Eckard König, Gerda Volmer: Einführung in das systemische Denken und Handeln
Rezensiert von Dr. phil. Oda Baldauf-Himmelmann, 10.03.2017

Eckard König, Gerda Volmer: Einführung in das systemische Denken und Handeln. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2016. 278 Seiten. ISBN 978-3-407-36590-3. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 51,90 sFr.
Thema
Schnell kann man mit seiner Problembetrachtung in eine Endlosschleife geraten, wenn man nur ausreichend nach den Ursachen, den Schuldigen und den beteiligten Umständen sucht. Alternativ ist es jedoch auch möglich, systemisch zu denken und zu handeln, womit mancher Ausweg aus einem Problem möglich wird.
Autor und Autorin
Eckard König ist emeritierter Professor an der Universität Paderborn mit dem Arbeitsschwerpunkt Weiterbildung / Organisationsberatung. Er verfügt über langjährige internationale Erfahrungen bei der Beratung von Organisationen und führt – zusammen mit Gerda Volmer – seit über 25 Jahren eine der erfolgreichsten Ausbildungen in systemischer Organisationsberatung durch.
Gerda Volmer ist promoviert und nach mehrjähriger Forschungs- und Projekttätigkeit Leiterin des Wissenschaftlichen Instituts für Beratung und Kommunikation (WIBK) in Paderborn. Arbeitsschwerpunkte sind Beratung von Organisationen, Coaching, Teamberatung und Ausbildungen in Systemischer Organisationsberatung.
Entstehungshintergrund
Anstoß für dieses Buch gaben die von den beiden Autoren begleiteten Führungskräfte, Teams, Teilnehmer der Ausbildungen und Studierende, die sich eine Möglichkeit wünschten, dass, was man im konkreten Miteinander erarbeitete hatte, nochmals nachlesen und vertiefen zu können. Das Buch richte sich daher an Führungskräfte und Mitarbeiter, Trainer und Berater, an alle Personen, die in ein neues soziales System kommen und an alle Interessierten am Thema.
Aufbau
Die Publikation untergliedert sich nach einem Vorwort in vier Hauptkapitel. Auffällig ist dabei eine konsequent durchgehaltene Grundstruktur. Das Thema wird je mit einem konkreten Beispiel eingeleitet. Anschließend erfolgt eine Erläuterung genutzter Begrifflichkeiten, die mit dem Eingangsbeispiel verknüpft wird. Es werden dann theoretische Hintergründe dargestellt, eine Checkliste zum jeweiligen Ansatz bzw. Begriff und abschließend Anregungen zur Weiterarbeit gegeben. Gleichzeitig gibt es am Ende des Absatzes, Hinweise zu vertiefender Literatur für den jeweiligen Ansatz.
1. Wie tickt ein soziales System?
- Systemisch – Was heißt das?
- Wer hat das Sagen? – Stakeholder und Netzwerke
- Unser Bild der Wirklichkeit
- Regeln
- Regelkreise: Immer wieder das gleiche Muster
- Wo sind die Grenzen? – Systemgrenzen und Umwelt
- Entwicklung sozialer Systeme
2. Struktur und Intuition: zwei Seiten einer Medaille
- Struktur ist nicht alles, aber sie hilft: GROW
- Die andere Seite der Medaille: Bauchgefühl und Empathie
3. Handlungsfelder
- Systeme verstehen
- Eine neue Position: Schritte in ein neues System
- Moderation: Struktur und Steuerung des Systems
- Fort- und Weiterbildung: systemisch
- Systemisches Projektmanagement
- Systemische Führung
- Change als Veränderung eines sozialen Systems
- Coaching und Organisationsberatung – aber systemisch
- „Mit sich selbst befreundet sein“: Selbstmanagement und Lebenskunst
4. Grundlagen
- Personale Systemtheorie: Wurzeln und Konzepte
- Das Menschenbild
Im Vorwort formulieren die Autoren ihren Ausgangspunkt und die Anliegen des Buches.
Zu 1. Wie tickt ein soziales System?
Unterkapitel 1: Ausgehend von einem konkreten Beispiel einer Führungskraft und deren Situation im Berufsalltag, wird zunächst erklärt, was ein soziales System bedeutet und wie man seine Aufmerksamkeit auf dieses lenkt. Dazu wird auf eine Definition von System zurückgegriffen und die Entstehung der Systemtheorie aus Blickwinkeln von drei Ansätzen erläutert, bevor Merkmale sozialer Systeme benannt und systemisches Denken und Handeln daran orientiert, abgeleitet werden. Die aufgeführten Merkmale: relevante Personen, subjektive Deutungen, soziale Regeln, Regelkreise, materielle und soziale Systemumwelt und Vorgeschichte der bisherigen Entwicklung werden dann absatzweise und immer orientiert am Fallbeispiel erläutert. Zum Ende jeden Absatzes bieten die Autoren systemische Grundfragen an, die dem Leser bzw. auch dem Betreffenden des Fallbeispiels, für eine positive Entwicklung der Situation hilfreich erscheinen. Abschließend wird der Stand der Dinge zusammengefasst und es werden Anregungen zur Weiterarbeit gegeben.
