Patsy l´Amour laLove: Selbsthass & Emanzipation
Rezensiert von Ansgar Martins, 13.07.2017
Patsy l´Amour laLove: Selbsthass & Emanzipation. Das Andere in der heterosexuellen Normalität. Querverlag (Berlin) 2016. 260 Seiten. ISBN 978-3-89656-246-3. D: 16,90 EUR, A: 17,40 EUR, CH: 23,90 sFr.
Herausgeberin und Entstehungshintergrund
Patsy l´Amour laLove promoviert an der HU-Berlin zur Geschichte der Schwulenbewegung in den 1970er Jahren und tritt als Polit-Tunte in deren politischer Tradition für die selbstkritische Diskussion der Szene ein: Ein vor drei Monaten erschienener Folgeband (vgl. l´Amour laLove 2017) hat einen erbitterten Streit um repressive Potenziale der „Queer“-Bewegung ausgelöst und l´Amour laLove erbitterte Polemiken eingebracht. Gerade angesichts des Vorwurfs, hier werde eine „traditionelle“, tendenziell konservative Position gegen das progressive Label „Queer“ verteidigt, ist es hilfreich, an den weniger beachteten Band „Selbsthass & Emanzipation“ zu erinnern: Das Buch ist eine „Streitschrift für das selbstbewusste Anderssein“.
Die Aufsätze des Sammelbandes problematisieren die gesellschaftliche Verankerung von sexistischen, homo- und transphoben Diskriminierungen – mit einem besonderen Fokus auf die betroffenen Subjekte, die die Ressentiments mehr oder weniger unbewusst übernehmen. Diese internalisierte „Identifikation mit dem Angreifer“ (Freud 1986, S. 93) wird bewusst mit dem „scharfe[n] Begriff“ des „Selbsthasses“ beschrieben. Die Fragestellung der meisten Beiträge kreist um dieses Phänomen. Dragan Simicevic und Rahada haben eine Schwarz-Weiß-Fotoserie mit dem Titel „72 names of god“ beigesteuert.
Thema und Einleitung
Im ersten Text weist l´Amour laLove auf das Paradox hin, Vorurteile gegen Homo- und Transsexuelle dadurch abbauen zu wollen, dass man die davon Betroffenen als möglichst „normal“ inszeniert. Nicht bloß das Vorurteil sei zu problematisieren, sondern die tieferliegende Ebene des Hasses auf Anderes als Anderes. „Der Hass auf Homosexuelle benötigt keinen konkreten Homosexuellen, es reicht die Projektion.“ (S. 12) Dies wirke wiederum auf die Stigmatisierten zurück: Die Autorin weist auf den resultierenden Wunsch hin, die Differenz zu kaschieren, statt sich lustvoll zum Besonderen zu bekennen.
Der Begriff „Selbsthass“ wird dabei den verbreiteteren der „internalisierten Homonegativität“ oder „internalisierten Homophobie“ vorgezogen, weil statt „Negativität“ oder „Phobie“ der Hass im Zentrum des Phänomens stehe. In Auseinandersetzung mit der psychoanalytischen Theorie macht l´Amour laLove den Selbsthass als Identifizierung der Betroffenen mit den Ressentiments der Gesellschaft verständlich: als Identifikation mit dem Aggressor und pathische Projektion. Plastisch wird das am schwulen Selbsthass: „Entlarvend“ sei „die Wendung ‚hetero-like‘, die auf dem schwulen Online-Portal GayRomeo als Gütesiegel gehandelt wird“. (S. 27) Der Versuch, die Züge, die Hass erregen, möglichst zu verstecken, sei aber letztlich vorauseilende Einwilligung in die eigene Unterdrückung. Dabei seien Selbsthass und Scham nicht als individualpsychologisches Problem zu verharmlosen, das man einzelnen Subjekten zum Vorwurf machen könne. Vielmehr müssten sie den Individuen selbst als gesellschaftlich produzierte und verankerte Ausschlussmechanismen bewusst gemacht werden. Dann werde Emanzipation als „Zurechtweisung des Über-Ichs“, welchem der „normative Wahn“ eingeschrieben ist, denkbar: „Es ist möglich, die heterosexuelle Normalität zurechtzuweisen, auch wenn man sie nicht abschaffen kann.“ (S. 31) Es gehe dabei nicht darum, „jene Lesben, Schwulen und Transmenschen, die etwa ein bürgerliches Erscheinungsbild bevorzugen“, zu „Feinden der Emanzipation“ zu erklären, wie dies „in nicht wenigen queerpolitischen Politgruppen“ geschehe: Die Möglichkeit eines einigermaßen glücklichen Lebens allein als „Privileg“ zu denunzieren, bringe vielmehr „uneingestandene[n] Neid und schwulenfeindliche[…] Verachtung“ zum Ausdruck. (S. 18)
