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Jonas Sonntag: Kliniken für forensische Psychiatrie

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 05.01.2017

Cover Jonas Sonntag: Kliniken für forensische Psychiatrie ISBN 978-3-8375-1543-5

Jonas Sonntag: Kliniken für forensische Psychiatrie. Die mangelnde Akzeptanz von Standortentscheidungen für Maßregelvollzugseinrichtungen. Klartext Verlag (Essen) 2016. 139 Seiten. ISBN 978-3-8375-1543-5. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR.
Blaue Reihe - Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, 145.

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Thema

Das Bild forensischer Kliniken in der Öffentlichkeit ist deutlich negativ. Wo über neue Klinikstandorte nachgedacht wird, formiert sich meist schnell Widerstand, der jedoch oft keine klare Argumentationslinie oder Motivlage erkennen lässt. Breite Akzeptanz für die Unterbringung psychisch kranker StraftäterInnen in den Standortkommunen zu erreichen, scheint fast unmöglich. Standortausweisungen für Maßregelvollzugseinrichtungen sind entsprechend eine große Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger und für die Gesellschaft die hinter dem System der Unterbringung psychisch kranker Straftäter in Spezialkliniken steht.

Jonas Sonntag untersucht genauer das Setting der Klinikstandortausweisung in Nordrhein-Westfalen und erforscht die Rezeption forensischer Kliniken im Raum. Eine Analyse der Argumentationslinien der wichtigsten Akteure zeigt dabei neben pragmatischen insbesondere kommunikative und strukturelle Probleme im und um den Standortdiskurs auf. Durchgehend wird dabei das komplexe Gefüge von Risiko, Gesellschaft, Akzeptanz und Legitimation durch Verfahren berücksichtigt. Als zentrale und bis jetzt scheinbar unüberwindbare Hürde auf dem Weg zu mehr Akzeptanz markiert die Untersuchung schließlich das Dilemma struktureller Kopplung, das aus der Systemtheorie bekannt ist.

Entstehungshintergrund

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Masterthesis, die an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund eingereicht wurde.

Autor

Jonas Sonntag, studierte Raumplanung an der Technischen Universität Dortmund und beendete das Studium 2015 als „Master of Science“. Seitdem arbeitet er als Regierungsbaureferendar bei der Bezirksregierung Münster.

Aufbau

Der knapp 140 Seiten starke Band geht in acht Kapiteln auf Grundfragen demokratischer Legitimation öffentlicher Projekte, den Forschungsanlass und die Problemstellung und die Forschungsfrage ein. Sonntag benennt hier gesellschaftliche Akzeptanzprobleme bei der Planung und Errichtung neuer Maßregelvollzugskliniken, also die Gründe für die Ablehnung solcher Kliniken in und durch Gemeinden als Themenkomplex seines Forschungsprojekts. Im Weiteren beschreibt er die Rahmenbedingungen der Forensischen Psychiatrie und deren konkrete Ausgestaltung, sowie die theoretischen Grundlagen von Akzeptanz und deren Bedeutung für Planungsverfahren im öffentlichen Raum.

Im umfangreichsten sechsten Kapitel erfolgt die Darstellung der erhobenen Forschungsbefunde; der Autor stellt hier Fragen der Standortsuche, -kommunikation, der unterschiedlichen Akteure, räumlichen Gegebenheiten, sowie die öffentliche Kommunikation dazu ausführlich vor, die er im Forschungsprojekt am Beispiel der Stadt Lünen erhoben hatte.

Abschließend interpretiert und diskutiert Sonntag die erhobenen Befunde und skizziert im abschließenden Kapitel das Bedingungsgefüge von Akzeptanzentwicklung die zwischen den Ebenen Stadtentwicklung, Image, politische Strategie, Verwaltungs-, Macht- und Befindlichkeitsaspekten (Emotionen, Spekulationen) der betroffenen Akteure, die als „Stoff der Ablehnung“ (118) identifiziert werden.

Inhalte

Demokratische Legitimation

Das lediglich eine Textseite umfassende Kapitel benennt den Problemhorizont der hier behandelten Thematik: Staatliches Handeln erfordert, vor allem dort wo unmittelbare Betroffenheit erzeugt wird, die Beteiligung aller Betroffenen, also auch der BürgerInnen, die, wie im vorliegenden Fall, vom Neubau einer Klinik für psychisch kranke Rechtsbrecher in Nähe von Wohnbebauung, tangiert werden.