Unterkapitel 2: Fußend auf einem Problem- bzw. Situationsaufriss und anhand des entsprechenden Beispiels, wird der Begriff; Stakeholder erläutert und in Stakeholdergruppen unterschieden. Auch hier erfährt der Leser etwas über den theoretischen Hintergrund zum Begriff bzw. zur Begriffsentstehung des Stakeholders. Das Kapitel führt den Leser an Möglichkeiten der Stakeholderanalyse, an praktische Methoden der Visualisierung des sozialen Systems und an Möglichkeiten des Networkings heran. Letzteres wird durch Begriffs- und Funktionserläuterungen (Begriff: Netzwerke) gestützt. Für jede einzelne Handlungsmöglichkeit gibt es wieder Checklisten und den entsprechenden Bezug zum eingangs dargestellten Fallbeispiel.
Unterkapitel 3: Hier geht es um unser Bild der Wirklichkeit, welches in seiner theoretischen Lesart mit kognitiver Verhaltenstherapie und Formen des Konstruktivismus erläutert wird. Dabei erfolgt dann ein praktisch relevanter Exkurs in zwei Phasen: wie man zum einen das Bild der Wirklichkeit klären kann und schließlich, wie man zur Veränderung dieses Bildes kommt. Dem schließt sich die Möglichkeit der Arbeit mit Glaubenssätzen an. Beide Punkte werden -neben der ganz praktischen Bearbeitung – selbstverständlich an entsprechenden Beispielen erläutert, in ihren Begriffen beleuchtet und in ihren theoretischen Hintergründen erschlossen.
Unterkapitel 4: Regeln als Teil jeglicher Teamarbeit, werden hier begrifflich und in ihrem theoretischen Hintergrund erschlossen und in ihrer praktisch chronologischen Bearbeitungsmöglichkeit erhellt. So erfährt der Leser Möglichkeiten, wie er Regeln erkennen, beurteilen und ggf. verändern kann. Am Ende steht die Frage, wie man mit Regeln leben kann und wie Regeln, Werte und Rituale dabei das menschliche Handeln steuern. Auch für Werte und Rituale werden Möglichkeiten der Werteklärung, der Wertekonfliktbearbeitung und Wege nützlicher Ritualisierung, durch die Autoren vorgestellt.
Unterkapitel 5: Von den Regeln aus dem vorangegangen Kapitel gehen die Autoren nun einen Schritt weiter und beschreiben, orientiert an Beispielen, typische Regelkreise. Anschließend werden Möglichkeiten, Regelkreise zu erkennen und sie ggf. zu unterbrechen, in vier Vorgehensschritten erläutert. Mögliche weiterführende Methoden, wie z.B. Ich-Botschaften, Nachfragen, Aufmerksamkeitsverschiebung, Metakommunikation etc. werden ergänzend vorgestellt.
Unterkapitel 6 fragt nach den Systemgrenzen und Umwelt. Nach einer theoretischen Verortung geht es zunächst darum darzustellen, in welchen Zuständen Systemgrenzen problematisch werden können und welche Hinweise helfen, diese Probleme zu erkennen. Nachdem diese Systemgrenzen erkannt sind, empfehlen die Autoren, ihre genauere Analyse, die Frage nach möglichen Alternativen und die Frage danach, wie hier etwas verändert werden kann. Der Bezug zur Umwelt erfolgt einmal als sozialer und einmal als materieller Bezug, verbunden mit der Frage nach Umgehensmöglichkeiten, wenn hier Unstimmigkeiten bestehen.
Unterkapitel 7: Anhand eines Beispiels wird hier die Entwicklung sozialer Systeme, mit ihren theoretischen Erklärungsmodellen erläutert. Unter diesem Aspekt der Entwicklung von sozialen Systemen betrachtet, ergeben sich unterschiedliche praktisch relevante Ansatzpunkte, die hier näher beleuchtet werden. Das sind im Einzelnen: die Strukturierung der Entwicklung in Phasen, die Bedeutung der Geschichte und die Veränderung als Wechsel in eine neue Phase. Daraus leiten die Autoren Möglichkeiten des aktiven Tuns ab, die im Rahmen von Entwicklungen von Systemen nützlich erscheinen. Dies betrifft den Blick in die Geschichte mit der Strukturierung der Geschichte in Phasen, die Bearbeitung von Problemen in der Vergangenheit und die Betrachtung und Nutzbarmachung von Ressourcen der Vergangenheit. Dies betrifft aber auch den Blick nach vorn, durch die Entwicklung von Visionen und den Blick in die Zukunft durch differenziertes Bewahren und Verändern und die Gestaltung des Überganges in eine neue Phase.
