Débora B. Maehler, Heinz Ulrich Brinkmann (Hrsg.): Methoden der Migrationsforschung
Rezensiert von Prof. Dr. Hartmut M. Griese, 01.03.2017
Débora B. Maehler, Heinz Ulrich Brinkmann (Hrsg.): Methoden der Migrationsforschung. Ein interdisziplinärer Forschungsleitfaden. Springer VS (Wiesbaden) 2016. 400 Seiten. ISBN 978-3-658-10393-4. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 42,50 sFr.
Thema und Aktualität
Die Migrationsforschung ist im 21. Jahrhundert, auch durch einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik (Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland) sowie durch die an sie gerichteten Hoffnungen auf eine wissenschaftliche Fundierung einer bis dato diffusen und konzeptlosen Einwanderungs-, Integrations- und Migrationspolitik und -pädagogik, zum allseits geförderten und interdisziplinären Schwerpunkt in Forschung und Lehre avanciert. Immer mehr Studierende fertigen ihre Abschlussarbeiten über Fragen und Themen aus der Migrationsforschung an und junge Forscher qualifizieren sich über (empirische) Studien aus diesem Gebiet. Ob die Einwanderungs- und Integrationspolitik dadurch konstruktiver, stringenter oder auch wirksamer geworden ist, steht auf einem anderen Blatt, zumal auch durch die hohen Flüchtlingszahlen der Jahre 2015/16 (und wahrscheinlich auch 2017) Einwanderung eine ungeahnt neue Facette bekommen hat, wodurch viele traditionelle Konzepte der „Integration“ ins Wanken geraten sind.
Bis zur Gegenwart bewegt die Gretchenfrage „Sag´, wie hast Du´s mit der Einwanderung?“ (vgl. „Obergrenze“, „Trump-Effekt“ oder neuer Nationalismus in Europa etc.) heftiger denn je die Gemüter in Politik, Medien und Öffentlichkeit, so dass wir wahrscheinlich vor einem erneuten Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik stehen: Vom „Wir schaffen das“ zur Abschottung durch fragwürdige Deals mit autoritären Staaten bzw. von einem ideologischen roll-back von einer Willkommens- zu einer Abschottungskultur bzw. von einer liberalen zu einer restriktiven Migrations- bzw. Ausweisungspolitik. Deutschland hat in den letzten zwei Jahren seine zwei Gesichter gezeigt (zum ambivalenten Erscheinungsbild unseres Landes vgl. ausführlich Griese 2015).
In diesen bewegten Zeiten erhofft man sich von der Wissenschaft Klarheit, Basiswissen und fundierte Erkenntnisse über Ursachen und Folgen von Migrationsprozessen. Methodische Exaktheit bei Studien und Erhebungen ist dafür Voraussetzung. Einer Basis hierfür will der vorliegende Band bieten.
AutorenInnen / HerausgeberInnen
Dr. Debora B. Maehler ist (vgl. Umschlagtext) „Psychologin. Senior Researcher bei GESIS – Leibniz Institut für Sozialwissenschaften, Mannheim. Fellow im Kolleg für interdisziplinäre Bildungsforschung (CIDER), Berlin“ und von Dr. Heinz Ulrich Brinkmann erfährt man nur „Politologe. Alfter“.
Die weiteren 24 (!) Autor*innen des Readers arbeiten an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungszentren. Erwähnenswert scheint mir noch der Hinweis, dass „den Anstoß zu diesem Buch Herr Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan (gab)“ (S. 11).
Aufbau
Der Band beginnt mit einer „Einführung in das Methodenbuch“ (S. 1-14) der Herausgeber, welche gefolgt wird von drei Hauptteilen:
- „Grundlagen der Befragungsmethoden“ mit drei Beiträgen (S. 17-133);
- „Grundlagen der Auswertungsmethoden in ausgewählten Forschungsbereichen“ (S. 137-259) mit vier Artikeln sowie
- fünf Abhandlungen über „Operationalisierung und Datensätze in der Migrationsforschung“ (S. 263-381) – man beachte die allmähliche Steigerung der Anzahl der Beiträge, welche m. E. auch deren Relevanz aus der Sicht der Herausgeber andeuten (sollen?).
Hier soll bereits meine grundsätzliche Kritik an dem Buch durchschimmern: Unter „Methoden der Migrationsforschung“ habe ich – ausgenommen das erste Kapitel – etwas anderes erwartet (und erhofft), z.B. innovative, weil speziell themenbezogene Forschungsmethoden und die Diskussion anderer Kriterien und Standards als in der üblichen Sozialforschung usw. – ich komme darauf zurück.
