Otto Hansmann: Zwischen Kontrolle und Freiheit
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 07.02.2017
Otto Hansmann: Zwischen Kontrolle und Freiheit. Die vierte industrielle Revolution und ihre Gesellschaft. Logos Verlag (Berlin) 2016. 153 Seiten. ISBN 978-3-8325-4209-2. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR.
Thema
Ausgehend von der Erkenntnis, dass sich „Revolutionen im industriellen Sektor moderner Gesellschaften… dem ‚Gesetz der Beschleunigung‘ ebenso wenig zu entziehen [scheinen], wie der ‚Strukturwandel der Öffentlichkeit‘ “ und heute zudem Entscheidungen an Systeme künstlicher Intelligenz- verbunden mit der Gefahr an Souveränität zu verlieren – abgetreten werden, unternimmt es Hansmann die sogenannte „vierte“ industrielle Revolution in einen differenzierten ideen- und problemgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen und argumentativ anzureichern; zudem sollen die anthropologischen wie auch gesellschaftspolitischen Auswirkungen kritisch beleuchtet werden.
Autor
Otto Hansmann studierte zunächst für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen, um nach kurzer Lehramtstätigkeit in Tübingen das Studium der Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie aufzunehmen und 1981 mit der Promotion zum Dr. rer. soc. abzuschließen. Nach Tätigkeiten als Wiss. Mitarbeiter in Berlin und Karlsruhe erfolgte 1991 die Habilitation und die Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Universität Bayreuth, wo er bis zur Emeritierung 2013 als apl. Professor und Akademischer Direktor für Allgemeine Pädagogik lehrte.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Werk ist nach Angabe des Autors inspiriert von zahlreichen Reaktionen auf die im gleichen Verlag erschienene Trilogie zu den Themen:
- Transhumanismus (2015),
- Bildung des Menschen (2014) und
- Kommunikation (2014).
Aufbau
Die auf eine ausführliche Einleitung folgenden vier Hauptkapitel weisen jeweils unterschiedliche Untergliederungen auf, die vor allem in den Kapiteln 2 und 3 sehr differenziert ausfallen. Somit ergibt sich eine mit oftmals wenigen Seiten aufgegliederte Gesamtstruktur.
Inhalt
Wenn der Autor von der ‚vierten‘ industriellen Revolution spricht, so kann der Leser erwarten, dass auf die vorherigen Revolutionen hingewiesen wird. Dies geschieht, indem zunächst in der Einleitung auf die ‚erste‘ Revolution durch die Mechanisierung der Produktion und deren historische Entwicklung hingewiesen wird, ehe Hansmann auf die nächsten revolutionären Etappen durch die Elektrotechnik und die Kernspaltung bis hin zur heutigen Vollautomation verweist. Als jeweils damit verbunden erklärt er die Veränderungen von Struktur, Funktion und Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dabei stellt er hinsichtlich der ‚vierten‘ industriellen Revolution den Zusammenhang mit den technologischen Anwendungen informationstheoretischer Errungenschaften in verschiedenen Punkten heraus: zum einen geht es um eine Automatisierung durch eine ausdifferenzierte algorithmische Programmsteuerung, um die Veränderung der Rolle des arbeitstätigen Menschen hin zum bloßen Beobachter des (Herstellungs-)Prozesses bis hin zum Hintanstellen von Humanität und humaner Gesellschaft durch ‚Transhumanisten‘; hinzu treten Vernetzungen von Produktion, Dienstleistung und Konsumenten oder Kunden durch immer fortschreitende Digitalisierungsprozesse, welche zu einer Vollautomatisierung nahezu aller Lebenswelten führen und damit Fragen nach Chancengleichheit, Gerechtigkeit etc. aufwerfen und letztlich Probleme für all jene Menschen entstehen lassen, die sich nicht diesen Entwicklungen unterwerfen wollen bzw. können.
Im ersten Kapitel „Industrie 4.0 und transhumanistische Verheißungen in humanistischem Gewand“ wird das Profil der vierten industriellen Revolution in Verbindung mit der Modellierung einer Gesellschaftsform vorgestellt, „die unter dem Terminus ‚Transhumanismus‘ verspricht, den Menschen zu verbessern und dazu anzutreiben, sich schließlich selbst in seiner Einzigartigkeit und Souveränität zu überwinden“ (S. 18).
Das zweite Kapitel ist mit „Idee der Selbstüberwindung des Menschen. Entwicklungsgeschichtliche Fragmente“ überschrieben, gewährt zunächst vormoderne geschichtliche Einblicke etwa über die Göttersöhne und Pharaonensöhne als erste Transhumanisten Europas, oder die Sokratische Mäeutik und Platons Idee der Höhlenüberwindung, geht sodann in die Moderne mit Rekurrierung auf Jean-Jaques Rousseau, Immanuel Kant und G. W. H. Hegel, um anschließend theorie- und problemgeschichtliche Entwicklungen des 19. Jahrhunderts anhand der Überlegungen von Darwin, Marx, Nietzsche und Steiner aufzuzeigen. Schließlich geht der Autor noch auf die sozialphilosophischen Theorien der Selbstüberwindung des 20./21. Jahrhunderts durch George Herbert Mead, Jürgen Habermas, Niklas Luhmann und Peter Sloterdijk näher ein.
