Christopher Dell: Epistemologie der Stadt
Rezensiert von Elma Delkic, 16.03.2017
Christopher Dell: Epistemologie der Stadt. Improvisatorische Praxis und gestalterische Diagrammatik im urbanen Kontext. transcript (Bielefeld) 2016. 325 Seiten. ISBN 978-3-8376-3275-0. D: 29,99 EUR, A: 30,90 EUR, CH: 36,80 sFr.
Thema
Das vorliegende Buch unternimmt aus dem Blickwinkel der stadtforscherischen Praxis den Versuch auf Grundlage des Kernbegriffs „Wissensformen der Ermöglichung“ die Epistemologie einer diagrammatisch orientierten Forschung zur Stadt zu entwerfen. In diesem Kontext thematisiert das Werk die Form urbanistischer Episteme, sprich es behandelt die Organisation eines „Wissens“ der Stadt. Die Bezeichnung Epistemologie umfasst die Bestandteile Episteme und Logos. Episteme steht für Erfahrungswissen, „(…) dass sich in der Praxis alltäglich, implizit und individuell umsetzt.“ (Dell 2016: 33). Hierbei ist Wissen als ein relationaler Terminus zu deuten. D.h., dass bestimmte Konstellationen von Akteuren und Dingen in der Praxis bestimmte Wissensformen produzieren.
Der zweite Worteteil Logos besagt, dass die Form aus der Tätigkeit des Lesens und Versammelns besteht. Mit der Form stellt sich die Frage nach der Gestaltung. Geprägt wird diese durch ästhetische und politische Interessen. Aus politischer Sicht sind an der Formgebung das Schema der Beziehungen, die Menschen untereinander und die Menschen zur Welt als Stadt von Relevanz. Dabei ist das Ästhetische nicht ohne das Politische zu denken. Der Anspruch an die Ästhetik besteht darin, dass Wissen so zu gestalten, dass die Wissensform offen bleibt, um somit einen offenen Rahmen für epistemische Handlungszusammenhänge zu kreieren. Hieraus leitet sich die Frage ab, wie das wissenschaftliche Erforschen von Stadt derzeit funktionieren kann. Diesbezüglich schlägt der Autor vor die science of the making mit der Stadtforschung zu verknüpfen. Hieraus leitet sich die Empfehlung ab, „(…) die Stadt als relationales Feld von Handlungszusammenhängen zu sehen, die sich epistemisch erschließen lassen.“ (Dell 2016: 35).
Wie dies gelingen kann, skizziert der Verfasser Christopher Dell in der zur Grunde liegenden Metastudie. Sie liefert eine umfangreiche Rahmung für ein wissenstheoretisch beruhendes Verständnis gegenwärtiger Stadtforschung.
Autor
Christopher Dell (Dr. habil.) lehrte Architekturtheorie mitunter an der Universität der Künste in Berlin und der Architectural Association in London. Ferner lehrte er als Professor für Urbane Wissensformen, Organisationstheorie und relationale Praxis am Lehr- und Forschungsbereich Urban Design an der HafenCity Universität Hamburg. Der Autor ist zudem Gründer und Leiter des ifit Berlin (Institut für Improvisationstechnologie).
Entstehungshintergrund
Dieses Buch ist vor dem Hintergrund einer vorangegangenen, langjährigen und interdisziplinären Forschungsarbeit zum Thema Stadt entstanden. Den einsteigenden und Diskurs leitenden Rahmen bildete der Masterstudiengang Urban Design an der HafenCity Universität Hamburg. Die wissenstheoretische Vertiefung erfolgte im Masterstudiengang „cultural engineering“ an der Universität Magdeburg. Hier wurde das Schriftwerk als kulturwissenschaftliche Arbeit verfasst. Weitreichende inhaltliche Impulse kamen zudem durch die Mitarbeit an Fachbereichen des Städtebaus und der Architektur an der Universität der Künste Berlin sowie der Technischen Universität München.
Aufbau
Das Buch umfasst fünf Kapitel.
Das erste Kapitel setzt sich mit Begriffsdefinitionen zur Untersuchung auseinander. Im Kern werden den Begriffen des Urbanen, der Prozessgestaltung, der gestalterischen Diagrammatik, den Wissensformen der Ermöglichung sowie der technologischen Improvisation ein Ort als räumlicher Rahmen zugewiesen.
Das zweite Kapitel legt den Fokus auf die epistemischen Strukturen der Performanz. Grundlegende Fragen zum Begriff der Performanz werden im ersten Teilbereich des dritten Kapitels behandelt. Der zweite Teilbereich skizziert die Verzahnung zwischen Performanz und Wissen, so wie sie in der künstlerischen Forschung, in der Debatte um das implizite Wissen und in der Auseinandersetzung um Wissen als Gestaltungsform manifestiert sind.
Die aus diesem Kapitel resultierende Frage nach der Bestimmung der Diagrammatik ist der inhaltliche Schwerpunkt des vierten Kapitels, um infolgedessen eine Politik der performativen Strategie zu entwickeln. Hierauf basierend folgt eine konzeptionelle Verortung gestalterischer Diagrammatik, die sich im Spannungsfeld zwischen Improvisationen und Redesign bewegt.
