Regina Mahlmann: Konflikte souverän managen
Rezensiert von Elisabeth Vanderheiden, 21.03.2017

Regina Mahlmann: Konflikte souverän managen. Konzepte, Maßnahmen, Voraussetzungen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2016. 298 Seiten. ISBN 978-3-407-36598-9. D: 34,95 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 45,90 sFr.
Thema
Regina Mahlmann stellt in ihrem Buch unterschiedliche Konfliktlösungsansätze vor und geht auf aktuelle Phänomene und Problemlagen ein, aus denen sich besondere Konfliktsituationen ergeben können: Arbeit 4.0, Milieudiversität, Generation Y und Z, Gamification etc. Dabei geht sie davon aus, dass sich Sensibilitäten im Rahmen generativer, sozialer und kultureller Diversität und der praktischen Bedeutung von „Wertschätzung“ verschoben haben: Souveräne Distanz und Humor sowie Wissen um den Konfliktbegriff, um Konzepte und Verhaltensoptionen gewinnen daher besondere Relevanz.
Autorin
Regina Mahlmann ist promovierte Soziologin, hat u. a. Philosophie und Geschichte sowie Pädagogik studiert. Sie ist als Coach, Beraterin, Moderatorin für Unternehmen tätig. Als Autorin zahlreicher Artikel und Bücher berät sie bei der Erstellung von Vorträgen, Artikeln und Büchern.
Aufbau
Die Autorin setzt fünf große inhaltliche Schwerpunkte:
1. Vorklärungen
- Konfliktbegriff
- Konfliktfähigkeit und Konfliktperformanz
- Grundhaltung, Deutung, Verhalten
- Nützlichkeit von Konflikten
- Konflikt- und Kritikperformanz
- Konflikt, Souveränität und Humor
2. Dominante Konzepte
- Charakteristika basaler psychologischer Strömungen von Genese bis Behandlung
- Tiefenpsychologien
- Verhaltenspsychologische Ansätze
- Humanistische Ansätze
- Systemische Ansätze
3. Modelle und Konzepte im praktischen Umgehen mit Konflikten
- Person im Fokus
- Dyade im Fokus
- Gruppe im Fokus
- Systemische Ansätze
4. Neuere Realitäten und Sensibiliäten
- Generation Y und Z
- Konfliktscheu vermindern
- Sozialer Konstruktivismus: gemeinsames Herstellen von Tatsachen
- Embodiment: sensorisches, affektives Kommunizieren
- Sprachbilder: den Sog von Metaphern nutzen
5. Herausforderungen für Weiterbildner
- Weiterbildner und Konfliktberater im Kontext der „neueren Realitäten“
- Emotional-intelligentes Spielzeug
- Games und Gamification – ein knapper Überblick
- Emoticons und Psychotools.
Die ersten drei Buchteile sind der Beschäftigung mit der Konfliktthematik im engeren Sinne gewidmet, setzen sie aber bereits in Beziehung zu Souveränität, Performanz und Humor sowie Gelassenheit. Danach wird nach Konfliktquellen gefragt, Konfliktdynamiken werden erläutert, Konfliktanalyse- und -behandlungskonzepte vorgestellt und auf drei Konfliktkonstellationen bezogen.
Darauf folgen Ausführungen, die insbesondere „auf digital basierte Entwicklungen eingehen und fragen, was diese für Konfliktkompetenz und -performanz bedeuten, sowohl für Betroffene als auch für Fachleute, die in der Konfliktberatung und/oder Mediation tätig sein. Dieser Aspekt der Wirkung neuer kulturellerer Ursachen und Trends wird bis dato in Veröffentlichung vernachlässigt, obgleich die Aus- und Einwirkungen maßgeblich sind. Unter anderen entscheiden sie maßgeblich mit darüber, welche Haltung Konflikten gegenüber typischerweise eingenommen wird, die ihrerseits Auswirkung auf Konfliktkompetenz und -performanz hat.“ (10).
Dabei zeichnet es die Autorin aus, dass sie vielfältige Zugangswege zur Klärung des Konfliktbegriffes wählt: etymologisch, umgangssprachlich, wissenschaftlich differenziert, aus systemischer Perspektive oder als persönliches Erleben.
Konfliktfähigkeit und Konfliktperformanz bezeichnen dem Verständnis der Autorin folgend: „Ein Vermögen, etwas, das wir prinzipiell können und realisieren sollten. Konfliktfähigkeit und Konfliktperformanz zielen auf aktiviertes, auf ein sich in jeder Konfliktsituation entfaltendes Können, als Potenzial und als Handlung, einschließlich des Nichthandelns im Sinne des Aushalten von Dissens. Konfliktfähigkeit äußert sich im Prozess der Auseinandersetzung als Fertigkeit. Fähigkeit oder Kompetenz (Potenzial) sichtbar in dem, was eine Person kann (Fertigkeit) und schlussendlich tut (Performanz).“ (27).