Zu 2. Struktur und Intuition: zwei Seiten einer Medaille
Unterkapitel 1: Orientiert an einem Fallbeispiel wird zunächst einmal darauf eingegangen, was zu einem Problem führen bzw. werden kann. Dies wird theoretisch fundiert und zu Möglichkeiten der Strukturierung in Problemlöseprozessen übergeleitet. GROW – Goal (Orientierungsphase), Reality (Klärungsphase), Options (Lösungsphase) und What next? (Abschlussphase) – stellt dabei ein von den Autoren vertieftes Modell der Strukturierung dar. Gleichzeitig wird die Kunst, starke Fragen zu stellen betont und vier Fragearten, die dabei dem Anspruch, stark zu sein, genügen sollen, vorgestellt. Am Ende wird eine Unterscheidung getroffen, wer eigentlich das Problem hat, weil damit unterschiedliche Herangehensweisen, im Gespräch mit einem anderen, verknüpft sind.
Unterkapitel 2: Neben den bereits diskutierten rationalen Lösungsmöglichkeiten stehen in diesem Unterkapitel eher die Emotionen und Intuitionen bzw. Bauchgefühl und Empathie im Fokus. Emotionen werden dabei als wichtige Botschaften beschrieben und daher befragt, wie sie genutzt werden können. Auch hier werden dafür wieder entsprechende Schritte des Vorgehens angeboten, die von der Wahrnehmung der eigenen Emotionen, über die Entschlüsselung der Botschaft dieser bis hin zur Analyse und Nutzbarmachung der Botschaften eigener Emotionen reichen. Dann vertiefen die Autoren Möglichkeiten die Gefühle des anderen zu erfassen, wozu die Entwicklung von Empathie und das Erfragen bzw. auch Erzählen von Geschichten, als besonders geeignet, vorgestellt werden.
Zu 3. Handlungsfelder
Dieses Kapitel nutzt die entwickelten Inhalte und Handlungsvorschläge der ersten beiden Kapitel für neun konkrete Handlungs- bzw. Anwendungsfelder. Dazu werden die entsprechenden neu auftretenden Begrifflichkeiten in ihren theoretischen Hintergründen erschlossen und anhand neuer Fallbeispiele, sehr praktisch umgesetzt. Die neun Handlungsfelder sind: Systeme verstehen, Eine neue Position: Schritte in ein neues System, Moderation: Struktur und Steuerung des Systems, Fort- und Weiterbildung: systemisch, systemisches Projektmanagement, Systemische Führung, Change als Veränderung eines sozialen Systems, Coaching und Organisationsberatung – aber systemisch und „Mit sich selbst befreundet sein“: Selbstmanagement und Lebenskunst.
Zu 4. Grundlagen
Dieses letzte Kapitel erbringt einen abschließenden kurzen Überblick über Wurzeln und Konzepte der Systemtheorie, in Sonderheit der Personalen und soziologischen Systemtheorie. Das Kapitel und auch das Buch schließt mit der vertiefenden Darstellung zum Menschenbild ab.
Diskussion und Fazit
Mit einer sehr klaren und ansprechenden sowie kontinuierlich durchgehaltenen Grundstruktur in diesem Buch, gelingt es Eckard König und Gerda Volmer, den Begründern der systemischen Organisationsberatung in Deutschland, auch klare und nachvollziehbare Vorstellungen über Systemtheorie, systemisches Denken und Handeln zu erzeugen und vielleicht das bereits bestehende Interesse daran noch zu steigern. Die konsequente Orientierung an Beispielen aus dem (Organisations-)Alltag wirkt dabei besonders förderlich, weil das angesprochen wird, was jeder in irgendeiner Form bereits selbst schon erlebt hat. Einzig die Überschrift des Buches – Einführung in das systemische Denken und Handeln – lässt einen theoretischen Wälzer vermuten, so dass der vorgefundene Inhalt zur (positiven) Überraschung werden kann. Da sich ja gerade mehrere Kontexte für systemisches Arbeiten und Denken – wie z.B. Sozialarbeit, Familienarbeit und Organisationsmanagement – ergeben können, wäre es vielleicht nützlicher für die Erreichbarkeit potenzieller Leser gewesen, einen Untertitel zu wählen, auch um besonders den praktischen Wert zu verdeutlichen. Das schmälert aber keineswegs den Lesewert des Buches.
Mit diesem Buch liegt eine einfach verständliche, theoretische und zudem praktisch nutzbare und damit auch absolut empfehlenswerte Grundlage vor, um im Alltag und in Organisationen damit an Unwegsamkeiten zu arbeiten.
Rezension von
Dr. phil. Oda Baldauf-Himmelmann
Ausgebildete systemische Therapeutin / Familientherapeutin, Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin und Kulturwissenschaftlerin. Arbeitet als Akademische MA an der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus/Senftenberg (BTU CS)
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