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Stefan Bär: Soziologie und Gesundheits­förderung

Rezensiert von Matthias Brünett, 30.05.2017

Cover Stefan Bär: Soziologie und Gesundheits­förderung ISBN 978-3-7799-3407-3

Stefan Bär: Soziologie und Gesundheitsförderung. Einführung für Studium und Praxis. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2016. 160 Seiten. ISBN 978-3-7799-3407-3. D: 16,95 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 23,90 sFr.

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Autor

Dr. rer. pol. Stefan Bär ist akademischer Mitarbeiter am Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg. Seine Arbeitsgebiete sind Medizin- und Gesundheitssoziologie sowie Organisationssoziologie.

Entstehungshintergrund

Wie der Autor im Vorwort ausführt, entstand die rezensierte Publikation vor dem Hintergrund der von ihm gehaltenen Lehrveranstaltungen in Medizin- und Gesundheitssoziologie an der Uni Heidelberg. Insbesondere habe er festgestellt, dass Soziologie als Bezugswissenschaft in verschiedenen gesundheitsbezogenen Studiengängen von den Studierenden oft als zu realitätsfern oder nicht anwendbar empfunden werde.

Thema

Anliegen des Buches ist, „mit praxisrelevanten Bezügen und einem guten Rest an Substanz“ einen „Einblick in eine Reihe soziologischer Perspektiven auf Fragen nach Krankheit und Gesundheit“ (S. 7) zu geben.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in insgesamt sechs Kapitel gegliedert.

Die ‚großen‘ Kapitel 2 bis 5 haben einen Umfang von jeweils rund 30 Seiten. Jedes beginnt mit einer Aufstellung von Fragen, die im jeweiligen Kapitel behandelt werden. Am Schluss jedes Kapitels finden sich eine kurze Zusammenfassung und in der Regel zwei Verweise auf zuvor erwähnte soziologische „Klassiker“. Nachfolgend werden alle Kapitel jeweils gesondert besprochen. Dabei werden kursorisch wesentliche Argumente herausgegriffen und dargestellt.

Kapitel 1 (Einleitung): Der Autor führt in den Problemhorizont ein, insbesondere die Vielfalt der Perspektiven auf das Phänomen Gesundheit sowie die Besonderheiten der Perspektive einer Disziplin Gesundheitsförderung.

Kapitel 2 (Gesundheit und Gesellschaft): Bär führt hier aus, warum ein Zusammenhang zwischen Gesundheit und Gesellschaft besteht und warum dieser notwendig mitzudenken ist. Hauptargument ist hier, dass Denkmuster, also ein jeweiliges Verständnis von Gesundheit und/oder Krankheit, variabel sind. Er erläutert dies kurz anhand des Verweises auf vormoderne Gesellschaften, in denen bspw. Gesundheit und religiöse Vorstellungen eng zusammen gedacht wurden. Anders in unserer heutigen Gesellschaft, hier werden Gesundheit/Krankheit als Gegenstand medizinischer Bearbeitung gesehen. Daran anschließend sieht er Gesundheitsförderung ebenfalls als neues, einer politischen Konzeption entstammendes Deutungsangebot. Im weiteren Verlauf des Kapitels geht der Autor auf Definitionen von Gesundheit ein. Zunächst stellt er ein individuelles Verständnis (individualmedizinisch, subjektiv) einem kollektiven (epidemiologisch bzw. politisch informierten) Verständnis des Phänomens Gesundheit gegenüber. Eine weitere Unterscheidung trifft er mit der Gegenüberstellung eines reduktionistischen („Gesundheit als eine Art Basisfunktion des Lebendigen“ [S. 35]) und eines ganzheitlichen (zusammenfassend als Glück oder Wohlbefinden beschreibbaren) Gesundheitsverständnisses. Insbesondere im Zusammenhang mit dem letztgenannten, in der aktuellen Konzeption von Gesundheitsförderung relevanten Gesundheitsverständnis, wird dann auf das Problem der Unbestimmtheit dieses ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses eingegangen.

Kapitel 3 (Individuen, ihre Gesundheit und Lebensführung): Gegenstand dieses Kapitels ist eine (soziologische) Aufklärung über den Einfluss der Verhältnisse auf das gesundheitsbezogene Verhalten von Individuen. Soziologisch (und dem vorher schon erwähnten neuen Denkangebot „Gesundheitsförderung“ entsprechend) ist diese insofern, als Bär sich dabei bspw. auf Bourdieu bezieht, um eine reduktionistisch-rationale Herangehensweise an das Problem zu vermeiden, die sich lediglich auf das Verhalten und damit auf das Individuum beschränken würde.

Kapitel 4 (Gesundheit, Umwelt und Kontexte): In diesem Kapitel greift Bär die im vorigen Abschnitt schon grundgelegte Bedeutung der Verhältnisse auf und geht kursorisch auf den Settingansatz ein. Als Versuch der Operationalisierung desselben schließen sich Ausführungen zu Organisationen und Organisationsentwicklung an. Als interessanten, kritischen theoretischen Bezugspunkt kann hier der Bezug des Autors auf Goffman und seine Konzeption von totalen Institutionen erwähnt werden, die Bär auf das Krankenhaus überträgt.