Die Herausgeber konstatieren eingangs die „Relevanz eines Methodenbuches“ angesichts zunehmender „Computer gestützter Datenverarbeitung in den Sozialwissenschaften“ sowie eines neuen Forschungsfeldes (Migration und Integration) und betonen, dass „die einzelnen Buchbeiträge nach einheitlichen Vorgaben (welche bleibt offen, H.G.) speziell für dieses Methodenbuch geschrieben (wurden)“ und „alle relevanten Aspekte (welche bleibt offen, H.G.) der akademischen Forschung und Lehre zu den Bereichen Migration und Integration (abdecken)“ (S. 2).
Das thematisch und historisch-gesellschaftlich Neue der Migrations- und Integrationsforschung basiert nach Maehler/ Brinkmann (S. 4) aber auf dem methodisch „Alten“ und Bewährten: Es gelten die Kriterien der „Reliabilität, Validität und Objektivität“ sowie „Ziel der Forschung … ist die Überprüfung von Hypothesen“. Das Buch will „eine umfassende Darstellung und Analyse aller für den Bereich der Erfassung und Erklärung von Migration und Integration notwendigen Forschungsinstrumente“ geben (S. 5).
Inhaltlich-konzeptionell liefert der Band Darstellungen zu den drei Gebieten
- „Erhebungsmethoden“,
- „Auswertungsmethoden“ und
- „Datensätze in der Migrations- und Integrationsforschung“.
Er richtet sich primär an Bachelor- und Masterstudent*innen, die ihre Abschlussarbeit anvisieren.
Inhalte – Beispiel „Befragungsmethoden“
Im Folgenden konzentriere ich mich auf das Kapitel „Befragungsmethoden“, weil es in den ersten beiden Artikeln die m.E. genuinen Forschungsmethoden darstellt. Für die „quantitative Migrationsforschung“ wird zu Recht auf die „Besonderheiten bei der Befragung von Personen mit Migrationshintergrund“ hingewiesen, diese aber selten expliziert. Dazu ein Beispiel aus eigener Forschungspraxis: 1972 (!) befragte ich u.a. im Rahmen unserer Studie „Die Zweite Generation“ (Schrader/ Nikles/ Griese 1976) ein 11-jähriges türkisch-islamisches Mädchen im schulisch-leistungsthematischen Kontext = ein halbes Dutzend Fehlerquellen, die intersektional (Alter, Geschlecht, Schicht, Religion, Ethnie, Kontext) zusammenwirken. Derlei methodische Probleme der MIF müssten m.E. im Zentrum eines „Forschungsleitfadens“ stehen und ausführlich, meinetwegen auch kontrovers, diskutiert werden.
Die insgesamt vier Autor*innen des Beitrages kommen alle von GESIS und konzentrieren sich daher hauptsächlich auf große Datensätze von „Large Scale-Studien“ sowie Möglichkeiten von Sekundäranalysen und unterscheiden zwischen „persönlich-mündlicher Befragung“, „telefonischer Befragung“, „schriftlich-postalischer Befragung“ sowie „webbasierter Befragung“ und diskutieren – relativ oberflächlich – deren Vor- und Nachteile hinsichtlich der „Besonderheiten für die Befragung von Personen mit Migrationshintergrund“ (S. 36ff). Zuletzt werden auch „Besonderheiten für die Fragebogenerstellung für Personen mit Migrationshintergrund: Übersetzung und Adaptation“ (S. 49ff) dargestellt und diskutiert.
Die drei Autor*innen des Artikels „Methodische Grundlagen und Positionen der qualitativen Migrationsforschung“ betonen „ein wachsendes Interesse an qualitativen Methoden“ bzw. an „interpretativem Forschen“ und konstatieren deren „immer häufigere Anwendung“ und „Beliebtheit“ in der allgemeinen und insbesondere der Migrations- und Integrationsforschung (MIF) (S. 61). Anbetracht der Vielfalt qualitativer Forschungsmethoden und deren Beliebtheit in der MIF – die Verfasser nennen hier „verschiedene Interviewformen“, die Gruppendiskussion, teilnehmende Beobachtung sowie Dokumentenanalyse, z.B. von Film- und Bildmaterialien – wird diesem Methodenkomplex sehr wenig Raum (und damit Bedeutung) im Band eingeräumt, bildet er doch m.E. den Schwerpunkt einer verstehenden (!) MIF (vgl. die Einleitung). Im Weiteren werden – kurz und knapp – Ausführungen gemacht zu „Qualitative Inhaltsanalyse“, „Grounded Theory“, „Narrationsstrukturanalyse“, „Objektive Hermeneutik“ und „Dokumentarische Methode“, „Sampling“, „Typenbildung“ usw., so dass das volle Programm der klassischen qualitativen Sozialforschung abgewickelt wird.