Aufbau und Inhalt
Ein Interview mit dem Sexualwissenschaftler und Psychotherapeuten Martin Dannecker differenziert die Kategorien Hass und Scham aus. Wo die eigene Scham zu Bewusstsein komme, könne das als „Einladung“ zur Reflexion auf ihre Ursachen verstanden werden, um an dieser Stelle gesellschaftlich verändernd einzugreifen. Dannecker stellt dem Versuch, das an sich selbst erfahrene „Anderssein“ unsichtbar zu machen, die Vision entgegen, „das Klischee“ zum „tanzen“ zu bringen und so „Räume“ der Entfaltung diesseits der normativen Gängelung zu eröffnen. (S. 39) Unterschiedliche „Repräsentanzen“ und Entwürfe von Männlichkeit und Weiblichkeit dürften nicht erst ab der Pubertät thematisiert, sondern müssten bereits in früheren Jahren enttabuisiert werden.
Andrea Trumann geht der sozialen Konstitution von „Geschlechtscharakteren“ und deren Subjektivierung in kritischer Auseinandersetzung mit Freud, Foucault und Butler nach: „Subjekt zu sein war erst einmal ein Privileg der Männer der bürgerlichen Klasse.“ (S. 49) Die von diesen Subjekten geforderte Selbstdisziplinierung, vor allem die Abwehr eigener Anteile, die nicht ins Idealbild passten, führten zur Abgrenzung von denen, die von Anfang an als unpassend erscheinen: Frauen und Homosexuelle. Die Herstellung von Männlichkeit erweist sich so als Strategie der Selbstbeherrschung, der Hass als Angst vor dem „Kontrollverlust“, dessen passiver Aspekt sich in Frauen und, abgeleitet, im effeminierten Homosexuellen zu verkörpern scheint. Der Hass auf das Andere geht demnach nicht auf etwas zurück, das wirklich anders wäre, sondern auf die eigenen psychischen Dispositionen, die abgewehrt werden müssen.
Der Frage, ob es auch einen heterosexuellen Selbsthass gibt, geht Benedikt Wolf nach und zeigt am weiblichen Selbsthass, also der Introversion von Sexismus durch Frauen, dass „dessen Kriterium das Geschlecht, nicht die sexuelle Orientierung ist.“ (S. 60) Versuche von heterosexuellen Männern, sich als queer zu ‚positionieren‘, seien im Gegensatz dazu nicht als Ausdruck von ‚Heterofeindlichkeit‘ zu verstehen, eher als Versuch, die eigene Person sexualpolitisch aufzuwerten. Die Wahrnehmung einer durch Trans-Personen, Lesben, Schwule und Frauen bedrohten Männlichkeit sei nicht die von Selbsthass, sondern zeige die Aggression gegen die als bedrohlich Wahrgenommenen.
Ein weiterer Beitrag von l´Amour laLove systematisiert die aufgeworfenen Perspektiven und bestimmt „Männlichkeit als Negation“: Als Ideal, das nicht positiv festgelegt ist, sondern nur durch die Abwertung dessen, was als unmännlich stigmatisiert wird, aufrechterhalten werden kann. Als Gegenbild des „echten“ Mannes erscheint, spätestens in der Widerspiegelung dieses Männlichkeitsbildes im schwulen Selbstbewusstsein, „die Tunte“ als ultimativ vulgäre, effeminierte Person in Stöckelschuhen, Schminke und Fummel. Gerade die als provokant wahrgenommene Tunte biete sich daher als reflexive Emanzipationsfigur an: Sie zeige, wie das Verworfene „umarmt“ werden könne.
