Nicole Rinder, Florian Rauch: Das letzte Fest
Rezensiert von Mag. Dagmar Bojdunyk-Rack, 15.11.2016
Nicole Rinder, Florian Rauch: Das letzte Fest. Neue Wege und heilsame Rituale in der Zeit der Trauer. Gütersloher Verlagshaus Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (Gütersloh) 2016. 175 Seiten. ISBN 978-3-579-08631-6. D: 16,99 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 22,90 sFr.
Thema
Sterben, Tod und Trauer gehören zu unserem Leben dazu. Eine Trauerkultur, die auf individuelle Bedürfnisse der Trauernden eingeht, gibt Trost. Dieses Buch gibt Anregungen wie „das letzte Fest“ gestaltet werden kann und soll Menschen Hilfe bieten, den Tod begreifbar zu machen.
Autorin und Autor
Nicole Rinder und Florian Rauch führen gemeinsam das Bestattungsunternehmen AETAS.
Aufbau
Das Buch ist in drei Abschnitte geteilt
- leben,
- trauern und
- begleiten.
In jedem Abschnitt findet der/die LeserIn Übungen und Rituale, die den Trauerweg erleichtern und unterstützen können.
Das AutorInnenteam will aufzuzeigen, dass der Tod eines geliebten Menschen nicht nur Verlust und Ende bedeutet, sondern auch als Chance gesehen werden kann, das eigene Leben zu hinterfragen und neu zu gestalten. Dieser Weg kann aber nur dann gefunden werden, wenn wir wieder „richtig“ trauern lernen.
Die Fähigkeit Trauer und Tod als Teil des natürlichen Lebens zu begreifen, gerät zunehmend in Vergessenheit. Der Tod ist aber ein so einschneidendes Ereignis, dass die Hinterbliebenen Zeit brauchen, um diesen zu begreifen. Und diese Zeit wird ihnen kaum gegeben. Zwischen dem Tod und dem Begräbnis liegen nur ein paar Tage mit viel Bürokratie, die den Trauernden kein wirkliches Abschied nehmen ermöglicht. Doch Trauer braucht Zeit und einen individuellen Abschied vom Verstorbenen.
Zu 1. Leben
In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, geht es darum, den Wert und Sinn des eigenen Lebens zu sehen, es bedeutet leben lernen. Im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit wird jeder Moment des Lebens wertvoll. Sich immer wieder die eigene Endlichkeit vor Augen zu führen bedeutet, Scheinprobleme in den Hintergrund zu rücken und das Leben in seiner Begrenztheit wertvoll zu gestalten.
In diesem Abschnitt des Buches sind Übungen und Fragestellungen, die das momentane eigene Leben hinterfragen und den Fokus auf positive Veränderungen richten.
Zu 2. Trauern
Trauern ist keine Krankheit, sondern ein aktiver Prozess, ein Weg, der von jedem Trauernden selbst gegangen werden muss. Nach dem Tod eines geliebten Menschen müssen die Hinterbliebenen lernen mit diesem Verlust zu leben, diesen zu akzeptieren und in ihr weiteres Leben zu integrieren. Dieser Prozess braucht Zeit, der Weg durch die Trauer und den Schmerz ist die Voraussetzung für die Bewältigung des Verlusts. Trauer soll angenommen, ausgelebt und aktiv gestaltet werden. Trauer hört auch nie auf, sie ist und bleibt ein Teil des Lebens der Hinterbliebenen, aber sie verändert sich.
Die unterschiedlichen Zeiten der Trauer – Verleugnung, Verzweiflung, Vereinsamung, Vergebung, Versöhnung – werden beschrieben und sollen eine Orientierungshilfe für Betroffene in deren Trauerprozess sein.
