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Tobias Nowoczyn (Hrsg.): Die Wohlfahrtsverbände als föderale Organisationen

Rezensiert von Dr. Thomas Kowalczyk, 20.03.2017

Cover Tobias Nowoczyn (Hrsg.): Die Wohlfahrtsverbände als föderale Organisationen ISBN 978-3-658-12913-2

Tobias Nowoczyn (Hrsg.): Die Wohlfahrtsverbände als föderale Organisationen. Das Leistungspotential durch Innovationen sichern. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2017. 269 Seiten. ISBN 978-3-658-12913-2. 29,99 EUR.

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Thema

„Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege werden gelegentlich als Konzerne bezeichnet. Hierbei wird verkannt, dass sie traditionell föderale Organisationen sind ..“ (S. V), beginnt Tobias Nowoczyn sein Vorwort und benennt dabei die zentrale Thematik. Parallel zur Entwicklung von Sozialarbeit und Sozialwirtschaft stehen sie unter Veränderungsdruck. Ihre föderale Organisationsform erfordert hierbei eigene, spezifische Ansätze, um diesen Herausforderungen begegnen zu können und – wie im Untertitel benannt – ihr Leistungspotential auch in Zukunft entfalten zu können. In diesem Sammelband wird diese Thematik in Grundsatzbeiträgen und Praxisberichten beleuchtet.

Autor

Der Herausgeber Tobias Nowoczyn ist Politikwissenschaftler. Von 2008 bis 2015 leitete er den Bereich Wohlfahrtspflege im Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes. Seit Januar 2016 ist Nowoczyn Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer.

Die Autoren kommen aus Verbänden und Mitgliedsorganisationen der Freien Wohlfahrtspflege, Wissenschaft, Steuer- und Unternehmensberatung, Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und einzelnen Unternehmen.

Aufbau

Das Buch gliedert sich in zwei Teile:

  1. Die Wohlfahrtsverbände als föderale Organisationen
  2. Fallbeispiele

In Teil I befinden sich die Grundsatzbeiträge und in Teil II die Praxisbeispiele aus Wohlfahrtsverbänden. Die Grundsatzbeiträge in Teil I werden eingeleitet durch einen Überblicksartikel von Tobias Nowoczyn (siehe unten). Teil II beginnt direkt mit einem Fallbeispiel des DRK aus Nordrhein-Westfalen.

Der Sammelband enthält insgesamt 20 Beiträge. Für das gesamte Inhaltsverzeichnis wird auf die Verlagsseite verwiesen. (www.springer.com, abgerufen am 22.02.2017).

Das Themenfeld in Teil I reicht vom grundsätzlichen Aufbau föderaler Organisationen über Netzwerkstrukturen, Rechtsformen der untergegliederten sozialen Unternehmen, der Personalgewinnung bis zum Thema Fusionen sowie Franchising als Lösungsansatz aus der Privatwirtschaft.

Die Fallbeispiele in Teil II spannen den Bogen von Reformprozessen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in einem Landesverband über zentrale telefonische Erreichbarkeit, bundesweit zentrale Leistungsangebote, einheitlicher Markenbildung, Personalrekrutierung, Fusionsbeispielen, gemeinsamer Finanzierung von Sozialimmobilien und Geldberatung bis zur Risikominimierung in der Beratung durch Spitzenverbände und der Schilderung einer Kooperation zwischen föderalen Verbänden und einem Konzern.

Als Beispiele werden nachfolgend zwei Beiträge aus Teil I und ein Beitrag aus Teil II kurz beschrieben. Wir starten mit dem Überblicksartikel zum Buchthema von Tobias Novoczyn.

Ausgewählte Inhalte

Föderalismus in der Sozialwirtschaft: Hindernisse überwinden und Chancen nutzen. Innovative Antworten auf die Herausforderungen der föderalen Wohlfahrtsverbände

Nowoczyn hat einen programmatischen Titel formuliert. Der Autor geht davon aus, dass föderale Verbände, sobald sie Dienstleistungen erbringen, durch ihre Kleinteiligkeit an unternehmerische Grenzen geraten. Föderalismus kann dann zum Nachteil gegenüber nicht-föderal organisierten Organisationen im Markt führen. Sein Schluss: „Deshalb gilt es, mit klugem Management und innovativen Konzepten die föderalen Grenzen abzubauen.“ (S. 3)

Die Bundesrepublik ist föderal organisiert, dies paust sich durch auf bundesweite Organisationen der Zivilgesellschaft wie die Wohlfahrtsverbände. Kernelement in der politischen Organisation des Föderalen ist das Subsidiaritätsprinzip. Im Wesentlichen beinhaltet dies, dass die größere Organisation in einer Gesellschaft nur dann eingreift, wenn die untergeordnete Einheit aus eigener Kraft die Aufgabe nicht erfüllen kann. Im föderal organisierten Staat haben sich dazu ausgefeilte Strukturen, Definitionen und Abläufe entwickelt, auf die in allen Fragen zurückgegriffen werden kann. Nicht so in der Organisationsforschung. Föderale Organisationen sind als eigenständiger Organisationstyp nur wenig beschrieben. Daraus ergibt sich der Bedarf, sich mit dem Thema in Form eines Sammelbandes auseinanderzusetzen.