Am Beispiel des schwulen Dating-Portals GayRomeo geht Marco Ebert den gehässigen Folgen dieses Männlichkeitsideals nach und wirft die Fluchtlinien der Emanzipation durch eine materialistische Kritik der sich darin ausdrückenden Verhältnisse. Wo man, wie im besagten Dating-Portal das Äußere bis zur Penisgröße und die charakterlichen und Freizeitvorlieben anhand von vorher erstellter Kategorien angeben kann, werde „guter Sex […] kalkulierbar gemacht“, seine Planung schrumpfe auf „operative Eingriffe wie das Abschätzen, Vergleichen, Aussortieren und das sich daran anschließende fast mechanische Abarbeiten der im Chat vereinbarten To-Do-Liste.“ (S. 113) Diese Verschränkung von Anpassung und Begehrensstruktur interpretiert der Autor als schlechte „Versöhnung“ des Widerspruchs von Lust- und Realitätsprinzip qua „repressiver Entsublimierung“ (Marcuse) soziogener Bedürfnisse. Die Folge sei eine desexualisierte Sexualität: „Die Träume der Menschen können wahr werden, weil diese[n] Träume[n] selbst“ (S. 114) kein transzendierender Charakter mehr innewohne.
Als Symptom von schwulem Selbsthass entziffert Polly Puller (Lukas Winkler) die Formel „Keine Sorge, ich bin bi!“ Hier geht es nicht um tatsächliche Bisexualität, sondern deren Beanspruchung durch Schwule, die sich darin hegemoniale Männlichkeitsideale bis in die homophoben Implikationen hinein aneignen. Diese Selbstdarstellung als bisexuell diene als „Strategie der Verleugnung“ (S. 123), um nicht als ganz so deviant zu erscheinen.
Die „Kontroverse zwischen Integration und Emanzipation“ als zwei gegenläufigen Reaktionen auf die heteronormative Ausgrenzung verfolgt fink durch die Geschichte der Schwulenbewegung. Ärgernis im (Selbst-)Bild von Schwulen sei dabei die unterstellte Verbindung mit Weiblichkeit. Zum Streit sei es stets darüber gekommen, ob ein weibliches bzw. „tuntiges“ Verhalten möglichst vermieden werden müsse, oder ob gerade dessen demonstrative Sichtbarkeit der adäquate Weg sei, um die homophobe Feindbestimmung aufzustören. Im Gegensatz zur Konfliktvermeidung durch Verstecken erscheint dabei der letztere Weg als der konflikt-, aber auch ertragreichere.
Mit der durch empirische Studien bestätigten Feststellung, viele Frauen wollten ungern mit „Schlampen“ befreundet sein, eröffnet Panne Pepper das Feld des weiblichen Selbsthasses. Die negative Bewertung einer promisken weiblichen Sexualität – selbst bei promisken Frauen – illustriert, dass „gesellschaftlich akzeptierte weibliche Sexualität eigentlich nur im Verborgenen stattfinden“ könne. (S. 139) In ihrer sichtbaren Form, werde sie als eine vom Mann definierte und auf seine Befriedigung bezogene Sexualität verstanden, wie Optik und Ablauf heterosexueller Pornos auf reichlich unsubtile Weise deutlich machen.
Manuela Kay richtet den Blick auf den Unwillen unter Lesben, sich selbst als lesbisch zu bezeichnen. Mädchen werde früh beigebracht, dass „Ärger machen“ den Jungs vorbehalten sei. Frauen, die sich dem fügten, würden häufig von Lesben, die mit diesem Ideal in Konflikt gerieten, als „blöd, schwach, und angepasst“ (S. 144) wahrgenommen. Meist jedoch reagiere man beschämt auf die Feststellung, anders zu sein. Daraus resultieren verschiedene Abwehrstrategien: „‚Dazugehören‘ möchten sie nicht, man ist zwar ‚frauenliebend‘, will sich aber nicht ‚festlegen‘ und sich schon gar nicht als ‚lesbisch‘ bezeichnen.“ (S. 147) Dabei würden – auch nach dem allgemeinen Vorurteil – Lesben, die als besonders weiblich wahrgenommen werden, tendenziell eher akzeptiert, während sich der Hass auf die Figur der „Butch“ und „Kampflesbe“ konzentriere.