Aktive Trauerarbeit bedeutet, dass das Selbstwertgefühl und die Eigenkompetenz wieder hergestellt, individuelle Überlebensstrategien und Ressourcen aktiviert sowie gute Erinnerungen geweckt werden. Rituale können dabei helfen, sie geben Halt und Orientierung, machen die Trauer sichtbar, wenn Verlustgefühle übermächtig werden. Abschiedsrituale haben folgende Aufgaben:
- Sie geben dem Schmerz Raum und unterdrücken ihn nicht, der Schmerz kann einen Ausdruck finden.
- Sie bestätigen den Verlust und verschleiern ihn nicht.
- Sie unterstützen und öffnen den Ausdruck von Trauer.
Rituale wirken auf verschiedenen Ebenen, durch sie kann das, was Menschen in ihrem Innersten fühlen, nach außen gelangen. Durch die festgelegten Abläufe wird ein geschützter Raum für die Trauer bereitgestellt. Rituale brauchen einen Rahmen, eine Handlung, ein Bewusstsein und Konzentration, um den Trauernden zum bewussten Tun zu bringen. Es geht darum, die Aufmerksamkeit über die Ausführung eines Rituals zu positiven Gefühlen zu lenken. Rituale müssen aber individuell gestaltet werden, da jeder Mensch anders trauert.
Das wichtigste Ritual in den Tagen zwischen Tod und Beerdigung ist das Ritual des Abschieds vom Verstorbenen. Die beiden AutorInnen plädieren für einen Abschied am offenen Sarg, weil dadurch das Unfassbare fassbarer wird und die Realität des Todes begriffen werden kann. Sie zeigen anhand eines plötzlich verstorbenen Babys auf, wie die Eltern ihr Kind nach dem Tod nochmals sehen, noch Zeit mit ihm verbringen können, es versorgen und einbetten.
Wenn Kinder mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert werden, so brauchen sie vertraute Erwachsene, die Trauervorbild sind und offen, ehrlich und natürlich mit dem Tod umgehen. Auch Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden vom Verstorbenen Abschied zu nehmen und am Begräbnis teilzunehmen – nach entsprechender Vorbereitung darauf (Wie sieht ein Toter aus? Was passiert bei einem Begräbnis? etc.)
Erschwerend für die Trauer von Hinterbliebenen ist, wenn man den verstorbenen Angehörigen nicht beerdigen kann, z. B. nach Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen oder Gewalttaten. Denn nichts ist belastender und schmerzhafter als Zweifel, ob ein Mensch tatsächlich gestorben ist. Denn während die Zweifel nie aufhören, bedeutet der Tod einen Abschluss der Ungewissheit und gleichzeitig den Beginn des Abschied Nehmens. Jeder Mensch braucht einen Platz an dem er seine Trauer verorten kann. So kann ein symbolisches Bestattungsritual dabei helfen, dass sie ein friedliches Bild des Verstorbenen im Kopf und im Herzen behalten und endlich einen Ort finden, an dem sie trauern dürfen.
Nicht nur das Sehen und Berühren des Toten, sondern auch die Gestaltung des Abschieds fördern den Trauerprozess. Für diesen Abschied braucht man Zeit, einen geschützten Raum und eine harmonische Umgebung. Vom Waschen und Anziehen des Verstorbenen, vom Schmücken des Abschiedsraumes, bis zum Bemalen des Sargs und dem Abschiednehmen am offenen Sarg und den Sargbeigaben wird dieser Prozess beschrieben, der von den beiden AutorInnen in ihrer eigenen Bestattung angeboten und auch begleitet wird. Wenn durch den Tod Dinge nicht mehr geklärt werden konnten, kann mit einem letzten Brief der Trauernde dem Verstorbenen alles Ungesagte noch mitteilen. Auch die Trauerfeier bietet noch eine Möglichkeit, das Leben des Verstorbenen in all seinen Facetten zu zeigen. Beim Leichenschmaus wird gemeinsam an den Verstorbenen gedacht und die Trauergemeinschaft wendet sich aber – durch das Essen – wieder dem Leben zu.
Im nächsten Kapitel beschreibt die Autorin ihren eigenen Trauerprozess nach dem Tod ihres vier Tage alten Sohnes in sehr berührenden Worten.