Irrenhaus“ neben Gartenhaus

Den oben skizzierten Gedanken aufgreifend nähert sich Sonntag in diesem Kapitel der Problemstellung seiner empirischen Studie an: die Gesellschaft hat sich darauf verständigt psychisch kranke, schuldunfähige und rückfallgefährdete Menschen, welche erhebliche Straftaten begangen haben, außerhalb des Strafvollzugs in Spezialkliniken (Maßregelvollzug) zu behandeln und ihnen so einen späteren Zugang zur Gesellschaft, von der sie ausgeschlossen wurden, zu ermöglichen. Die Sorge vor Rückfällen nicht, oder nicht ausreichend behandelter Straftäter ist indes enorm und äußerst sich in Ablehnung und Protest, gegen neue Bauvorhaben. Dem gegenüber steht die statistische Entwicklung im Bereich der Forensischen Psychiatrie, wo sich die Unterbringungszahlen seit 1980 mehr als verdoppelt haben und den Bedarf an zusätzlichen Klinikplätzen begründen. Ein Widerspruch, der Konflikte automatisch nach sich zieht.

Forschungsfrage und -design

In diesem Abschnitt definiert der Autor das Ziel seiner Studie, welches in der Untersuchung eines ausgewählten Beispiels (Stadt Lünen) liegt und die dort zu Tage getretenen Ablehnungsphänomene erfassen und ordnen will. Darauf aufbauend formuliert Sonntag die zentrale Forschungsfrage: „Aus welchen Gründen und unter welchen Umständen erfahren Standorte für Maßregelvollzugseinrichtungen in der standortnahen Bevölkerung und Politik regelmäßig weitreichende Ablehnung und welche Implikationen und Erfordernisse ergeben sich daraus für eine stärker akzeptanzgetragene Standortdebatte?“ (24). Methodisch bearbeitet Sonntag diese Fragestellung anhand von ExpertInneninterviews und der Analyse der entsprechenden Medienberichte zum konkreten „Fall Lünen“. Hinweise zur Auswahl der ExpertInnen oder zum Prozess der Datenauswertungen werden hier nicht gegeben.

Rahmenbedingungen

Im vierten Kapitel beschreibt Sonntag die rechtlichen, therapeutischen, bauplanerischen, räumlichen, personellen und risikobezogenen Aspekte des Maßregelvollzugs und der -kliniken. Die z. T. sehr differenzierten Darstellungen werden durch Schaubilder ergänzt, welche die komplexe Vielfalt der Aspekte überblicksartig zusammenfassen. Die Darstellung dieser theoretischen Grundlagen wird dann in Bezug auf Risikowahrnehmung und -diskurse gesetzt. Die Gefährdungseinschätzung in Bezug auf Forensische Kliniken bzw. die darin untergebrachten Menschen wird in diesem Zusammenhang als komplexer individueller und gleichzeitig sozial determinierter Bewertungsprozess dargestellt, der zudem durch mediale Berichterstattung dynamisiert wird.

Akzeptanzforschung

Das Kapitel führt knapp in die sozialwissenschaftlich ausgerichtete Akzeptanzforschung ein, definiert dazu den Akzeptanzbegriff, der in der Schnittmenge von Akzeptanzkontext, -subjekt und -objekt verortet und als dynamischer Prozess und „Zustand“ verortet wird. Sonntag wendet diese Grundlagen dann in Bezug auf Meinungsbildungsprozesse im Zusammenhang mit öffentlichen Planungsverfahren und -entscheidungen an. Sein Fazit: ohne Partizipation der beteiligten Akteure und Öffentlichkeitsbeteiligung können Planungsvorhaben generell, im Bereich der Forensischen Psychiatrie im Besonderen ungünstig verlaufen, das Gefühl von Ohnmacht und Ausschluss die fehlende Akzeptanz gegenüber Klinikneubauten noch befeuern.

