Julia Brouka, Barbara Schröder: Angst. Wie Kinder sie überwinden
Rezensiert von Beate Sonsino, 05.04.2017
Julia Brouka, Barbara Schröder: Angst. Wie Kinder sie überwinden. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2016. 139 Seiten. ISBN 978-3-407-72745-9. D: 12,95 EUR, A: 13,40 EUR, CH: 18,60 sFr.
Thema und Entstehungshintergrund
Als Ergotherapeutinnen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, gehört das Thema Angst zum Berufsalltag. Die Autorinnen wollen aus ihrer Erfahrung heraus Eltern und anderen Bezugspersonen Strategien vorstellen, die helfen können, ihre Kinder im Umgang mit Ängsten zu unterstützen. (Vgl. Danksagung, S. 139).
Autorinnen
Beide Autorinnen sind staatlich anerkannte Ergotherapeutinnen und verfügen über diverse Fortbildungen, die sie für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und deren Umfeld zusätzlich qualifizieren. Sie sind Praktikerinnen und verfügen über die nötige Berufserfahrung, um diese im vorliegenden Ratgeber weitergeben zu können.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Buch ist in fünf Kapitel mit jeweiligen Unterkapiteln gegliedert und endet mit einem Anhang mit Literaturhinweisen und einer Danksagung. Eine Einleitung gibt es nicht. Es werden in dem Text viele Beispiele aufgezeigt.
Im ersten Kapitel erläutern die Autorinnen, dass natürliche Ängstlichkeit von Kindern einem Schutz vor Gefahren dient, wie die Gefahr vor fahrenden Autos, vor der heißen Herdplatte oder vor tiefem Wasser. Eltern können demnach über diese Ängstlichkeit ihres Kindes froh sein. Aber Kinder können auch durch Verunsicherung und Zweifel Ängste vor Situationen aufbauen, die real nicht existieren, die nur in der Gedankenwelt des Kindes vorhanden sind. Als Reaktion sucht das Kind die Flucht. Die Flucht nach vorne mit starkem Willen und Durchsetzungsvermögen oder durch Rückzug. Die meisten Ängste verschwinden wieder von alleine, aber einige Ängste können so stark sein, dass das Kind Hilfe von Erwachsenen braucht. Eltern und Erzieher müssen das Kind dann unterstützen. Die Ängste können sich durch laute Wutanfälle ebenso äußern, wie in kompliziertem Vermeidungsverhalten. Ein Kleinreden der Angst durch Erwachsene ist wenig hilfreich. Das Kind soll vielmehr Sicherheit und Rückhalt spüren. Eltern sollten mit ihrem Kind gemeinsam Strategien im Umgang mit Ängsten erlernen. (Vgl. S. 6-15).
Das zweite Kapitel geht noch einmal darauf ein, dass Angst erst einmal etwas Urmenschliches ist, mit einer schützenden und warnenden Funktion. Sie kann helfen, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren. Das Entscheidende ist der Umgang mit der Angst. Wann eine Situation zur Entstehung von Angst führt, ist individuell verschieden und hängt von verschiedenen Faktoren ab. So werden zuerst die familiären Faktoren, wie das Erziehungsverhalten der Eltern und die Art der Bindung zum Kind, genannt.
Es folgen soziale Faktoren, wie soziale Unterstützung oder sozialer Stress und die finanzielle Situation der Eltern. Daneben werden die biologischen Faktoren, wie z. B. die genetische Veranlagung und damit verbunden die Steuerung des Verhaltens angeführt. Zu den individuellen Faktoren zählen das Temperament, die Risikobereitschaft des Kindes, die intellektuellen Fähigkeiten, die Informationsverarbeitung und vorhandene Strategien im Umgang mit Stress.
Des Weiteren werden kurz alterstypische Ängste, die in verschiedenen Entwicklungsphasen häufig auftauchen, beschrieben. Diese Ängste sind oft schwach ausgeprägt und verschwinden meist nach einer gewissen Zeit. Darüber hinaus gibt es Ängste, die sich manifestieren oder verstärken; hier braucht das Kind besonders Unterstützung. Im Gegensatz zur normalen Furcht, die sich erklären lässt und vom Kind eigenständig wieder bezwungen werden kann, stehen die Phobien. Sie zeigen sich als „anhaltende Ängste, außergewöhnlich intensiv und auf bestimmte Objekte und klar eingrenzbare Situationen bezogen, von denen keine Gefahr ausgeht“ (vgl. S. 39 f). (Vgl. S. 16-43).