Das abschließende fünfte Kapitel widmet sich dem Umsetzungsrahmen des konzeptionellen Entwurfs. An diesen knüpfen Fragen des Form-Machens, der Verknüpfung und der improvisationalen Perspektiven. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf Wissensformen der Ermöglichung für die Stadtforschung ab.
Inhalt
Das Buch befasst sich mit dem „epistemischen Handlungszusammenhang“ als Forschungsgegenstand. Dieser versteht sich als strukturelle Form der Stadt, die sich aus isolierten Fragmente der gebauten Umwelt und ihrem Beziehungsgefüge zusammensetzt. Der epistemische Handlungszusammenhang umfasst vier zu betrachtende Aspekte:
- die medialen Praktiken,
- die gestalterischen Diagrammatiken,
- die prozesshaften Vorgänge,
- sowie den stadträumliche Kontext und die konzeptionelle Einbettung
Diese erläutern Vorgänge wie „(…) Aktion und Handlung von Menschen und Dingen der Stadt zu Praktiken, die implizites Wissen enthalten, das gehoben werden kann.“ (Dell 2016: 37). Die Spuren, welche die Vorgänge hinterlassen, bilden einen sogenannten „materialen Repräsentationsraum“, der diagrammatisch lesbar ist.
Die „(…) Analyse epistemischer Handlungszusammenhänge der Stadt, die mit gestalterischer Diagrammatik im Modus technologischer Improvisation operieren“ (Dell 2016: 42), bezeichnet der Autor als Wissensformen der Ermöglichung. Hierbei handelt es sich um offene und nicht geschlossene Formen. Sie implizieren Rahmungen, Metaformen, Setzungen, Matrizen, Folien, die konstruktive Bewegung ohne gesetzten Plan erlauben. Daran knüpft die Frage an, wie sich Wissen in eine Form bringen lässt, die für jeden Akteur, der das Wissen nutzen möchte, Ermöglichung und Ermächtigung zu individueller und neuer Formproduktion verbindet. Wissensformen der Ermöglichung „(…) stellen Formen vor, die keine Antworten auf gegebene oder identifizierte Probleme suchen, sondern darauf gerichtet sind, Arrangements zu gestalten, die es ermöglichen, die Fragen entstehen zu lassen, die man stellen will.“ (Dell 2016: 42).
Es geht darum eine Stadtforschung zu ermöglichen die einen offenen Forschungsprozess forciert. Denn dass, was Wissen zum Wissen macht ist der prozessuale Vorgang, der sich zwischen Gegenständen und den auf sie intentional bezogenen Subjekten verläuft. Wer die Frage nach der Prozessgestaltung stellt, stößt die Frage nach dem Gestaltungsbegriff selbst an und dessen Erweiterung. Zwischen den beiden Begriffen Prozess und Gestaltung sitzt der Begriff Möglichkeit. Bezugnehmend auf den Prozess kann Möglichkeit sowohl Prinzip und Ursprung als auch Modifikation existenter Prozesse bewirken. Eine prozesshafte Stadtforschung, die Wissen der Ermöglichungen gewährleisten will, hat zu lernen sich von manifestierten Ergebnissen und fixierten Zielen zu lösen, damit Wissen aus der Praxis generiert wird und Pläne situativ werden, die zeitgleich einen Diskurs über eine neu Darstellungspraxis in Bewegung setzt.
Doch warum erscheint es so wichtig neue Formen zu finden, um die urbane Praxis und deren Wissensformen zu erforschen? Die urbane Praxis wird durch mehr als auf auferlegten Planungsstrategien und Raumnutzungskonzepten geformt. Das Urbane ist gefüllt von Bewegungen und unvorhersehbaren Situationen. Das Urbane ist Ort „(…) der Mediation, der Vermittlung und der Organisation der urbanen Gesellschaft und ihres alltäglichen Lebens (…)“ (Dell 2016: 67). Diese Vielfalt und Dichte an Performativität gilt es unter Berücksichtigung sozialer und materialer Raumverfahren in der urbanen Praxis mit Hilfe handlungsorientierter Konzeption von Raum zu erfassen. Denn Raum ist mehr als ein gebauter Ort, er ist ein relationales und soziales Produkt.
Diskussion und Fazit
Die Stadtforschung als Wissensform steht vor der Herausforderung Formen und Settings zu entwickeln und zu installieren, die es dem Forschenden ermöglichen, Fragen von einem subjektiv artikulierenden Interesse zu erarbeiten. Es geht um die Skizzierung eines Verfahrens, das auf zwei Gesichtspunkten beruht. Zum einen, dass Handlungen Effekte, Wirkungen und Strukturen erzeugen. Zum anderen, das diagrammatische Kapazität, notationale Konstruktionen produzieren, mit deren Unterstützung sich ideelle Erfahrungsstrukturen erfassen lassen.
Rezension von
Elma Delkic
M. Sc. Stadtplanung, Quartiersentwicklerin bei der Johann Daniel Lawaetz-Stiftung in der Abteilung Soziale Stadtteilentwicklung und Bürgerbeteiligung
Neuere Rezensionen siehe Elma Adedeji
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Zitiervorschlag
Elma Delkic. Rezension vom 16.03.2017 zu:
Christopher Dell: Epistemologie der Stadt. Improvisatorische Praxis und gestalterische Diagrammatik im urbanen Kontext. transcript
(Bielefeld) 2016.
ISBN 978-3-8376-3275-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21457.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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