Standort Lünen

Das umfangreichste sechste Kapitel erläutert die methodische Vorgehensweise, standortrelevante Hintergrundaspekte, den Verfahrensgang des Klinikprojekts und die vor Ort geltenden Rahmenbedingungen. Darauf aufbauend folgt die Darstellung und Ordnung der in Lünen breiten Ablehnung des Forensischen Klinikprojekts, sowie der dahinter stehenden Motivlagen. Als Interviewpartner wählte Sonntag Gesprächspartner aus dem lokalen Planungsbeirat, der örtlichen Gerichtsbarkeit, Vertretern aus Politik und Verwaltung, der Kirche und VertreterInnen einer Bürgerinitiative, die sich im Zusammenhang mit der geplanten Ansiedlung einer Forensischen Klinik in Lünen gegründet hatte, VertreterInnen einer Initiative „Lünen ohne Forensik“ und dem Lünener Planungsdezernenten. Die transkribierten Interviews wurden anschließend dann „inhaltlich mit Blick auf die Forschungsfrage … analysiert“ (63), wobei hier keine Angaben zur Auswertungsmethodik erfolgen. Ebenso unterzog Sonntag die lokale Presse einer „knappe(n) – wenn auch nicht streng methodische(n)- Medienanalyse“ (63) um die Struktur und Qualität der öffentlichen Diskussion zu erheben.

Zur Einordnung des Verfahrensgangs erstellt der Autor zusätzlich eine „Timeline der verfahrensinternen und -externen Schritte in Lünen“(68), in der alle Maßnahmen von der vorläufigen Standortentscheidung, deren Kommunikation in der Gemeinde bis zur Gründung eines Planungsbeirats erfasst sind. Zusätzlich erfasst Sonntag alle potentiell an dem Prozess beteiligten Personen und Institutionen, vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (als künftigem Betreiber der Klinik), über die Stadtverwaltung, die Bürger und -initiativen, bis hin zu Patienten, künftigen Anwohnern und der lokalen Wirtschaft; „Akteurskonstellation im Planungsprozess“ (70).

Im Weiteren werden die in den Interviews erhobenen Argumente für und gegen die Ansiedlung einer Forensischen Klinik am Standort Lünen erfasst und dargestellt. Als zentrales standortbezogenes Argument gegen die Ansiedlung einer solchen Klinik sticht der Umstand heraus, dass Lünen als strukturschwaches Gemeindegebiet, das die Überleitung einer ehemalig stark industriell geprägten Struktur in eine postindustrielle Nutzung noch kaum bewältigt habe und durch die Ansiedlung einer Forensischen Klinik für potentielle Investoren, deren Engagement für die Zukunft als sehr erheblich eingeschätzt wird, schädlich sein könnte, da eine zusätzliche „Negativfixierung“ (74) erfolge. Die geplante innenstadtnahe Lage der Klinik wird zudem als ungünstig eingeschätzt, da die vorgesehene Fläche, eine Industriebrache, als künftiger Standort für Gewerbegebiete wirtschaftlich besser genutzt werden könne. Seitens potentiell künftiger Anwohner wird erhoben, dass die optische Präsenz einer solchen Klinik mit ihren erheblichen Sicherungsanlagen als „gefühlte Bedrohung wahrgenommen“ (76) werde. Dieser Argumentation steht die Betonung wirtschaftlicher Nutzeffekte gegenüber, die mit der Ansiedlung einer Klinik, den damit verbundenen Arbeitsplätzen, Bau- und Folgeaufträgen für die lokale Wirtschaft und entsprechenden Steuereinnahmen verbunden sind.

Auf politischer Ebene werden strategische Argumente angeführt und die politischen Entscheidungsträger dahingehend kritisiert, dass die Standortauswahl weniger sachlichen Gesichtspunkten gefolgt sei, sondern eher an postfaktischen Merkmalen (erwarteter Widerstand, Desinteresse) ausgerichtet wurde.

Die persönlich-emotionale Argumentation für und gegen den geplanten Klinikstandort ist geprägt durch eine mehr oder minder differenzierte (allgemeine) Kriminalitätsfurcht, konkreten Ängsten und Befürchtungen, vermuteten Bedrohungsszenarien im Zuge des Klinikalltags (z. B. Vollzugslockerungen, Freigänge, Entweichungen) und einem damit verbundenen Gefühl ständiger Unsicherheit. Konkret werden diese Ängste in Bezug auf mögliche Straftaten, die von den künftig in der Klinik untergebrachten Patienten ausgehen könnten formuliert, z. B. in Sorge vor Übergriffen auf (eigene) Kinder oder die weibliche Bevölkerung der Stadt Lünen.