Zu 3. Begleiten
In der Trauerbegleitung ist es wichtig, dem Trauernden Zeit zu geben, Tränen zu zulassen, keinen falschen Trost zu geben und ihm vor allem Raum für seinen Schmerz zu geben – denn das Leben wird nie mehr so sein, wie es einmal war. Im Reden und Erzählen über das Sterben und den Tod und dem Ausdrücken der damit verbundenen Gefühle wird der erste Schritt zur Annahme und Bewältigung der Trauer gemacht. Durch empathisches Zuhören des Trauerbegleiters gelingt es dem Trauernden besser, das Erlebte zu realisieren. Die Aufgaben der Trauerbegleitung werden wie folgt beschrieben:
- Tod begreifen helfen
- Reaktionen Raum geben
- Anerkennung des Verlusts äußern
- Übergänge unterstützen
- Erinnern und Erzählen ermutigen
- Risiken und Ressourcen einschätzen
Im letzten Abschnitt des Buches findet man hilfreiche Internetadressen und Literaturempfehlungen.
Diskussion
Das Buch soll ein Ratgeber sein und in erster Linie Menschen begleiten, die den Tod eines nahestehenden Menschen erlebt haben. Es soll dabei unterstützen, diesen Verlust und die damit verbundene Trauer zu bewältigen. Im Mittelpunkt steht ein ganzheitlicher Ansatz, um die Zeit des Abschieds und der Trauer individuell zu gestalten.
Der Bogen, den die beiden AutorInnen spannen, geht von der Reflexion des eigenen Lebens hin zur Auseinandersetzung mit der Situation, in der von einem geliebten Menschen Abschied genommen werden muss. Theoretische Grundlagen zu Trauer und Trauerprozessen (Gefühle zuzulassen, Phasen der Trauer, etc.) finden ebenso Platz wie Rituale, die in Zeiten der Trauer Halt und Orientierung geben. Sehr praxisnah sind die einzelnen Schritte bei der Gestaltung von Ritualen beschrieben, damit Trauernde diese auch umsetzen können (z. B. Ritual der Erinnerung, Ritual des Jahresgedenken, Ein Stein für meinen Trauerort, Der letzte Brief). Verschiedene Fallbeispiele, wie der Abschied von einem geliebten Menschen gestaltet werden kann (Bub verabschiedet sich von seiner toten Mutter, Abschiedsritual für eine Jugendliche, die seit 5 Jahren verschwunden ist) runden das Thema ab. Im Buch finden sich auch wertvolle Informationen über Vorgänge und Abläufe in der Zeit vom Eintreten des Todes bis zum Begräbnis.
Fazit
Dieses Buch greift ein Tabuthema auf und setzt sich einfühlsam mit Tod, Trauer und Abschied auseinander – gerade in Zeiten, in denen diese Themen in unserer Gesellschaft kaum mehr Platz finden. Es regt an, dass wir uns alle etwas mehr mit dem Sterben und Tod beschäftigen, denn zu einem erfüllten und angstfreien Leben gehört auch, sich rechtzeitig mit der eigenen Endlichkeit und dem Tod zu beschäftigen. DeAutorInnen geht es vor allem um sensible, individuelle Formen des Abschiednehmens.
Ein empfehlenswertes Buch nicht nur für Betroffene, sondern auch für Trauerbegleiter und letztendlich für alle Menschen!
Rezension von
Mag. Dagmar Bojdunyk-Rack
Geschäftsführerin RAINBOWS-Österreich
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Es gibt 17 Rezensionen von Dagmar Bojdunyk-Rack.
Zitiervorschlag
Dagmar Bojdunyk-Rack. Rezension vom 15.11.2016 zu:
Nicole Rinder, Florian Rauch: Das letzte Fest. Neue Wege und heilsame Rituale in der Zeit der Trauer. Gütersloher Verlagshaus Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
(Gütersloh) 2016.
ISBN 978-3-579-08631-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21318.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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