Kapitel 5 (Gesundheit und Krankheit): Hier wird das im zweiten Kapitel bereits grundgelegte Problem des Verhältnisses von Gesundheit und Gesellschaft wieder aufgegriffen und vor allem anhand von Talcott Parsons´ systemtheoretischen Ausführungen expliziert. Zentrales Argument ist hier, „dass Systeme danach trachten, Dysfunktionalitäten wie Krankheit zu vermeiden“. Gesundheit sei hier als Vorbedingung für die Rollenfähigkeit z.B. von Arbeitnehmern zu verstehen. Eine detaillierte Beschreibung würde an dieser Stelle zu weit führen. Es sei allerdings angemerkt, dass der Autor sich im Rahmen seiner Ausführungen richtigerweise darauf beruft, dass bspw. in der betrieblichen Gesundheitsförderung Werte und Normen, die konkretes Handeln mitbestimmen, mit bedacht werden müssen. Die Vorstellung von der Rollen- bzw. Funktionsfähigkeit bilden für Bär den Anschlusspunkt für die Erläuterung des Antonovsky´schen Konzeptes der Salutogenese. Der Autor konzentriert sich aber hier, wie auch schon in seinen vorherigen Ausführungen, auf dessen Relevanz in Bezug auf soziale Ressourcen. Der Blick richtet sich also auf die Verhältnisse. Über die Argumentation anhand der Widerstandsressourcen grenzt sich Bär ab von einer rein individualistischen Rezeption Antonovskys. Anknüpfend an die oben schon beschriebenen Ausführungen zu grundsätzlich variablen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit, kommt er zum Schluss, dass sich verändernde Krankheitsvorstellungen zu veränderten Vorstellungen von Gesundheit führen.

Kapitel 6 (Gesundheitsförderung aus soziologischer Perspektive): Im letzten Kapitel zeigt der Autor Ansatzpunkte für die soziologische Betrachtung von Gesundheitsförderung auf. Damit löst er nicht zuletzt das Versprechen ein, eine soziologische Betrachtung der Gesundheit realitätsnäher und anwendungsorientierter darzustellen. Die eine ist die der (horizontalen) Ungleichheit, die er mit Bourdieu als „kleine, feine Unterschiede sozialer Natur“ (S. 134) beschreibt. Eine solche Perspektive knüpfe an die sozialhygienischen und sozialmedizinischen Wurzeln des Faches an, indem Lebensverhältnisse, Milieus und dergleichen in den Blick genommen werden. Ein weiterer Ansatzpunkt stellt das Feld der medizinischen Soziologie dar, die einerseits anwendungsbezogen der Medizin zuarbeiten kann, andererseits aber auch einen eher sozialhistorischen Blick pflegen kann. Beiden gemein ist der Bezugspunkt Medizin. Die dritte Perspektive, die Bär beschreibt, interessiert sich für Aspekte des institutionellen Wandels, mithin das Werden einer Disziplin Gesundheitsförderung mit den Problemen der systematischen Einordnung derselben. Weiterer Gegenstandsbereich einer soziologischen Betrachtung könnte die Professionalisierung der Gesundheitsförderung sein.

Diskussion und Fazit

Mit der vorliegenden Publikation will Stefan Bär einen Einblick in soziologische Perspektiven auf das Phänomen Gesundheit und Gesundheitsförderung geben. Das gelingt ihm. Zwar wirken seine Ausführungen streckenweise sehr exemplarisch herausgegriffen, bspw. zur Organisationsentwicklung im Kontext des Settingansatzes, als Makel soll diese Kürze aber nicht zwingend verstanden werden. Interessanter ist der Entstehungshintergrund der Publikation, den jede und jeder in der Lehre Tätige wahrscheinlich aus eigener Erfahrung kennt: Zweifelnden Studierenden will Bär eine anwendungsorientierte und realitätsnähere Einführung in das Thema geben. Auch das gelingt ihm, wenngleich man sieht, dass die von ihm selbst erwähnte Gefahr, dass allzu großer Anwendungsbezug mit Substanzverlust einhergehe, besteht. Dennoch gelingt ihm der Spagat ganz gut. Er beschränkt sich nicht nur auf das Referieren soziologischer Perspektiven auf Gesundheit und Gesundheitsförderung, sondern gibt dem Erklären derselben viel Raum. Streckenweise mutet die Publikation daher auch wie eine verschriftlichte Vorlesung an. Vermutlich auch deshalb sind etliche Kapitel aus Sicht des Rezensenten sehr lang geraten, eine zusätzliche Untergliederung wäre sicherlich kein Fehler gewesen. Gleichzeitig bietet das Buch über weite Strecken aber auch eine kurzweilige und interessante Lektüre – ein Aspekt, der für eine wissenschaftliche Publikation nicht unbedingt relevant, hier aber dennoch erwähnenswert ist.

Der Untertitel lautet „Einführung für Studium und Praxis“. Geeignet dürfte das Buch aber vor allem für das Studium sein. Praktiker, die auf der Suche nach konkreten Handlungshilfen o.Ä. sind, dürften hier nicht fündig werden. Die oben erwähnte Anwendungsorientierung bezieht sich eher auf das Anführen lebendiger, greifbarer Beispiele und weniger darauf, was oder wie man das „machen“ kann. Insgesamt eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich tatsächlich fragen sollten, welche Beiträge die Soziologie zur Gesundheitsförderung leisten kann, oder, seien es Studierende, Praktiker oder Theoretiker, die sich ein vertieftes Verständnis des Gegenstandes – Gesundheit und deren Förderung – aneignen wollen. Auch wenn die Publikation nicht alle Fragen beantworten wird, stellt sie doch, und das ist das wesentliche Ziel Bärs, einen guten und empfehlenswerten Einstieg dar.

Rezension von
Matthias Brünett
MSc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP), Köln
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Es gibt 12 Rezensionen von Matthias Brünett.

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ISSN 2190-9245