Novoczyn fasst drei Kernfragen zusammen:

  1. „Wie können föderale Organisationen so gestaltet werden, dass ihre Leistungserbringung neuen Rahmenbedingungen gerecht wird?
  2. Wie kann die Größe föderaler Gesamtorganisationen genutzt werden bei rechtlicher Selbständigkeit der Mitglieder?
  3. Wie schaffen es Verbände, als föderale Organisationen in eine gemeinsame Richtung zu gehen?“ (S. 6)

Diese Fragen werden im vorliegenden Sammelband aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Daraus ergibt sich die einleitend vorgestellte Bandbreite der Artikel. Daraus ergibt sich auch, dass das Buch keine allgemeinen Antworten entwickelt, sondern stärker an Hand von Einzelthemen und Einzelbeispielen vorgeht.

Der Unternehmensberater Volker Bauer setzt sich in seinem Beitrag mit Steuerungsfragen der föderalen Wohlfahrtsverbände auseinander.

Netzwerken statt steuern. Strategische Ziele in föderalen Strukturen durch Netzwerkarbeit erreichen

Ausgehend von der Herkunft des Strategiedenkens aus dem Militärischen, benennt Bauer ein Grundsatzproblem: „Europäische Überlegungen basieren auf dem klugen Kopf und dem flexiblen Plan auf dem Feldherrnhügel … [doch] … Föderale Strukturen haben mit gehorchenden Heeren wenig zu tun. Gleichwohl sind in ihren Zentralen in der Regel viele „Feldherren“ anzutreffen, die die Ignoranz und die Autonomie der lokalen „Fürsten“ beklagen. Jedenfalls kann man in den Zentralen föderal aufgebauter Strukturen gewöhnlich kluge Papiere zu Zielen und Wegen strategischen Wandel finden, die in den Dezentralen höflich zur Kenntnis genommen, aber keineswegs handlungsweisend umgesetzt werden.“ (S. 57f) Er fasst zusammen, dass es um drei Elemente im Change Management föderaler Organisationen geht:

  1. „um zentrale Steuerung und lokale Autonomie nicht nur in der Alltagsbewältigung, sondern auch in der Veränderungsstrategie,
  2. um Führung und Beteiligung der Mitglieder auf allen Ebenen des Organisationsaufbaus, und
  3. um koordinierte Kooperation und Führungsarbeit im Haupt- und im Nebenamt.“ (S. 59)

Bauer skizziert die Dynamik dieser drei Spannungsfelder und beschreibt sie als „Kooperationsstrukturen zwischen Netz und Hierarchie“, die am besten mit der „fraktalen Strategieentwicklung“ bewältigt werden kann. (S. 59)

Beispielhaft Ausführungen von Bauer zu Punkt 1: „Nehmen zentrale Vorgaben zu, oder entwirft die Zentrale eine Strategie, wird auf lokaler Ebene fast automatisch Misstrauen mobilisiert, das auf die Sicherung der lokalen Autonomie ausgerichtet ist. Nehmen andererseits eigenständige lokale Initiativen zu, wird die Zentrale wachsam und sucht nach Möglichkeiten, „Fehlentwicklungen“ rechtzeitig wieder einzufangen. Das Mittel der Zentrale ist die „Ordnung“, quasi der Gesetzestext, der die Mitglieder bindet, das Mittel der Dezentralen sind Verschleierung und der Ausbau der lokalen Gefolgschaften und der lokalen Machtbasis. Die Ausgewogenheit zentraler Steuerung und lokaler Autonomie liefert den entscheidenden Grund für die hohe Stabilität föderaler Organisationen.“ (S. 60)

Zu Punkt 2 und 3 werden die Spannungsfelder in vergleichbarer Form entwickelt. Bauer resümiert: „Fasst man die strukturellen Paradoxien zusammen, versteht man augenblicklich dass föderale Organisationen sich mit Veränderung schwer tun.“ (S. 62) Organisation und Netz stellen die extremen Pole dar, zwischen denen der Charakter der Kooperation gefunden werden muss. Wie weit Netz und Organisation auseinanderliegen, erkennt man z.B. daran, dass Organisationen Mitgliedschaften definieren, während Netzwerke auf Freiwilligkeit basieren und „Wer freiwillig kommt, wird auch freiwillig gehen und niemand kann ihn oder sie aufhalten.“ (S. 65)

Der Autor zieht den Schluss, dass föderale Organisationen am besten eine Sowohl-als-auch-Philosophie praktizieren und organisatorisch eine „Melange“ organisationsförmiger und netzwerkförmiger Strukturen und Rahmenbedingungen vorhalten sollten.