Das dritte Kapitel beschreibt Trennungsängste, wie sie häufig zu beobachten sind, wenn Kinder in den Kindergarten oder in die Schule kommen. Viele Kinder freuen sich auf den Kindergarten oder die Schule, andere Kinder wiederum haben Angst vor der Veränderung, dem Unbekannten. Wenn Eltern die Kinder gut darüber aufklären, wie es im Kindergarten oder der Schule sein wird, kann das eine gewisse Sicherheit vermitteln. Auch Eltern selbst gehen manchmal mit dieser neuen Situation unsicher um, haben unter Umständen auch Ängste. Die Autorinnen raten Eltern, sich davon freizumachen, immer und ständig für die Kinder da sein zu müssen. Ein schrittweises Abnabeln kann beiden Seiten in dieser Situation helfen. Wenn Kinder auch herzzerreißend weinen oder wütend auftreten, ist es wichtig, dass Eltern nicht heimlich weggehen, sondern das Kind auf das Weggehen vorbereiten und selbst ruhig und gelassen reagieren, um das Kind nicht noch mehr zu beunruhigen. Aber Eltern sollten auch das Weggehen durch Wutanfälle oder Tränen des Kindes nicht verzögern, sondern dem Kind sagen, wann es abholt wird und dass dann mit ihm geredet wird, wenn sich das Kind wieder beruhigt hat. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit beim Wiederkommen und ein klar strukturierter Ablauf der Verabschiedung können ebenso eine Sicherheit vermitteln, wie ein vertrauter Gegenstand in Form des Kuscheltieres oder dem Tuch der Mutter. Auch auf das Schlafverhalten können sich Trennungsängste auswirken. Hier können gemeinsame Rituale, wie ein Gutenachtlied, eine Gutenachtgeschichte oder eine Gedankenreise dem Kind zu positiven Gedanken verhelfen. Allerdings sollte sich dieses Ritual nicht „künstlich“ (S. 53) hinauszögern, weil das Kind immer wieder neue Fragen stellt und nicht möchte, dass die Eltern rausgehen. Eltern sollten auf die Schlafenszeit verweisen und das Ritual beenden. Wenn Kinder nicht im eigenen Bett schlafen wollen, können Eltern zum Beispiel einen Spalt die Tür offen lassen, eventuell noch Licht im Flur an lassen, oder ein Nachtlicht im Zimmer an lassen und ein Kuscheltier zum Kind legen, das auf das Kind „aufpasst“ (S. 54).
Kinder mit sozialen Ängsten haben häufig Angst, etwas falsch zu machen, fühlen sich unsicher oder von anderen abgelehnt und ziehen sich dadurch oft zurück, meiden große Gruppen, spielen lieber allein. Wenn Eltern in diesen Fällen abfällige Kommentare machen, die Kinder als „Angsthasen“ bezeichnen oder ihnen nichts zutrauen, weil sie „zu klein“ sind, wirkt das kontraproduktiv. Um die Unsicherheiten überwinden zu können, muss das Selbstwertgefühl gestärkt und die Kinder Schritt für Schritt unterstützt werden, damit sie sich weiter voran trauen. Lob zur Bestärkung wirkt verstärkend. Oft hilft auch schon ein liebevoller Blick, ein Streicheln über den Kopf, um zu motivieren. Wenn Eltern bemerken, dass sie mit den Ängsten des Kindes an ihre Grenzen stoßen, sollten sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Zum Beispiel kann ein Kind mit Hilfe von Ergotherapie Strategien erlernen und ausprobieren, um mit seinen Ängsten besser umgehen und seine Ziele erreichen zu können. (Vgl. S. 44-73).
Im vierten Kapitel widmen sich die Autorinnen den Reaktionsweisen bei Angst. So werden Reaktionen in den Gedanken und im Fühlen, Reaktionen im Körper und Reaktionen im Verhalten beschrieben. Die Reaktionen im Gedankenbereich können u.a. durch Medieneinflüsse und Erfahrungen beeinflusst werden, körperliche Reaktionen sind zum Beispiel beschleunigter Herzschlag, schnelleres Atmen, Schwitzen oder „weiche Knie“. Das Kind kann sich der Situation, die Angst macht stellen, wenn es genügend Strategien zur Bewältigung der Situation, genügend Zutrauen zu sich selbst und eine gute und sichere Bindung zu seinen Bezugspersonen hat. Angstreaktionen im Verhalten können u. a. als Nervosität, Weinerlichkeit, Fluchen oder Wütend werden in Erscheinung treten. Oder das Kind kann sich zurückziehen, versuchen aus der Situation zu fliehen oder diese zu vermeiden. (Vgl. S. 74-S. 99).