In historischer Perspektive untersucht Antonia Netzer, wie sich die gesellschaftlichen Ressentiments auf die Entwicklung der lesbischen Szene auswirkten. Vor allem geht es um den Zusammenschluss mit der Frauenbewegung der siebziger Jahre gegen die „hetero-patriarchale Öffentlichkeit“ (S. 158) und die Enttäuschung, dass heterosexuelle Frauen sich nur in geringem Maße für die Rechte von Lesben einsetzten. So sei in den achtziger Jahren ein stärkerer Rückzug in lesbische Strukturen zu beobachten. Der Konflikt zwischen der Angst, in Unsichtbarkeit zurückzusinken, oder diese aus Angst vor den alltäglichen Diskriminierungen gerade zu suchen, sei bis heute aktuell. Netzer plädiert dabei für Sichtbarkeit, um von außen kommende Unterdrückung ebenso wie introvertierten Selbsthass anzugehen.
Till Amelung diskutiert die Kontroverse, ob Transgeschlechtlichkeit als neuronale Disposition oder soziale Konstruktion zu verstehen sei. Beide Ansätze richteten sich zwar gegen die Stigmatisierung bzw. Pathologisierung von Trans-Personen, böten aber keine befriedigende Erklärung des Phänomens. Der Versuch, den Nachweis eines weiblichen Gehirns in einem männlichen Körper zu erbringen, greife auf problematische neurowissenschaftliche Versuche, Geschlechterdifferenzen biologisch festzuschreiben, zurück, und könne auch zur Pathologisierung taugen. Die konstruktivistisch-queertheoretische Fokussierung auf sichtbare Selbstinszenierung von Geschlecht tendiere derweil dazu, „Faktoren wie Subjektivität, Motivation und Intention“ (S. 175) auszublenden. In vielen queeren Räumen werde Transgeschlechtlichkeit zu einer „Form von Hippness“ (S. 180) hypostasiert, als performative Auflösung von Geschlecht, was zur Diskriminierung von Trans-Personen führe, die dieser Anforderung nicht entsprechen.
An den Begriffen „Dreckshomo“ und „Queerikone“ macht Daria Majewski externe und interne Konflikte von transgeschlechtlichen Menschen deutlich: Wo die Transitionsgeschichte unsichtbar sei, stoße das im Gegensatz zum verächtlich gemachten „Dreckshomo“ auf Anerkennung – während die „Queerikone“ umgekehrt „als verkörperlichter Beweis für die Dekonstruierbarkeit von Geschlecht herhalten“ müsse. (S. 188) Letztere Perspektive blende jene Machtfaktoren aus, die im ersten Beispiel zur Diskriminierung von Transgeschlechtlichkeit führten. Dem von außen kommenden Hass könnten sich auch transgeschlechtliche Menschen – in Form von Selbsthass – nicht entziehen, so dass der Kampf gegen Diskriminierung zum „Mehrfrontenkampf“ (S. 193) gerate.
Das Phänomen der internalisierten Transfeindlichkeit vertieft Erik Meyer. Im Vergleich zu homosexuellen „Lebenslagen“ seien diejenigen transidenter Menschen als „noch prekärer“ (S. 200) anzusehen – aufgrund der Überschreitung der binären Geschlechtergrenzen. Zu externen Stressfaktoren von der Diskriminierung am Arbeitsplatz bis ins private Umfeld und dem Wunsch nach Normalität geselle sich schließlich die innere Zustimmung zu „transnegativen“ Äußerungen hinzu.