Bedarfe bundesweit zentral decken trotz föderaler Struktur. Die ElternService AWO GmbH

Wolfgang Stadler und Dagmar Howe beschreiben in ihrem Beitrag die Entwicklung der ElternService AWO GmbH als bundesweit auftretendes Beratungs- und Vermittlungsangebot ihres föderalen Verbandes. Der Aufbau gründete sich auf Forderungen aus dem Grundsatzprogramm von 1999: „Um familiales Zusammenleben zu fördern und die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen zu verwirklichen, sind Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen notwendig.“ (S. 160) Diese Ausrichtung traf auf den verstärkten Bedarf von Arbeitgeberseite nach familienbewussten Angeboten in ihren Unternehmen, um Fachpersonal zu rekrutieren und zu binden.

Das Angebot der ElternService AWO GmbH richtet sich direkt und ausschließlich an Arbeitgeber. Zu Beginn (2005) hat sich eine Bietergemeinschaft aus mehreren Verbänden der AWO auf eine bundesweite Ausschreibung der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als GbR zusammen getan. 2006 erfolgte dann eine Diskussion in der AWO, um diese GbR in eine bundesweit agierende GmbH auszuweiten. Die weitreichende Akzeptanz am Ende des Diskussionsprozesses zeigte sich schließlich darin, dass alle 29 Bezirks- und Landesverbände Gründungsgesellschafter der ElternService AWO GmbH wurden. Die GmbH ist der „zentrale Ansprechpartner für Kunden und Interessenten, schließt die Verträge und steuert die Qualität der Leistungserbringung. Die Einbindung der regionalen AWO-Strukturen erfolgt z.B. im Rahmen der Akquise von Kunden, der Kundenbetreuung und der Leistungserbringung.“ (S. 163)

2016 erbringt der ElternService AWO GmbH Leistungen von der Kinderbetreuung über die Pflege bis hin zur psychosozialen Beratung für mehr als 300 Arbeitgeber in Deutschland. Es ist dem Wohlfahrtsverband daher gelungen, in der Konkurrenz zu den privat-gewerblichen Anbietern zu bestehen.

Fazit und Diskussion

Der Band versammelt 20 Beiträge wie föderale Wohlfahrtsverbände auf veränderte rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren können. Der erste Teil des Sammelbandes konzentriert sich auf Grundsatzbeiträge über Wohlfahrtsverbände als föderale Organisationen. Dabei konstatieren alle Autoren, dass föderale Organisationen in der Organisationsliteratur nur wenig behandelt werden. Gleichwohl werden sie als spezielle Organisationsform erkannt, die eigener Ansätze für Strukturen und Veränderungsprozesse bedürfen. Die Übernahme von Managementmethoden und Steuerungsinstrumenten einerseits aus der Profitwirtschaft andererseits aus Politik und Verwaltung gehen an den strukturellen Grundlagen föderaler Wohlfahrtsorganisationen vorbei. Im wesentlichen beschreiben die Autoren in ihren Einzelbeiträgen Probleme und Lösungsansätze, die auf die Einhaltung einer notwendigen Balance zwischen zentraler Steuerung und Autonomie zielen.

Im zweiten Teil werden zahlreiche Praxisbeispiele geschildert, die erläutern, wie Wohlfahrtsverbände erfolgreich innovative und praktische Lösungsansätze entwickelt und durchgeführt haben. Die Praxisbeispiele sind überwiegend detailliert erläutert. Praktiker erhalten daher für viele Teilbereiche beispielhafte Antworten auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen im Kontext föderaler Strukturen.

Der Sammelband richtet sich überwiegend an Akteure in gemeinnützigen Unternehmen, Wohlfahrtsverbänden und Fachverbänden der Sozial- und Gesundheitswirtschaft, die in föderalen Kontexten arbeiten. Das Buch fokussiert sich auf die Leistungserbringung im Sozial- und Gesundheitsmarkt und nimmt daher einen marktwirtschaftlich orientierten Blickwinkel ein. Politische Interessenvertretung oder die demokratischen Beteiligungsmodelle sind nicht Gegenstand dieser Veröffentlichung.

Die Stärke des Buches liegt sowohl in der Breite der behandelten Grundsatz- und Praxisthemen als auch in der Detailliertheit der praktischen Beispiele.

Rezension von
Dr. Thomas Kowalczyk
Geschäftsführer COMES e.V., Berlin
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Es gibt 22 Rezensionen von Thomas Kowalczyk.

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ISSN 2190-9245