Im fünften Kapitel stellen die Autorinnen vor, wie Ängste in Stärken verwandelt werden können. Bei ängstlichen Kindern ist die Eltern-Kind-Beziehung häufig angespannt. Wenn Kinder am Rockzipfel klammern, wenn Wutausbrüche erfolgen oder Kinder trotzen, sind Eltern gestresst. Drohende Reaktionen der Eltern sind dann kontraproduktiv.
Ängstliche Eltern können ihre eigene Angst auch auf das Kind übertragen, wenn sie dies nicht erkennen und dagegen angehen, so zum Beispiel Angst vor Spinnen oder Hunden. Kognitions- und Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Säuglinge schon mit sieben Monaten Angst bei anderen Menschen an den Augen ablesen können. Deshalb sollten Eltern Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen. Auch sollten Eltern den Kindern nicht zu Vieles abnehmen; das fördert Unselbständigkeit und Unsicherheit.
Einer der Hauptschwerpunkte in der Ergotherapie ist das Aktivieren der Ressourcen des Kindes. Oft konzentrieren sich Kinder mit ausgeprägten Ängsten und auch deren Umfeld auf die Schwierigkeiten und Probleme. Hier gilt es, den Fokus in eine andere Richtung zu bringen. Stärken suchen und diese Stärken loben, kann dem Kind mehr Zutrauen schenken, es motivieren und selbstsicherer werden lassen.
Für ein ängstliches Kind ist es hilfreich, wenn die Eltern mit dem Kind über die Angst reden. Das Wissen, dass Ängste natürlich sind, andere Kinder auch Ängste haben, dass Eltern die Ängste ernst nehmen und sie nicht weg reden, kann Sicherheit geben; vor allem das Wissen, dass es Strategien gibt, die helfen können, damit fertig zu werden. Auch über das Sprechen, welche Lösungen zum Beispiel den Eltern als Kind bei deren Ängsten geholfen haben, können sich eigene Problemlösestrategien für das Kind ergeben.
In der Ergotherapie setzen die Autorinnen häufig Handpuppen ein und konstruieren passende Geschichten über Angst, was damit alles verbunden ist, dass Angst verschiedene Ausprägungen hat und welche Strategien angewendet werden können, um mit der Angst besser umgehen zu können. (Vgl. S. 101-S. 131).
Diskussion
Das vorliegende Buch ist als Ratgeber zu verstehen und wendet sich an Eltern und andere Bezugspersonen ängstlicher Kinder. Es ist in einer sehr einfach verständlichen Sprache geschrieben, mit ganz wenigen Fachbegriffen, die dann kurz und gut erläutert sind, wie zum Beispiel „Phobien“ (S. 40). Mir persönlich ist das Buch trotz Einteilung in Kapitel mit Unterkapiteln etwas zu wenig strukturiert. Eine richtige Einleitung in dem Sinne fehlte mir und es gab einige Wiederholungen. Aber ich möchte den Autorinnen nicht Unrecht tun; sie haben keinen wissenschaftlichen Text geschrieben und auch kein Fachbuch für Pädagogen. Dieser Anspruch wird nicht erhoben und vielleicht sind Wiederholungen für den Laienleser sogar gut, um mehrfach auf wichtige Punkte hingewiesen zu werden und deren Bedeutung zu realisieren.
Vom Inhalt her bieten die beiden Autorinnen für unsichere und bisher wenig informierte Eltern ein breites Spektrum der Thematik. Die Tipps mit dem offenen Türspalt und dem dezenten Nachtlicht werden wohl die meisten Eltern schon kennen, aber viele Eltern ängstlicher Kinder werden ihr eigenes Kind oder ihr Verhalten in diesem Buch erkennen und sich angesprochen fühlen. Da es einfach verständlich ist, wird es nicht beiseitegelegt werden, sondern seinen Zweck erfüllen und als Ratgeber Hilfestellung geben können.
