Anne Scheithauer: Lernfelder praxisnah umsetzen
Rezensiert von Dr. Anke Meyer, 17.01.2017

Anne Scheithauer: Lernfelder praxisnah umsetzen. Die virtuelle Gruppe als Methode im sozialpädagogischen Unterricht. Cornelsen Verlag GmbH (Berlin) 2016. 112 Seiten. ISBN 978-3-06-451536-9. D: 14,99 EUR, A: 15,50 EUR, CH: 18,70 sFr.
Thema
Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern findet in Deutschland außer an Fachhochschulen vor allem an Fachschulen und auch an Beruflichen Gymnasien statt. Manchmal ist die Ausbildung – ähnlich wie bei anderen Ausbildungen im Dualen System – praxisintegriert organisiert. In der Regel handelt es sich aber um eine vollzeitschulische Ausbildung mit Blockpraktika. Theorie und Praxis sollen eng miteinander verzahnt sein. Gleichzeitig ist der Unterricht über Lernfelder organisiert, die sich an berufliche Handlungsfelder anlehnen sollen – letztlich laufen die von den Lehrenden erstellten Lernsituationen aber immer Gefahr, artefaktisch zu sein. Anne Scheithauer, selbst Lehrerin und auch Fortbildnerin in diesem Bereich, stellt in ihrem Buch Lernfelder praxisnah umsetzen eine Methode dar, die dieses Dilemma auflösen möchte. Sie zeigt, wie die Studierenden aus den Kindern und Jugendlichen, die sie im Praktikum beobachtet haben, eine virtuelle Gruppe bilden können, die weit mehr aus den Tiefen der Realität schöpfen kann als jede papierförmige Lernsituation.
Aufbau
Das Buch besteht aus zwei Teilen.
- Im ersten Teil legt Anne Scheithauer die Grundlagen für die virtuelle Gruppe,
- im zweiten zeigt sie, wie in den verschiedenen Lernfeldern mit der virtuellen Gruppe gearbeitet werden kann.
Zum ersten Teil
Im ersten Teil geht Anne Scheithauer zunächst auf die „Grundpfeiler der Virtuellen Gruppe“ ein. Sie zeigt, wie die Virtuelle Gruppe die Lernorte Praxis und Schule vernetzen kann und stellt die Grundlagen der Bildungspläne an den Fachschulen dar: die Ausgestaltung der Lernfelder durch Lernsituationen und die wesentlichen didaktischen Prinzipien.
Im nächsten Kapitel beschreibt sie, wie „eine Virtuelle Gruppe entsteht“. Vor dem Praktikum muss es einen entsprechenden Auftrag für die Praxis geben, der einer theoretischen Vorbereitung bedarf und für den die Studierenden über Beobachtungsinstrumente verfügen müssen. Außerdem werden datenschutzrechtliche Aspekte beleuchtet. Während des Praktikums müssen die Beobachtungen durchgeführt und dokumentiert werden. Nach dem Praktikum erstellt jeder Studierende zu seinem Kind (oder Jugendlichen) eine Kartei und stellt das Kind seiner Lerngruppe, in der er fortan arbeitet, vor. Auf dieser Grundlage wird dann die Virtuelle Gruppe gebildet, für die beispielsweise Projekte geplant werden können.
Im Kapitel „Methodische Herangehensweise“ stellt Anne Scheithauer verschiedene Methoden vor, mit denen sie arbeitet. Ausgangspunkt ist eine Basislernsituation, die auch lernfeldübergreifend ausdifferenziert werden kann. Diese Lernsituation kann sich entweder aus dem Datenmaterial, das die Studierenden aus dem Praktikum mitgebracht haben, entfalten oder aber sie wird als „Lückentextlernsituation“ vorformuliert, die die Studierenden mit ihren Daten anreichern. Eine weitere Variante sind „Aktionskarten“, durch die in Anlehnung an typische Begebenheiten aus dem sozialpädagogischen Alltag zusätzliche Impulse gegeben werden, wie z. B. dass die Virtuelle Gruppe auf einem Spaziergang eine tote Katze findet. Hieraus sollen dann mögliche Handlungsstrategien entwickelt werden, bei denen die Studierenden die jeweils in der Wirklichkeit erlebten Kinder ihrer Virtuellen Gruppe vor Augen haben.
Verschiedene Möglichkeiten, wie die Daten der Kinder festgehalten werden können, entwickelt Anne Scheithauer in dem Kapitel „Formen der Dokumentation“. Dies kann durch eine Kartei im Mantelbogen geschehen, durch eine Kurzcharakteristik im Kartenformat – ähnlich wie bei einem Quartettspiel –, oder durch eine computergestützte Dokumentation.