Konfliktfähigkeit und Konfliktperformanz sind – gerade im Zusammenspiel – mit Humor und Souveränität wichtige Elemente zum konstruktiven Umgang mit Konflikten. Humor wird dabei als Geisteshaltung verstanden, die „einen besonderen Kommunikations- und Interaktionsstil erzeugt, Charme und Überheblichkeit auf eine amüsierende Art verflicht, flankiert von einem Lebensgefühl, das weniger als Euphorie denn als heitere Gelassenheit (Ataraxie) zu beschreiben ist.“ (47). Souveränität wird verstanden als Selbstsicherheit und der jeweiligen Situation gewachsen sein (48).
Inhalt – Kapitel 4 als Beispiel
Beispielhaft sollen hier das Kapitel 4 genauer beleuchtet werden.
Als Generation Y wird jene Generation bezeichnet, die im Zeitraum von etwa 1980 bis 1999 geboren wurde. Je nach Quelle wird diese Bevölkerungskohorte auch als „Millennials“ (also etwa „die Jahrtausender“) bezeichnet. Manche Quellen bezeichnet diese Generation auch als die erste der Digital Natives.
Als deren Nachfolgegeneration wird die Generation Z betrachtet, deren Mitglieder von etwa 1995 bis 2010 zur Welt kamen. Andere Klassifikationen fassen die Jahrgänge 2000 bis 2015 hierfür zusammen.
Als wichtige Kennzeichen beider Generationen dürfen aus Sicht der Autorin gelten:
- Starkes Selbstbewusstsein und Egozentrierung
- Geringe Risikobereitschaft, Konfliktscheu und gesunkenem Bildungsniveau bei gleichzeitig guten oder sehr guten Noten
- Entertainmentisierung
- Medialisierung
- Direkte Kontakte werden gerne – vor allem in Konfliktfällen – zugunsten von sms aufgegeben
- Verflüchtigung von Empathie.
Die Mehrzahl der Aussagen Mahlmanns beziehen sich aufgrund der umfangreicheren Datenlage auf Generation Y, in Bezug auf Generation Z (ab den späten 1990erJahren und bis 2000), von ihr als Generation Game bezeichnet, und deren Konfliktfähigkeit resümiert sie: „ Es mehren sich die Indizien dafür, dass technikbasierte Frühsozialisation hochgradig korreliert mit einer Vernachlässigung echter Beziehungen und körperliche Aktivität. Dies geht zulasten kognitiver, intellektueller Leistungen und unter anderem zulasten der Ausbildung eines empathischen und konstruktiv-offenen rationalen Austausch mit der sozialen Umwelt. In Bezug auf Konfliktkompetenz und -performanz leuchtet angesichts solcher Entwicklung eine rote Lampe auf. Denn es wird immer schwieriger, Konflikt direkt, persönlich in einem Gespräch direkt, unverblümt, gar spontan zu thematisieren.“ (251).
Ein weiterer Aspekt, auf den Mahlmann in diesem Kapitel hinweist, ist die Milieudiversität. Sie macht deutlich, dass viele aktuelle Entwicklungen, wie Emotionalisierung, die reduzierte Bereitschaft und Fähigkeit zu konstruktiver Konfliktlösung, gesteigerte medienvermittelte Alltagskommunikation, Verlagerung des „eigentlichen Lebens“ in technisch-mediale Vermittlungsangebote (256), ferner die Eroberung von Erwachsenenräumen und Wirtschaftsfeldern durch kognitiv-emotional interagierende Systeme im Rahmen Künstlicher Intelligenz zu einem Verlust geistiger und emotionaler Tätigkeiten und Fertigkeiten des Menschen führen (257).
Als Ansätze für eine souveräne Konfliktbehandlung im Rahmen „dieser neuen Realitäten und Sensibilitäten“ empfiehlt sie (261):
- Sozialen Konstruktivismus
- Embodiment
- Arbeit mit Sprachbildern.
Der Soziale Konstruktivismus geht auf Kenneth Gergen und Mary Gergen zurück, die ihr Konzept von allen anderen Formen des Konstruktivismus abgrenzen, insofern Wirklichkeitskeitsgestaltung keine rein individuell-subjektive Konstruktion ist, sondern immer alle Beteiligten einbezieht: als Akteure, durch Interaktion, durch den Prozess, durch Sprache: „Insofern fokussiert der Soziale Konstruktivismus das Relationale oder Relative, das Inter, das Zwischen und den Prozess und zeigt auf, dass auch Sprache als soziales Phänomen sui generis Wirklichkeit hervorbringe: nicht der individuelle Geist, sondern die relationale Beziehung und Kommunikation. Wirklichkeit wird, sprachlich und nicht-sprachlich, immer in Beziehungen hergestellt.“ (262)
Für Konfliktverständnis und -löungsoptionen ergibt sich daraus ein Gewinn, weil dieses Konzept das Verständnis impliziert, dass „fremde“ Perspektiven anders sein können als man es selbst erwartet, fühlt, sieht oder denkt und sich daraus im Idealfall die Bereitschaft ergibt, sich über diese verschiedenen Sichtweisen auszutauschen bzw. diese zu verhandeln und „gemeinsam nach Optionen für Frieden zu suchen“ (263).