Besonders positiv möchte ich die vielen Beispiele hervorheben, die die Thematik anschaulich und verständlich und das Lesen und Verstehen angenehm machen. Bei einem Beispiel zum Umgang mit der Angst vor Monstern, lässt die Mutter das Monster von dem Kind malen und legt das Bild dann zusammen mit dem Kind in den Flurschrank und schließ es dort ein. Seitdem schläft das Kind wieder in seinem Zimmer. Vorher wollte das Kind aus Angst im Elternbett schlafen. (Vgl. S. 56 f).
Mir persönlich haben auch die vielen kleinen Zitate links und rechts oben sehr gut gefallen, die passend ausgewählt sind und die zum Nachdenken anregen und/oder den Text der Seite noch einmal aus einem anderen Blickwinkel erscheinen lassen oder unterstreichen. Zum Beispiel „Nur wer Angst verspüren kann, kann auch Mut beweisen“ von Dalai Lama (S. 29) oder „Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr“ von Marie Curie (S. 119).
Dass die Autorinnen sehr kompetente und erfahrene Praktikerinnen sind, kommt beim Leser an. Sie haben offenbar aus ihrer Berufspraxis das zusammengefasst, was an Problemen an sie herangetragen wird und wie sie betroffenen Eltern und Kindern helfen, dies anzugehen.
Dabei geben sie viele praktische Tipps, sensibilisieren Eltern dahingehend, die Ängste der Kinder ernst zu nehmen und nicht klein- oder wegzureden. Vielmehr sollen Eltern gemeinsam mit dem Kind Strategien suchen, um der Angst zu begegnen und diese zu reduzieren. Aber auch, dass Eltern konsequent sein sollen, wie beim im dritten Kapitel dargestellten Ritual des Schlafengehens, wird klar benannt. Klare Regeln und Konsequenz geben dem Kind Halt und Orientierung, eine gewisse Sicherheit.
Eltern und Kind aus dem „Problemkreislauf“ zu holen und Ressourcen zu aktivieren, sehen die Autorinnen als Grundpfeiler ihrer Arbeit an (vgl. S.114). Die Beschreibung, wie das zu erreichen ist, wird Eltern und Kindern eine Hilfe sein.
Die Autorinnen nehmen ganz sicher auch einen gewissen Druck von den Eltern durch die Information weg, dass Angst etwas Urmenschliches ist und dass Angst auch eine positive Funktion hat, nämlich eine schützende und warnende. Betroffene Eltern sind häufig in einem Teufelskreis gefangen. Dass Eltern nicht ständig und überall für ihre Kinder da sein müssen, kann eine Entlastung für unsichere Eltern sein.
Es wird auch offen angesprochen, dass manchmal die Eltern selbst ein Teil des Angstproblems sein können und diese ihren Kindern eigene Ängste übertragen können, so zum Beispiel bei der Angst vor Spinnen oder Hunden. Oder Eltern können durch Überfürsorge Unsicherheit und Ängste beim Kind erzeugen und fördern. In solchen Fällen ist es unter Umständen angezeigt, dass die Eltern für sich persönlich erst einmal professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Diese ehrlichen Hinweise können Eltern dahingehend sensibilisieren, dass sie selbst an sich arbeiten und gegebenenfalls auch Hilfe suchen müssen, um ihrem Kind helfen zu können.
Fazit
Für die Zielgruppe Eltern und andere Bezugspersonen, also Laien, ist das Buch ein guter Ratgeber. Die Autorinnen schreiben in einer gut verständlichen Art und Weise. Sie „verschonen“ den Leser mit größeren theoretischen Hintergründen, benutzen kaum Fachausdrücke und haben das Buch mit vielen Beispielen lebendig gestaltet. Unsicheren und bisher wenig informierten Eltern und Großeltern wird ein guter Überblick geboten, wie sie die Kinder besser verstehen können, ihnen Sicherheit und Halt geben können und sie bei der Bewältigung verschiedener Ängste unterstützen können.
Für pädagogisch vorgebildete oder schon informierte Personen dürfte das Buch nicht genug zu bieten haben. Aber das ist auch nicht der Anspruch der Autorinnen. Ihre Zielgruppe ist klar definiert und dieser werden sie in jedem Fall gerecht.
Rezension von
Beate Sonsino
M.A. - Tätig in der Aus- und Fortbildung von Lehrern und pädagogischem Fachpersonal
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Zitiervorschlag
Beate Sonsino. Rezension vom 05.04.2017 zu:
Julia Brouka, Barbara Schröder: Angst. Wie Kinder sie überwinden. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2016.
ISBN 978-3-407-72745-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21592.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.
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