Erika Schärer-Santschi, Barbara Steffen-Bürgi et al. (Hrsg.): Lehrbuch Palliative Care
Rezensiert von Prof. Dr. Carl Heese, 29.06.2018
Erika Schärer-Santschi, Barbara Steffen-Bürgi, Diana Staudacher, Cornelia Knipping, Settimio Monteverde (Hrsg.): Lehrbuch Palliative Care. Hogrefe AG (Bern) 2016. 3. Auflage. 900 Seiten. ISBN 978-3-456-85354-3. D: 59,95 EUR, A: 61,70 EUR, CH: 79,00 sFr.
Entstehungshintergrund
Das Buch liegt jetzt in der dritten Auflage vollständig überarbeitet und ergänzt vor. Für die Herausgabe zeichnet nun eine Gruppe von Autoren verantwortlich, nachdem die frühere Herausgeberin, Cornelia Knipping, sich in ein Kloster zurückgezogen hat. Sie ist aber noch mit sechs Beiträgen in der neuen Auflage vertreten.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in acht Teile, den neunten Teil bildet ein Anhang, in dem Weiterbildungsangebote, Beratungsadressen und andere nützliche Ergänzungen versammelt sind. Den einzelnen Teilen sind jetzt Einführungen der Herausgeber vorgeschaltet worden.
- Der erste Teil thematisiert die Geschichte und die Grundprinzipien der palliativen Versorgung.
- Der zweite Teil ist mit sechs Beiträgen zunächst dem Schmerzmanagement gewidmet und behandelt in sechzehn weiteren Beiträgen die Linderung einzelner Symptome, die im palliativen Zusammenhang häufig auftreten.
- Im dritten Teil werden unter der Überschrift ‚Kommunikation, Begleitung und Trauerarbeit‘ psychosoziale Aspekte behandelt.
- Der vierte Teil wird vierfach (!) eingeführt. In den ersten beiden Einführungen behandelt Diana Staudacher die Themenfelder der Kulturalität und der Spiritualität zunächst grundsätzlich und führt dann in Ergänzung dazu vor den beiden Gruppen mit Beiträgen jeweils noch spezieller ein.
- Der fünfte Teil versammelt Beiträge zur Palliative Care am Lebensende
- Teil sechs differenziert verschiedene Zielgruppen der palliativen Betreuung nach Lebensalter und Diagnosen.
- Teil sieben berichtet von verschiedenen Ansätzen zur komplementären Palliativversorgung.
- Teil acht behandelt ethische, aber auch juristische Aspekte.
Der Titel weist das Buch als Lehrbuch aus, dem entspricht ein didaktisches Konzept, das von Cornelia Knipping aus der ersten Auflage stammt und das mit nur kleinen Änderungen von den neuen Herausgebern beibehalten wurde. So beginnt jeder der einzelnen Beiträge mit einer Zusammenfassung. Im Anschluss daran werden die Ziele jedes Beitrags sowie die Schlüsselwörter aufgelistet. Am Ende des Textes finden sich Reflexionsfragen zu Wiederholung, Vertiefung und Transfer. Nach jedem Beitrag ist nicht nur die verwendete, sondern auch eine Sammlung weiterführender Literatur zusammengestellt. In den Texten wird häufig mit Fallbeispielen gearbeitet, in farblich abgesetzten Kästen weisen die Autoren auf Besonderheiten und Merkregeln hin.
Inhalt
Die Herausgeber haben das Buch thematisch sehr breit angelegt und verfolgen einen beinahe enzyklopädischen Anspruch. Dadurch ist es auch sehr viel umfangreicher als vergleichbare Lehrbücher ausgefallen. Es spannt einen sehr weiten thematischen Bogen und will nicht nur einen Überblick über die unmittelbare Praxis der Palliativversorgung geben. Stattdessen will es primär in ‚Haltung und Kultur‘ (p. 15) der Palliative Care einführen und sich nicht auf praktische Verrichtungen bei palliativen Problemlagen beschränken. Das gilt für den gesamten Aufbau des Buches, das gilt aber ebenso für die meisten Einzelbeiträge. Entsprechend finden sich auch eine Reihe von Beiträgen, die sich dezidiert mit den sozialen und kulturellen Voraussetzungen der Thematik befassen, wie beispielsweise das Kapitel 2.1 ‚Hospiz und Palliative Care als Kulturentwicklung‘ oder die Einführung zum Teil V ‚Sterben in einer haltenden Umgebung‘. Auf der anderen Seite will das Buch auch einem praktischen Anspruch gerecht werden, es erläutert dazu die häufigsten palliativen Problemlagen wie Schmerz, Fatigue, Atemnot und zeigt detailliert palliative Handlungsmöglichkeiten auf.
Auf einer mittleren Ebene zwischen den allgemeinen Voraussetzungen und den wichtigsten praktischen Themen findet sich eine Fülle von Beiträgen, die viele weitere Aspekte der Palliative Care ausleuchten. Hier reicht das Spektrum vom Beitrag der Sozialarbeit über komplementäre Behandlungsansätze mit Kunst und Musik, aber auch Humor bis zu Beobachtungen aus der Sicht eines Bestatters. Relativ breiten Raum nimmt auch die Diagnostik und die Selbstsorge ein.