Die drei letzten Texte im Band erweitern diese Perspektiven: Dirk Sander konkretisiert anhand empirischer Studien, wie sich die Erfahrung von Diskriminierung und die Internalisierung ihrer Strukturen auf die psychische Gesundheit von sexuellen Minderheiten auswirkt und plädiert für eine „Bewegung für Gesundheit“. (S. 218) Sama Maani liefert einen Exkurs zur psychoanalytischen Religionskritik, indem er die soziopsychologische Konstruktion des Glaubens säkularisiert: Als Glaubensobjekt entlarvt er etwa „den Islam“, bei dessen Angehörigen Herkunft und Bekenntnis gleichgesetzt würden. Diese falsche Verknüpfung verbinde den Möchtegern-Toleranten dabei mit den Anhängern rechter Bewegungen. Ein abschließender Text von l´Amour laLove erläutert, dass der 2016 verübte Anschlag auf das „Pulse“ in Orlando nicht aus schwulem Selbsthass zu erklären sei: Die Reduzierung des Falls auf die Individualpsychologie des Täters neige dazu, den islamistischen und damit politischen Hintergrund des Ereignisses zu verdrängen.
Diskussion
Einige der Aufsätze argumentieren stärker gesellschaftstheoretisch, manche journalistisch, viele reflektieren die individuellen Erfahrungen der Autorinnen und Autoren als Ausgangspunkt für allgemeinere Betrachtungen. Die Verfasserinnen und Verfasser beziehen unterschiedlich Position zum politischen Aktivismus. Aber die normative Ausrichtung des Bandes ist schnell klar: Gegen eine „integrationistische Strategie“ (fink, S. 125) fordern sie nicht nur dazu auf, die schamvolle Selbstangleichung an den heteronormativen „Wahnsinn“ kritisch zu reflektieren. Sie rufen auch zum „selbstbewussten Anderssein“ auf, dazu, nicht vor der Sichtbarkeit gerade der verpönten schwulen, lesbischen und transsexuellen Züge zurückzuscheuen. Die Beiträge leugnen gesellschaftliche Verbesserungen nicht, weisen aber auf die muntere Konstanz der Ausschluss erzeugenden gesellschaftlichen Faktoren hin. Besonders der Beitrag von Sanders arbeitet heraus, dass hier sozialwissenschaftliche Forschungen „über die Jahre kaum Veränderungen in den Zahlen ergeben haben.“ (S. 209) Er referiert die Ergebnisse einer jüngeren Studie (vgl. Drewes, Kruspe 2015, S. 64), derzufolge ein Viertel der untersuchten homosexuellen Männer starke „internalisierte Homonegativität“ aufweise und weitere 47 Prozent „mittlere“ Werte zeige. (S. 214) Die Aufsätze tragen journalistisch und wissenschaftlich eine deprimierende Dichte von individuellen Erfahrungen und alltäglichen Beispielen für die verschiedenen Formen des Selbsthasses zusammen. Dabei überzeugt das Argument, der Begriff Homo- bzw. Trans-„Negativität“ sei „verharmlosend“ „gegenüber den gravierenden Auswirkungen von Diskriminierung“. (Meyer, S. 202) Die Bezeichnung als „Selbsthass“ scheint aber zu stark auf ein tatsächlich existierendes „Selbst“ hinzuweisen, das gehasst würde: Vielmehr verweisen alle Beiträge immer wieder auf die zutiefst misogyne Grundfigur hin, auch wo sie sich in Hass auf und Abwehr von Transgeschlechtlichkeit und Homosexualität subjektiviert. In der Herausarbeitung dieser gemeinsamen Grundfigur geht l´Amour laLoves Text „Männlichkeit als Negation“ am weitesten: Sie identifiziert Männlichkeit als soziales Verhältnis, das sich nur in der Abwehr einer diffus an sich und anderen ausgemachten Weiblichkeit aktualisiert. Der Struktur des Geschlechterverhältnisses folgend erscheint in diesem Sinne weibliche, zumal lesbische Sexualität davon bedroht, schlechterdings übersehen zu werden. Schwulsein erscheint dagegen stärker als Angriff auf diese hegemoniale Männlichkeit, Transgeschlechtlichkeit schlichtweg als Verrücktheit. Eine Leerstelle des Bandes ist dabei der weniger erforschte Bereich der Bisexualität, wo entsprechende Mechanismen der Selbstverleugnung zu erwarten sind. Zu der Brauchbarkeit des Labels „bi“, um schwulen Selbsthass auszuagieren, wie dem Unbehagen daran, sich als lesbisch zu bezeichnen, kommen auch allerlei homo- wie heterosexuelle Vorwürfe an Bisexuelle hinzu.