Gergen und Gergen heben als für den Konfliktfall besonders geeignete Interventionsstrategien hervor:
- Narrative Therapie
- Kurzzeit- und Lösungsorientierte Interventionen nach Steve des Shazer
- Sprache als Medium.
Als zweites Interventionskonzept widmet sich Mahlmann dem Embodiment und stellt dabei vor allem die Forschungsergebnisse von Thalma Lobel vor. Ihr geht es hierbei insbesonderr um die Wechselwirkung von sensorischem Erleben und psychischen Bereitschaften und Verhalten. Im Konfliktfall bzw. bei dessen Lösung kann Emdodiment gerade auf der affektiven Ebene helfen. In Anlehnung an die Autor*innen Maja Storch und Wolfgang Tschacher schlägt Mahlmann die Arbeit an der in Konflikten üblichen negativen Affektbilanz mit einer Bilanz via „Ideenkorb“oder der Metapher „Pizza“ vor, in dem Sinne, dass der Belag der eigenen Pizza untersucht werden solle, bevor man sie jemand anderem ins Gesicht werfe (268). Mahlmann geht davon aus, dass derart imaginative Zugänge vor allem den Zugang zu jenen Alterskohorten erleichtern, für die es kennzeichnend ist, dass sie „den Körper in Szene setzen und psycho-physische Wechselwirkung berücksichtigen“ (269).
Im letzten Abschnitt dieses Kapitels widmet sich die Autorin Sprachbildern. Sie stellt eine Reihe von Übungen vor und auch eine Vielzahl positiver und negativer Metapher zum Begriff Konflikt. Sie schlägt die Brücke zu den vorangegangenen Ausführungen zu Embodiment. So kommt etwa in der erfahrungsbasierten interaktionistischen Metapherntheorie von Lakoff und Johnson (die auch Basis des Embodimentansatzes ist) der Körperwahrnehmung eine große Bedeutung zu, denn ihr zufolge ist eine Bedingung dafür, metaphorisch sprechen zu können, das Erleben des eigenen Körpers. Für bedeutsame zur Unterstützung der Arbeit mit Metaphern hält Mahlmann
- Mentales Training (z. B. eine Kombination aus Visualisierung, Imagination und Körperorganisation, oder Hypnotherapie)
- Imagination und kontemplative Verfahren (z. B. Biofeedback, Meditation, Yoga etc.)
Diskussion und Fazit
Mahlmanns Buch wählt ungewöhnliche Akzentsetzungen und unerwartete Zugänge zum Thema, die ihr Buch in der Form tatsächlich einmalig machen, etwa die Aspekte Digitalisierung oder Gamification und Konflikt, Generation Z und Y und Konflikt, Tipps für Weiterbildner*innen angesichts dieser neuen Realitäten. Das macht das Buch spannend und außergewöhnlich informativ. Häufig werden diese Themen zwar nur kurz angerissen, aber immer werden weiterführende Literaturtipps angeboten.
Viele Übungen, viele hilfreiche illustrierende Praxisbeispiele zeigen ihre umfangreiche Expertise und ihre hohe und breit gefächerte Praxiskompetenz.
Die Lektüre macht Spaß und ist eine Bereicherung selbst für diejenigen, die schon recht belesen sind in der gängigen Konflikt-Standard-Literatur.
Eine kritische Anmerkung sei gestattet: dem Buch hätte eine gründlichere abschließende sprachliche Endredaktion gut getan, für einen renommierten Verlag wie Beltz wurde doch eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Tippfehlern übersehen.
Rezension von
Elisabeth Vanderheiden
Pädagogin, Germanistin, Mediatorin; Geschäftsführerin der Katholischen Erwachsenenbildung Rheinland-Pfalz, Leitung zahlreicher Projekte im Kontext von beruflicher Qualifizierung, allgemeiner und politischer Bildung; Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu Gender-Fragen und Qualifizierung pädagogischen Personals, Medienpädagogik und aktuellen Themen der allgemeinen berufliche und politischen Bildung
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Zitiervorschlag
Elisabeth Vanderheiden. Rezension vom 21.03.2017 zu:
Regina Mahlmann: Konflikte souverän managen. Konzepte, Maßnahmen, Voraussetzungen. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2016.
ISBN 978-3-407-36598-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21308.php, Datum des Zugriffs 03.10.2023.
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