Diskussion
Auch die neue Auflage unterstreicht wieder den Anspruch der Herausgeber, das umfassende Lehrbuch zum Thema vorgelegt zu haben. Gegenüber den vorherigen Auflagen sind die Themen Spiritualität, Ethik und Recht deutlich ausgeweitet worden. Das reflektiert die pflegewissenschaftliche und medizinethische Entwicklung der letzten Dekade. Das didaktische Konzept hatte sich bereits bewährt und wurde behutsam modernisiert, desgleichen die Gestaltung, die den Band sehr ansprechend und hochwertig erscheinen lässt. Die Fotografien von Mohnblumen, die nun die einzelnen Teile trennen, gefallen mir persönlich auch besser als die Bilder in der alten Auflage.
Der Anspruch des Buches ist der eines akademischen Lehrbuches für den Bedarf einer zunehmend hochschulisch engagierten Pflegezunft. Dabei ist die Darstellung aber frei von unnötiger Kompliziertheit. Die inhaltliche Überarbeitung der Beiträge hat einiges verbessert. So zeigt die Änderung der Reihenfolge im Abschnitt zur Symptomlinderung eine eigenständigere Definition des Themas, mit der sich die Herausgeber von der Deutungshohheit durch die Medizin ablösen. In der alten Auflage begann dieser Abschnitt mit dem Beitrag zur Pharmakotherapie, der jetzt auf den letzten Platz des Kapitels (5.16) verbannt wurde.
Die neu hinzugekommenen Einleitungen sind gehaltvoll und spannen den thematischen Bogen der folgenden Beiträge auf. Die vierfache Einführung im IV. Teil sowie die doppelte Einführung im V. sind aber etwas befremdliche Einfälle, die inhaltlich nur zum Teil gedeckt werden, zum anderen aber mit Verdoppelungen von Überlegungen und Zitaten einhergehen. Einige Verdopplungen finden sich auch an anderer Stelle. Fragen der Definition sind zum Beispiel schon im Kapitel 1.2 ausführlich behandelt worden, trotzdem ließen die Herausgeber im Kapitel 8.1 noch einmal Definitionsfragen zu, wahrscheinlich weil die Altherausgeberin hier die Autorin ist. Hier hätte man den Herausgebern mehr redaktionellen Mut gewünscht.
Unnötig erscheint dagegen die Streichung des Qualitätsaspektes. Das Stichwort der Qualität taucht nun gar nicht mehr auf. In den ersten Auflagen fand sich hierzu noch ein kleinerer Abschnitt mit drei Beiträgen. Hier wurde unter anderem das interRAI Assessment für Palliative Care als Entwicklungsprojekt ausführlich vorgestellt, in der aktuellen Auflage findet sich dazu nur noch eine kurze Zusammenfassung (p. 720) mit einem nur impliziten Bezug zur Qualitätssicherung. Das einschlägige Thema des spezifischen KTQ-Katalogs oder das Qualitätshandbuch für stationäre Hospize der Diakonie finden leider keinen Platz.
Die Herausgeber hätten auch auf eine noch entschiedenere Aktualisierung der Literatur drängen können. Bei den meisten Abschnitten findet sich kaum Literatur aus der Zeit nach dem Erscheinen der zweiten Auflage 2007. Das ist angesichts des recht gut in Fahrt gekommenen Literaturbetriebs der deutschsprachigen Pflegewissenschaft bedauerlich und lässt das Buch weniger aktuell erscheinen.
Schließlich sind im Anhang die Adressen von onkologischen Unterstützungsangeboten unnötig auf die Schweiz begrenzt. Diesen spezifischen Blick aus der Schweiz teilt das Buch an vielen Stellen mit anderen der Palliativ Care Reihe, die im Huber-Verlag Bern erschienen sind. Hier hätte Hogrefe, der Verlag der Neuauflage, etwas stärker darauf dringen können, dass der ganze deutschsprachige Bereich Berücksichtigung findet. Beim Verzeichnis der Fachgesellschaften und der Selbsthilfevereinigungen hat man diese Begrenzung glücklicherweise weggelassen.
Fazit
Auch in der dritten Auflage liegt wieder ein umfassendes und anspruchsvolles Lehrbuch mit einem guten didaktischen Konzept, einem sehr breiten thematischen Spektrum und einer schönen Aufmachung vor. Es ist geeignet für Leser, die sich tiefer mit dem Thema befassen wollen.
Rezension von
Prof. Dr. Carl Heese
Professur für Rehabilitation an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Zitiervorschlag
Carl Heese. Rezension vom 29.06.2018 zu:
Erika Schärer-Santschi, Barbara Steffen-Bürgi, Diana Staudacher, Cornelia Knipping, Settimio Monteverde (Hrsg.): Lehrbuch Palliative Care. Hogrefe AG
(Bern) 2016. 3. Auflage.
ISBN 978-3-456-85354-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21440.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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