungspychologische Grundlagen der Jugendberatung“ skizziert und unter dem Titel „Was wirkt in Beratung und Therapie?“ ein Praxismodell für Beratungssituationen entwickelt.
- Der zweite Teil „Anwendung“ orientiert sich an diesen theoretischen Grundlagen und stellt anschaulich und plausibel die Realisierung der drei Wirkfaktoren Beziehungsaufbau, Motivation und Umsetzung der Beratungsziele in der konkreten Beratungspraxis dar. Dieser Teil schließt mit einem Ausblick, in dem offene Fragen und notwendige künftige Entwicklungsschritte in Theorie und Praxis der Beratung pointiert gebündelt werden.
Zu 1. Theoretische Grundlagen: Entwicklungspsychologie
Ausgehend von den Entwicklungsaufgaben und -phasen der herkömmlichen Entwicklungspsychologie beschreiben die AutorInnen anschaulich und differenziert die Herausforderungen des Jugendalters und die für deren Bewältigung notwendigen Ressourcen und Kompetenzen. Dabei skizzieren sie zugleich auch methodische Zugänge und Fragestellungen, die geeignet sind, im Vorfeld der eigentlichen Beratung die diesbezügliche Lebenswelt des beteiligten Jugendlichen zu erkunden.
Den AutorInnen gelingt es in diesem Abschnitt, eine Fülle von Aspekten der Entwicklung und Lebenswelt Jugendlichen zusammen zu tragen und deren praktische Relevanz für den Beratungskontext prägnant zu beschreiben. Dabei plädieren sie dafür, dass „eine qualifizierte psychologische Diagnostik Grundlage psychologischer Beratung sein sollte“ (55), weisen in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass die gezielte Entwicklung ressourcenorientierter Methoden in der Diagnostik noch aussteht.
Ebenfalls auf psychologischer Grundlage entwickeln die AutorInnen ihr Beratungsmodell. Ausgehend von den Befunden der Psychotherapieforschung identifizieren sie Vertrauen, Verständnis und Expertise als unabdingbare Voraussetzungen für die Wirkmächtigkeit der zentralen Wirkfaktoren in der Beratung:
- Veränderung mit und durch Beziehung,
- Motivation des Jugendlichen sowie
- die Umsetzung der Beratungsziele („in die Handlung kommen“, S. 68).
Zu 2. Praxis der Jugendberatung
Diese drei Wirkfaktoren bilden auch die Überschriften für den umfänglichen Praxisteil des Buches.
Zunächst werden nacheinander jeweils für jeden Wirkfaktor theoretische Erklärungen und empirische Befunde verständlich und plausibel referiert und dann unmittelbar in ihren praktischen Konsequenzen für den Beratungsprozess konkretisiert. Dies geschieht entweder in anschaulichen Dialogauszügen aus praktischen Beratungssituationen oder aber in allgemeineren Fallbeispielen. Die LeserInnen können auf diese Weise einerseits ihre kommunikativen Fähigkeiten reflektieren und weiter entwickeln, aber auch ihre empathische Haltung sensibilisieren.
Die zahl- und hilfreichen methodischen Anregungen in diesem Praxisteil können sicher gut zur professionellen Weiterentwicklung eigener Beratungskompetenzen beitragen, zumal am Ende dieses Abschnittes das herkömmliche Beratungssetting verlassen wird und auch Methoden zur Einbeziehung des sozialen Umfeldes in Problembearbeitung und praktische Unterstützung (Helferkonferenzen, Peer-Coaching, Mediation) eingeführt werden
Fazit
Der vorliegende Band enthält fundierte theoretische Grundlagen und anregende und anschauliche Ausführungen zu deren praktischer Umsetzung in der Jugendberatung. Er ist verständlich und plausibel geschrieben und deshalb sowohl für Studierende als auch für PraktikerInnen in der Beratung geeignet und sicher hilfreich. Die Ausführungen sind folgerichtig und konsistent, der Anspruch, ein „Schulen übergreifendes“ Verständnis von Beratung zu entwickeln durchaus eingelöst. Schön wäre es allerdings gewesen, wenn die AutorInnen ihre Ausführungen nicht nur schulübergreifend, sondern auch „Disziplin übergreifend“ verstanden hätten. Dann hätte beispielsweise die Beschreibung der Lebenswelt Jugendlicher durch Einbeziehung sozialpädagogischer Befunde zu den Bewältigungsaufgaben im Jugendalter (Lothar Böhnisch) oder zur Entwicklung jugendlicher Identität (Heiner Keupp, Zygmunt Baumann) noch weiter differenziert oder das entschiedene Plädoyer für mehr Diagnostik durch die Berücksichtigung kritischer Positionen dazu (Michael Langhanky) möglicherweise vorsichtiger formuliert werden können. Der vorliegende Band wäre dann auch besser anschlussfähig an die Diskurse und Praxis sozialpädagogisch orientierter Jugendberatung.
Rezension von
Dipl.-Soz. Willy Klawe
war bis März 2015 Hochschullehrer an der Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg. Jetzt Wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Instituts für Interkulturelle Pädagogik (HIIP, www.hiip-hamburg.de)
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Zitiervorschlag
Willy Klawe. Rezension vom 28.08.2017 zu:
Imke Knafla, Marcel Schär, Christoph Steinebach: Jugendliche stärken. Wirkfaktoren in Beratung und Therapie. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2016.
ISBN 978-3-621-28352-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21272.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.
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