Im letzten Kapitel des ersten Teils, „Reflexion als Bindeglied zwischen Praxis und Theorie“, stellt Anne Scheithauer verschiedene Reflexionsperspektiven vor mit denen die Arbeit mit der Virtuellen Gruppe reflektiert werden kann.
Zum zweiten Teil
Im zweiten Teil orientiert sich Anne Scheithauer an den unterschiedlichen Lernfeldern wie sie meines Wissens für die Lehrpläne in Bayern, Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrheinwestfalen gelten:
- „Berufliche Identität und professionelle Perspektive entwickeln“,
- „Pädagogische Beziehungen gestalten und mit Gruppen pädagogisch arbeiten“,
- „Lebenswelten und Diversität wahrnehmen, verstehen und Inklusion fördern“,
- „Sozialpädagogische Bildungsarbeit in den Bildungsbereichen professionell gestalten“,
- „Erziehungspartnerschaften mit Eltern und Bezugspersonen gestalten sowie Übergänge unterstützen“ und
- „Institution und Team entwickeln sowie in Netzwerken“ kooperieren.
Zu jedem Lernfeld bildet Scheithauer unterschiedliche Themenschwerpunkte, anhand derer sie exemplarisch zeigt, wie die konkrete Arbeit mit der Virtuellen Gruppe in der Schule aussehen kann. Beispielhaft stelle ich hier den Themenschwerpunkt Transition aus dem Lernfeld „Erziehungspartnerschaften mit Eltern und Bezugspersonen gestalten sowie Übergänge unterstützen“ dar. Scheithauer geht von den Übergängen aus, die die Studierenden selbst schon erlebt haben und führt sie dann an die Bewältigungsstrategien ihrer Beobachtungskinder heran. Hierzu arbeitet sie nach dem Phasenmodell von Mienert, auf dessen Grundlage die Studierenden das Verhalten ihres Beobachtungskindes in Bringe-Situationen am Morgen in eine Tabelle eintragen sollen. Anhand eines Kindes, das sie real kennen, setzen die Studierenden sich also mit einer Theorie auseinander und sehen dabei das Kind gleichzeitig in einem neuen Licht. In ihrer Lerngruppe sollen die Studierenden die Übergangsstrategien der Kinder erkennen und darauf abgestimmte Unterstützungsmaßnahmen entwickeln. Weitere Themen, die Scheithauer hiermit verbindet, sind Rituale, Entwicklungsaufgaben und die Auseinandersetzung mit verschiedenen Modellen der Transitionsforschung. Zu allen diesen Themen stellt Scheithauer konkretes Arbeitsmaterial zur Verfügung, dass über den Downloadbereich des Verlages auch digital kostenlos zur Verfügung steht.
Diskussion und Fazit
Ich bin begeistert. Zum einen finde ich die Idee, aus dem Praktikum heraus eine Virtuelle Gruppe zu kreieren, bestechend. So kann der Spagat zwischen Theorie und Praxis elegant und ohne große Verrenkungen gelingen. Anne Scheithauer stellt eine Fülle von Ideen vor, wie man die Virtuelle Gruppe methodisch vielfältig umsetzen kann und verbindet sie virtuos mit den unterschiedlichen Lernfeldern. Zum anderen beeindruckt mich der Fundus an konkretem Material, das Anne Scheithauer ihren Leserinnen und Lesern zur Verfügung stellt. Selbst wenn man nicht mit der Virtuellen Gruppe arbeitet, handelt es sich hier um eine wahre Schatzkiste an Unterrichtsmaterialen, die theoretisch in vielfacher Weise fundiert sind.
Letztlich ist auch die Begeisterung zu spüren mit der Anne Scheithauer immer wieder neue Methoden, Inhalte und Materialien findet, mit denen sie die Arbeit mit der Virtuellen Gruppe anreichert. Nicht zuletzt glaube ich, dass diese Art zu arbeiten bei den Studierenden viel Motivation freisetzt, indem sie das Gefühl bekommen, dass ihre praktischen Erfahrungen in der Schule ernst genommen werden und dass die Theorie sie auch in der Praxis weiterbringen kann.
Ich ziehe den Hut vor dieser gut durchdachten und mit so viel konkretem Material angereicherten Methode.
Rezension von
Dr. Anke Meyer
Lehrerin am Berufskolleg,
Fachleiterin für Sozialpädgogik in der LehrerInnenausbildung
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