Die Befunde zu standortbezogenen, strukturellen, politischen und individuell-emotionalen Argumenten werden durch Hinweise zu gesellschaftlichen und sozialen Argumentationslinien (Positionen der einzelnen Akteursgruppen, Dynamik der Auseinandersetzung im Gemeinwesen) und Hinweisen zur Metakommunikation und spekulativen Argumentationslinien („Verblendungstaktik“, finanzielle Interessen) ergänzt.

Die Analyse der Medien zur „Forensikfrage“ (105) ergibt, dass die lokale Presse weitgehend an journalistischen Prinzipien orientiert, knapp, neutral und informativ im Rahmen von Berichten oder Nachrichten berichtet hatte. „In aller Regel beschränken sich die Inhalte … auf die Verbreitung von sachlichen und hinreichend gesicherten Informationen mit Blick auf das Geschehen vor Ort …“ (105). Der Blick auf die sog. sozialen Medien-Plattformen ergibt hier ein z. T. anderes Bild. Die Beiträge dort zeichnen sich auch durch unsachliche, z. T. „pseudopolitisch-propagandistische Kritiken“ (108) aus.

Konsequenzen

In der Zusammenfassung der erhobenen Befunde stellt Jonas Sonntag dar, „auf welche unterschiedlichen Arten und Weisen die Lüner Stadtgesellschaft die Entscheidung, die Lünen zum Forensikstandort macht, wahrgenommen hat“ (109). Die unterschiedlichen Akzeptanzebenen werden hier miteinander in Verbindung gebracht und diskutiert, vor allem der Zusammenhang zwischen strukturell-gesellschaftlich Argumenten und Befunden und individuell-emotionalen Akzeptanzgrundlagen wird differenziert dargestellt und mit Blick auf die Risikodebatte in unserer Gesellschaft diskutiert. Der Blick auf andere Regionen (z. B. Münster) zeigt, dass es sich bei dem hier untersuchten regionalen Phänomen nicht um ein (in der sozialwissenschaftlichen Forschung begründetes) Artefakt handelt. Diese unterschiedlichen Strömungen, Bedürfnisse und Haltungen müssten, so sein Fazit, bei öffentlichen Planungsvorhaben generell, bei der Standortsuche – und Auslobung Forensischer Kliniken im Besonderen eingefangen und angemessen berücksichtigt werden.

Schlussbemerkungen

„Die Ergebnisse, die – da es sich vorrangig um ein gesellschaftliches Problem handelt – samt Vorgehen weitgehend auch auf andere Neustandorte in NRW übertragbar sein dürften, indizieren also klar die Verankerung der Nöte des Maßregelvollzugs im gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein. Zwangsnotwendig ist dafür eben nicht nur ein fachlicher, sondern gerade auch ein öffentlicher Diskurs, der nicht nur dann aufkommt, wenn es konkret wird, und nicht erst dann anfängt, wenn es zu spät ist – das gilt schließlich hier wie dort“ (119). Am „Fall“ Lünen wird deutlich, wie hoch der Bedarf einer breiten öffentlichen Beschäftigung mit dem Thema Maßregelvollzug ist. Auch, aber nicht nur, in Bezug auf die Debatten um neue Klinikstandorte.

Zielgruppe

Der Autor wendet sich an Fachkräfte die sich mit dem Maßregelvollzug, der soziologischen Akzeptanzforschung oder der Raumplanung beschäftigen.