Als „Fazit“ betonen die Autor*innen, dass es nach wie vor viele „ungelöste Probleme interpretativen Forschens“ gibt, dass „Vergleichbarkeit“ der Daten schwierig ist und dass das Grundproblem der „Triangulation“ (Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden) immer noch „äußerst kontrovers diskutiert“ wird (S. 89) – ein eigener Beitrag hierzu wäre m.E. sinnvoll und wünschenswert gewesen, da darin wohl die Zukunft der empirischen Sozial-(Migrations-)Forschung zu liegen scheint.
Der dritte Beitrag des ersten Teils zu „Diagnostik sprachlicher Kompetenzen bei Personen mit Migrationshintergrund“ von drei Autor*innen bezieht sich auf ein Sonderproblem der MIF, die „sprachlichen Kompetenzen“ der Probanden (und der Forscher*innen?), konkret in Bezug auf „Sprechen, Hörverständnis, Lesen und Schreiben“. Überwiegend geht es den Autor*innen um quantitative Verfahren wie Tests und repräsentative Umfragen (Large Scale Assessments wie z.B. PISA, IGLU). M.E. wäre bei diesem Thema zu überlegen, ob nicht andere Methoden als (Sprach-)Tests zur Feststellung der Sprachkompetenzen möglich sind. Wir haben z.B. in unserer Studie „Wir denken deutsch und fühlen türkisch“ (Griese/ Schulte/ Sievers 2007) assoziative Aufsätze in deutscher Sprache schreiben lassen und Gruppendiskussionen in Türkisch durchgeführt, um auch Erkenntnisse zur Sprachkompetenz (Deutsch und Türkisch) zu gewinnen.
Im zweiten Teil des Bandes geht es um „Methoden der Auswertung“ in Bezug auf unterschiedliche Forschungsbereiche der psychologischen, soziologischen und ökonomischen Migrationsforschung sowie um Fragen und Probleme einer international komparativen kulturvergleichenden MIF. Man erfährt etwas über die „Psychologische Akkulturationsforschung“ (S. 137f) und über „methodische Heterogenität“ in der Forschung, die Vergleiche erschwert, sowie über die „Soziologische Migrations- und Integrationsforschung“ (S. 163ff), welche z.B. räumliche (städtische) „Segregationsprozesse“ untersucht und etliche Studien mit allerdings unterschiedlicher Herangehensweise vorgelegt hat. Der Leser bekommt einen Einblick in (klassische) Theorien und Studien zur Migration und Integration und in Methoden und mathematische Modellierungen.
Des Weiteren werden „Methoden der ökonomischen Migrationsforschung“ (S. 191ff) „mit dem Schwerpunkt Deutschland“ referiert, wobei das Problem der „Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität“ diskutiert wird und m. E. deutlich wird, dass die MIF immer interdisziplinärer wird und daher analytische Trennungen in Psychologie, Soziologie, Ökonomie – wie im Buch vorgenommen – gegenüber inhaltlich-thematischen Bereichen sekundär sind (z.B. für die Untersuchung sog. „Migrationsmotive“ oder „Arbeitsmarktintegration“). Zuletzt (S. 225ff) werden in diesem Kapitel „Statistische Methoden der komparativen internationalen Migrationsforschung“ dar- und vorgestellt sowie etliche mathematische und graphische Modelle dazu expliziert, die nicht nur überkomplex und kompliziert sind, sondern m.E. für internationale Vergleiche unbrauchbar. Einwanderung und ihre Folgen sind m.E. in jeder Gesellschaft unterschiedlich und daher nicht vergleichbar (z.B. Israel – Deutschland – Polen = klassisches, neues und Nicht-Einwanderungsland). Über den Nutzen („cui bono“?) derlei Unternehmungen (mathematisch-statistisch-graphische Modelle und ihre internationale Vergleichbarkeit) sollen aber Andere entscheiden.
Der dritte Teil (S.261ff) beginnt mit dem Beitrag „Die Operationalisierung des Migrationshintergrundes“. Es wird deutlich, dass dieses Konstrukt unterschiedlich operationalisierbar ist und auch unterschiedlich in Studien operationalisiert wird – so viel zum Thema „Vergleichbarkeit“. Interessanter und erkenntnistheoretisch weiterführend erscheint mir ein Ansatz, nach einem subjektiv empfundenen Migrationshinter(-vorder,-unter)grund zu fragen. Ich vergesse nicht, wie eine Studentin im Seminar sagte. „Ich habe beschlossen, meinen sog. Migrationshintergrund abzulegen – ich bin Deutsche“. Eine indikatorenbezogene MIF (Muttersprache, Geburtsland, Staatsangehörigkeit) wird derlei abweichende Besonderheiten nicht erfassen (können).