Auch die Perspektive auf Emanzipation von solchem Wahn, die ja erst praktisch vollzogen werden und sich historisch entwickeln muss, erscheint vorerst nur als negative – nicht die Ausrufung der Utopie, sondern der Blick auf die Zurichtung, die eine solche verhindert: „Müsste also Emanzipation nicht zuerst einmal bedeuten, die eigenen Bilder im Kopf zu hinterfragen?“ (Pepper, S. 142) Voraussetzung der realen Emanzipation wäre, dass die „Dreckshomos“ usw. als Gleichberechtigte partizipieren könnten, „als Unnormale […] normal würden. Ließe diese Gesellschaft jedoch Partizipation ohne Assimilation zu, hätte sie sich selbst abgeschafft.“ (Majewski, S. 186) Der misogyne Maßstab der Normalität, die Strategien der Unsichtbarmachung und Angleichung erzwingt, ist dabei zwar deutlich geworden. Interessant wären aber weitere Reflexion zur Vergesellschaftungsstruktur, deren Logik sich in diesem Identitätszwang ausdrückt, und darauf, wie und wie weit sie verändert werden kann. Dannecker warnt, es sei „naiv, davon auszugehen, dass es den Hass einfach nicht zu geben hat. […] Darin äußert sich die Idee, wir hätten nur gute Gefühle.“ Stattdessen sei „die Schwierigkeit, auszuhalten, dass man gerade in ganz engen Beziehungen lieben und hassen kann.“ (S. 46) Das sollte aber nicht über die Schlechtigkeit dieses Zustands täuschen. Mehr oder weniger alle Beiträge kommen aber zu dem Fazit, vorerst könne die Sachlage nur reflektiert bzw. – wie in der Figur der Tunte – „das Verworfene umarmt“, damit „seines Schreckens beraubt und in das bewusste Selbst integriert“ werden. (l´Amour laLove, S. 97) Es scheint also nur die individuelle Bewältigung der objektiv-strukturellen Gegebenheiten von Diskriminierung möglich – und freilich die Unterstützung durch eine Community, die sich auch öffentlich für Rechte und Ansehen sexueller Minderheiten einsetzt.
Fazit
Die Texte des Bandes bewegen sich im breiten Feld zwischen Theorie und Journalismus und nähern sich Ressentiments gegen Lesben, Schwule und Trans-Personen. Der gesellschaftlichen Forderung und Zumutung, sich möglichst „normal“ zu verhalten, fügen sie dabei das Feld des Selbsthasses hinzu: Die psychologische Introversion der allgemeinen Vorurteile durch die Betroffenen. Daraus resultieren verschiedene Strategien von Abwehr und Verleugnung, die auch im weiblichen Selbsthass zutage treten. Gegen den Versuch, möglichst „normal“ zu erscheinen, setzt der Band darauf, gerade die verhassten Züge sichtbar zu machen, um sie ins eigene Bewusstsein zu integrieren. Die eindringlichen Texte und Plädoyers des Buchs sind äußerst lesenswert und verdienen politische wie akademische Aufmerksamkeit.
Literatur
- Freud, Anna (1986): Das Ich und die Abwehrmechanismen, Frankfurt a.M.
- l´Amour laLove, Patsy (2017): Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin.
- Drewes, Jochen/Kruspe, Martin (2015): Schwule Männer und HIV/AIDS 2013. Schutzverhalten und Risikomanagement in den Zeiten der der Behandelbarkeit von HIV, DAH-Forum.
Rezension von
Ansgar Martins
M.A. Religionsphilosophie
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Zitiervorschlag
Ansgar Martins. Rezension vom 13.07.2017 zu:
Patsy l´Amour laLove: Selbsthass & Emanzipation. Das Andere in der heterosexuellen Normalität. Querverlag
(Berlin) 2016.
ISBN 978-3-89656-246-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21589.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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