Diskussion

Die Debatte um den Maßregelvollzug ist in vollem Gange. Verlief die Diskussion bislang vor allem auf einer Argumentationslinie zwischen gesellschaftlichen (Sicherheits)interessen und Menschen-/Patientenrechten, geht Jonas Sonntag in seiner Untersuchung einen anderen Weg. Er beschäftigt sich mit den Orten, an denen psychisch kranke Straftäter untergebracht und behandelt und schließlich in die Gesellschaft zurückgeführt werden sollen, mit den Maßregelvollzugskliniken. Am Beispiel eines konkreten Planungsverfahrens am Standort Lünen zeichnet er die komplexen individuellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ebenen einer solchen Debatte nach und belegt, wie diese unter dem Aspekt der Akzeptanz in einem Gemeinwesen zusammenhängen. Damit ist die vorgelegte Studie nicht nur ein Beitrag zur Raumplanung, sondern vielmehr ein differenziertes Soziogramm einer städtischen Gemeinde und, dieser Schluss lässt sich aus den erhobenen Befunden ziehen, unserer Gesellschaft, wenn es darum geht zu begründen, welchen Stellenwert Menschen mit einer psychischen Erkrankung und delikthaftem Verhalten in dieser Gesellschaft haben. Zeichnen sich in der Rechtsprechung aktuell eine stärkere Orientierung an Patientenbedürfnissen und -rechten ab (Reform des Maßregelrechts) und eine zunächst an Einzelfällen (Gustl M.) geführte kritische Diskussion der Unterbringungs- und Behandlungsbedingungen und -grundlagen ab, bleibt es in der Gesellschaft weiter bei einem klaren Ausgrenzungs- und Distanzierungsbedürfnis. Mit „solchen“ Menschen, will man im Alltag nichts zu tun haben, nicht in deren Nähe wohnen, sie im Alltag nicht sehen. Damit werden auch unbewusste individuelle und kollektive Bedürfnisse sichtbar, deren Bedeutung in der vorliegenden Studie allerdings nicht aufgegriffen werden, für die Diskussion der Akzeptanzproblematik allerdings notwendig wären.

Dennoch: die hier vorgelegten Befunde und deren Zusammenführung als politisch-gesellschaftlich-individuell-wirtschaftliches Bedingungsgefüge sind zukunftsweisend, wenn es um die Frage geht, wie unsere Gesellschaft mit (als gefährlich eingeschätzten) Menschen und Gruppen umgehen will. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wären differenziertere Hinweise zur Auswertungsmethodik hilfreich gewesen, um die -in sich logisch nachvollziehbaren Kategorien- erfassen zu können. Allerdings hat der Autor einzelne Kategorien zur Akzeptanzkultur durch Verweise auf das Interviewmaterial verknüpft. Die vorgelegte Studie wurde im Rahmen einer Masterthesis an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund durchgeführt. Beachtlich ist der Aufwand und Umfang bei der Auswahl von Interviewpartnern, die dadurch erzielte Datenmenge und -dichte, sowie der Abgleich der einzelnen Positionen mit der medialen Berichterstattung. Sonntag geht hier weit über den sonst üblichen Rahmen solcher Qualifikationsarbeiten hinaus und zeigt, welches Potential in solchen empirischen Studien liegen kann.

Fazit

Eine umfassende, sehr differenzierte Studie zur Akzeptanz der Gesellschaft gegenüber einer als gefährlich eingestuften Randgruppe: psychisch kranke Rechtsbrecher. Der Autor formuliert auf Basis der erhobenen Befunde wertvolle Hinweise, wie es bei öffentlichen Planungsvorhaben gelingen kann, alle davon Betroffenen in eine öffentliche Debatte einzubeziehen wodurch ein wichtiger Schritt gemacht wird, wenn es um die Erhöhung der Bereitschaft geht, Forensische Kliniken als Bestandteil städtischer Gemeinwesen zu integrieren. Ausgehend vom konkreten Fall, der Neuplanung einer Forensischen Klinik am Standort Lünen, beschreibt der Autor die Grundlagen und Rahmenbedingungen des Maßregelvollzugs in Deutschland und setzt diese in Verbindung zum aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussionsstand der Akzeptanzforschung. Die Datenerhebung selbst besticht durch eine breite Auswahl an Interviewpartnern und bezieht auch die mediale Berichterstattung mit ein. Das Ergebnis der Studie weist auf ein komplexes politisch-gesellschaftlich-individuell-wirtschaftliches Bedingungsgefüge, welches die Akzeptanz an konkreten Standorten begründet.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.

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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 05.01.2017 zu: Jonas Sonntag: Kliniken für forensische Psychiatrie. Die mangelnde Akzeptanz von Standortentscheidungen für Maßregelvollzugseinrichtungen. Klartext Verlag (Essen) 2016. ISBN 978-3-8375-1543-5. Blaue Reihe - Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, 145. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21534.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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