Danach folgt ein Beitrag über „Sekundäranalysen von Umfragen“ (S. 283ff), der ebenso in einem allgemeinen Lehrbuch über Forschungsmethoden stehen könnte und vor allem lesenswert ist in Bezug auf Erkenntnisse einer eigenen Sekundäranalyse hinsichtlich Besonderheiten wie „Artefakte“ und die „Interpretation von Unterschieden“. Auch der nächste Artikel befasst sich mit „Datensätzen für Sekundäranalyse von Integrationsprozessen“ (S. 311ff) und bleibt dem ähnlichen Strickmuster verhaftet – als könnte man inter-nationale Datensätze (PISA, Mikrozensus, PIAAC etc.) vergleichen und „Integration“ oder „Kompetenzen“ messen, also quantifizieren. Im vorletzten Beitrag zu „NEPS-Datensatz (Nationales Bildungspanel)“ (S. 345ff) geht es um die Frage, inwieweit das Panel tauglich ist für die MIF. Die Autor*innen konstatieren abschließend. „Die im NEPS erfassten migrationsbezogenen Aspekt bieten damit eine reichhaltige Grundlage zur Bearbeitung zentraler und vielfältiger Problemstellungen der Integrationsforschung“ (S.361). Zuletzt befassen sich zwei Autor*innen mit dem „CILS4EU-Datensatz (Children of Immigrants Longitudinal Survey in Four European Countries)“ (S. 365ff). In diesem Projekt werden Daten von 14-jährigen Jugendlichen aus England, Deutschland, Holland und Schweden mit und ohne Migrationshintergrund erfasst und verglichen in Bezug auf unterschiedliche Aspekte der Integration. Mittlerweile liegen dazu auch Längsschnittdaten vor, die neue Erkenntnisse zulassen.
Ein abschließender (zusammenfassender, Resümee ziehender, ungelöste methodische Probleme nennender usw.) Beitrag fehlt – leider.
Diskussion
Vielversprechend ist die eingangs (S. 5) geäußerte Intention: „Es geht um die Erforschung und Erklärung von Wesen (! H.G.) bzw. Beschaffenheit der Migrationsbewegungen und Integrationsprozesse, wie sie sich auf der Seite der Migranten und ihrer Nachkommen (! H.G.) darstellt. Damit aber geht es um die gesamte Gesellschaft (! H.G.) des aufnehmenden Landes, ihre derzeitige Beschaffenheit und ihre zukünftige Entwicklung“. Wenn ich dieses Postulat recht verstehe, müsste es demnach primär um qualitative (!) Forschung aus der Sicht der Einwanderer sowie um Gesellschaftstheorie (! „Wesen“ und Zukunft der Gesellschaft) gehen – davon ist aber im Weiteren nicht mehr die Rede.
Weiter wird konstatiert: Es geht darum, „die Welt aus der Perspektive der Untersuchten zu begreifen“ (S. 62). Dies erfordert ebenso in erster Linie qualitative Methoden sowie ein „interkulturelles“ bzw. „ethnisch-plurales“ Forscherteam (vgl. dazu Griese 2006). Es ist daher nur konsequent, wenn auch die Ausnahme im Band, dass der Autor*innengruppe zum Beitrag „Qualitative Migrationsforschung“ (S. 61ff) ein Kollege mit „Migrationshintergrund“ voransteht: Aladin El-Mafaalan, Prof. an der FHS Dortmund.
Leider muss ich immer wieder feststellen, das jüngere Autor*innen der zweiten und dritten MIF-Generation bei ihren Forschungsüberblicken die 70er und 80er Jahre negieren. Das „Konzept der Akkulturation“ hatten wir z.B. bereits 1976 unserer Studie „Die Zweite Generation“ zugrunde gelegt (vgl. Schrader/ Nikles/ Griese 1976) – der Forschungsüberblick (S. 154f) beginnt aber erst 1998! Sehr unreflektiert und m.E. sträflich wird (S. 279) der Terminus „Rasse“ ohne „…“ gebraucht, wie überhaupt mit Begriffen oft schluderig umgegangen wird, obwohl an anderer Stelle z.B. die Probleme einer Operationalisierung zu Recht ausführlich diskutiert werden (S. 263ff).