Das dritte Kapitel ist mit „Zwischen Fiktion und Realität. Übergänge“ überschrieben und referiert Entwicklungen, die eine Differenzierung zwischen Mensch und Maschine bzw. Automat aufzuheben, oder der Maschine bisher abgehende Bewusstseinsqualitäten wie Emotionalität und Kreativität zuzuschreiben versuchen. Hansmann glaubt, dass sich hier bereits Autonomieverluste aufgrund einer durchgreifenden Digitalisierung des Produktions- und Dienstleistungssektors bemerkbar machen.
Im letzten und damit vierten Kapitel „Vorzeichen transhumanistischer Gesellschaften“ erkennt der Autor Signale in allen Feldern der Arbeit, der Sprache und der Interaktion, welche „das Verhalten der Singularitäten – der Menschen und der humanoiden Roboter – unterschwellig auf smarte Weise bestimmen und zu stetig wechselnden Schwarmbildungen kanalisieren“ (S. 19). Daraus resultiert seine Vermutung, dass der Erziehung, Bildung und Sozialisation künftiger Generationen besondere Aufmerksamkeit zukommen dürfte.
Der Autor kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass die ‚vierte‘ industrielle Revolution ambivalent betrachtet werden muss, oder wie Hansmann - der von einer Janusköpfigkeit spricht – ausführt, „erwies sich die eine Seite als Reichtum geistiger Produktivität und technologischer Errungenschaften von der Mechanisierung der Bewegung an sich träger Dinge bis zur Automation sensibler und eigenständig operierender humanoider Roboter mit zugeschriebener Bewusstseinsfähigkeit“ (S. 136), während er bei der anderen Seite dieser janusköpfigen Entwicklung die Beschleunigung des Verlusts an Autonomie des Menschen und Bürgers zu erkennen glaubt. Diese Entwicklung schreibt er letztlich der Zunahme digitalisierter Netzwerke im Kontext mit deren Globalisierung, hinführend zu postdemokratischen und transhumanistischen Gesellschaften, zu.
Diskussion
Das Buch von Hansmann offenbart den stark ausgeprägten Hang des Autors zu einer äußerst skeptischen Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklung in unserer Zeit, aufgrund technologischer Entwicklungen in einem hochdigitalisierten Zeitalter. Dabei sieht er durchaus zu Recht die Gefahr heraufziehen, dass eine technisierte Welt die Kontrolle über den Menschen und die bestehende Gesellschaft zu erlangen sucht und dies zu Lasten der in langen geschichtlichen Prozessen erkämpften Freiheit einerseits geht und andrerseits die unabhängige Urteilsfähigkeit des Bürgers durch eine digitale Kanalisierung und Eindimensionalität verloren geht. Dem Autor ist diesem Skeptizismus sicher grundsätzlich zuzustimmen, wenngleich die Entwicklung hin zur sogenannten ‚vierten‘ industriellen Revolution nicht nur negative Seiten aufzuweisen hat. So führt die digitale Vernetzung zu vielfältigen Möglichkeiten sozialer Kommunikation, wie sie vor Jahrzehnten noch völlig undenkbar war. Zudem werden Kommunikationsprozesse enorm beschleunigt, rasche Aktionen und Reaktionen ermöglicht.
Was nun der Bürger von der Entwicklung hin zur ‚vierten‘ industriellen Revolution zu halten hat, stellt Hansmann schließlich dem selbständigen Urteil des Individuums – unter Nutzung der Suchmaschinen der Internetkonzerne – anheim.
Fazit
Das im Pocketformat gehaltene Buch von Hansmann hinterfragt die Entwicklung der modernen Gesellschaft unter dem Aspekt einer fortschreitenden digitalen Technologisierung und Industrialisierung. Es bietet eine Analyse auf der Basis von ideen- und problemgeschichtlichen Einblicken vom 19. Jahrhundert ausgehend bis in unsere Zeit. Es stellt die Auswirkungen technologischer Veränderungen durch eine digitale Vernetzung und sich auch daraus ergebenden Globalisierung auf die gesellschaftliche Entwicklung und den davon betroffenen Menschen in den Mittelpunkt.
Auch wenn man zu der Erkenntnis gelangt, dass der aufgezeigte Zwiespalt zwischen Kontrolle und Freiheit als Folge der sogenannten ‚vierten‘ industriellen Revolution wohl nicht mehr aufzuhalten bzw. rückgängig zu machen ist, so stimmt diese Erkenntnis zumindest recht nachdenklich.
Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Zitiervorschlag
Peter Eisenmann. Rezension vom 07.02.2017 zu:
Otto Hansmann: Zwischen Kontrolle und Freiheit. Die vierte industrielle Revolution und ihre Gesellschaft. Logos Verlag
(Berlin) 2016.
ISBN 978-3-8325-4209-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21380.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.
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