Maehler und Brinkmann diskutieren (S. 7ff) eigens Probleme einer „Definition“ von „Migrant“ (warum nicht von anderen zentralen und ähnlich unklaren Hauptbegriffen wie „Kultur“, „Integration“, „Identität“ – Probleme der Operationalisierung des Konstruktes „Migrationshintergrund“ werden an anderer Stelle und im dritten Teil des Buches behandelt) und orientieren sich letztlich an der „amtlichen Statistik“, womit auch ihr quantitatives Verständnis von Migrationsforschung deutlich wird. Diffuse Ausführungen zu Fragen und Problemen des sog. „Werturteilsstreit“ („Positivismusstreit in der Soziologie“) beenden ohne Blick auf die aktuelle normative „Beschaffenheit“ (! vgl. oben) der Gesellschaft (Pegida, AfD, Rechtspopulismus usw.) die Einleitung.
Es wird in den meisten Beiträgen deutlich, dass die quantitative MIF von englischsprachiger (internationaler) Literatur dominiert wird, während in der qualitativen Empirie zur MIF meist deutschsprachige Literatur zur Anwendung kommt. Die Notwendigkeit eines Methodenmix (Triangulation) kommt m.E. kaum zur Sprache, dürfte aber die Zukunft der MIF – zumindest in Deutschland – sein. Ein eigener Beitrag dazu wäre wünschenswert gewesen. Ferner scheint es sinnvoll, zwischen einer eher makrotheoretisch fundierten quantitativen Migrationsforschung und einer eher mikrotheoretischen und qualitativen Integrationsforschung zu unterscheiden, sofern man nicht interdisziplinär forscht und „Integration“ als „System-Subjekt-Konstrukt“ begreift.
Fazit
Der „Forschungsleitfaden“ ist stark einer quantitativen, repräsentativen und international komparativen Umfrageforschung (Surveys) verpflichtet und bietet allen, die entsprechend forschen (wollen) und/ oder große Datensätze sekundäranalytisch nutzen (wollen), eine brauchbare, nützliche, interdisziplinär angelegte Grundlage. Die eingangs formulierte Intention, eine methodische (und methodologische?) Basis zu liefern für die „Erforschung und Erklärung von Wesen und Beschaffenheit der Migrationsbewegungen …“ (vgl. Diskussion) kann damit aber m.E. nicht erfüllt werden. Dazu hätte der qualitativen MIF sowie des Methodenmix (Triangulation) und (bei der Interpretation der empirischen Erkenntnisse) des aktuellen gesellschaftstheoretischen Diskurses (vgl. Pongs: „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“) methodologisch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen.
Literatur
- Griese, Hartmut M. (2006): Kriterien und Standards der interkulturellen Forschung. Methodologische Reflexionen nach einem deutsch-türkischen Projekt. In: Erziehungswissenschaft, Heft 33
- Griese, Hartmut M. (2015): Deutschland – ein Einwanderungsland mit historischer Verantwortung, gesellschaftlichen Besonderheiten und politischen Ambivalenzen. In: Schrader u.a. (2015)
- Griese, Hartmut M./ Schulte, Rainer/ Sievers, Isabel (2007/ 2010): ‚Wir denken deutsch und fühlen türkisch‘. Sozio-kulturelle Kompetenzen von Studierenden mit Migrationshintergrund Türkei. Frankfurt/ Hannover
- Pongs, Armin (2000): In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? 2 Bände. München Schrader, Achim/ Nikles, Bruno/ Griese, Hartmut M. (1976): Die Zweite Generation. Akkulturation und Sozialisation ausländischer Kinder in der Bundesrepublik Deutschland. Königstein
- Schrader, Irmhild/ Joskowski, Anna/ Diaby, Karamba/ Griese, Hartmut M. (Hrsg.) (2015): Vielheit und Einheit im neuen Deutschland. Leerstellen in Migrationsforschung und Erinnerungspolitik. Frankfurt
Rezension von
Prof. Dr. Hartmut M. Griese
Leibniz Universität Hannover, Philosophische Fakultät, Institut für Soziologie und Sozialpsychologie.
ISEF-Institut (Institut für sozial- und erziehungswissenschaftliche Fortbildung
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Zitiervorschlag
Hartmut M. Griese. Rezension vom 01.03.2017 zu:
Débora B. Maehler, Heinz Ulrich Brinkmann (Hrsg.): Methoden der Migrationsforschung. Ein interdisziplinärer Forschungsleitfaden. Springer VS
(Wiesbaden) 2016.
ISBN 978-3-658-10393-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21370.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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